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Vorwort Und die Musik?

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Slapstick – Klamauk oder Kunst? Norbert Aping gehört zu den deutschsprachigen Experten des Slapsticks. Er hält die Erinnerung an dieses Genre wach und hilft, viele seiner Facetten wieder zu entdecken. Ich wünsche Ihnen viel Freude und erkenntnisreiche Lesestunden mit Norbert Apings neuem Werk. Es ist von einer Akribie, die ihresgleichen sucht, von einer Präzision, die fasziniert und von einer inneren Erkenntnis getragen, die mitreißt. Vielen Dank dafür! Hoch lebe die Kunst des Slapsticks!

Mein eigener Weg dorthin war allerdings nicht so einfach. Ich hatte lange nur Kunst mit ernstem Inhalt für ernste Kunst gehalten. Meine Welterkenntnis geht wie immer durch die Musik: Ich bekam den Auftrag, vier Laurel-Hardy-Filme neu zu vertonen und in der Komischen Oper Berlin ein Konzert mit diesem Programm zu geben. Leider fand ich die Filme – ich konnte sie nur auf einem winzigen Fernseher, der auf meinem Flügel stand, in denkbar schlechter VHS-Qualität sehen – gar nicht witzig. Was für eine Enttäuschung! Ich habe also die Filme seziert und mir vorgenommen, die Aufgabe rein kompositionstechnisch zu lösen: diese Entwicklung beginnt hier und endet dort, diesen Moment will ich betonen und so weiter. Ob ich das selbst lustig finde, steht auf einem anderen Blatt.

Ich gehe also auf die Bühne in der Komischen Oper, die Leinwand ist gigantisch, der Flügel ein Traum, der Saal prall gefüllt mit Menschen …

… Gespannte Stille …

… Der Film beginnt …

… Ich spiele …

Die Leute biegen sich vor Lachen. Sie kringeln sich auf den Stühlen. Auch ich falle fast von meiner Klavierbank vor Lachen. Wie kann das so unfassbar komisch sein? Wie kommen Laurel und Hardy auf diese abstrusen Ideen? Wie schaffen sie es, immer noch einen drauf zu setzen? Das ist so gut gemacht, wie konnte ich so unfassbar arrogant sein, Slapstick nicht für Kunst zu halten?

Ich habe an dem Abend etwas völlig anderes gespielt als zu Hause. Man muss dazu zwei Dinge über meine Kompositionsweise wissen: a) Ich komponiere Wirkungen und keine Noten: Wenn ich einen bestimmten Blick oder eine Geste betonen möchte, nehme ich mir genau das vor. Ich lasse aber offen wie ich das mache. Ich kann plötzlich laut spielen – aber auch plötzlich sehr leise, in Dur oder in Moll. b) Meine Komposition ist kein Schal, sondern ein Netz. Sie ist keine feste Abfolge von Tönen, sondern lässt immer Optionen, zwischen denen ich spontan wählen kann. Und jede Entscheidung führt zu weiteren Optionen.

Nehmen wir die Szene, in der Stan & Ollie einer Dame einen Weihnachtsbaum verkaufen wollen. Die Dame möchte aber keinen Weihnachtsbaum. Stan fragt, ob vielleicht ihr Ehemann einen Weihnachtsbaum kaufen möchte. Die Dame erwidert, sie hätte keinen Mann. «Wenn Sie einen Mann hätten, würde er einen Weihnachtsbaum kaufen?» Natürlich geht die Sache schief.

Welche der vielen musikalischen Möglichkeiten die Beste ist, steht gar nicht fest. Denn jedes Publikum tickt anders! Es ist wie schaukeln, die Bewegung alleine nützt nichts. Man muss seine Bewegungen genau auf die Bewegung der Schaukel abstimmen. So ist es auch mit der Filmmusik. Es geht nicht um die Frage «Welche Musik passt zum Film?» In Wirklichkeit geht es um die Frage: «Welche Musik passt zum Publikum?» Und diese Frage kann man nur mit dem Publikum und deshalb nur aus dem Moment heraus entscheiden. So schaukeln Publikum, Musik und Film sich in einer großen Rückkopplungsschleife gegenseitig hoch.

Die Musik kann bei Stan und seiner Idee sein oder bei der Dame, die schockiert ist. Die Musik kann aber auch beim Beobachter der Szene sein, der alles kommen sieht, bei der Hitze, bei Ollie, oder bei der grotesk nicht vorhandenen Weihnachtsstimmung.

Der musikalische Fortgang ändert sich mit der Entscheidung: Sehe ich das Unglück kommen, kann ich nicht überrascht sein, habe aber den Thrill, darauf zuzurasen. Eine völlig andere Musik, als wenn ich ganz bei Stan bin, der begeistert von der Idee ist – und falle um so tiefer, wenn es schief geht. Die Entscheidung ändert vor allem auch das Erlebnis des Zuschauers/Hörers.

Diese Entscheidungen lasse ich aber offen, bis ich auf der Bühne am Flügel sitze. Dann entscheide ich spontan und authentisch. Denn ich sehe im Film ja auch immer etwas anderes, bei jedem Konzert entdecke ich Zusammenhänge, die mir bisher noch gar nicht aufgefallen waren. So kann die Musik mit jedem Konzert komplexer werden und gleichzeitig die großen Linien finden.

Also auf zu vielen neuen Entdeckungsreisen mit dem Slapstick. Norbert Apings lebhafte Beschreibungen zeigen, dass es unzählige Möglichkeiten gibt, das Vergnügen und Lachen gemeinsam zu genießen, das uns die Komiker geschenkt haben.

Berlin im November 2020

Stephan Graf von Bothmer

Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte

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