Читать книгу Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte - Norbert Aping - Страница 19

Stummfilm-Präsentation Der Film-Erklärer

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Was war nun die Aufgabe des Film-Erklärers samt musikalischem Rahmen in der Frühzeit des Films? Einige Einblicke bietet Walter Panofskys Buch Die Geburt des Films von 1944 (S. 88–90) und Georg Herzbergs Artikel «Der Kinoerklärer» in Neue Filmwelt Heft 1/1949 (S. 30), die in der sowjetischen Besatzungszone erschien. Herzberg war seit der Weimarer Republik Redakteur des Film-Branchenblattes Film-Kurier (FK) und ab 1942 dessen politisch linientreuer Chefredakteur. Nach seinem Gastspiel bei der Neuen Filmwelt zum bundesdeutschen Branchenblatt Film-Echo.

Als der Film sich tastend zu entwickeln begann, war er etwas Wundersames in einer Zeit, als die Haushalte noch längst nicht flächendeckend elektrifiziert waren und der Einzug der Technik in die Wohnungen Zukunftsmusik war. Es gab daher im Kino Erklärungsbedarf. Außerdem besaß das junge neue Medium eine eigene Ausdrucksweise, die sowohl die Filmschaffenden selbst als auch die Zuschauer erlernen mussten. Die Zuschauer waren Spielhandlungen nur von den Bühnen gewöhnt. Wenn im Film zwischen zwei Handlungselementen ein längerer Zeitraum lag, war das angesichts der damaligen rudimentären Ästhetik häufig nicht immer leicht zu erkennen. Die Sehgewohnheiten des Publikums mussten sich noch herausbilden wie die Filme auch. Über Klippen im Verständnis half der Erklärer den Zuschauern mit seinen Erläuterungen hinweg in einer Zeit, als in den Film integrierte Zwischentitel keine Selbstverständlichkeit waren. Zwar gab es schon um 1900 Glastitel, die neben dem Film projiziert wurden, wie «Pause» und «Die Damen werden gebeten, ihre Hüte abzunehmen.» Solche Zwischentitel hat später zum Beispiel Bob Monkhouse karikierend nachempfunden: «Bitte nicht pfeifen. Der Operateur wechselt die Rollen.» und «Das Publikum wird gebeten, nicht auf den Boden zu spucken.» Die schwankende und technisch meist asynchrone Zuspielung von Zwischentiteln der Filme behinderte das Kinovergnügen. Deshalb übernahm der Erklärer ihre Funktion. Er machte das Publikum auf Pausen aufmerksam, bat um Rücksicht oder las die Zwischentitel vor. Das war eindrucksvoller und unterhaltender, als Inhaltsbeschreibungen in kleinen Handzetteln oder Varieté-Programmen nachzulesen, wie sie in der Frühzeit des Kinos verteilt wurden. Die Aufgaben des Erklärers reichten aber noch weiter. Er sprach auch Filmrollen nach. Nicht selten haperte es Filmen an Inhalt, Dramaturgie, Zusammenhang und schauspielerischer Darstellungskraft. Verständnislücken ließen sich allein durch Gestik und Mimik auf der Leinwand nicht überbrücken. Wahrscheinlich hat der Erklärer in der Frühzeit des Films dem Medium mehr genützt, als ihm durch überzogene oder gar verfälschende Kommentare geschadet. Den Film-Erklärer gab es jedenfalls auch 1909 noch. Zum Beispiel begann in dem Jahr der spätere Kino-Geschäftsführer Ernst Lauckner seine Filmlaufbahn als Film-Erklärer (FK Nr. 161 vom 14. Juli 1939). Erst als Regietalente begannen, den Film zu verfeinern, sodass er an Verständlichkeit und Qualität gewann, und es bei Großproduktionen üblich wurde, die zur Verdeutlichung nötigen Zwischentitel in die Streifen selbst einzuarbeiten, wurde der Film-Erklärer zurückgedrängt.

Der Film-Erklärer steht aber nicht für Sachlichkeit. Er kommentierte, wie es einmal hieß, «mokant und ironisch», oder aber er gab regelrecht «Gas», um sein Publikum bewusst burlesk zu unterhalten. Er spießte Filme auf, deren Inhalt man mit der Lupe suchen musste oder die so schwerfällig und unverständlich waren, dass sie schon wieder unfreiwillig komisch wirkten. Bei Grotesken ließ sich der aus komischen Kommentaren fließende Effekt sicherlich leichter steigern. Dabei bediente sich der Film-Erklärer je nach Region auch des Dialekts. Den Ausbildungsberuf Film-Erklärer gab es nicht. Es kam ganz auf die individuellen Fähigkeiten an. Naturgemäß schwankten sie von Person zu Person, und Geschmacksverirrungen wird es auch gegeben haben. Manchmal wird ein Film-Erklärer auch zu viel des Guten getan haben, wenn er einem Film mehr andichtete, als in ihm steckte. Diese Ebene war es, die den Film-Erklärer selbst zum Gegenstand von kabarettistischen Karikaturen werden ließ. Seine Figur war der Schlüssel, dem mittlerweile mit dem Film vertrauten Publikum als Reminiszenz an die Kindertage des Films durch gezielt naiv-lustige Kommentierungen von alten Streifen eine vergnügliche Zeit zu bereiten. Im Januar 1941 druckte der FK das Gedicht «Kintopp anno 1913» als Reminiszenz an die lange zurückliegenden Zeiten des Kintopps ab: «Selten ist ein Kino mir / so intim begegnet: / Ein Glas Bier auf dem Klavier, / Flimmerbild verregnet. / Und mit heisrer Stimme rief / Stolz der Chef persönlich: / ‹Haa! Der Vater sieht den Brief / Und ist unversöhnlich!› / ‹Herrschaften! Jetzt rächt er sich / An der schnöden Hilde! / Haa! Sein Groll ist fürchterlich, / Gleich gibt’s Krach im Bilde!› / Und wir saßen andachtsvoll / Vor dem Vaterzorne. / Des Klavierers Jammer schwoll / Irgendwo da vorne. / Plötzlich war das Drama aus, / Der Direktor rief mit Schnaufen: / ‹Kinder müssen jetzt nach Haus, / Rot ist abgelaufen!›»

Im September 1941 beschrieb der Berliner Schriftsteller Johannes Hassis alias Jonny Liesegang in der Rubrik «Det fiel mir uff» der Berliner Zeitung Nachtausgabe ein Treffen mit einem ehemaligen Film-Erklärer während einer Zugfahrt (zitiert nach FK Nr. 210 vom 10. September 1941). Die beiden kamen ins Gespräch, und als Liesegang sein etwa 60 Jahres altes Gegenüber für einen Filmschauspieler hielt, korrigierte dieser die Vermutung. In breitem Berlinerisch (keine Garantie für die richtige Verwendung im Folgenden!) begann er ausführlich aus seiner Zeit als Film-Erklärer zu erzählen, und das deckte sich mit der atmosphärischen Skizze des Gedichts «Kintopp anno 1913»: «[…] Film-schau-spiela? Ick war der Film übahaupt! Ohne mir war’n Film übahaupt keen Film nich, müssen Se wissen! Ohne meine Wenichkeit war beispielhaftaweise Asta Nielsen nischt weita wie ’ne Bandnudel mit Wimpern! Ick war zu damalje Zeiten in de Stummfilmperrjode detselbe, wat heute im Tonfilm sprachlicher Effekt is! Ick ließ die Nerven bibbern, ick knautschte jrenzenlosen Jamma in die Seele det Publikums, ick … knetete sämtliche erforderlichen Stimmungen in die nur kieken könnende Masse. […] Ick war Erklära. [… Een] Erklära stand, wenn der Film losjing, neben de Leinwand! Nu damals mit die Texte, missen Se wissen, in manche Jejenden von Berlin kamen die Leute nich so schnell mit’s Lesen mit. Und wenn se et wirklich jelesen hatten, hatten de meisten hintaher janich bejriffen, um wat et sich eijentlich drehte. Diese Mangelerscheinung nu, die Folje von det zu schnelle Filmabdreh’n und ooch die Folje von die Nichvastehste det Publikums, die wurde durch den Erklära aus de Welt jeschafft. […] Nu wer’ ick Ihnen mal eenen Film erklär’n! […] Se brauchen jaanich zu wissen, um wat for’n Film et sich handelt. Uff Jrund meine Erklärungens wer’n Se am Schlusse meine Ausführungen völlich im Bilde sein. […] Liebet Publikum, meine sehr vaehrten Dam’ und meine Herr’n! Diese heutije Film befasst sich mit een der jrößten menschlichsten Probbleme, die et unta die ziwelisierten Völka jibt. Et is det Probbelem der Unehelichkeit, det Fehltritts, oda, wie man poetischa saacht: det Enderjebnisses eena schwachen Stunde.» Und dann zog der alte Herr alle Register dramatischen Vortrags um die «Trajödje» der jungen Frau, die einem falschen Liebesschwur aufgesessen war («lieber Jott, vaehrte Anwesende, wer schmeißt den ersten Stein?»). Nach «wildem Schluchzen» und «wankendem» Gang hatte sie sich doch nicht von der Brücke in den reißenden Fluss gestürzt. Stattdessen hatte sie sich nach «jrenzelosen Jamma» auf ihrer Flucht vor dem «jrausamen Vata» durch schlimmes Wetter gekämpft («Wilder Regen peitscht de Jassen – et donnert – blitzt, buiii pfeift de Wind um de Eck’n.»), bis sie in der «Plättstube von Fräulein Minkewitz […] een Schemisett plätt’t.» Über den emotionalen Vortrag des Film-Erklärers war Liesegang eingeschlafen. Als er merkte, dass er seinen Zielbahnhof schon erreicht hatte, schreckte er hoch und verließ den Zug mit fliegenden Fahnen. Ob sich das alles so zugetragen hat? Wer weiß? Aber sehr wahrscheinlich hat Liesegang die Darbietung eines Film-Erklärers, wie ihn die Zuschauer Anfang des 20. Jahrhunderts erlebten, ziemlich plastisch eingefangen – und das Vergnügen, das solch ein Vortrag bereitet. Der Film-Erklärer wird sich seiner Möglichkeiten ziemlich bewusst gewesen sein, wenn er vor Rührung seine Stimme im Angesicht einer Schmonzette auf der Leinwand erzittern ließ. Man kann ihn sich gut im Vatermörder und mit Zwirbelschnurrbart vorstellen – natürlich mit der damals populären Barttinktur «Es ist erreicht» behandelt –, wie er sich nach seinem «packenden» Vortrag erschöpft den Schweiß von der Stirn wischt und sich einen Krug Bier genehmigt.

Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte

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