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Empowerment – transitiv buchstabiert

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Definitionen in transitivem Wortsinn schließlich betonen die Aspekte des Ermöglichens, der Unterstützung und der Förderung von Selbstbestimmung durch andere. In den Blick rücken hier die beruflichen Helfer in den unterschiedlichen Handlungsfeldern der psychosozialen Arbeit, die ihren Adressaten Hilfestellungen bei der Eroberung von neuen Territorien der Selbstbestimmung geben, sie zur Suche nach eigenen Stärken ermutigen und zur Erprobung von Selbstgestaltungskräften anstoßen. Transitive Definitionen richten den Begriffsfokus somit auf den Leistungskatalog der Mitarbeiter psychosozialer Dienste und Einrichtungen, die Prozesse der (Wieder-)Aneignung von Selbstgestaltungskräften anregen, fördern und unterstützen und Ressourcen für Empowerment-Prozesse bereitstellen. Empowerment ist in diesem transitiven Wortsinn programmatisches Kürzel für eine psychosoziale Praxis, deren Handlungsziel es ist, Menschen vielfältige Vorräte von Ressourcen für ein gelingendes Lebensmanagement zur Verfügung zu stellen, auf die diese »bei Bedarf« zurückgreifen können, um Lebensstärke und Kompetenz zur Selbstgestaltung der Lebenswelt zu gewinnen.

»Das Konzept Empowerment untersucht und beschreibt Prozesse, bei denen der Fokus nicht auf den individuellen Defiziten, den Hilfsbedürftigkeiten und der entsprechenden professionellen Bearbeitung liegt. Ziel ist vielmehr, die Stärken und Fähigkeiten von Menschen auch (und gerade) in Situationen des Mangels zu entdecken und zu entwickeln, und ihre Möglichkeiten zu fördern, ihr eigenes Leben und ihre soziale Umwelt zu bestimmen und zu gestalten« (Stark 1993, S. 41).

»Empowerment als professionelle Haltung kann als Versuch bezeichnet werden, die sozialtechnologische ›Reparaturmentalität‹ der helfenden Berufe zu überwinden, indem die Aufgabe der Professionellen darin besteht, einen Prozeß zu ermöglichen und anzustoßen, durch den KlientInnen (persönliche, organisatorische und gemeinschaftliche) Ressourcen erhalten, die sie befähigen, größere Kontrolle über ihr eigenes Leben (und nicht über das anderer Menschen) auszuüben und gemeinschaftliche Ziele zu erreichen« (Stark 1996, S. 118f.).

»Psychosoziale Arbeit im Sinne des Empowerment-Ansatzes muß Bedingungen bereitzustellen versuchen, die es Menschen ermöglichen, sich ihrer ungenutzten, vielleicht auch verschütteten Ressourcen und Kompetenzen (wieder) bewußt zu werden, sie zu erhalten, zu kontrollieren und zu erweitern, um ihr Leben selbst zu bestimmen und ohne expertendefinierte Vorgaben eigene Lösungen für Probleme zu finden« (Weiß 1992, S. 162).

»Empowerment steht für ein neues fachliches Selbstverständnis, in dem Menschen in marginaler Position nicht mehr als versorgungs- oder behandlungsbedürftige Mängelwesen betrachtet, sondern als ›Experten in eigener Sache‹ wahrgenommen und gestärkt werden. Dieser Paradigmenwechsel geht von dem Grundgedanken aus, daß professionelle Helfer nicht ›für‹ ihre Adressaten zu handeln hätten, sondern daß es ihre Aufgabe sei, durch Parteinahme, Kooperation, Assistenz und Konsultation die Betroffenen so zu unterstützen, daß sie sich ihrer eigenen Kompetenzen bewußt werden und ihre individuellen und kollektiven Ressourcen zu einer selbstbestimmten und sozialverträglichen Lebensverwirklichung nutzen« (Theunissen 1998, S. 103).

Diese Kollektion von Definitionsvorschlägen verweist – bei allen unterschiedlichen Akzentuierungen – auf Gemeinsamkeiten in der begrifflichen Grundlegung. Gemeinsam ist den hier vorgelegten Definitionen der Rückbezug auf die Konstruktion einer Subjektivität, die die Kraft findet, für sich und für andere »ein besseres Leben« zu erstreiten. Der Empowerment-Diskurs greift mit diesem Reden von einem besseren Leben Vorstellungsbilder und Argumentationsmuster auf, die auch in anderen (historisch vorangehenden) normativen Entwürfen gesellschaftlicher Praxis enthalten sind: Autonomie, Mündigkeit, Emanzipation, gelingende Lebensbewältigung, die Suche nach einer authentischen und (allen lebensgeschichtlichen Brüchen und Verwerfungen zum Trotz) kohärenten Identität – alle diese Begriffe und die hinter ihnen stehenden paradigmatischen Denkmodelle sind »Wahlverwandtschaften« des Empowerment-Konzeptes.

In der aktuellen Debatte verknüpft sich die normative Figur Empowerment zunehmend mit dem Begriff »agency«. Agency kann hier verstanden werden als die subjektive Erfahrung von »Handlungsmächtigkeit«, welche die Akteure befähigt, mit sozialen Herausforderungen, Konflikten, belastenden Lebenslagen gelingend umzugehen und ihre personale Agenda zu verwirklichen. Agency zeichnet die Menschen also als handlungsfähige, eigenwillige und gestaltende Akteure, die in der Lage sind, eigene Vorstellungen über ihre Lebensbedingungen, Bedürfnisse und Interessen zu entwickeln, ihr Leben aktiv zu führen und eigensinnig sich mit den Zwängen und Bedingungen auseinanderzusetzen, mit denen sie konfrontiert sind. Das Agency-Konzept reflektiert zugleich die Eingebundenheit dieser Handlungsmächtigkeit in Strukturen gesellschaftlicher Ungleichheit. Die autonome Lebensgestaltung des Einzelnen ist stets gebunden an den offenen Zugang zu Ressourcen (ökonomische Ressourcen, Bildungskapital, Beziehungs- und Netzwerkressourcen u. a.), die jedoch gesellschaftlich höchst ungleich verteilte Güter sind. Anders formuliert: Agency begreift Menschen als immer schon vergesellschaftete Subjekte, deren Möglichkeiten und Chancenräume zu Selbstbestimmung (capabilities) sozial hervorgebracht und strukturiert werden. Diese strukturelle Kontextgebundenheit aber – so das Verständnis – ist nicht gleichzusetzen mit sozialer Determination, der Vorstellung also, die Menschen seien in ihren biografischen Entwicklungshorizonten allein nur »Marionetten an den Fäden gesellschaftlicher Verhältnisse«. Agency vertraut somit auf die kreative Fähigkeit der Subjekte, in ihren Alltagsroutinen und Identitätsprojekten alternative (»bessere«) Lebensmöglichkeiten zu imaginieren und zu realisieren, vertraut auf ihr Vermögen, die begrenzenden Qualitäten sozialer Strukturen zu überwinden und deren ermöglichende Qualitäten produktiv zu nutzen (zur Agency-Debatte vgl. Bethmann u. a. 2012; Glöckler 2011; Homfeldt/Schroer/Schweppe 2008).

Die hier vorgestellten Zugänge zum Begriff Empowerment schaffen eine erste, vorläufige und noch nicht vollständige Ordnung in der Unübersichtlichkeit der Definitionsangebote. Die Schubfächer dieser begrifflichen Sortierung sind jedoch noch nicht trennscharf, es gibt vielfältige Schnittstellen, die Übergänge sind fließend. Was fehlt, um zu einer handhabbaren Arbeitsdefinition von Empowerment zu kommen, das ist ein zweiter ordnender Schritt. Eine solche weiterführende Begriffssortierung wird möglich, wenn wir unseren Blick auf die Traditionslinien richten, in denen der Empowerment-Diskurs eingebettet ist. Einer solchen historisch-rekonstruierenden Sicht eröffnen sich zwei Traditionslinien: (1) Empowerment als Leitformel einer Politik der Selbstbemächtigung im Kontext der Bürgerrechts- und Selbsthilfe-Bewegung; und (2) Empowerment als Signum eines neuen professionellen Handlungsprogramms im Horizont der psychosozialen Praxis.

Empowerment als kollektiver Prozeß der Selbst-Aneignung von politischer Macht: Die ersten Anfänge des Nachdenkens über Empowerment stehen ganz in der Tradition der Bürgerrechtsbewegung (civil rights movement) der USA. Die radikale Politik der Selbstbemächtigung und der Forderung nach Gleichheitsrechten der farbigen Bevölkerung in den 1950er und1960er Jahren, die Friedensbewegung in ihrem Kampf gegen kriegerisch-imperiale Einmischungen in die Souveränität anderer Staaten, die Frauenbewegung mit ihrer Dekonstruktion von Machtungleichheiten zwischen den Geschlechtern und die nachfolgend sich weiter differenzierenden sozialen Bewegungen – die Geschichte des Empowerment-Konzeptes ist unlösbar mit der Geschichte dieser sozialen Bewegungen verbunden. Eingebunden in diese politischen Bewegungen entstand ein Verständnis von Empowerment, in dem sich die (oben ausgeführten) politischen und reflexiven Spielarten des Begriffs miteinander verknüpfen: Empowerment wird hier verstanden als ein Prozeß der Selbst-Bemächtigung, in dem Menschen, die von Ressourcen der Macht abgeschnitten sind, sich in kollektiver politischer Selbstorganisation in die Spiele der Macht einmischen. Empowerment ist hier also ein kollektives Projekt der (Wieder-)Herstellung einer politisch definierten Selbstbestimmung, das sich die Umverteilung von Entscheidungsmacht und die Korrektur von sozialer Ungleichheit auf die Fahnen geschrieben hat.

Empowerment als professionelles Konzept der Unterstützung von Selbstbestimmung: In dieser ersten hier skizzierten Traditionslinie ist Empowerment allein das kollektive Gut von Gemeinschaften der politischen Selbstorganisation von Menschen »im gesellschaftlichen Unten«. Die Erfolgsgeschichten kollektiver Selbst-Bemächtigung vollziehen sich – im Horizont dieses Verständnisses – vor den Toren der beruflichen Sozialen Arbeit. Sie sind lebensweltlicher Wildwuchs und verbleiben außerhalb der pädagogischen Zuständigkeit – ja mehr noch: Sie gewinnen oft erst aus ihrer kritischen Distanz gegenüber der »fürsorglichen Belagerung« durch wohlmeinende pädagogische Experten Profil und Identität. Ganz anders das Verständnis einer zweiten (historisch jüngeren) Traditionslinie des Empowerment-Diskurses, in dem sich lebensweltliche und transitive Buchstabierungen miteinander verbinden: Das Empowerment-Konzept wird hier für die berufliche Hilfe reklamiert. Es wird verstanden als ein tragfähiges Handlungskonzept auch für eine verberuflichte Soziale Arbeit, die die beschriebenen Prozesse der (Wieder-)Aneignung von Selbstgestaltungskräften anregend, unterstützend und fördernd begleitet und Ressourcen für Empowerment-Prozesse bereitstellt. Julian Rappaport, für viele der geistige Vater eines professionellen Handlungsprogramms von Empowerment, schreibt in diesem Sinn: »Sich dem Empowerment-Programm verpflichtet zu fühlen, bedeutet (für den beruflichen Helfer; N. H.), sich zum Ziel zu setzen, solche Lebenskontexte zu identifizieren, zugänglich zu machen oder neu zu schaffen, in denen bislang stumme und isolierte Menschen… Verständnis, Stimme und Einfluß im Hinblick auf jene Lebensumstände gewinnen, die ihr Leben beeinflussen« (Rappaport 1990, S. 52). Das Arbeitsziel einer von diesem Empowerment-Verständnis angeleiteten psychosozialen Praxis ist es somit, dort, wo Ressourcen ausgeschöpft sind und die Dynamik autonomer Selbstorganisation sich nicht aus eigener Kraft in Bewegung setzt, ein Arrangement von Unterstützung bereitzustellen, das es den Adressaten sozialer Dienstleistung möglich macht, sich ihrer ungenutzten, lebensgeschichtlich verschütteten Kompetenzen und Lebensstärken zu erinnern, sie zu festigen und zu erweitern. Auf eine kurze Formel gebracht:

Handlungsziel einer sozialberuflichen Empowerment-Praxis ist es, Menschen das Rüstzeug für ein eigenverantwortliches Lebensmanagement zur Verfügung zu stellen und ihnen Möglichkeitsräume aufzuschließen, in denen sie sich die Erfahrung der eigenen Stärke aneignen und Muster einer solidarischen Vernetzung erproben können.

Empowerment in der Sozialen Arbeit

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