Читать книгу Empowerment in der Sozialen Arbeit - Norbert Herriger - Страница 7
Vorwort
Оглавление»Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können« (Abraham Lincoln)
»Empowerment aims at spreading the power around a bit more… and to do so where it matters: in people’s control over their own lives« (Berger/Neuhaus)
Beginnen wir mit einem Bild: Sozialwissenschaftliche Theoriebildung und psychosoziale Praxis sind eine Börse von Ideen. Auf dieser Börse werden Theoriebestände und paradigmatische Orientierungen, Handlungsprogramme und methodische Rezepturen gehandelt. Der Kurswert dieser Handelswaren variiert. Manche Begriffe und Konzepte verlieren in kurzlebigen konjunkturellen Zyklen ihren Marktwert und verblassen. Andere avancieren auf den Kurszetteln, sie besetzen den Dialog der Marktteilnehmer und werden zum Bezugspunkt von konzeptionellen Neuerungen und alternativen Praxisentwürfen. Das Konzept des Empowerment (»Selbstbemächtigung von Menschen in Lebenskrisen«) gehört mit Sicherheit zu den Kursgewinnern auf diesem sozialwissenschaftlichen Ideenmarkt. Aus dem angloamerikanischen Sprachraum importiert, ist dieses Konzept binnen kurzer Zeit zu einem neuen Fortschrittsprogramm für die Soziale Arbeit avanciert, das mit liebgewonnenen Gewißheiten der helfenden Profession bricht und der psychosozialen Praxis neue Zukunftshorizonte eröffnet. Das Empowerment-Konzept richtet den Blick auf die Selbstgestaltungskräfte der Adressaten sozialer Arbeit und auf die Ressourcen, die sie produktiv zur Veränderung von belastenden Lebensumständen einzusetzen vermögen. Empowerment ist so programmatisches Kürzel für eine veränderte helfende Praxis, deren Ziel es ist, die Menschen zur Entdeckung ihrer eigenen (vielfach verschütteten) Stärken zu ermutigen, ihre Fähigkeiten zu Selbstbestimmung und Selbstveränderung zu stärken und sie bei der Suche nach Lebensräumen und Lebenszukünften zu unterstützen, die einen Zugewinn von Autonomie, sozialer Teilhabe und eigenbestimmter Lebensregie versprechen.
Die Rezeptionsgeschichte des Empowerment-Konzeptes im deutschen Sprachraum ist noch kurz – erst seit wenigen Jahren werden Empowerment-Gedanken auch bei uns aufgegriffen und praktisch umgesetzt. In dieser kurzen Zeit aber hat dieses neue Konzept auf breiter Front Eingang in die psychosoziale Reformdebatte gefunden und vielfältige Versuche stimuliert, den theoretischen Gehalt und den praktischen Gebrauchswert einer Perspektive zu erproben, die vom Vertrauen in die Stärken der Menschen geleitet ist. Der Siegeszug dieses neuen Orientierungsrasters ist nicht ohne Grund. Denn ohne Zweifel: Das Empowerment-Konzept ist für die Soziale Arbeit von hoher Attraktivität. Mit seiner Akzentuierung von Selbstorganisation und autonomer Lebensführung formuliert es eine programmatische Absage an den Defizit-Blick, der bis heute das Klientenbild der traditionellen psychosozialen Arbeit einfärbt. Der Blick gilt nicht mehr (allein) den Lebensschwierigkeiten, Unzulänglichkeiten und Unfähigkeiten der Menschen, denen wir in der Sozialen Arbeit begegnen. Im Brennpunkt der Aufmerksamkeit stehen vielmehr die Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen, mit denen sie auch in Lebensetappen der Schwäche und der Verletzlichkeit die Umstände und Situationen ihres Lebens selbstbestimmt gestalten können. In dieser programmatischen Hülle artikuliert sich so eine veränderte professionelle Grundhaltung, eine neue Kultur des Helfens, die den allzu selbstverständlichen pädagogischen Blick auf die Unfertigkeiten und die Defizite von Menschen überwindet, ihre Selbstverfügungskräfte stärkt und sie zu Selbstbestimmung, sozialer Einmischung und eigeninszenierter Lebensgestaltung ermutigt. Empowerment – auf eine einprägsame Formel gebracht – ist das Anstiften zur (Wieder-)Aneignung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens.
Der Siegeszug des Empowerment-Konzeptes durch die Herzen und Köpfe der sozialen Professionals, seine Avance zur modischen Fortschrittsformel, hat aber auch Schattenseiten. Schon mehren sich skeptische Stimmen. Das Empowerment-Gehäuse – so die Kritik – ist durchzogen von einem Mangel an begrifflicher Schärfe, konzeptueller Differenziertheit und methodischer Prägnanz. Empowerment erscheint in den Augen vieler nurmehr als ein modisches Fortschrittsetikett, das auf die Verpackungen altvertrauter und schon angestaubter Handlungskonzepte und Praxisrezepturen aufgeklebt wird. Empowerment ist ihnen so nicht mehr denn die modische Formel einer Fortschrittsrhetorik, die über veränderte Sprachmuster hinaus wenig Neues anzubieten hat. Und in der Tat: Eine kurze Reise durch die Vielzahl neuer Veröffentlichungen zum Thema dokumentiert recht nachdrücklich die »vielen Gesichter des Empowerment«: Unterschiedliche begriffliche Konnotationen, thematische Brennpunkte und abgeleitete methodische Rezepturen machen es schwer, den Kern dieses Konzeptes auszumachen und seinen Anregungsgehalt zu bestimmen.
In dieser unübersichtlichen Situation zwischen hoffnungsvollem Aufbruch und kritischer Zurückweisung liefert die vorliegende Arbeit eine Einführung in das Grundgerüst des Empowerment-Konzeptes. Ihr Ziel ist es, die zentralen Eckpfeiler dieses Konzeptes vorzustellen und seine produktiven Beiträge für eine neue Kultur des Helfens zu buchstabieren. Die Arbeit folgt dabei folgendem Argumentationsfaden: Am Anfang steht eine kurze Übersicht über die Definitionen, die in der Literaturlandschaft angeboten werden ( Kap. 1), gefolgt von einer historischen Spurensuche, die die Entwicklungslinien des Empowerment-Konzeptes im Kontext der Sozialen Bewegungen und der aktuellen Individualisierungsdebatte nachzeichnet ( Kap. 2). Der Hauptteil der Arbeit folgt der Metapher einer »Reise in die Stärke«: Diese Reise beginnt an biographischen Nullpunkten – dort, wo Menschen von oft entmutigenden Erfahrungen von Ohnmacht und erlernter Hilflosigkeit betroffen sind ( Kap. 3). Empowerment nutzt vielfältige Werkzeuge und methodische Instrumente. Der Werkzeugkoffer der Empowerment-Arbeit wird in den folgenden Kapiteln ( Kap. 4–7) vorgestellt, sortiert nach den Ebenen der Person, der Gruppe, der Organisation und des Sozialraumes. Zielstationen dieser Reise in die Stärke sind die Aneignung neuer personaler Ressourcen einer autonomen Lebensgestaltung und die Erschließung neuer sozialer Ressourcen in der unterstützenden solidarischen Vernetzung mit anderen ( Kap. 8). Eine Diskussion der Stolpersteine, die der Verwirklichung einer Empowerment-Praxis im Wege stehen ( Kap. 9), sowie der Versuch einer Profilierung der professionellen Identität von Sozialer Arbeit im Licht des Empowerment-Konzeptes ( Kap. 10) stehen am Ende der Arbeit.
Die vorliegende Arbeit hat den Charakter einer Einführung. Sie leistet eine Übersetzung des Empowerment-Konzeptes aus dem angloamerikanischen Sprachraum, liefert eine Bilanz der Rezeptionslinien in unseren Breitengraden und versucht, die noch offenen Fäden und Enden der Debatte zusammenzubinden. In einer Situation, in der die Diskussion noch offen und im Fluß ist, ist es sicher verfrüht, das Empowerment-Konzept in eine geschlossene und endgültige Form gießen zu wollen. Diese Arbeit trägt daher mit Notwendigkeit den Charakter des Unfertigen. Sie ist ein Steinbruch von konzeptuellen Orientierungen, methodischen Angeboten, berufspraktischen Perspektiven, ein Patchwork von Ideen, das es möglich macht, die Konturen einer produktiven Empowerment-Praxis für die Soziale Arbeit zu zeichnen.
Düsseldorf, im Herbst 1997 | Norbert Herriger |