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2 Spurensuche: Eine kurze Geschichte des Empowerment-Konzeptes 2.1 Neue Soziale Bewegungen und Empowerment

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Zwischen Buchdeckel gepackt wurde das Empowerment-Konzept zum ersten Mal im Jahre 1976. In diesem Jahr erschien in den USA das Buch von Barbara B. Solomon »Black Empowerment: Social work in oppressed communities«. Dieses Buch, in dem Empowerment zum ersten Mal als Signum einer neuen Kultur des Helfens auftaucht, steht im Schnittfeld der Traditionslinien von Bürgerrechtsbewegung und radikal-politischer Gemeinwesenarbeit. Es enthält einen ganzen Katalog von Mut machenden Beispielen für eine sozialraumbezogene Soziale Arbeit, die »im schwarzen Ghetto« Prozesse der Selbstbemächtigung und der Eroberung von Stolz und Selbstwert anstößt und unterstützt. Wenngleich Barbara Solomon also die Urheberschaft des Begriffes für sich in Anspruch nehmen kann – die Inhalte von Empowerment verweisen auf ein System von normativen Verpflichtungen, Grundüberzeugungen und berufsethischen Standards, das so alt ist wie die beruflich-entgeltliche Sozialarbeit selbst. In einer sehr sorgfältig und umfassend recherchierten Arbeit hat Barbara Simon (1994) den Versuch unternommen, die historischen Linien dieser Tradition zu entfalten, die wir heute mit retrospektivem Blick als »Empowerment-Tradition« bezeichnen können. Sie entfaltet in dieser Arbeit eine diachrone Perspektive, die den zeitlichen Bogen von den ersten Spuren einer empowerment-orientierten Arbeit in der protestantischen Reformbewegung und in den Erschütterungen des Industrialisierungsschubs am Ende des 19. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein verlängert. Der Empowerment-Begriff ist in ihrer Geschichtsschreibung ein definitorisches Dach, das sich über alle solche Arbeitsansätze in der psychosozialen Praxis spannt, die in der autonomen »Bewältigung von Alltagsangelegenheiten« (mastery of own affairs) ihr Ziel und in der »Selbstbestimmung des Klienten« (client self-determination) ihren normativen Leitfaden sehen.

»Die Verfechter des Empowerment-Gedankens in der Sozialen Arbeit haben seit 1890 – unter Verwendung von in jeder Epoche anderer Sprache und anderen Selbstbeschreibungen – die Klienten als Personen, Familien, Gruppen und Gemeinschaften mit vielfältigen Fähigkeiten und Entwicklungschancen begriffen, unabhängig davon, wie benachteiligt, eingeschränkt, erniedrigt oder selbstzerstörerisch sie auch sein mochten. Der Job des Sozialarbeiters, der sich dem Ziel der Selbstbemächtigung des Klienten verpflichtet weiß, ist konzipiert worden als Aufbau einer Arbeitsbeziehung mit dem Klienten, die auf dessen je spezifischen Fähigkeiten, Ressourcen und Bedürfnissen aufbaut und ein Mehr an Sinnerfüllung im alltäglichen Leben und an Partnerschaftlichkeit in seinen Beziehungen mit anderen transportiert. Ziel dieser Arbeitsbeziehung ist es, den Klienten zu unterstützen bei der Nutzung eigener Stärken im Prozeß der Suche nach erweitertem Selbstwert, Gesundheit, Gemeinschaftlichkeit, Sicherheit, personaler und sozialer Macht« (Simon 1994, S. 1).

Die Reise zurück zu den Anfängen des Empowerment-Gedankens ist eine Zeitreise durch die Entwicklungslinien der Neuen Sozialen Bewegungen, die seit den 1960er Jahren das Gesicht nicht nur der USA, sondern aller fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften des Westens nachhaltig verändert haben. Hier, im Kontext dieser neuen sozialen Bewegungen, ist der Startpunkt, von dem ausgehend Menschen ihren Anspruch auf »ein Mehr an eigenem Leben«, ihr Engagement gegen die Schwerkraft scheinbar unverrückbarer Lebensverhältnisse immer vernehmlicher zum Ausdruck gebracht haben. Soziale Bewegungen sind nach Roth/Rucht (2008) Netzwerke von Menschen, Gruppen und Organisationen, die mit kollektiven Aktionen des (nicht-institutionalisierten) Protests sozialen Wandel herstellen wollen. Träger der Sozialen Bewegungen sind Akteursgruppen, die in besonderer Weise von den Strukturmustern sozialer Ungleichheit verletzt worden sind und die – eingebunden in die Solidargemeinschaften alternativer Organisation – für eine Erweiterung ihrer politischen Beteiligung eintreten. Soziale Bewegungen sind (1) Aktionszentren einer umfassenden Demokratisierung der Lebenswelt, sie politisieren noch ungelöste strukturelle Problemlagen und geben den Betroffenen eine kollektive politische Stimme (»agenda-setting-function«). Sie sind (2) kritische Gegenmacht, sie mobilisieren Widerstand gegen den Rückbau von Bürgerrechten und stellen machtgetragene Interessenmuster der Privilegierung und der Ausschließung auf den Prüfstand. Soziale Bewegungen sind (3) schließlich Lernfelder einer entwickelten partizipativen Demokratie (»civic culture«) – sie öffnen den Bürgern neue Horizonte der politischen Selbstvertretung und identitären Politik (vgl. Beyer/Schnabel 2017; Herriger 2017; Snow u. a. 2019). Auch dort, wo ihre Ziele einer durchgreifenden Umverteilung materieller, sozialer und kultureller Ressourcen nicht (oder nicht unmittelbar) erreicht werden, sind diese Solidarbewegungen Agens weitreichender kultureller Veränderungen. Sie produzieren strukturelle Veränderungen des politisch-kulturellen Klimas und bewirken durch ihre Opposition gegen traditionale Muster der Sozialstaatspolitik und durch ihre Produktion alternativer Güter gesellschaftliche Mobilisierungen, die weit über die Gemeinschaften der unmittelbaren Aktivisten hinausreichen. Barbara Simon (1994) hat in ihrer Arbeit den Versuch unternommen, den Zeitspuren des Empowerment-Gedankens quer durch die Traditionen der Sozialen Bewegungen in den USA nachzuspüren. Wir wollen im Folgenden ihrer Spurensuche folgen, sie aber ergänzen und erweitern.

Empowerment in der Sozialen Arbeit

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