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Women’s Empowerment: Die feministische Bewegung

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Die feministische Bewegung ist ein zweiter Motor des Empowerment-Diskurses. Simon differenziert in ihrer historischen Rückschau drei Spielarten des Feminismus. Der radikale Feminismus untersucht die Lebenswirklichkeit von Frauen im Widerspruch zwischen demokratischen Gleichheitsversprechungen und Ungleichheitswirklichkeit. Er richtet sein Augenmerk auf die Dechiffrierung von Machtunterlegenheit und Unterdrückung in den sozialen Konstruktionen von Weiblichkeit: die soziale Ungleichheit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung; die Einzäunung des weiblichen Arbeitsvermögens auf den Bereich der unentgeltlichen »Liebesarbeit für andere«; die Verhäuslichung der Frauen im ambivalenten Kontrollzusammenhang von patriarchaler Unterdrückung und Versorgung; die Ideologie des bürgerlichen Eheideals, das in der Unterordnung der Frau unter die Macht des Mannes und in ihrer Einbindung in das Liebesprojekt Familie eine gleichsam »natürliche« Seinsbestimmung von Weiblichkeit buchstabiert. Der liberale Feminismus zielt auf den Abbau von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten, die in Gesetzgebung, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, Soziale Sicherung eingelassen sind: Demokratisierung der Zugangsrechte zum Lebensgut Bildung; Korrektur geschlechtsspezifisch ungleicher Zugangschancen zu hochbewerteten Arbeitsmarktpositionen (Anti-Diskriminierungs-Gebote im Arbeitsrecht; Gender-Mainstreaming-Programme); Abfederung spezifisch weiblicher Marktrisiken (Erziehungsjahre; Arbeitsplatzgarantien bei befristeten Berufsausstiegen usw.); Ausbau sozialer Sicherungssysteme jenseits des Anspruchserwerbs durch Arbeitsmarkttätigkeit (Anrechenbarkeit von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung). Der sozialistische Feminismus schließlich rückt die Interferenzen der Unterdrückung zwischen Rasse, Klassenzugehörigkeit und Geschlecht in den Brennpunkt (Intersektionalität von race, class and gender). Untersucht werden hier die kumulativen Effekte der Unterdrückung in der Lebenswirklichkeit von Frauen an den ethnischen und ökonomischen Rändern der Gesellschaft (vgl. weiterführend Gerhard 2018; Knapp 2012).

Die feministische Kultur ist kritische Wegbegleiterin eines signifikanten Wandels der weiblichen Normalbiographie, der sich seit den 1960er Jahren in beschleunigtem Tempo vollzieht und der längst auch schon die Ufer der Dritten Welt erreicht hat. Elisabeth Beck-Gernsheim hat in frühen und sehr hellsichtigen Veröffentlichungen (1983; 1994) die Grundlinie dieses Umbruchs in den weiblichen Lebenszusammenhängen auf eine einprägsame Formel gebracht: Sie beschreibt diesen Umbruch weiblicher Lebensformen als die Entwicklung »vom Dasein für andere zum Anspruch auf ein Stück eigenes Leben« (so der Titel ihrer Veröffentlichung aus dem Jahr 1983). Die Lebenszuschnitte von Frauen – so diese Formel – verlassen die stereotypen Vorgaben des Geschlechtsschicksals; an die Stelle kulturell normierter Geschlechtsrollenschablonen treten die neuen Freiheiten eigenbuchstabierter Lebensentwürfe und Identitätskonstruktionen. Die diagnostizierte Erosion der Normalzuschnitte von weiblicher Biographie ist in drei Veränderungslinien begründet:

(1) Die Erweiterung und die Demokratisierung der Bildungschancen: Die Bildungsexpansion der 1970er und 1980er Jahre trägt ein weibliches Vorzeichen. War noch gegen Ende der 1960er Jahre die Benachteiligung der Mädchen und jungen Frauen in weiterführenden Bildungsgängen ein öffentlicher Skandal, so hat sich im Zeitraum von nur zwei Jahrzehnten eine »revolutionäre Angleichung in den Bildungschancen« der Geschlechter vollzogen (Beck 1986, S. 165). Wenngleich auch heute noch nicht alle geschlechtsspezifisch selektiven Kanalisierungen auf dem Weg zu qualifizierter betrieblicher Bildung und Studienabschluß aufgehoben sind (und sich z. T. erneut vertiefen), so hat sich die Verfügung über das kulturelle Kapital Bildung doch deutlich demokratisiert. Mit der Erweiterung der Bildungschancen gewinnen junge Frauen aber neue Möglichkeiten, die Ungleichheitsmuster der eigenen Lebenslage zu problematisieren, die Rhetorik der Gleichheitsversprechen auf den Prüfstand zu stellen und Selbständigkeit einzufordern. Die Verbesserung der Bildungschancen bedeutet nach Beck-Gernsheim (1983, S. 314) so »Zuwachs an Wissen und damit Macht auf den zahlreichen Kampfschauplätzen des Alltags« – und dies sowohl im Bereich der beruflichen Konkurrenz wie auch im Bereich der partnerschaftlichen Bindungen und der familiären Alltagspraxis.

(2) Die Zunahme weiblicher Arbeitsmarktbeteiligung und die Gewinne zunehmender ökonomischer Unabhängigkeit: Die erhöhten Bildungsqualifikationen von Frauen realisieren sich in einer signifikanten Zunahme von Berufsmotivation und qualifizierter weiblicher Berufsarbeit. Zwar strukturiert sich das Teilsegment des weiblichen Arbeitsmarktes (Beck 1986, S. 168 spricht hier von den »sinkenden Schiffen« der typischen Frauenberufe) ungebrochen durch die »geschlechtsständische Gesetzmäßigkeit der umgekehrten Hierarchie: Je zentraler ein Bereich für die Gesellschaft (definiert) ist, je ›mächtiger‹ eine Gruppe, desto weniger sind Frauen vertreten; und umgekehrt: als je ›randständiger‹ ein Aufgabenbereich gilt, je weniger ›einflußreich‹ eine Gruppe, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß Frauen sich in diesen Feldern Beschäftigungsmöglichkeiten erobert haben« (Beck 1986, S. 166). Und dennoch: Das Gehäuse der Verhäuslichung von Frauen in der »Rund-um-die-Uhr-Tätigkeit« des Mutter-Seins bricht auf. Lebensentwürfe, die in das Kollektivprojekt Familie jenseits der Grenzen des Arbeitsmarktes eingesponnen sind, verlieren an Glanz. Die ökonomische Unabhängigkeit, die mit »dem eigenen Geld« verbunden ist, die persönliche Zeit, die aus der klaren Trennung von Arbeit und Privatheit resultiert, die Öffnung von neuen Erfahrungs- und Kontaktmöglichkeiten in der Erwerbstätigkeit, die Chancen, in den beruflichen Herausforderungen personale Qualifikationen zu erproben und zu erweitern – alles dies sind sinnstiftende Elemente, die Frauen – jenseits von Klasse und Stand – an Arbeitsmarkt und berufliche Karrieretreppen binden. Die Lebensentwürfe von Frauen, auch dort, wo sie Raum für Kinder und Mutterschaft lassen, sind so deutlich entlang der Reglements des Arbeitsmarktes gestrickt.

(3) Die Selbstverfügung über Körper und Sexualität und die Steuerbarkeit des weiblichen Naturschicksals Mutterschaft: Die sichere Verfügung über Mittel der Empfängnisverhütung und über rechtlich verbriefte Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs kann in ihrer Bedeutung für die Herauslösung der Frauen aus traditionellen Vorgaben des Geschlechtsschicksals kaum überschätzt werden. An die Stelle des Naturschicksals Mutterschaft und ungewollter oder falsch getimter Schwangerschaft tritt Eigenentscheidung und bewußte Option. Die junge Frauengeneration kann so – anders als die ihrer Mütter – das Ob, das Wann, die Zahl der Wunschkinder (mit)bestimmen. Zugleich wird die weibliche Sexualität vom Fatum der Mutterschaft befreit und kann auch gegen männliche Normierungen selbstbewußt entdeckt und entwickelt werden.

Beck-Gernsheim bringt diese skizzierten Umbrüche in den weiblichen Lebensentwürfen auf folgenden kurzen Nenner:

»Immer mehr Frauen werden durch Veränderungen in Bildung, Beruf, Familienzyklus, Rechtssystem usw. aus der Familienbindung zumindest teilweise herausgelöst; können immer weniger Versorgung über den Mann erwarten; werden – in freilich oft widersprüchlicher Form – auf Selbständigkeit und Selbstversorgung verwiesen. Das ›subjektive Korrelat‹ solcher Veränderungen ist, daß Frauen heute zunehmend Erwartungen, Wünsche, Lebenspläne entwickeln – ja entwickeln müssen –, die nicht mehr allein auf die Familie bezogen sind, sondern ebenso auf die eigene Person. Sie müssen, zunächst einmal im ökonomischen Sinn, ihre eigene Existenzsicherung planen, gegebenenfalls auch ohne den Mann. Sie können sich nicht mehr nur als ›Anhängsel‹ der Familie begreifen, sondern müssen sich zunehmend auch als Einzelperson verstehen mit entsprechend eigenen Interessen und Rechten, Zukunftsplänen und Wahlmöglichkeiten. Im Ergebnis wird die Macht der Familie, vor allem des Mannes, weiter beschränkt. Frauen heute sind nicht mehr, wie die meisten Frauen der Generation zuvor, um der ökonomischen Existenzsicherung und des Sozialstatus willen auf Ehe verwiesen. Sie können – vielleicht nicht frei, aber doch freier als früher – entscheiden, ob sie heiraten oder allein bleiben wollen; und ob sie, wenn die Ehe nicht ihren Hoffnungen entspricht, gegebenenfalls lieber die Scheidung beantragen als dauernde Konflikte zu ertragen. Das heißt, auch in der weiblichen Normalbiographie setzt allmählich die Logik individueller Lebensentwürfe sich durch« (Beck-Gernsheim 1994, S. 122f.).

Die feministische Bewegung ist schützende Hülle dieser veränderten weiblichen Lebenszuschnitte. Die vielfältigen Projekte, die in der Tradition der Frauenbewegung stehen, erfüllen vor allem drei identitätsstiftende Funktionen. Sie sind zum ersten soziale Referenzstruktur: Sie eröffnen Räume der Selbstverständigung, in denen die Bindungskraft machtvoller Geschlechter-Ideologien verblaßt, in weiblicher Sozialisation eingelagerte Abwertungs-, Entfremdungs- und Enteignungserfahrungen kollektiv Sprache gewinnen und verinnerlichte Glaubenssysteme, in denen die Passivität von Frauen, ihre Selbstaufopferung und ihr Aufgehen im »Liebesprojekt Familie« beglaubigt werden, dekonstruiert werden; sie liefern damit Orientierungshilfen in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt der Lebensoptionen. Die feministische Kultur ist zum zweiten ein Optionsraum: Sie öffnet Frauen Möglichkeitsräume für eigensinnige Entwürfe einer kollektiven Identität, sie markiert Auswege aus der Opferrolle, schafft Ressourcen von Selbstvertrauen und Selbstachtung und eröffnet neue Horizonte des Erprobens, des Experimentierens, des Austestens von Lebensmöglichkeiten und Identitätsbausteinen. Die feministische Bewegung ist zum dritten schließlich Unterstützungsressource: Sie vermittelt in Situationen, in denen die »Fröste der neuen Freiheit« akute Belastungen schaffen und die personalen Kräfte zu überfordern drohen, Mut, Rückhalt und emotionale Unterstützung (vgl. Collins 2008; Cornwall/Edwards 2014; Kelly 2019).

Die feministische Bewegung begann ihren Siegeszug durch die Erste Welt in den 1970er Jahren; sie erreichte schon bald die Ufer der Dritten Welt. Seit Mitte der 1980er Jahre (Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi) verorten sich auch die Projekte und Programme des Feminismus in Ländern des Südens (»Gender and Development«-Modelle) explizit im Horizont des Empowerment-Konzeptes. Freilich: Diese feministische Politik der Dritten Welt beansprucht für sich – zunehmend selbstbewußt – einen »zweiten Weg«. Gemeinsam ist ihren Praxisformen die Abkehr von einem hegemonialen Diskurs des Nordens, der (gleichsam in Reproduktion verstaubter paternalistischer Muster der Entwicklungspolitik) die Zielsetzungen, Aktionsmuster und Durchsetzungsstrategien der feministischen Bewegung des Nordens unhinterfragt und bruchlos in den Süden exportiert. Gerade in aktuellen Projekten einer empowerment-orientierten Bewegung der Frauen der Dritten Welt dokumentiert sich der Versuch, in der Reflexion von länderspezifisch-eigenen Mustern kultureller, religiöser und geschlechtsständischer Tradition eine autonome ›Gender-Policy‹ von Frauen für Frauen zu buchstabieren und durchzusetzen – und dies durch die Entwicklung von lokal verorteten Basisinitiativen, durch die Stärkung von kollektiven Organisationsformen und durch den politisch artikulierten Widerstand gegen patriarchale Strukturen der Entrechtung (zum feministischen Projekt in der Dritten Welt vgl. Alexander u. a. 2018; Bertelsmann Stiftung 2009; Elliott 2012).

Empowerment in der Sozialen Arbeit

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