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„Sinus“ Milieustudie
ОглавлениеZu einem ähnlichen Ergebnis kommen die beiden Studien des Marktforschungsinstituts „Sinus“. Hier wurde m Jahr 2005 von der katholischen Kirche in Deutschland eine Milieustudie über die religiöse und kirchliche Orientierung der Katholiken in Auftrag gegeben. 2013 folgte ein „Update“. Die erste und noch viel stärker die zweite Studie zeigen: Viele Befragte verstehen sich nicht (mehr) als gläubig im traditionellen Sinn und suchen auch nicht aktiv nach einer Beziehung zu Gott. Insbesondere in den jungen und unterschichtigen Milieus spielen Glaube und Religion im Alltag häufig gar keine Rolle mehr. Bei vielen Befragten ist der Glaube individualisiert – und nicht an Religion und Kirche gebunden. Viele bezeichnen sich zwar als religiös, definieren aber den Inhalt ihres Glaubens ebenso wie ihre Vorstellungen von Gott eher diffus.28
Beim Blick in die verschiedenen Milieus wird deutlich, wie groß die Sprachlosigkeit über die eigene Religiosität jenseits kirchlicher Formeln ist und wie wenig Kompetenz der Institution Kirche für die eigene Auseinandersetzung mit Gott zugesprochen wird. „Das trifft ins Mark (…) Wer ernsthaft glaubt, Gott hinter der Tür im dritten Stock des heruntergekommenen Wohnblocks, im zweiten Satz einer Klaviersonate Beethovens oder in einem flauschigen Sessel in der vierzehnten Reihe eines Kinosaals neu kennen zu lernen, der wird diese Orte anders betreten und den Leuten dort anders begegnen.“29
Die Diagnose fordert die Theologen heraus. Sie müssen lernen, die Theologie der Milieus zu „lesen“. Sie müssen sich den Fragen stellen: Welches Gottesbild besitzt (noch) Relevanz für ihr Leben? Welche verborgene Facette Gottes nehmen Menschen in bestimmten Milieus wahr? Zu welchem Gott bekennen sich Menschen in bestimmten Milieus? Bedeutet ihnen Gott überhaupt noch etwas? In welchen Situationen wird die Gottesfrage für sie (noch) virulent? Die Antworten auf diese und ähnliche Fragen oder das hilflos-resignierende, achselzuckende Schweigen können zu einer Bereicherung und Vertiefung des Gottesglaubens und des Gottesbildes führen. Sie können aber auch bisher dominierende Theologien und Glaubenssätze in Frage stellen. In jedem Fall sollten sie das Fundament bilden für intensives Neu-Denken der Gottesfrage und für ein verändertes, behutsameres Sprechen von Gott bei denjenigen, die im Namen Gottes und seiner Kirche auftreten.
„Diejenigen haben Recht, die von der Verdunstung des Glaubens sprechen. Der Glaube hat in der Spätmoderne seinen Aggregatzustand verändert. Er ist von einem festen, in kirchlichen Formeln und Formen fassbaren Zustand in einen fluiden oder gar gasförmigen übergegangen. Der verdunstete Glaube liegt buchstäblich in der Luft.“30