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4. „Einen Bund habe ich geschlossen“

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Charakteristisch für den Glauben Israels ist der Gedanke, dass Jahwe mit dem Volk einen Bund geschlossen habe. Eine ausgebaute „Bundestheologie“ findet sich in der sehr komplexen und vielfach ineinander verschachtelten Sinaiperikope (Ex 19–34). Die „Verfassung“ dieses Bundes zeigt deutliche Parallelen zu bestimmten „Souveränitätsverträgen“ zwischen dem Großkönig und seinen Vasallen, wie sie bei den Hethitern üblich waren.12 Für den Ablauf dieses Bundesschlusses war ein genau detailliertes Abschlussformular zu beobachten. Zuerst stellt sich der Souverän selbst vor. Dann zählt er die am Vasallen geübten Wohltaten und Gunsterweise auf. Darauf folgt die Verpflichtung zur Gefolgschaftstreue, eine Aufzählung von Einzelbedingungen und eine Zeugenliste. Den Abschluss bilden Segen- und Fluchformeln, die bei Einhaltung oder Nichtbeachtung des Bundes zur Auswirkung kommen sollten. Die Bundesurkunde wird schließlich im Heiligtum hinterlegt.

Die Erzählung vom Bundesschluss Jahwes mit seinem Volk folgt genau diesem Schema. Die Initiative geht von Jahwe aus; das Volk ist als Empfänger gedacht, das von Gott in Pflicht genommen wird (Ex 19,1–6). Die Sinaierzählung schildert das machtvolle Auftreten Jahwes unter kosmischen Begleiterscheinungen (Ex 19,14–19). Der Vertrag beginnt mit einer Präambel, die den Namen und Titel des Großkönigs angibt („Ich bin Jahwe, dein Gott“, Ex 20,2a), und einem Prolog, in dem der König seine Vasallen an sein Wohlwollen erinnert, das sie zu ewiger Dankbarkeit verpflichte („… der ich dich aus dem Lande Ägypten, aus dem Sklavenhause, herausgeführt habe“, Ex 20,2b). Präambel und Prolog sind in der Form einer direkten Anrede gehalten. Es folgen Bestimmungen, in denen die den Vasallen auferlegten Pflichten festgelegt werden (Ex 20,1–17). Ein typisches Merkmal ist auch das Verbot, zu fremden Ländern außerhalb des Hethiterreiches Beziehungen aufzunehmen oder in Feindschaft mit anderen Vasallen des Königs zu leben (vgl. die beiden Teile des Dekalogs: Ex 20, 2–11 und 20,12–17). Die Bundesurkunde wird schließlich dem Bundesmittler Mose in Form steinerner Gesetzestafeln übergeben (Dekalog, „Zehn Gebote“: Ex 24,12) und im Heiligtum, in der Bundeslade, hinterlegt (Ex 30,26), um bei bestimmten Anlässen öffentlich vorgelesen zu werden (vgl. Dtn 10,5; 31, 9–13). Der Bundesabschluss erfolgt entsprechend den profanrechtlichen Gebräuchen in Art einer Opferhandlung. Opferblut wird auf die beiden Vertragspartner gesprengt, auf den Altar, der Gott vertritt, und auf das Volk (Ex 24,4–8). In den hethitischen Verträgen werden noch verschiedene Götter als Zeugen angerufen, was natürlich in der Bibel fehlt (vgl. aber Jos 24,22.27, wo das Volk selbst und die heiligen Steine den Bund bezeugen). Die Strafbestimmungen in diesen Verträgen sind gewöhnlich durch eine Reihe von Segensverheißungen und Flüchen ergänzt (vgl. Dtn 27; 28).

Im Bund erkannte Israel Jahwes Oberhoheit an. Vom Bundesgedanken her nahm auch die Vorstellung der Herrschaft Gottes über sein Volk, des Königtums Gottes, die für das Alte wie das Neue Testament so grundlegend ist, ihren Ausgang. Dieser Gedanke mag im Lauf der Jahrhunderte manche Wandlung erfahren haben, doch es handelt sich hier nicht um eine späte Idee, die sich erst nach Entstehung der Monarchie in Israel entwickelt hat. Der israelitische Zwölfstämmebund war selbst eine Theokratie unter der Königsherrschaft Jahwes. Die ältesten Kultgegenstände waren Symbole dieses Königtums: Die Bundeslade war Jahwes Thron (vgl. Num 10, 35f.), der Stab des Mose war sein Zepter (vgl. Ex 10,13 mit Mi 7,14), die heiligen Lose waren seine Weisungen (vgl. 1 Sam 28,6).

Durch diesen auf die Initiative Jahwes zurückgehenden Bund sah Israel sich in besonderer Weise auserwählt. Freilich wird diese „Auserwählung“ nirgends mit irgendeinem Verdienst in Verbindung gebracht, sondern stets mit der unverdienten Gunst Jahwes. Gerade die ältesten Erzählungen stellen Israel immer wieder als feige, undankbar und widerspenstig hin. Doch es fühlt sich als das Volk, das Jahwe „aus allen Völkern, die auf Erden sind, für sich erwählt“ (Dtn 7,6) und dazu berufen hat, dass „die ganze Erde der Herrlichkeit des Herrn voll werde“ (Num 14,21). Nur so ist auch zu verstehen, dass Jahwe als ein „eifersüchtiger“ Gott geschildert wird, als einer, der keine anderen Götter neben sich duldet, weil das „Gebilde von Menschenhand sind“ (Ex 20,4f.), und der es auch nicht zulässt, dass Israel Göttern nachläuft, die der „Scheuche im Gurkenfeld gleichen“ (Jer 10,5).

Die (positive) Kehrseite der Eifersucht ist die Liebe. Von der Liebe Gottes zu seinem Volk ist in einer Reihe von Texten des Alten Testaments die Rede. Am ergreifendsten schildert sie der Prophet Hosea, wenn er Gott sprechen lässt: „Als Israel jung war, gewann ich es lieb; aus Ägypten rief ich meinen Sohn […] Ich war es doch, der Ephraim gehen gelehrt, der sie auf die Arme genommen. Aber sie wollten nicht erkennen, dass ich sie heilte, sie an mich zog mit Banden der Huld, mit Seilen der Liebe“ (11,1–4).

Der Glaube an Erwählung und Bund hatte seine Wurzeln in einer Rückbesinnung auf geschichtliche Ereignisse, die von den Augenzeugen – dem eigentlichen Kern Israels – weiter überliefert worden waren. Die Einzelheiten der biblischen Erzählungen lassen sich nicht mehr nachprüfen. Doch sie beruhen fraglos auf geschichtlichen Vorgängen.13 Es besteht kein Grund zu zweifeln, dass hebräische Sklaven auf ungewöhnliche Weise unter der Führerschaft von Mose aus Ägypten entflohen waren und dass sie ihre Befreiung als das rettende Einschreiten Jahwes verstanden, in dessen Namen Mose zu ihnen gekommen war. Diese Menschen erkannten Jahwe als ihren Bundesgenossen und verpflichteten sich, „sein Volk“ zu sein. Damit war eine Gemeinschaft gegründet, die nicht auf Zugehörigkeit zu einer Sippe oder einem Stamm beruhte, sondern auf gemeinsamer geschichtlicher Erfahrung und sittlicher Entscheidung.

Was in den „Zehn Geboten“ niedergelegt ist, findet sich in ähnlicher Weise auch in Mesopotamien und Ägypten. Es ist uralte Menschenweisheit, die hier aufgeschrieben wurde. Es sind althergebrachte, weit verbreitete Erfahrungen über ein geregeltes menschliches Zusammenleben. Einmalig ist allerdings, dass diese Regeln in Zusammenhang gebracht werden mit einer ganz konkreten geschichtlichen Gotteserfahrung, ja dass sie sogar aus ihr abgeleitet werden:

 Weil Gott sein Volk aus der Knechtschaft errettet und in die Freiheit geführt hat, deshalb darf der Mensch nicht mehr den Menschen knechten und in Unfreiheit halten.

 Weil Gott die Würde des Volkes Israel wiederhergestellt hat, deshalb darf der Mensch nicht die Würde anderer Menschen missachten.

 Weil Gott das Wohl des Volkes bewirkt hat, deshalb muss der Mensch auf das Wohl der Mitmenschen bedacht sein und sich nach Kräften dafür einsetzen.

Die vertikale Linie der Gottesvorstellung wird unlösbar verbunden mit der horizontalen Linie der Mitmenschlichkeit und Solidarität. Gottesrecht wird zu Menschenrecht. Und auch umgekehrt: Menschenrecht wird zu Gottesrecht. Das Ethos wird hineingenommen in den Kern der Religion. „Im biblischen Offenbarungsraum ist die Rückbindung des Menschen an Gott nur verwirklicht, wenn sie zugleich über den Mitmenschen geht“ (Alfons Deißler14).

Israel hat das Angebot Gottes, seine Freundschaft und Treue und die dadurch bedingte Freundschaft und Treue untereinander, nicht durchgestanden. Das schildern die auf das Buch Exodus folgenden Schriften des Alten Testaments zu wiederholten Malen. Die strikte Beachtung der gegenseitigen Verschränkung und Überschneidung von Menschenrecht und Gottesrecht, von Ethos und Religion, von Mitmenschlichkeit und Gottesverehrung, von Zuwendung zu den Menschen und Hinwendung zu Gott überforderte die Gemeinschaft. Es kam zu einer Kette von „Bundes-Brüchen“, die den „Zorn“ Jahwes herausforderten und die Unheil und Fluch über das Volk brachten. Aus diesem Grund verkündigte der Prophet Jeremia, Gott werde einen neuen, unvergänglichen Bund schließen, der den Menschen ins Herz geschrieben werden wird (Jer 31,31). Ezechiel redet von einem „ewigen Friedensbund“ Gottes mit Israel (Ez 37,26). Doch erst der „Gottesknecht“, der „die Sünden der vielen“ trägt, der „ihre Schuld auf sich lädt“, wird „die vielen“ endgültig gerecht machen (Jes 53,10–12).

Die literarische Gestaltung des Bundesgedankens dürfte wohl erst im Babylonischen Exil (597/587/582–538 v. Chr.) erfolgt sein, als der Glaube an den mitgehenden und helfenden „Ich-bin-da“ in eine tiefe Krise geriet und die religiöse und politische Führungsschicht des Volkes sich genötigt sah, nach einer neuen tragfähigen Identität zu suchen. Israel hält auch nach der Zerstörung des Tempels, nach dem Zusammenbruch des Königtums und nach dem Verlust der staatlichen Unabhängigkeit an seinem Gott fest. Jahwe ist mit seinem Volk, auch wenn Jerusalem in Trümmern liegt. Es werden Idealbiografien entworfen: Abraham als Zeuge eines unerschütterlichen Glaubens, Mose als von Gott berufener und gesandter Prophet und als Vermittler der göttlichen Weisungen (10 Gebote), König David, der vom Bandenführer zum Idealkönig aufsteigt und im Laufe seines Lebens immer frömmer wird. All diese Geschichten sollen dazu dienen, den Glauben an die verlässliche Treue Gottes zu seinem Volk und an den „Bund“, den er mit ihm geschlossen hat, neu zu beleben und zu festigen.

Das Neue Testament nimmt die alttestamentliche Redeweise vom „Bund“ auf. Analog zu Mose erscheint Jesus als der „Mittler des neuen Bundes“ (Hebr 12, 24). Im Gottesknecht, der sein Leben für die vielen dahingab, erblickt die Urgemeinde den gekreuzigten Jesus, der ebenfalls sein Blut „für die vielen zur Vergebung der Sünden vergossen“ (vgl. Mt 26,28) und damit den vom Propheten Jeremia verheißenen „Neuen Bund“ gestiftet hat (1 Kor 11,25; Lk 22,20). Dieser „Neue Bund“ bedeutet allerdings nicht eine Ablösung des „Alten Bundes“, sondern lediglich so etwas wie eine „Renovierung“. Der „Alte Bund“ ist nicht gekündigt.

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