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Kapitel 6

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Neu eingekleidet setzten wir unseren Weg in Richtung des Hauptgebäudes fort.

Zunächst fiel es mir schwer durch den bestialischen Gestand der jetzt von mir ausging überhaupt etwas zu atmen. Arthur hatte es nicht dabei belassen nur meine Kleidung zu beschmutzen, sondern auch noch meine Wangen und meine Stirn mit Dreck verschönert.

Für einen kurzen Moment hatte ich ernsthaft darüber nachgedacht ob ich wissen wollte woraus dieser Dreck auf dem Boden bestand.

Aber ich entschied mich dagegen. Manchmal musste man einfach nicht alles Wissen.

Zu meinem Glück, wenn man von Glück überhaupt sprechen konnte, ließ der Gestank nach ein paar Minuten etwas nach. Arthur erzählte mir später dass der Geruch keineswegs nachgelassen hatte, und das ich immer noch wie ein verendetes Wiesel riechen würde, aber da ich ohnehin nichts daran ändern konnte, entschied sich der Körper dafür den Gestank zu ignorieren oder auszublenden.

Im Grunde genommen war es mir einerlei.

Wir erreichten das Hauptgebäude und gingen durch einen steinernen Durchgang und passierten eine massive Tür mit dunklen Metallbeschlägen.

Im Jahr 2019 hätte solch eine Tür sicherlich in ein Museum gehört dachte ich, und musste direkt darauf ein Grinsen unterdrücken.

Wenn man genau bedachte, überlegte ich gehörte hier alles in ein Museum. Wenn man es noch genauer nehmen wollte auch Arthur und ich. Zumindest in der jetzigen Aufmachung.

Wir betraten einen großen Eingangsbereich von dem verschiedene Treppen nach oben und hinab weiter führten.

Zu meiner Rechten sah ich einen großen Saal der Menschen leer zu sein schien.

Auf der anderen Seite war ein Raum hinter einer ebenso massiven Tür verborgen.

“Wow” sagte ich ehrfürchtig und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Die Fenster über uns, und an den Seiten des großen Saals rechts von uns warfen buntes Licht durch die vielen Buntglasfenster hinein, und durchfluteten den Raum mit diesem Zauber.

“Kannst du wohl sagen” murmelte Arthur stolz. Tom sah zu ihm auf, und erkannte dass er ein breites Grinsen zur Schau trug.

Dann, mit einer weit ausladenden Geste sagte er: “Willkommen in meinem Zuhause. Meinem richtigen Zuhause.”

“Hört, hört, euer Zuhause verehrter Gemahl?”

Eine weibliche Stimme drang von den vor uns liegenden Treppenstufen herab.

Instinktiv wandte ich meinen Blick in diese Richtung. Dort, knappe fünf Meter von uns entfernt stand eine wunderschöne Frau in gold-gelben Gewand und schaute zu uns hinunter.

Aber in ihrem Blick lag etwas Geheimnisvolles.

War sie amüsiert? überlegte ich, fand aber direkt dass es das nicht ganz traf.

Wenn man es von ihrem Standpunkt betrachtete konnte man das vielleicht sogar verstehen.

Ein ältere Mann, in einem Bettlaken gehüllt, und ich in diesem Kartoffelsack. Wir mussten beide stinken, und erbärmlich aussehen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl das es ihr darum nicht ging.

Langsam kam die Frau die Treppenstufen hinab. Ihr langes, kastanienbraunes Haar hatte sie zu einem langen Zopf geflochten, der ihr locker über die Schulter hing.

“Guinevere” sagte Arthur fast tonlos und starrte sie an.

Ich sah ihren misstrauischen Blick und gab ihm einen kurzen Rempler der mir fast mehr weh tat als ihm. Woraus bestand der Kerl? Eisen?

Dennoch schien der Rempler den gewünschten Effekt zu haben. Artur wandte sich kurz mir zu und dann wieder der schönen Frau.

“Guinevere, eure atemberaubende Schönheit hat mit mir gerade genau jenes gemacht.

Es hat mir den Atem und auch die Stimme verschlagen.

Ihr verzeiht einem alten Mann doch?” sagte er und trat einige Schritte auf sie zu. Sie reichte ihm ihre Hand, und er küsste sie sanft.

Sie schien ihm verziehen zu haben.

“Ich denke das hier ist mehr mein Heim, als das eure” sagte sie, “so selten wie ihr hier erscheint”

Artur machte eine entschuldigende Geste in der er den Kopf leicht schräg stellte und sie anlächelte.

“Und wer ist dieser Stallbursche den ihr mir hier hereingebracht habt liebster Gemahl?”

Sie wies mit einem angeekelten Finger in meine Richtung, und wieder brauchte Artur etwas bis er verstand was sie sagte.

Es war beinahe so als ob er wirklich von ihr so fasziniert und abgelenkt war dass er ihr nicht zuhörte.

“Ach so” sagte er schließlich als er ihrem Finger folgte und mich sah.

“Ähm…”sagte er nachdenklich. Dieser kühne Junge hat mir geholfen gegen den Drachen zu bestehen.

Bei der Erwähnung des Wortes Drachen blickte sie beinahe erschrocken rein.

“Ich habe ihn mit hinauf genommen um ihm zur Belohnung an meiner Tafel speisen zu lassen”

Sie zog wieder verächtlich eine Augenbraue hoch, und Artur versuchte sie schnell wieder zu beruhigen.

“Er ist nur ein armer Bauer, und morgen ist er wieder weg. Ich wollte ihm vor dem Mahl noch Merlin vorstellen”

Merlin? überlegte ich. Den Namen hatte ich einmal gehört, aber wo?

“Dem Zauberer?” fragte sie beiläufig, und wieder konnte ich die Geringschätzung in ihrer Stimme hören. Anscheinend hielt sie nicht so viele Stücke auf ihn.

Der Zauberer? dachte ich verwundert. Meinte Arthur das ernst? fragte mein erschöpfter Verstand, der langsam aber sicher überfordert war.

Aber so etwas wie Zauberei gibt es doch nicht, protestierte mein Hirn. Zumindest ein kleiner Teil meines Hirns.

Aber eigentlich sollte es Drachen auch nicht geben, hielt ein anderer Teil meines Verstandes dagegen.

Ein anderer wandte ein dass es auch Frauen die einen mit ihrer Stimme verzaubern und umbringen nicht gab, und schon gar keine Drachen.

“Ja genau” sagte Arthur und riss mich wieder ins hier und jetzt zurück.

Arthur schien von ihrer Gehässigkeit nichts gemerkt zu haben, jedenfalls sprach er mit vollkommen ruhiger Stimme weiter.

“Habt ihr ihn vielleicht gesehen meine Liebe?” fragte er und ließ die Frau dabei nicht einen Moment aus den Augen.

Guinevere blickte immer noch geringschätzig auf mich herab, allerdings konnte ich es ihr auch nicht verdenken.

Ich wusste wie ich roch, und konnte mir vorstellen wie ich aussah.

“Ich denke er wird sich, wie üblich in den Katakomben aufhalten, mein liebster Gemahl” und jetzt war ich mir ganz sicher was die Verachtung in ihrer Stimme betraf.

“Vielen Dank” sagte Arthur rasch, und winkte mir zu.

“Komm rasch” sagte er und wandte sich dann nach rechts zu den Katakomben.

Ich konnte ihre Blicke noch auf meinem Rücken spüren, selbst als wir schon längst außer Sicht waren.

Wir gingen eine steinerne Treppe hinab die mehrere Biegungen machte, und immer tiefer führte.

Der Flur wurde schmaler, und ein beklemmendes Gefühl machte sich in meiner Brust breit.

“Wer war das?” fragte ich als wir eine weitere Biegung passierten.

Der Weg wurde zuerst von schmalen Fenstern, später von noch schmaleren Öffnungen im Mauerwerk, und schließlich nur noch von Fackeln beleuchtete.

Arthur blickte nervös über seine Schulter, dann wandte er sich wieder an mich

“Wen meinst du?” fragte er als wir uns einer großen Tür näherten.

“Na die Frau vorhin” sagte ich. Noch immer sah er sich über seine Schulter hinweg um.

Arthur wirkte seltsamerweise nervös.

“Ist alles in Ordnung?”

“Was? Ja, selbstverständlich” sagte er kurz. “Das war übrigens Guinevere. Meine Frau” sagte er nicht ohne Stolz in seiner Stimme.

Wir folgten dem Gang bis zu seinem Ende, und gelangten an eine kleine Tür.

Die Tür war wie die anderen Türen auch aus schwerem Holz mit massiven Beschlägen ausgeführt. Mir fiel auf dass sie keinerlei Schlüsselloch besaß. Allerdings war ein großer Türklopfer in Form eines großen Vogels angebracht.

Ich überlegte einen Moment ob es ein Adler sein könnte, war mir aber nicht sicher.

Arthur blieb vor der Tür stehen und sah sich nochmals um.

Dann klopfte er dreimal gegen die Tür.

“Wie lautete das Zauberwort” hörte ich eine leise, fast schon schrille Stimme krächzen.

Ich war mir zunächst nicht sicher woher die Stimme kam.

Kam sie wirklich von drinnen? überlegte ich und war mir meiner Sache nicht mehr so sicher.

Dafür war sie eigentlich zu leise.

Aber hier war sonst niemand außer uns.

“Oh.. man” sagte Arthur und verdrehte die Augen. “Ist das wirklich nötig?” fragte er, doch ich war mir sicher dass es eigentlich als rein rhetorische Frage gemeint war.

“Falsches Zauberwort” antwortete die Stimme und verstummte dann.

Arthur atmete tief durch und sah mich kurz an.

“Er ist ein verrückter alter Kauz. Aber das war er eigentlich schon immer”

Ich hatte keine Ahnung von wem er sprach, schließlich waren wir hier alleine, also nickte ich nur zustimmend.

Arthur ließ die Schultern sinken und klopfte erneut dreimal. Diesmal verzichtete er darauf sich umzusehen.

Scheinbar war er zu der Überzeugung gekommen dass uns niemand gefolgt war.

Wieder kam die schrille, leicht krächzende Stimme.

Noch immer hatte ich keine Ahnung woher sie kam. Es klang als käme sie direkt.

“Wie lautet das Zauberwort?” krächzte der Türklopfer.

Ich traute meinen Augen nicht. Mitten in seinem Schnabel hielt der Adler, jetzt war ich mir ziemlich sicher dass es ein Adler war, einen großen messing-farbenen Ring.

Und dieser Schnabel öffnete und schloss sich bei jedem Wort.

“Merlinus maxime magus” sagte er leicht genervt und blickte dann wieder mich an.

Außerstande auch nur irgendwas zu sagen, oder meine Gefühle anderweitig zu zeigen, starrte ich zurück.

“Das ist richtig” krächzte der sprechende Türklopfer. Fast augenblicklich hörten wir wie riesige Riegel zurückgezogen, und schwere Ketten hinter der Tür klirrten.

Dann, nach einer schier endlosen Sekunde sprang die Tür einen schmalen Spalt weit auf.

Arthur trat an die Tür heran und drückte sie auf.

“Merlin?” fragte er in den Raum hinein.

Ich folgte ihm zögerlich.

Der Raum, war das seltsamste was ich in meinem Leben je gesehen hatte. Überall standen kleine Violen, und Flaschen herum.

Ich sah ein Schneidbrett und ein Messer mit kunstvoll verziertem Griff, sowie eine Messingwaage mit feinen Gewichten.

Die Luft roch erdig, und feucht. Beinahe so wie nach dreitägigen Regen, und doch waren da noch andere Gerüche. Kräuter, und Gewürze.

Ich musste unwillkürlich an die Pfefferminzbonbons meiner Mutter denken.

Der Boden bestand auch aus fest gestampfter Erde, und vor den kleinen Fenstern hingen bunte Gläser.

Es war kalt. Mein Atem bildete kleine Wölkchen vor meinem Mund.

“Merlin” erkundigte Artur sich erneut und ging weiter in den Raum hinein. Ich folgte ihm.

Was sollte ich auch sonst tun. Viele Optionen blieben mir schließlich nicht.

In einer Ecke sah ich ein kleines Feuer in einem Kamin brennen. Darüber hing ein großer Schmiedeeiserner Topf indem eine grünliche Flüssigkeit brodelte. Von hier sah sie wie dickflüssige Erbsensuppe aus, aber ich bezweifelte irgendwie das es sich wirklich darum handelte.

Die Flüssigkeit war mir egal, aber das Feuer nahm ich gerne an. Ich trotte langsam hinüber, wobei ich mir die Gegenstände auf einem kleinen Tisch genauer ansah.

Hier lagen weitere Werkzeuge und Kräuter. Einige kamen mir bekannt vor, andere nicht. Einige Gegenstände hatten seltsam anmutende Formen, andere abstrakte Farben.

“Wo steckt der Kerl bloß” fragte Artur, und ich hatte das Gefühl das er mehr mit sich selbst sprach, als mit mir.

“Tom, rühr bitte nichts an, bis Merlin oder ich wieder da sind, okay?” fragte er erneut, und diesmal war ich mir sicher dass er mit mir sprach.

“Öhm, ja. Geht klar” sagte ich kurz. Zu fasziniert war ich von den Apparaturen auf dem kleinen Tisch.

“Aber wo gehst du hin?” fragte ich als es plötzlich einen lauten Knall gab, und die Tür wieder ins Schloss geworfen wurde.

Erschrocken drehte ich mich um, und sah wie von Zauberhand Schlösser zuschnappen, und Ketten durch die Luft segeln und die Tür verschlossen.

Ich lief auf die Tür zu, und zog an der Tür. Nichts.

Ich zerrte an den Ketten, aber sie bewegten sich nicht einen Millimeter.

Ich versuchte an der Türklinke zu drehen, aber auch dort tat sich nichts.

Er hatte mich eingesperrt, dämmerte es mir. Verdammt, warum hatte Artur das nur gemacht, grübelte ich vor mich hin.

Welchen Grund sollte er dafür haben.

Okay, ich war fremd hier. In einem fremden Haus, in einer fremden Zeit. Vielleicht wollte er mich beschützen. Aber wovor?

Ich beschloss das Beste aus der Situation zu machen und mich hier noch etwas umzusehen.

Was sollte ich auch sonst in der Zwischenzeit anstellen. Wenn er mich schon hier einsperrte musste es doch zumindest hier sicher für mich sein.

Also machte ich mich auf die Suche nach Interessanten Gegenständen. Ich schlenderte in eine Ecke auf der seltsame Papierrollen lagen. Ich zog aufs Geratewohl eine heraus, und ging mit ihr zu einem niedrigen Tisch. Ich entrollte das Papier, und stellte fest dass es ein seltsames Rezept für irgendeinen Heiltrank zu sein schien.

Die meisten Wörter konnte ich nur schwer entziffern, einige fehlten sogar gänzlich und waren durch Zeichnungen der entsprechenden Gegenstände ersetze worden.

Dort waren Bilder die ich als Gänseblümchen kannte, was aber auch Kamille sein konnte.

Oder auf einem anderen war das Zeichen für ½ und daneben das Bild eines Froschs oder einer Kröte.

Um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht wissen in welches Rezept ein halber Frosch reingehörte.

Sorgsam rollte ich das Papier wieder zusammen, und legte es beiseite.

Erst jetzt bemerkte ich dass neben mir ein kompliziertes Gerät aus Zeigern und Zahnrädern, und einem Stundenglas lag.

Wie ich erkennen konnte war das Glas gerissen, und feiner, pudriger Sand rieselte langsam heraus.

Ich griff nach dem Sand, und rieb ihn zwischen meinen Fingern hin und her.

Er fühlte sich gut an, fast wie rieselnde Seide. Was war das nur?

Und was war das für eine seltsame Apparatur? überlegte ich.

Plötzlich schreckte ich auf.

Ein Vogel, mit seltsam bläulich schimmerndem Gefieder flog durchs offene Fenster herein, drehte eine Runde über dem kerzenbesetzten Leuchter in der Mitte des Raums, und setzte sich dann seelenruhig auf das Ende des Tischs und pickte ein paar Körner auf die jemand wohl dort vergessen hatte.

“Husch, husch” rief ich, sprang auf, und wollte den Vogel vertreiben. Dabei stieß ich mit dem Bein gegen die Tischkante.

Der Tisch wackelte kaum, aber es reichte aus um das Stundenglas mit dem seltsam pudrigen Sand in Bewegung zu versetzen.

Noch bevor ich genau erkannte was geschah segelte es schon über den Rand des Tischs.

Ich griff danach und bekam die Apparatur mitsamt dem Stundenglas gerade noch zu packen, bevor es auf dem Boden zerschellte.

Eine kleine Sandwolke blieb in der Luft hängen, und bildete einen bläulichen, beinahe undurchsichtigen Vorhang. Wie tausend kleiner Sterne hingen die feinen Sandkörnchen glitzernd und funkelnd in der Luft.

Und was ich dann sah ließ mir meine Kinnlade buchstäblich hinunter sausen.

Die einzelnen Körner, die der kleine bläulich schimmernde Vogel mühsam aufgepickt hatte, flogen nun erneut aus seinem Schnabel, und landeten auf der Tischplatte.

Anschließend erhob sich der Vogel rückwärts in die Lüfte, drehte rückwärts fliegend eine Kurve um den Kerzen Leuchter, und flog, wiederum rückwärts aus dem Fenster.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf diese Szene.

Wie konnte das sein? fragte ich mich. Ein Vogel konnte nicht rückwärts fliegen.

Das war vollkommen unmöglich. Absolut ausgeschlossen.

Sicherlich, es gab Kolibris im brasilianischen Urwald, die konnten auf der Stelle fliegen, aber auch sie konnten nicht derart schnell und präzise rückwärts Fliegen.

Ich blickte hinunter und sah auf meine Uhr. Wieder traute ich meinen Augen nicht.

Die Zeiger auf meiner Armbanduhr liefen rückwärts. Zwar nur die Sekunden Zeiger, aber auch das war eigentlich unmöglich.

Was ging hier vor sich?

Der durch den herabgefallenen Sand entstandene Nebel löste sich allmählich wieder auf, und ich konnte wieder besser sehen.

Es zwitscherte, und der kleine Vogel flog wieder vorwärts durch das offene Fenster herein. Er vollzog abermals eine Runde um den Kronleuchter und landete ebenso elegant wie nur Minuten zuvor auf dem Tisch und begann einzelne Körner aufzupicken.

Jetzt viel mir erst auf, das die Körner auch wieder vollzählig waren.

Die Szene ähnelte der vorherigen derart stark das ich nicht an einen Zufall glauben konnte.

Aber hatte dies mit diesem seltsamen Pulver zu tun der auf dem Boden verstreut lag?

Ich beschloss das Ganze auf die Probe zu stellen.

Langsam, beinahe wie in Zeitlupe bückte ich mich zu dem zerbrochenen Stundenglas hinab. Oder zu dem was davon noch übrig war.

Die Apparatur an der das Glas befestigt war, schien für mich noch intakt zu sein, aber das Glas war an der unteren Seite gebrochen, und der feine Sand hatte sich über den Boden verteilt.

Mit beinahe tauben Fingern berührte ich das Glas und dann die fein puderigen Überreste darin. Noch immer hatte ich das Gefühl eher ein Stück Seide zu berühren als körnigen Sand.

“Au” sagte ich plötzlich und zog meine Hand ruckartig zurück.

Ich betrachtete den Finger aus der Nähe und sah eine leicht gezackte kleine Wunde auf der Spitze meines Zeigefingers.

Dunkel rotes Blut heraus quoll wie rote Erdbeergelee langsam daraus hervor.

Fasziniert betrachtete ich meinen Finger und den roten Lebenssaft, der nun meinen Finger hinab rann, als mir plötzlich eine Idee kam.

Ich bückte mich, und nahm ein wenig von dem weichen Sand zwischen Daumen und Zeigefinger meiner gesunden Hand.

Nachdenklich hielt ich den Sand dicht vor meine Augen und betrachtete ihn. Es waren nicht mehr als ein paar Körner, vielleicht zehn Gramm, vielleicht auch nur fünf.

“Ich muss verrückt sein” murmelte ich, dann lies ich vorsichtig den Sand auf die verletzt Fingerkuppe rieseln.

Wie schon zuvor bei dem kleinen rückwärts fliegenden Vogel, begann das Blut nun auch wieder meinen Finger wieder hinauf zu fließen.

Ein einzelner Tropfen der zu Boden gefallen war, flog nun auch beinahe wie von Zauberhand hinauf, und in die Wunde zurück.

Die Wunde verschloss sich wieder, und kein Blut war mehr zu sehen.

“Wow” war alles was mir dazu einfiel.

Plötzlich stellte ich fest dass ich Hunger hatte. Mir knurrte regelrecht der Magen.

Kein Wunder, dachte ich. Wie lange war es her dass ich das Haus verlassen hatte?

Ich konnte mich nicht erinnern. Neugierig betrachtete ich die wenigen Krümel die der Vogel übrig gelassen hatte.

Ich bückte mich erneut nach dem Zaubersand, diesmal darauf bedacht mich nicht noch einmal zu verletzen, und hob eine weiter kleine Menge auf.

“Was du wohl mal gewesen warst” fragte ich die Überreste der Krümel. Sie gaben mir natürlich keine Antwort, aber ich war sicher dass ich das in Kürze herausfinden würde.

Ich rieselte einige wenige Körner auf die Krümel, und versuchte dabei so viele wie möglich zu treffen. Dabei starrte ich in neugieriger Erwartung mit weit aufgerissenen Augen auf die Holzplatte.

Und tatsächlich die Krümel rotteten sich zusammen einige andere Schienen sich aus dem Nichts zu materialisieren. Ich kam mir vor wie die Brüder in dem alten Märchen mit dem Zaubertisch auf dem wie aus dem Nichts Speisen jeglicher Art entstehen konnten.

Ganz so einfach war es bei mir zwar nicht, aber immerhin.

Wenige Augenblicke später lag ein dampfender Leib frisch gebackenen Brots vor mir.

Auf der Oberfläche war noch eine Mehl decke zu sehen, die der Bäcker wohl beim Backen darauf gestreut hatte.

Es sah sehr lecker aus, und duftete noch besser. Gierig nahm ich es in die Hand, und riss ein Stück davon ab.

Genau wie ich erwartet hatte, war es knusprig von außen, und weich von innen.

Ich verschlang ein großes Stück und wollte mir gerade ein weiteres Genehmigen, als mir auffiel das ich großen Durst hatte.

Hm… überlegte ich. Woher sollte ich nun etwas zu trinken bekommen.

Zu Hause wäre ich einfach an den Kühlschrank gegangen, aber hier gab es weit und breit keinen Kühlschrank. Und auch keinen Wasserhahn. Ich war zu Hause auch nicht immer wählerisch.

Aber ich entdeckte einen leeren Becher. Ich spähte vorsichtig hinein, schließlich wollte ich keine Frosch Innereien herbei zaubern.

Es war eine klare Flüssigkeit. Vorsichtig stellte ich den Becher vor mich auf den Tisch, und betrachtet ihn nachdenklich.

“Wenn jeder diesen Sand hätte, gäbe es keine Hungersnot mehr. Niemand müsste mehr leiden” murmelte ich und beschloss genau das Arthur zu sagen wenn er wiederkam.

Ich hob eine Hand voll von dem Staub auf, und betrachtete den Becher noch einmal.

Schließlich zuckte ich mit den Schultern und ließ eine kleine Menge davon auf den Becher rieseln. Ich hatte wesentlich weniger genommen als bei dem Brot, aber auch ein wenig mehr als bei meinem verwundeten Finger.

Wie aus dem nichts erschien jetzt auch wieder eine klare Flüssigkeit nur wenige Zentimeter über dem Becherrand, und füllte ihn beinahe voll.

Mit beinahe ausgetrockneter Kehle griff ich nach dem Becher. Er war nun wesentlich schwerer als zuvor. Ich roch daran. Der Geruch erinnerte mich an Kirchen. Tiefe, rote Kirchen voll Frucht und einem süßen Versprechen.

Gerade in dem Moment als ich den Becher an mein Gesicht hob, wurden die Schlösser zurückgezogen, und die metallenen Ketten flogen durch die Lüfte.

Das Schloss wurde gedreht, und die Tür schwang langsam nach innen auf.

“Tom” hörte ich die bekannte Stimme meines Freundes Arthur, aber wer die Tür hin eintrat war nicht Artur. Ein alter Mann, mit langem Haar und noch längerem weißen Bart betrat das Zimmer.

Er starrte mich an, sah den Becher und fing lauthals zu kreischen an.

Der Becher neigte sich vor, und die Flüssigkeit schwappte über den Rand.

Genau in diesem Moment, als die klare Flüssigkeit meine Lippen erreichten, wusste ich dass ich einen Fehler begangen hatte.

Wie ein loderndes Feuer breitete sich ein Schmerz in meinem Mund aus, obwohl sich nur sehr wenige Tropfen in meinem Mund befanden.

Ich schleuderte den Becher von mir, wobei er klappernd und scheppernd auf den Tisch fiel.

Weißer Qualm stieg an der Stelle auf, an der die klare Flüssigkeit die Tischplatte erreichte, und die wenigen Krümel, die von der Flüssigkeit benetzt wurden wuchsen zu der Größe von Backsteinen heran, wobei sie ihre Struktur beibehielten.

Fasziniert betrachtete ich die Situation, bevor mir eines bewusst wurde.

Wenn diese Krümel eine solche Größe erreichen konnte, was würde dann mit meinen Lippen und meiner Zunge geschehen.

Artur stand mit offenen Augen in der Tür und starrte mich entsetzt an.

Ich merkte wie meine Zunge zur Größe einer reifen Zucchini anschwoll, und ich hatte das Gefühl das meine Zähne ebenfalls wuchsen.

Meine Lippe, die nur einen Tropfen abbekommen hatte, wuchs um ein Vielfaches, und hing mir nun grotesk vom Kinn herab.

Erschrocken legte ich beide Hände an meinen Kopf. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass dies nur noch sehr schwer möglich war. Mein ganzer Kopf schwoll an wie eine reife Wassermelone.

Artur griff an seinen Gürtel, aber verharrte dann reglos. Sah sich im Zimmer um, und betrachtet die Apparatur zu meinen Füßen.

Jene Apparatur die ich vor wenigen Minuten zu Boden geworfen hatte, wodurch dieser ganze Schlamassel letztendlich erst entstanden war.

Der andere Mann, ich denke es war Merlin handelte schneller.

Er ging zu einem kleinen Regal in der Ecke, und zog ein kleines Jutesäckchen heraus, und kam auf mich zu.

Bei jedem Schritt rieselte etwas von dem bläulichen Sand aus dem Sack und ich merkte wie es seine Schuhe traf, und einer nach dem anderen sich in Luft auflöste. Merlin hingegen schien das nicht zu beeindrucken, oder zu interessieren.

Bei mir angekommen, griff er mit seiner freien Hand in das Säckchen, nahm eine Briese Sand in die Hand, und begann ihn langsam über meinem Kopf zu streuen.

Merlin musste dreimal nachgreifen, bis der durchsichtige Trank wieder aus meinem Mund, und der Becher wieder in meiner Hand landeten.

“Puh!” sagte Artur, immer noch in der Tür stehend, und atmete tief durch. “Das war knapp” fügte er hinzu und schloss hinter sich die Tür.

Wie vorhin flogen die Ketten und Schlösser an die für sie vorgegebene Stelle und der kleine Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Tür war wieder verriegelt.

“Kann man wohl sagen” antwortete ich, wobei die Wörter leicht nuschelnd aus meinem Mund kamen.

Meine Zunge fühlte sich immer noch etwas geschwollen an, was ich den beiden anderen auch prompt mitteilte.

“Ja das kann passieren. Sollte gleich aber wieder besser werden” sagte Merlin und betrachtete nachdenklich und wehmütig den kümmerlichen Rest in seinem kleinen Jute Säckchen.

“Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?” fragte Arthur mit strengem Blick und kam auf mich zu.

“Na, ich hatte Durst” sagte ich immer noch lispelnd, und Hunger hatte ich auch.

“Was?” fragte Arthur der kein Wort von dem verstanden hatte was ich sagte.

“Ich sagte ich hatte Durst” sagte ich erneut, und versuchte diesmal besonders langsam und deutlich zu sprechen.

“Ah Durst” wiederholte Arthur. Ich nickte eifrig.

“Aber wie hast du den Becher denn wieder voll bekommen?” fragte Merlin der sich jetzt auch in das Gespräch einmischte.

Beschämt wand ich mich ein wenig und druckste etwas herum.

“Ähm.. naja” sagte ich und wollte es nicht recht zugeben.

“Also?” fragte Arthur nun auch. Ich hörte es in seiner Stimme und sah es auch in seinem Blick dass er jetzt ungeduldig wurde. Also gab ich nach.

“Ich hab etwas von dem da benutzt” sagte ich und fühlte mich sofort schlecht. Mit einem Finger zeigte ich auf den Blauen Sand der immer noch verstreut um das kaputte Stundenglas auf dem Boden lag.

Heißes Blut schoss mir in den Kopf, und ich hatte das Gefühl er würde erneut anschwellen. Aber das waren wohl nur die Schuldgefühle.

“Du hast was getan?” frage Arthur erneut, der wieder nur sehr wenig verstanden hatte.

“Warte das haben wir gleich” sagte Merlin, ging zu einer kleinen Anrichte in der Ecke, nahm einen Holzbecher und füllte eine weiße Flüssigkeit aus einem Steinkrug hinein.

“Trink etwas hiervon” sagte Merlin, und reichte mir den Becher.

“Was ist das?” fragte ich unsicher und versuchte an der Flüssigkeit zu riechen.

Ich hatte einmal etwas aus diesem Raum getrunken, und mein Ballon hatte die Form einer Wassermelone angenommen. Auf ein weiteres Experiment dieser Art konnte ich gerne verzichten.

“Das ist Milch. Frische Ziegenmilch” sagte Merlin, und fügte rasch noch “die wird dir helfen” auf meinen kritischen Blick hinzu.

Behutsam führte ich den Becher an meine Lippen und trank erst einen, dann noch einen zweiten, dann sogar einen dritten großen Schluck und leerte den Becher.

“Ah” sagte ich als ich den Becher absetzte.

“Besser?” fragte Merlin. “Besser” antwortete ich, gefolgt von einem kleinen Rülpser.

Ich entschuldigte mich, aber die anderen Männer lachten nur.

“Was war das für ein Zeug was ich da getrunken habe?” fragt ich nachdem wir uns alle wieder beruhigt hatten.

“Das war ein Schwelltrank an dem ich arbeite” sagte Merlin, aber er ist noch nicht ganz fertig, wie du sicherlich feststellen musst. Darum hatte ich ihn auch weggekippt” sagte er und wies aus dem Fenster.

“Oh ja, da hast du recht. Fertig kann der noch nicht sein” entgegnete ich, und wieder mussten wir drei lachen.

“Sag mal” forderte Arthur mich auf, “wie hast du denn eigentlich wieder hergestellt, wenn Merlin ihn doch aus dem Fenster gekippt hat”.

“Ähm.. na ja wie ich eben schon gesagt hab, hab ich etwas davon benutzt” sagte ich kleinlaut, und wies erneut auf den Fußboden.

Hier lag immer noch das zerbrochen Stundenglas umgeben von dem bläulichem Sand, und der Apparatur.

“Du hast was?” fragten Merlin und Arthur fast wie aus einem Mund.

Die Bewacher der Zeit

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