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Was bedeutet Jagd? Versuch einer Definition

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Wer sich auf den Weg macht, um den Mutationen der Jagd im Wandel der Zeiten zu folgen, steht alsbald vor der Frage, was denn Jagd eigentlich sei. Die bislang kürzeste Definition dürfte jene von Lindner sein; sie lautet: „Jagd ist zweckbewusste Verfolgung von Tieren.“3

Gegen diese Definition Lindners, die der Jagd einen rein teleologischen Charakter zuschreibt, haben sich sowohl Ortega y Gasset4 als auch Müller-Using5 gewendet. In seinem Aufsatz „Ethik des Waidwerks“6 betont Müller-Using – wie auch Ortega – den „Beutetrieb als Motor unseres jagdlichen Tuns“. Während Lindner, aber auch Wolfgang von Beck7 in der Jagd ein menschliches Phänomen sehen, ist Jagd Ortega y Gasset und Müller-Using zufolge das, was ein Tier ausübt, um sich eines seiner eigenen Gattung vital unterlegenen anderen Tieres lebendig oder tot zu bemächtigen.

In der Jagd als Sport – in dem der Mensch gleichsam die Natur nachahmt – erblickt Ortega einen freien Verzicht des Menschen auf die Überlegenheit seines Menschentums; dadurch begründet, dass der Mensch dem Tier einen „Spielraum“ überlässt und sich „Schranken“ auferlegt (beispielsweise im Hinblick auf die Schonzeit).

Der so gut wie allen Definitionsversuchen gemeinsame Ansatz ist ein visuell wahrnehmbarer Sachverhalt, nämlich das Verfolgen und Bemächtigen; der Denkanstoß für alle Definitionsversuche und letztlich die Definition der Jagd selbst gründen nicht im Abstrakten, intellektuell Spekulativen, sondern in einem faktischen, geradezu greifbaren Ereignis.

Dieses Ereignis bleibt gattungsgemäß nahezu immer stereotyp; der Wolf jagt seit eh und je im Rudel, der Leopard für sich allein, immer unter Einsatz der gleichen „Waffen“. Anders das vom Menschen praktizierte Verfolgen und Erbeuten. Dieses weist ein hohes Maß an Variabilität auf. Dass der Sachverhalt – Verfolgen und Erbeuten – nicht dem Tatbestand „Jagd“ subsumierbar sein soll, sondern nur als sportliche Nachahmung zu verstehen sei, kann nicht überzeugen. Die Art der Jagdausübung und die dahinterstehende Absicht des Menschen ändern nichts am Grundtatbestand des Verfolgens und Erbeutens.

Zweifelsohne erfordert die Jagdausübung eine Reihe sportlicher Eigenschaften und Fähigkeiten. Die gänzliche Zuordnung zum Sport ist einerseits keine Definition, sondern eine Qualifikation, das heißtWertung der Jagd. Andererseits sagt Ortega: „der Jäger jagt nicht, um zu töten, er tötet, um gejagt zu haben.“ Er sagt aber auch: „der Jäger bringt den Tod.“8

Sowohl der historische Rückblick auf die Entwicklung der Jagd als auch die vorangeführten Feststellungen Ortegas erweisen die Gleichsetzung von Jagd und Sport als nicht haltbar. Die Jagd war schon in grauer Vorzeit Nahrungsquelle und Übung im Gebrauch von Waffen.

Sie ist heute wie damals Nahrungslieferant, gegenwärtig aber auch Garant ausgewogener Ökologie, darüber hinaus eines der ältesten Kulturgüter der Menschheitsgeschichte und – wie eh und je – auch Freude, ja Leidenschaft am Ursprünglichen in der Natur, soweit diese Gabe in ihrer Ursprünglichkeit im Sog der Zivilisation noch nicht verdorrt ist. Sie gewährt dem, der sich dafür öffnet, Einblick in die Grundbefindlichkeit des Daseins, in die Allgegenwart von Leben und Tod. Sie bewahrt davor, in Selbstbetäubungen der mannigfaltigsten Art zu flüchten, um sich an den indisponiblen Realitäten und existenziellen Erfordernissen vorbeizuschwindeln.

Nach Gerhard Budig9 war (ist) die Jagd Versorgung, aber auch Abwehr, Naturfreude, Repräsentation, Zucht und Naturschutz. Lange Zeit war das Wissen um die komplexen Zusammenhänge unseres Daseins Allgemeingut. Die Jagd – vom Menschen ausgeübt – war stets von einer Sinnhaftigkeit überwölbt, die über das rein Sportliche hinausweist. Ortega selbst meint im Übrigen, man müsste den Menschen Jäger nennen, hieße er nicht schon Mensch.

Zu Ende gedacht, bedeutet diese Feststellung eine Identität von Mensch und Jagd – oder anders gesagt: eine Selbstverwirklichung des Menschen in der Jagd; ein Umstand, der über die Kategorie Sport hinausgeht, auch wenn der ein oder andere Jagdausübende das Todbringen subjektiv als Sport erlebt oder vormals erlebt hat.

Lässt man also den „Sport“ beiseite und bedenkt Dianas Launenhaftigkeit, die der Mühe oft den Erfolg versagt, so bietet sich folgende Definition an:

Die Jagd ist auf Tötung ausgerichtete Verfolgung von Tieren, die dem Verfolger graduell unterlegen sind.

Der Beute auf der Spur

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