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Zeugnisse der Vergangenheit Bedeutende europäische Fundstellen

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Jagd und die Jagdleidenschaft bestimmten das ursprüngliche Verhältnis des Menschen zur belebten Natur, wie zum Beispiel die Weltausstellung 1971 in Budapest unter dem Titel „Waidwerk der Gegenwart. Mensch und Natur im Einklang“ deutlich machte. Die Zeugnisse dafür sind nahezu unbegrenzt. Ständig werden neue „Schätze“ ans Tageslicht befördert.

1974 machten Archäologen der DDR neue sensationelle Funde von altsteinzeitlichen Jägerhorden, die bereits vor 350.000 Jahren in Mitteleuropa in der Waldsteppenlandschaft der Hohlstein-Warmzeit auf Großwild jagten. Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften der DDR legten Prähistoriker vom Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) in Bilzingsleben an der Wippra eine Jägerlagerstation altpleistozäner Urmenschen frei.

Abgesehen von ähnlichen Funden in China wurde die bislang wohl älteste Jägersiedlung Europas an der französischen Riviera (bei Nizza) freigelegt. In 15 Metern Tiefe fand man diesen fast 400.000 Jahre alten Siedlungsplatz auf einer Düne, der als Rastplatz für die Sommerjagd sowie für den Fischfang diente. Durch die Freilegung bedeutender prähistorischer Fundstellen konnten ganze Jägerstationen nachgewiesen werden, die uns einen Einblick in das Wesen der Jagd des homo sapiens fossilis gewähren.

Neben den prähistorischen Fundstellen mit fossilem Knochenmaterial weisen noch andere Quellen auf die Bedeutung der prähistorischen Jagd hin; sie gelten als die ältesten authentischen Belege künstlerischen Schaffens. Diese einzigartigen Bilddokumente schufen Jäger vor mehr als 20.000 Jahren. Sie zeichneten auf den Fels der Höhlen jene Jagdtiere, die sie zu erbeuten hofften.

1868 fand man anlässlich der alljährlichen Treibjagd in der zerklüfteten, sonnendurchglühten Karstlandschaft nahe des nordspanischen Küstenstädtchens Santillana del Mar die Höhle von Altamira. Der Hund eines Jagdhüters war hinter einem Fuchs her und verschwand mit diesem in einem Erdloch. Sein klägliches Winseln brachte die Jäger auf seine Spur und zu diesem einmaligen Schatz.

1875 stieß man nahezu an derselben Stelle auf die inzwischen weltberühmt gewordenen „Altamira“-Funde. Die zwölfjährige Tochter des Grafen Don Marcelino Sanz de Sautuola, Maria, entdeckte während einer der vielen eingehenden Untersuchungen des Höhlensystems durch ihren Vater an der niedrigen Decke des „Höhlensaales“ prachtvoll leuchtende Tiergemälde in Rot, Braun und Gelb. Ihr spontaner Ausruf: „Papa, mira toros pintados!“ (Papa schau, gemalte Stiere!) wurde weltbekannt. Sie hatte die ersten bedeutenden prähistorischen Höhlenzeichnungen entdeckt; nach ihr wurde denn auch die Höhle benannt.

Fortlaufend wurden und werden Gerätschaften, die der Jagd in der Urzeit dienten und uns die kulturschaffende, weil inspirative Kraft der Jagd vor Augen führen, entdeckt. Die Kunstwerke der verschiedenen Jägersippen im mittleren und späten Magdalénien, der ausklingenden Epoche der Altsteinzeit, werden heute von Touristen aus aller Welt aufgesucht und bewundert; die Funde in Lascaux etwa werden jährlich von gut 100.000 Besuchern frequentiert.

Der Kult, Ursprung der Kultur, ist ein Phänomen, das sich erstmalig in den Jägerlagern vor 15.000 bis 20.000 Jahren in Form urgeschichtlicher Jagdmagie vorfindet. Die damit verbundenen magisch-religiösen Riten und Bräuche sind bei vielen Völkern teilweise bis heute erhalten. Durch die stark emotionale Wirkung der abgehaltenen Zeremonien sollten die Jagdgründe immer wieder aufs Neue durch Wild aufgefüllt werden.

Die Jagd war, ausgehend von den kultischen Ritualen der Urzeit, das kultur- und ordnungsstiftende Ferment schlechthin und ist es zu einem Gutteil auch heute noch. Dabei sei, gemäß den Worten des Nationalökonomen Walter Eucken, „nicht nur an traditionelle Ordnung, an Gesetze und Sitten gedacht, sondern auch an den Geist, in dem die Menschen leben und in dem sie sich an die Spielregeln halten“.10

Die Zweckbestimmung der Jagd hat sich allerdings – wie im Folgenden noch aufzuzeigen sein wird – im Laufe der Geschichte ständig geändert. Das auf das Erlegen von Wild gerichtete, triebhaft begründete Handeln (Müller-Using11), wurde als rücksichtslose Verfolgung des Tieres von Volk zu Volk durch verschiedene rationale und ethische Komponenten „gebändigt“. Gesetze, Sitten und Bräuche regelten zunehmend die Befugnisse des Subjekts, seine Beziehung zum Tier und dem Lebensraum des Wildes; es wurden Jagdsysteme, als rechtlich-soziale Ordnungsgefüge, aus denen sich die Nutzungsmöglichkeiten der Jagd ergeben, Teil der Wirtschaftsordnung.

Der vorläufige Schlusspunkt dieser Entwicklung war die definitive Überwindung eines rein okkupatorischen Wesens der Jagd. Das Einbringen des Gedankens, den Schöpfer im Geschöpf zu ehren, des naturschutzethischen Gedankens, den der Hege, im Sinne einer zielbewussten Leitung der Naturkräfte, der Waidgerechtigkeit, die nicht nur das Bewahren des Wildes vor unnützen Qualen (Tierschutzethos), sondern auch die Achtung vor den Gesetzen, die auch das Verhalten gegenüber den Mitjägern impliziert, wurden – um nur einige Beispiele anzuführen – zu allgemeingültigen Grundsätzen und fanden mindestens teilweise auch ihren legislativen Niederschlag. Sie sind in Europa aber nicht überall verwirklicht.


Höhle von Altamira in Spanien: Polychrome Deckenmalerei (M. Sanz de Sautuola, 1880)

Die Jagdethik aber ist keine Erfindung der Neuzeit. Ferdinand von Raesfeld berichtet uns davon, dass

die alten Donaukelten … beim Hasenhetzen, einer damals viel gebräuchlichen Jagdart, … auf einen Hasen immer nur zwei Hunde geschnallt (gehetzt) werden durften, um auf diese Weise dem Wild eine Chance zu geben; ein Brauch, der schon eine gewisse ethische Auffassung der Jagd verrät.12

Die damaligen Beschwernisse und die Bedeutung der Jagd als Nahrungsbeschaffungsquelle zeigen, dass dieses Verbot wohl ausschließlich von den Postulaten der Fairness, der Moral, der Ethik getragen waren, eben der Waidgerechtigkeit – im diametralen Gegensatz zur Zweckmäßigkeit. Wie schrieb doch Ortega y Gasset:

Die Jagd ist eben wie jede menschliche Tätigkeit in ihre Ethik eingebaut, die Tugenden von Lastern unterscheidet.13

Otto Koenig bezeichnet den Menschen in seiner ökologischen Funktion am Anbeginn seines stammesgeschichtlichen Werdeganges treffend als „Wildbeuter“; d. h., dass er jagt und sammelt14 und dies in Auseinandersetzung mit den wechselnden Formen der Umwelt.

Bei der Erforschung der Zeit vor dem Einsetzen der Geschichtsschreibung ist die Wissenschaft vor allem auf Sachfunde und die narrative Kraft der bildlichen Darstellungen an den Wänden der entdeckten Höhlen angewiesen. Bestanden die ersten zum Erlegen des Wildes „entdeckten Waffen“ aus hierzu geeigneten Tierknochen, waren es später selbst gefertigte Steinmesser und ebensolche Beile. Diese „Werkzeuge“ wurden an den unterschiedlichsten Fundstellen zu Tage befördert, überwiegend aber an Plätzen, an denen die Jagdrituale vom Urmenschen bildlich festgehalten wurden. Zu den bedeutendsten Zeichnungen, die einen paläolithischen Menschen beim Vollzug eines (Jagd-)Rituals zeigen, gehört der in der Wissenschaft so bezeichnete „Zauberer“ in der Höhle von Trois Frères im Département Ariège/Südfrankreich. Er ist in eine Wildpferddecke gehüllt, trägt eine Tiermaske, einen langen Bart, Wolfsohren und ein Hirschgeweih, und sucht die mit ihm dargestellten Jagdtiere unter Einsatz magischer Kräfte zu bannen.

Zeichnung einer Hirschkuh in der Höhle von Altamira (Kopie aus dem Mährischen Landesmuseum, Brünn)

Für den interessierten Leser seien an dieser Stelle einige Beispiele der derzeit bedeutenden europäischen Fundstellen der „Urgesellschaft“, „Jägerstationen“ genannt, angeführt:

Altamira (Spanien), entdeckt 1875/79 mit dem berühmten Deckenfries im „Großen Saal der Tiere“; insgesamt sind in diesem Saal rund 150 Tiere, vorwiegend Wisente, Hirsche und Pferde, dargestellt;

Cueva de El Castillo (Spanien): Höhle, entdeckt 1903 mit ca. 25 menschlichen Handabdrücken sowie zahlreichen Tierdarstellungen;

El Pindal (Spanien): Höhle, entdeckt 1908, über dem Golf von Biskaya gelegen; hier finden sich nebst Darstellungen von Wildpferden, Bisons und Hirschen auch Abbildungen eines Elefanten und eines Seefisches (!);

Felszeichnungen von Pferden und Händen aus der Zeit des Gravettian (Jüngere Altsteinzeit) in der Höhle Pech Merle in Frankreich, die 1922 entdeckt wurde (Kopien aus dem Mährischen Landesmuseum, Brünn)


Felszeichnungen in der Höhle von Lascaux, die einige der ältesten bekannten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte enthält (Kopien aus dem Mährischen Landesmuseum, Brünn)

La Pasiega (Spanien): 1911 mit reich verzweigten Höhlen sowie 226 farbigen Felsmalereien und 36 Gravuren entdeckt;

Font-de-Gaume (Frankreich): Höhle, entdeckt 1901 mit über 200 Felsmalereien (Tierdarstellungen);

Lascaux (Frankreich): jungpaläolithische Höhle im Tal der Vézère bei Montignac, enthält einige der ältesten bekannten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte;

Les Trois Frères (Frankreich): Höhle, entdeckt 1904 mit über 600 gravierten Tierabbildungen und der Darstellung eines „tanzenden Schamanen“;

Niaux (Frankreich): Höhle, entdeckt 1906 mit gut erhaltenen Felsmalereien im sogenannten Schwarzen Saal;

Pech Merle (Frankreich): entdeckt 1922, die größte aller bisher entdeckten Höhlen mit Felsmalereien; hier mit meist schwarzen Tierabbildungen;

Rouffignac (Frankreich): Höhle, entdeckt 1956 mit teils gravierten, teils schwarzen Tierabbildungen und hervorragenden Nashorn- und Mammutdarstellungen.

Die Forschung qualifiziert diese und ähnliche Darstellungen als Wunschdenken der eiszeitlichen Jäger, d. h. als ihren „Jagdzauber“. Die Wurzeln dieses Jagdzaubers lassen sich bis in die Zeit der paläolithischen Jägersippen zurückverfolgen. Durch eine Art Analogiezauber, d. h. durch Jagdopfer, Jagdtänze sowie durch magische Handlungen, sollte reichliche Jagdbeute beschworen werden. Dieser Analogiezauber wurde vollzogen, indem man die Jagdwaffen auf die Felsbilder warf, in dem Glauben, die Waffen würden so wie hier die Tiere auch im tatsächlichen Jagdgeschehen treffen.

Brentjes verwies 1968 auf diese Zusammenhänge, besonders darauf, dass Voraussetzung für die Wirksamkeit des Rituals eine tunlichst naturgetreue Wiedergabe der zu bejagenden Wildart war, was denn auch die erstaunliche Qualität der dargestellten Tiere erklärt. Die Bilder hatten nicht die Bedeutung von Kunstwerken; sie galten vielmehr als Realitäten. Die magisch-religiösen Riten und Bräuche sind bei einfachen Jagdvölkern bis zum heutigen Tag erhalten.

Besonderer Erwähnung bedarf in diesem Zusammenhang der Bärenkult, der sich vorwiegend bei sibirischen und nordamerikanischen Jägerstämmen entwickelt hat. Man erwies dem erlegten Bären eine hohe Verehrung; nach der rituellen Tötung des gefangenen Bären wurde er als Gast behandelt. Man opferte ihm und hielt ihm Reden. Nach den Vorstellungen der Jäger sollte das Tier durch magische Handlungen wieder ins Leben zurückgerufen werden; man glaubte, dass dieser Bär sich infolge des Rituals in einen anderen, jungen Bären verwandeln würde, um so weiterzuleben.

Der Beute auf der Spur

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