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8. Kapitel

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Pizarrini hatte sich, als er noch eine Portion Croûtons bestellte, zweifellos zuviel zugemutet. Außerdem hatte er auch zu hastig und unbeherrscht gegessen; denn während er das köstliche Mahl schon beendet hatte, waren Schmidbruch und Podesta noch mitten darin. Jener schweigsam und mit behutsamem Genuß, dieser mit nicht weniger Freß- und Trinkfreude, aber auf eine andere Art: laut, ungeniert, seine Erzählung immer wieder mit Ausrufen des Entzückens und Wohlbehagens unterbrechend.

Pizarrini hatte sich zweifellos zuviel zugemutet.

Er saß bei einem weiteren Glas Wein, das er sich – unbeholfen und seiner tolpatschig gewordenen Hände nicht mehr sicher –, nicht ohne dabei etwas Wein zu verschütten, selbst nachgeschenkt hatte, und starrte trübselig vor sich hin. Es war ihm nicht gerade übel, aber Wohlbehagen war es auch nicht, was er empfand. Er hatte zuviel gegessen. Er kannte das. Immer, wenn er zuviel gegessen hatte, immer, wenn übermäßige Sattheit auf ihm lastete wie eine unerkennbare, sich nicht offenbarende Schuld, dunkelten ob seinem Haupt die schwarzen Schatten der Melancholie.

Er mußte rülpsen.

„Was bewegt Sie so?“ fragte ihn Präsident Schmidbruch teilnahmsvoll.

Pizarrini deutete auf den nassen Fleck verschütteten Weins, der inzwischen etwas kleiner geworden war, und sagte leise: „Die weißen Flecken auf dem Globus unserer Erde werden kleiner und kleiner. Bald werden sie ganz verschwunden sein. Ein paar Flecken noch im brasilianischen Urwald, ein paar in der Antarktis. In wenigen Jahren werden auch sie fein säuberlich kartographiert sein, und wir werden uns einbilden, unsere Erde nun ganz zu kennen. Aber, werden wir sie kennen, Herr Präsident, Herr Ingenieur Podesta? Glauben Sie wirklich, meine Herren, daß wir deshalb unsere Erde nun ganz kennen werden, weil auf dem lächerlichen Stück Papier, das wir Landkarte nennen, kein Fleck mehr frei sein wird, auf dem nicht irgendwelche Farben und Zeichen Gebirge, Wasser, Wüste oder ähnliches bedeuten werden? Nein, meine Herren“, er deutete abermals auf den nassen Weinfleck hin, „die weißen Flecken des Globus mögen kleiner und kleiner werden, sie mögen schließlich ganz verschwinden, aber der Wein, der verschüttet wurde, bleibt verschüttet. Daran kann kein Mensch mehr etwas ändern.“

Es war Präsident Schmidbruch und Ingenieur Podesta nicht anzumerken, welchen Eindruck die schwermütigen Betrachtungen Pizarrinis auf sie gemacht hatten. Gerade mit Teilen des Brathuhns beschäftigt, die ihre ganze und ungeteilte Aufmerksamkeit beanspruchten, waren sie außerstande, ihm zu antworten, und nickten ihm statt dessen nur einige Male ernst zu. Pizarrini, das muß zu seinem besseren Verständnis gesagt werden, hatte sich allerdings von ihnen auch gar keine Antwort erwartet. Er fühlte die eisige Luft der Einsamkeit um sich wehen und nahm ihr eifriges Nicken nur wie von ferne wahr. Was sollten die ihm auch antworten? Schmidbruch? Podesta? Wer waren diese Leute schon? Ein Präsident, ein Ingenieur, gut, aber was sollten sie in jenen Bezirken, in denen er sich jetzt befand? Überhaupt dieser Podesta. Was für einen Lärm der beim Essen machte. Und warum erzählte er immer nur von Präsident Schmidbruch? Schmidbruch, ja, Schmidbruch war Präsident der Interkontinentalen Speisewagen AG, den mußte er sich warmhalten. Aber dieser Podesta da, dieser Podesta …

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