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10. Kapitel

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Bis hierher wußte Pizarrini genau, was er tat oder nicht tat, sagte oder nicht sagte, und wußte genau, was um ihn herum vorging, wußte auch, daß er berauscht war. Doch er hatte sich, trotz seines Rausches, ständig unter Kontrolle.

Nun aber geschah das Verhängnisvolle, daß Schmidbruch bei dem immer diensteifriger werdenden Kellner zum Nachtisch Käse bestellte.

Diese Schmidbruchsche Käsebestellung wäre an sich nicht schlimm gewesen, hätte sie nicht Podesta ebenfalls zu einer Bestellung angeregt. Und Podesta bestellte weder Käse noch sonst etwas Eßbares, er bestellte eine Flasche echten holländischen Genevers.

„Eine gute Idee!“ lobte Schmidbruch seine Bestellung.

„So jung kommen wir nicht mehr zusammen“, antwortete Podesta und dachte mit Wohlbehagen an die gefüllte Brieftasche Pizarrinis.

Der Kellner brachte drei Portionen Bel Paese.

Pizarrini kostete davon und nickte Schmidbruch und Podesta anerkennend zu. Und von Käse verstand Pizarrini etwas. Daß er jeden Tag Punkt zehn Uhr vormittags eine Käsesemmel als Jause verzehrte, hatte schließlich seinen Grund. Mochten die anderen Angestellten des Geschäftes sich ruhig über diese Angewohnheit, die er wie alles, was er unternahm, mit Akkuratesse einhielt, lustig machen. Nur einem Buchhalter, meinten sie diese, diese Ladenschwengel, auf die er mit Verachtung herabsah, nur einem Buchhalter könne es nicht zu fad werden, jeden Tag Punkt zehn Uhr eine Käsesemmel zu verzehren.

„Das ist Charaktersache“, pflegte er derartige Anzüglichkeiten kurz und bissig abzutun. Er hätte diese Pflanzereien übrigens leicht ein für alle Mal abstellen können. Er hätte ihnen nur zu sagen brauchen, daß er jeden Tag eine andere Käsesorte esse, und es wäre ihnen vermutlich vor solcher Vielfalt der Mut zu weiterem Spott vergangen. Aber wozu das? Die Auswahl seiner täglichen Käsejause war schließlieh seine Privatsache, und er fühlte sich niemand darüber Rechenschaft schuldig. Er betrachtete diesen Umstand gewissermaßen als eine Art persönlichen Geheimnisses, von dem außer ihm nur noch die Inhaberin jenes Käsespezialgeschäftes wußte, in dem er sich täglich seine Käsesemmel persönlich zu holen pflegte.

Frau Bütschli, die Inhaberin dieses Käsespezialgeschäftes, war Schweizerin. Sie lebte jedoch schon lange, lange Jahre hier und führte das Geschäft ihres an einer Wurstvergiftung, die er sich in einer schwachen Stunde zugezogen hatte, früh verstorbenen Mannes zur größten Zufriedenheit ihrer p.t. Kundschaft weiter.

Frau Bütschli verstand etwas von Käse. Sie führte in ihrem kleinen Geschäft über dreihundert verschiedene Sorten und konnte über hundert Sorten allein durch bloßes Daran-Riechen erkennen.

Sie behandelte alle Kunden gleich. Pizarrini jedoch, den sie schon von Kindheit an kannte, liebte sie mit der ganzen Gutmütigkeit ihres bescheidenen Wesens. Der Grund hierfür mochte wohl der sein, daß Pizarrini schon als Schulbub alle ihre übrigen Kunden weit an Käsekenntnis überragte und eigentlich seit dem Tod ihres Mannes der einzige Mensch war, mit dem sie sich über Käse richtig unterhalten konnte. Sie hatte sogar einen Kosenamen für ihn und nannte ihn, wenn er allein im Geschäft war: „Chäsy“.

„Chommen Sie, Chäsy, heute habe ich etwas für Sie!“ pflegte sie manchmal zu sagen und steckte ihm schnell ein paar Quargel oder einen besonders würzigen Romadur in die Tasche. Ach ja, von Käse verstand er etwas. Anders war es mit dem Genever, an den mußte er sich erst gewöhnen.

Podesta behauptete, daß er gut sei, und Schmidbruch pflichtete ihm bei. Was blieb ihm da schon anderes übrig, als ihn ebenfalls zu loben. Er roch daran und sagte: „Wirklich vortrefflich!“

„Trinken Sie, trinken Sie, so können Sie noch gar nichts sagen.“

Was blieb ihm anderes übrig, er nahm sein Glas und trank es aus. Als er es wieder vor sich hinstellte, wußte er genau, daß er die Grenzen seiner Selbstkontrolle damit endgültig überschritten hatte. Das einzige, was er in jene unbekannten Räume, in die er nunmehr hineintorkelte, mitnahm, war eine Art innerer Befehl, sich aufrecht zu halten, sich aufmerksam zu stellen und sich so wenig als möglich von seinem wahren Zustand anmerken zu lassen. Ach, er wußte genau, was Podesta alles erzählte, er verstand jedes Wort, aber er war total unfähig geworden, sich mit Podesta oder Schmidbruch darüber in ein Gespräch einzulassen. Er registrierte gleichsam nur, was Podesta da alles zu erzählen wußte, und schrieb auf einen Bogen Packpapier: Zurückkommend auf Ihr wertes Angebot …

Von fern her hörte er, wie Schmidbruch zu Podesta sagte: „Ein Hochzeitsessen!“, und jener merkwürdigerweise antwortete: „Man muß die Feste feiern, wie sie fallen.“

Dann gratulierte ihm Frau Bütschli zu seiner Ernennung zum Oberbuchhalter bei der ISAG, sie erzählte ihm auch von einer neuen Chäsesorte, er hörte ihr aufmerksam zu und sagte mehrmals: „Interessant, interessant …“

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