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Podestas Erzählung 5
ОглавлениеDie kurze Unterredung mit Ferdinand war für Präsident Schmidbruch so aufschlußreich gewesen, daß er sich sofort nach seiner Rückkehr an ihre Auswertung machte. Er überflog noch einmal die kurzen Notizen, die er sich während des Gesprächs gemacht hatte:
a. Früher war überhaupt alles anders
b. Heute ist alles ganz anders
c. Nacktes Weib
d. Reklame
Er überlegte kurz und schrieb dann hinzu:
e. Genießer engagieren
Nach einer kurzen Weile aber strich er Punkt e wieder aus und schrieb statt dessen:
e. Podesta
Dann zog er sich aus und begab sich zur Ruhe.
Er schlief wie einer, der überzeugt ist, eine schwierige Aufgabe richtig gelöst zu haben.
(Wer war Podesta? Viele nannten ihn ein Ungeheuer, viele einen in seinem engeren Gebiet geradezu virtuosen Techniker, andere wieder hielten ihn für einen Scharlatan. Manche munkelten auch, daß er ein notorischer Säufer sei. Genaues …)
Jenes Spezialgebiet der Technik, das Podesta virtuos beherrschte, war die Elektronik und innerhalb dieser wieder der Bau von Homorobots. Roboter baute man ja schon lange. Diese Roboter, auch Maschinenroboter genannt, unterschieden sich von gewöhnlichen Maschinen lediglich dadurch, daß sie ein sogenanntes elektronisches Gehirn hatten, das es ihnen ermöglichte, größere und zum Teil sogar ziemlich komplizierte Arbeitsvorgänge ohne zusätzliche menschliche Steuerung auszuführen.
Die Homorobots nun unterschieden sich von den Maschinenrobotern lediglich durch ihre äußere Gestalt. Es waren menschengroße Puppen, die zuerst auf Betreiben des Militärs zu Versuchszwecken entwickelt worden waren, dann vom Film verwendet wurden und schließlich in großem Maß von der Vergnügungsindustrie. Es gab zum Beispiel eine große Vergnügungs-AG, die mit Homorobots riesige Gladiatorenkämpfe veranstaltete. Während man den in Serie hergestellten Homorobots ihren Puppencharakter sofort ankannte, war dies bei den von Podesta gebauten Einzelstücken sehr schwierig, ja, für Laien beinahe unmöglich.
Dieser Umstand allein hätte natürlich nicht dazu ausgereicht, Podesta für ein Ungeheuer zu halten. Den Ruf eines Ungeheuers verdankte Podesta ausschließlich der Tatsache, das heißt dem einen ganzen Komplex von Tatsachen umschließenden Umstand, daß er mit einigen der von ihm gebauten Homorobots ein Automaten-Bordell (er nannte es aus Tarnungsgründen gegenüber der von den Rechtschreibekünsten ihrer Klienten nur eine geringe Meinung habenden Gewerbebehörde: Automaten-Puffet) eröffnete, einen Selbstbedienungsladen der niederen Leidenschaften sozusagen.
Hatte nun diese Idee und ihre Verwirklichung zweifellos an sich schon etwas Ungeheuerliches und Verruchtes, so schien Podesta durch die Art, wie er sein Unternehmen rechtfertigte und verteidigte, durch die Argumente, die er dabei verwendete, noch um vieles verruchter. Kaltschnäuzig behauptete er zum Beispiel, seine Sexrobots, wie er diese spezielle Art der Homorobots nannte, gäben der Menschheit während ihrer jahrtausendealten Geschichte das erste Mal Gelegenheit zur Verwirklichung der wahren Freiheit des Individuums. Seine Sexrobots, reine Geschöpfe des Verstandes, ohne eigentliches Leben, durch spezielle Gedächtnisschaltungen jedoch geladen mit erotischen Lavamassen und so imstande, Phantasie schlagartig in greif- und fühlbare Wirklichkeit umzusetzen, seien ein eklatanter Beweis für das Primat des Geistes. Keine Religion der Erde, dies war eines seiner Hauptargumente, kenne den Begriff eines sündhaften Umganges mit Maschinen.
Seine Sexrobots erschlössen neue Wirklichkeiten, sie seien der Schnittpunkt des Menschen mit der Idee der Technik schlechthin, in ihnen transzendiere die Technik in das Menschliche, sie ermöglichten das erste Mal, der sokratischen Forderung des „Erkenne dich selbst“ im vollen Seinsumfang zu entsprechen, sie stellten die Existenz des Individuums in Frage und gäben sie ihm gerade dadurch wieder zurück, sie erhöben die Sinnlichkeit zur Seinlichkeit, triebhafte, amorphe Gelüste durch die Gedächtnisschaltung zu profiliertem, beharrendem Sein, sein Sein seien sie Seiendem und so weiter und so fort.
Dies aber war nur eine Seite der Podestaischen Rechtfertigungen. Er scheute sich nämlich nicht, die Frage der Sexrobots etwa auch im Lichte der Fremdenverkehrswirtschaft zu betrachten, und hatte sogar die Stirn, in einem öffentlichen Brief ihre Umwandlung in ein Staatsmonopol zu beantragen.
Ebensowenig scheute er sich natürlich, für sein Unternehmen regelrechte Reklame zu betreiben, die zur Hauptsache auf die Billigkeit und Harmlosigkeit seiner Sexrobots hinwies.
Aber es sollte nicht lange dauern, und die zunächst schockierte Öffentlichkeit holte zu vernichtenden Gegenschlägen aus, die schließlich zur polizeilichen Schließung des Unternehmens führten. Es war das Präsidium des Verbandes bodenständiger Bordellbesitzer, das in einer aufrührenden Resolution zuerst flammenden Protest gegen das Bestehen des Podestaischen Automaten-Puffets einlegte.
In der Resolution wurden die Sexrobots als grober Betrug am gesunden Volksempfinden, als eine unabsehbare Gefährdung der Volksgesundheit und damit als verfassungswidrig bezeichnet und ihre vollständige Vernichtung gefordert.
Natürlich fehlte es nicht an Stimmen, die hämisch die moralische Entrüstung, die aus jedem Wort dieser Resolution sprach, als puren Geschäftsneid in den Dreck zu ziehen versuchten, aber sie verstummten, als bald darauf der Verband abendländischer Militärtechniker in einer kurzen Veröffentlichung lakonisch mitteilte, daß Podesta wegen unehrenhafter Erfindungen aus dem Verband ausgeschlossen worden sei. Ein hervorragendes Mitglied des Verbandes führte dazu im Rahmen einer allgemeinen Pressekonferenz erläuternd aus, daß die modernen Kriegsmethoden zwar durchaus Möglichkeiten für den Einsatz von Sexrobots böten, und zwar nicht nur im verhältnismäßig begrenzten Gebiet des Nachrichtendienstes; daß aber ihre Art zu funktionieren im Gegensatz zu den herkömmlichen Waffen wie Atombomben, Gasgranaten et cetera den fundamentalsten Begriffen der Menschlichkeit und Fairness widerspräche und daher ein internationales Verbot zu erwirken sei, das ihre Anwendung strengstens untersage.
Der Verband kommunistischer Militärtechniker schloß sich dieser Forderung sofort an und führte dazu in einem längeren Artikel seines Zentralorgans „Für Frieden und Freiheit“ aus, die Sexrobots des Scheusals Podesta, ursprünglich dazu bestimmt, die Werktätigen von ihren wahren Interessen abzulenken, hätten sich, zurückprallend von der geschlossenen Front aller wahrhaft fortschrittlich denkenden Menschen, in einen Bumerang verwandelt, der nun seine Urheber, die in den kapitalistischen Sümpfen hausenden Verbrecher, Banditen, Blutsauger und Ohrenschmalzfresser, selbst bedrohe. Deshalb fordere man auf kapitalistischer Seite dieses Verbot.
Eine Forderung, der man sich anschließe, nicht weil man von Sexrobots etwas zu befürchten hätte, sondern weil man im Gegensatz zur Dekadenz der verfallenen und verkommenen kapitalistischen Welt den Mut habe, eine Sache auch dann zu verbieten, wenn sie einem nicht schaden könne.
Und nun erfolgten in nicht abreißender Reihenfolge Proteste auf Proteste. Jeder Protest von rechts löste einen solchen von links aus und umgekehrt, und die Eintracht, mit der Podestas Sexrobots abgelehnt wurden, hätte durchaus echt gewirkt, hätten nicht gewisse Erscheinungen am Rande des Geschehens unübersehbar davor gewarnt, sie tatsächlich für echt zu halten. Erscheinungen, die bald erkennen ließen, daß diese sogenannte Einheit der Aktion, wie ein diesbezüglicher Leitartikel einer parteilosen Kulturzeitung betitelt war, lediglich in dem kümmerlichen Feuerchen bestand, auf dem alle ihr Süppchen kochen wollten. Was Wunder, daß es dabei ausging.
Nachdem ein antiklerikales Winkelblättchen in einer groß aufgemachten Sondernummer sich zu der Behauptung verstiegen hatte, Podesta sei ein jüdischjesuitischer Freimaurer, der mit Hilfe seiner bolschewistischen Helfershelfer im Auftrage Wallstreets die gesunden, nationalen Kräfte …, nachdem dies geschehen war, griff die Staatsanwaltschaft endlich ein.
Zu ihrer Ehre muß festgestellt werden, daß sie zuerst jene Sondernummer beschlagnahmte und dann erst an die Beschlagnahme und Schließung des Podestaischen Automaten-Puffets schritt. Zum Glück fand sich ein alter Paragraph, der es gestattete, Podesta den Prozess zu machen und sein Eigentum für verfallen zu erklären. Denn es wäre nicht auszudenken gewesen, was passiert wäre, hätte die Rechtslage eine Entschädigung Podestas für die unumgänglich notwendig gewordene Enteignung seines Besitzes erfordert. Eine Revolution oder gar ein Niedergang der allgemeinen Steuermoral wäre die ebenso unausbleibliche wie katastrophale Folge gewesen.
Dank dieses alten Paragraphen jedoch ging noch einmal alles gut. Podestas Etablissement wurde geschlossen, seine Sexrobots wurden zu Gladiatoren umgebaut, und er selbst bekam eine mehrjährige Gefängnisstrafe aufgebrummt.
Als etwas Gras über die Sache gewachsen war, ließ man ihn wieder laufen.
Podesta war in der Haft scheinbar in sich gegangen. Er schwor dem weiteren Bau von Sexrobots feierlich ab und bekam durch die Vermittlung des Gefängnisgeistlichen eine Kassierstelle bei der Caritas. Leider jedoch fing er, nachdem er sich anfangs sehr gut geführt hatte, bald zu saufen an. In der Folge kamen einige kleine Unterschlagungen vor, die man ihm zwar nicht einwandfrei nachweisen konnte, und er wurde entlassen. In der nun folgenden Zeit ging es ihm schlecht. Er sah sich einem allgemeinen Boykott ausgesetzt und fristete sein Leben dadurch, daß er für vermögende Privatpersonen Sexrobots baute.
Die Polizei wußte zwar davon, doch lag ein geheimer Regierungsbeschluß vor, der sie am Eingreifen hinderte. Man hatte höheren Orts genug von Podesta. Außerdem standen Wahlen bevor.
Dies war die Lage Podestas, als ihm von Präsident Schmidbruch der Auftrag erteilt wurde, einen Homorobot zu bauen, der folgenden Bedingungen entsprechen müsse:
1. Er darf nicht als Robot zu erkennen sein.
2. Er muß essen und zahlen und auch eine gewisse Konversation führen können.
3. Podesta verpflichtet sich, gleichgültig ob er den Auftrag ausführt oder nicht, zu strengstem Stillschweigen.
Schmidbruch stellte ihm eine größere Summe zur Verfügung, und Podesta machte sich sofort an die Arbeit.