Читать книгу Das Ministerium für Sprichwörter - Otto Grünmandl - Страница 15

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9. Kapitel

„Entschuldigen Sie, wenn ich Ingenieur Podesta unterbreche, aber ich glaube, ich bin Ihnen hier eine Erklärung schuldig.“

Schmidbruch, der Podesta während der letzten Sätze zu verstehen gegeben hatte, daß er nicht mehr weiterwußte, wandte sich mit diesen Worten an Pizarrini und fuhr, ohne dessen Antwort abzuwarten, sogleich fort.

„Junger Mann“, er blickte Pizarrini ernst an, „junger Mann, glauben Sie nicht, daß ich mir nicht vorstellen kann, wie es jetzt nach diesen schrecklichen Enthüllungen in Ihnen ausschaut, in welch innerer Zerrüttung Sie sich jetzt befinden. Ihre Ideale haben unter diesem sich selbst am wenigsten schonenden Bericht meines verehrten Mitarbeiters schwer gelitten. Ich sehe es Ihnen an, was im Laufe weniger Minuten da in Ihnen zerstört worden ist. Nein, nein, unterbrechen Sie mich nicht; ich weiß, was Sie mich fragen wollen. Sie wollen mich fragen, wieso ich, Präsident Schmidbruch, einen Podesta als Mitarbeiter haben kann, wie ich von einem Podesta als ‚meinem verehrten Mitarbeiter‘ reden könne.“

Podesta warf ihm einen äußerst giftigen Blick zu, aber Schmidbruch ließ sich nicht stören.

„Sehen Sie, junger Mann“, begann er von neuem, „wenn man jung ist, versteht man manches nicht, aber seien Sie getrost, ich will es Ihnen erklären. Es ist die grandiose Schonungslosigkeit, mit der Ingenieur Podesta Ihnen, dessen Mitarbeit ich gewinnen möchte“, er machte eine kleine Pause, während welcher Pizarrini Zeit hatte, sich von Hoffnungen und Spekulationen freudig durchbohren zu lassen, „diese grandiose Schonungslosigkeit, mit der er Ihnen, einem an sich völlig fremden Menschen, seine schändliche Vergangenheit enthüllt hat. Sehen Sie, ein Mann, der im Interesse seines Chefs, im Interesse seiner Arbeit sich selbst so wenig schont, wie Ingenieur Podesta dies eben bewiesen hat, so ein Mann verdient Achtung, verdient sie selbst dann, wenn sein Vorleben, seine Vergangenheit mitunter recht schändlich verlaufen ist. In diesem Sinn, mein lieber junger Mann, fordere ich Sie auf, erheben Sie Ihr Glas und trinken Sie mit mir auf das Wohl unseres verehrten, jawohl, unseres verehrten Mitarbeiters, Ingenieur Podesta.“

Sie erhoben ihre Gläser und wollten Podesta zutrinken, als Schmidbruch bemerkte, daß Pizarrinis Glas leer war. Er wollte ihm nachschenken und bemerkte zu seiner Verwunderung, daß auch die Flasche leer war. „Herr Ober“, rief er mit keineswegs lauter, aber doch unüberhörbarer Präsidentenstimme, „Herr Ober, noch eine Flasche!“ Der Kellner eilte diensteifrig mit einer neuen Flasche herbei und schenkte ihnen nach. Pizarrini überlegte krampfhaft, daß er jetzt eigentlich irgend etwas Imponierendes tun sollte, aber es fiel ihm nichts ein.

Sie standen nun schon eine ganze Weile so da: mit erhobenen Gläsern und starrten auf den wie zum Sprechen leicht geöffneten Mund Pizarrinis. Endlich schien ihm etwas einzufallen. Er räusperte sich und sagte steif und würdevoll: „Auf Ihr Wohl, Herr Ingenieur, und auf Ihre grandiose Schonungslosigkeit!“

„Ex!“ befahl der Präsident und stürzte sein Glas eilends hinunter. Die beiden anderen taten es ihm gleich. Podesta schneuzte sich vor Rührung so laut, daß zwei ältere Damen an einem der Nebentische sträfliche Blicke zu ihnen herüberwarfen.

Rauchschwaden zogen wie Wolken ob ihren Häuptern dahin, die Billardkugeln klackten aneinander, und die Männer des Fußballvereins im Extrazimmer schrien dreimal: Hipp, hipp, hurra! Offenbar war die Sitzung beendet. Nur der weiße Hirsch oberhalb der Eingangstür blieb ruhig und blickte gelassen in die Rauchschwaden. Was konnte ihm auch schon passieren? Seinen Brüdern im Wald ging es da bedeutend schlechter, die durften geschossen werden. Aber er, er war ein geschnitzter Hirsch, ein Kunstwerk sozusagen, er durfte nicht geschossen werden. Er wußte das. Er hatte oft den Wirt mit den Leuten am Stammtisch darüber reden gehört. Es existierte da irgendeine Vereinbarung des Kulturministeriums mit dem Jagdministerium, daß Kunstwerke nicht geschossen werden dürfen. Er konnte es sich leisten, inmitten des Trubels einer gefüllten Gaststube ruhig zu bleiben und den Rauchschwaden nachzusinnen, die sich entlang des Plafonds zum Ventilator hinschlängelten.

Pizarrini hatte es da viel schwerer. Er hatte zwar gerade ein Hoch auf Podesta ausgebracht, aber er war doch ein viel zu gewissenhafter Mensch, als daß er die unmoralische Vergangenheit Podestas so ohne weiteres verwinden hätte können. Er konnte das von Schmidbruch nicht recht verstehen.

Endlich jedoch tröstete er sich mit dem Gedanken, daß große Männer bei der Wahl ihrer Mitarbeiter eben in erster Linie deren fachliche Qualitäten berücksichtigen müssen. Freilich, darunter muß die Moral oft leiden, aber das schien eben unvermeidbar zu sein. Er blinzelte zu Schmidbruch hin und dachte sich, mit mir jedenfalls trifft er es gut, bei mir ist beides in Ordnung, die Moral und die Qualität; das kommt, überlegte er weiter, weil ich als Buchhalter grundsätzlich für Ordnung bin.

„Herr Präsident“, sagte er unvermittelt zu Schmidbruch, so daß dieser fast erschrak, „Herr Präsident, ich bin in Ordnung. Auf meine Mitarbeit!“ „Ex!“ befahl Präsident Schmidbruch und stürzte eilends sein Glas hinunter. Seine Mitarbeiter taten es ihm gleich.

Podestas Erzählung

6

Man fand sich ein. Präsident Schmidbruch hatte zu einer Party geladen. Man fand sich im blauen Saal des Hotels „Drei Eichen“ ein. Keine Party übrigens, der ein außergewöhnlicher Anlaß zugrunde gelegen wäre, nein, lediglich eine der jährlich mehrmals stattfindenden Routine-Partys des Präsidenten. Eine Versöhnungsparty sozusagen, wie die Direktoren Dollmer und Sibers es genauer wußten. Man fand sich ein und wurde im großen Gang vor dem blauen Saal von zwei befrackten Kellnern um die Garderobe gebeten. Dann wurde man am Saaleingang von des Präsidenten Gattin, Alma der Alten, und des Präsidenten Tochter, Alma der Jungen, begrüßt. Der Präsident, hieß es, könne erst etwas später kommen, man möge sich jedoch inzwischen ungeniert umtun und sich um Himmels willen durch die Abwesenheit des Präsidenten nicht beirren lassen, die Party sei so gut wie eröffnet, es sei ausdrücklicher Wunsch des Präsidenten, daß nicht auf ihn gewartet werde.

„Ein prachtvolles Kleid!“ sagte Dollmer und starrte Alma die Junge an, als trüge sie überhaupt keines. Seine Blicke schweiften begehrlich über ihre nackten Arme, saugten sich an dem weiten Brustausschnitt fest und fielen dann jäh auf die hinter dem enganliegenden Rock sich wölbenden Schenkel hinab, fielen noch tiefer auf die großen, in hohe Stöckelschuhe gepreßten Füße hinab.

„Ein prachtvolles Kleid!“ wiederholte er.

„Gefällt es Ihnen, Dolli?“

Alma die Junge warf ihren Kopf zurück und hob ihre Arme in einer mannequinhaften Geste.

„Gefallen? Gnädiges Fräulein, es begeistert mich!“

Er fletschte seine Zähne: „Am liebsten würde ich es selbst haben.“

„Sie, dieses Kleid?“

Sie begann leise zu lachen, er war einen Kopf kleiner als sie, und sie sah beim Sprechen auf ihn hinunter.

„Dolli, darin würden Sie ja verschwinden.“

„Sie wissen, was ich meine, Alma.“

Eine Kapelle hatte zu spielen begonnen, und man fing zu tanzen an.

„Wollen wir auch?“

„Gerne, Dolli.“

Sie hielten sich eng umschlungen und schmiegten sich aneinander. Sie spürte seinen Körper. Seit langem schon wußte sie, daß er sie wollte. Er war ihr nicht unangenehm. Sie sah gerne sein kraftvolles Bulldoggengesicht an und schätzte seine knurrende Zurückhaltung. Sie kannte seine Zähigkeit und wußte, daß sie ihm nicht entgehen würde. Wozu sich wehren, dachte sie. Sie streifte seine Wange mit ihrem nackten Oberarm und sagte: „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Dolli.“

In Dollmer erwachte das Inferno seiner in langen Bürostunden zurückgestauten Leidenschaften. Er schnupperte und schnaubte in ihre Achselhöhle hinein, daß sie zusammenzuckte und sich auf die Lippen beißen mußte, um nicht aufzukreischen.

„Dolli, Dolli“, flüsterte sie.

„Alma, wir geben heute noch unsere Verlobung bekannt.“

Alma die Alte beobachtete sie mit zärtlichen Blicken und seufzte leise.

Als bald nachher Präsident Schmidbruch den Saal betrat, flüsterte sie ihm etwas ins Ohr. Präsident Schmidbruch nickte zweimal mit dem Kopf und ließ sich einen Cognac reichen.

Direktor Sibers war wahrscheinlich der einzige, dem bei dieser Party nicht recht wohl zumute war. Er wußte natürlich, daß Schmidbruch durch Einladung zu derlei Partys seine gelegentlichen Zornesausbrüche auszugleichen pflegte. Aber es wollte ihm trotzdem nicht aus dem Kopf, daß Schmidbruch ihm den Vorwurf des Kommunismus gemacht hatte. Sollte da wirklich nicht mehr dahinterstecken als ein normaler Schmidbruchscher Zornanfall? In solche Gedanken versunken saß er in einer Ecke des Saales und starrte vor sich hin. Als ihm Schmidbruch, der sich ihm von hinten genähert hatte, leicht auf die Schultern klopfte, erschrak er. Er drehte sich hastig um und streifte dabei sein Glas vom Tisch.

„Habe ich Sie so erschreckt?“ fragte ihn Schmidbruch. Sibers schien, als ob er dabei sarkastisch lächelte, und in einem plötzlich aufsteigenden Gefühl, das zwischen Wut und Angst schwankte, beschloß er, ohne lange Umschweife, die Sache jetzt und hier zu erledigen.

„Ja“, sagte er, „Sie haben mich erschreckt, Herr Präsident.“

„Ja, oh, das tut mir aber leid. Ich habe Ihnen doch wirklich nur ganz leicht auf die Schultern geklopft.“

„Nicht jetzt, jetzt haben Sie mich nicht erschreckt.“

„Ja, wann denn dann? Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Sie haben mich erschreckt, als Sie unsere letzte Umsatzbesprechung damit beendeten, daß Sie Direktor Dollmer und mir den Vorwurf des Kommunismus machten.“

„Ich hätte das getan?“ Schmidbruch grinste. „Das müssen Sie geträumt haben, mein Bester.“

„Ich kann nicht glauben, daß Direktor Dollmer zufällig den gleichen Traum gehabt hat.“

„Zufälle haben immer etwas Unglaubliches an sich. Übrigens glaube ich, Dollmer hat jetzt ganz andere Sorgen. Schauen Sie, da kommt er gerade mit meiner Tochter.“

„Paa“, sagte Alma etwas atemlos, „Paa, wir haben uns verlobt.“

„Was habe ich Ihnen gesagt, lieber Sibers?“ Schmidbruch wandte sich an Dollmer: „Sibers hat mir eben erzählt, ihr habt beide davon geträumt, daß ich euch Kommunisten geschimpft hätte.“

„Pfui, wie garstig!“ rief Alma.

„Gnädiges Fräulein“, lenkte Sibers ab, „es ist mir eine Ehre, Ihnen als erster zu Ihrer Verlobung gratulieren zu dürfen. Verehrter Kollege Dollmer, ich gratuliere. Auch Sie, Herr Präsident, darf ich bitten, meine ergebensten Glückwünsche entgegennehmen zu wollen.“

Man dankte ihm in bewegenden Worten, während welcher sich Sibers leise und diskret zurückzog.

Mißtrauen nagte an seinem Herzen: Zuerst schimpfte Präsident Schmidbruch Dollmer einen Kommunisten, dann verlobte er ihm seine einzige Tochter. Direktor Sibers schüttelte sein ergrautes Haar. „Oh, Abendland“, seufzte er vor sich hin, „was für Menschen dirigieren deine Speisewaggons.“

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