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Podestas Erzählung 7

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„Schweinefraß!“

„Haha, das würde unseren Geldscheißer wenig freuen.“

„Nicht zum Fressen.“

„Spaß muß sein.“

„Schweinefraß!“

Zischelnd flogen die Worte hin und her. Flogen wie Weberschiffchen hin und her, die in ein schwarzes Tuch gelbgrüne Nesselfäden schossen. „Fressen kannst du ja schon, jetzt mußt du nur noch anständig reden lernen.“

„Schweinefraß!“

„Halts Maul!“

Podesta hatte mit seiner rechten Hand eine schnelle Bewegung am Rücken der vor ihm an einem vollgedeckten Tisch sitzenden Frau gemacht. Eine Bewegung, als drücke er auf einen Knopf. Und als hätte er wirklich auf einen Knopf gedrückt, mit dem er ihr Mundwerk abschalten konnte, so plötzlich schwieg sie nun.

Podesta, beide Hände in die Tasche seines schmutzigweißen Arbeitsmantels gesteckt, blieb unbeweglich hinter ihr stehen und beobachtete sie mit einem Ausdruck von Selbstzufriedenheit und Erwartung in seinem feisten, schlecht rasierten Gesicht. Er schickte einen triumphierenden Blick in die Runde, als hätte er Reihen voll unsichtbarer, ihn bewundernder Zuschauer vor sich und nicht ein mit allerlei altmodischem Mobiliar vollgestopftes Zimmer. Sein Blick blieb an dem hellbraunen Pianino, das rechts neben ihm an der Wand stand, haften. Er überlegte kurz und ging dann mit schnellen Schritten darauf zu, setzte sich nieder, klappte mit einer großen Geste den Deckel auf und spielte den Enthusiastenmarsch. Sie aber schien sich um ihn überhaupt nicht zu kümmern. Ihre Aufmerksamkeit hatte sich ganz auf den Tisch mit den vor ihr stehenden Speisen zugewandt. Mit großem Vergnügen hob sie ein Bratenstück nach dem anderen auf ihren Teller, zerlegte es mit liebevoller Umständlichkeit und aß es auf. Podesta hatte zu spielen aufgehört. Er hatte sich herumgedreht und sah ihr zu. Je länger er ihr so beim Essen zuschaute, um so mehr bekam er Lust, selbst auch etwas zu essen.

„Zuschauen ist zuwenig“, murmelte er vor sich hin und holte sich von ihrem Tablett ein Bratenstück herunter, das er auf einmal in seinen Mund stopfte und kauend und schmatzend verschlang.

„Gut“, sagte er, nahm eine spanische Wand, stellte sie vor die Essende und ging hinaus.

Im Vorzimmer, in dem außer einem Kleiderständer und einem Spiegel keinerlei Einrichtung war, nahm er von dem Kleiderständer einen Hut und eine Aktentasche und wollte sich gerade vor dem Spiegel sein schwarzglänzendes Haar richten, als es klingelte. Betroffen hielt er inne. Dann steckte er seinen Kamm ein, hing Hut und Aktentasche wieder an den Kleiderständer und eilte das lange, schmale Vorzimmer hinauf zur Wohnungstür hin. Auf halbem Weg jedoch kehrte er wieder um, hastete zurück und schloß die Tür, die in das Zimmer mit der Essenden führte. Er sperrte sie zu und vergewisserte sich durch zweimaliges Hin- und Herdrehen des Schlüssels, ob er auch wirklich zugesperrt habe, und eilte zur Wohnungstür hin. Auf halbem Wege kehrte er noch einmal um, zog den Zimmerschlüssel ab und steckte ihn in seine hintere Hosentasche. Es klingelte zum zweiten Mal.

„Komme gleich!“ schrie er und hastete nun schon das dritte Mal das lange, schmale Vorzimmer hinauf zur Wohnungstür hin, die er diesmal endlich erreichte. Etwas atemlos geworden, öffnete er sie. Vor ihm stand ein Briefträger, ein großer, magerer Mann in einer blauen Uniform mit roten, goldbesternten Kragenaufschlägen.

„Habe die Ehre!“ schrie ihn der Briefträger an, starrte ihm auf den Mund und wackelte mit den Ohren; er war nämlich schwerhörig.

„Ah, die Post“, sagte Podesta und spürte eine gewisse Erleichterung. Er hatte dieses „Ah, die Post“ mehr zu sich selbst als zu dem Briefträger gesagt, der jedoch, gewohnt, den Leuten auf den Mund zu schauen und alles auf sich zu beziehen, fühlte sich zu einem längeren Gespräch eingeladen und schrie: „Jawohl, die Post!“ Dann kramte er einen Brief aus seiner schwarzen Ledertasche hervor, hielt ihn Podesta hin und sagte abermals sehr, sehr laut: „Einen rekommandierten Brief für Herrn Ingenieur Podesta, Isidor Podesta, Ingenieur Isidor Podesta hätte ich da.“

Podesta streckte die Hand danach aus.

„Sind Sie das?“ schrie ihn der Briefträger an.

„Ja!“ schrie Podesta zurück.

„Sie sprechen aber gut Deutsch!“

„Warum auch nicht?“

„Na ja, Podesta ist doch ein italienischer Name.“

„Wenn schon, vielleicht könnte ich deshalb trotzdem von hier sein, und überhaupt, was geht denn das Sie an?“

„Nichts, ich frage nur.“

„Geben Sie mir lieber den Brief!“

Der Briefträger gab ihm den Brief und ließ sich den Empfang bestätigen. Als Podesta unterschrieben hatte, schrie er ihn wieder an: „Sie wohnen aber noch nicht lange hier?“

„Nein.“

„Wo haben Sie denn früher gewohnt?“

„In Neuburg.“

„In Neuburg. Neuburg kenne ich. Eine Schwester von der Mutter meiner Frau lebt dort. Voriges Jahr haben wir sie besucht. Sie hat eine schöne Pension. Aber sie ist nicht recht gesund. Die Galle. Ihr Mann war bei der Bahn. Nächstes Jahr wollen wir sie wieder besuchen.“

„Hier!“

Podesta gab ihm den Bogen Papier, auf dem er den Briefempfang bestätigt hatte, wieder zurück. „Vielleicht kennen Sie die Tante. Wanek heißt sie. Bundesbahninspektorswitwe Wanek. Sie hat eine …“

„Nein, ich kenne sie nicht. Auf Wiedersehen!“

Die Tür fiel krachend ins Schloß.

Der Briefträger zuckte die Achseln und stapfte die Treppen wieder hinunter. Ein eingebildetes Ekel, dachte er sich, ein arroganter Esel, dieser Ingenieur Podesta oder Podzeba oder wie immer der heißt. Wie unhöflich der ihm antwortete, als er ihm das Kompliment gemacht hatte, daß er gut Deutsch spreche. Dabei war es ja das Fräulein Holzer gewesen, das gesagt hatte, daß das ein italienischer Name sei. Der hat sicher nie in Neuburg gewohnt, sonst müßte er ja die Wanek kennen. Wer weiß, wo der her ist?

„Wer weiß, wo der her ist?“ murmelte er vor sich hin und blieb mit mißbilligendem Kopfschütteln vor dem schmutzigen Stiegenfenster im ersten Stock stehen. Er beobachtete ein paar Sekunden lang eine etwa erbsengroße Spinne, die in einer Nische unter dem Fensterbrett gerade dabei war, eine dicke Fliege einzuwickeln, und ging dann wieder weiter.

Der bildet sich wohl ein, dachte er sich, unsereins ist ein Bedienter. Aber da täuscht er sich. Vielleicht ergibt sich noch einmal die Gelegenheit, daß ich diesem sauberen Herrn meine Meinung sage, wer weiß, wer weiß, so ein ausgefressenes Ekel, so ein … Nun war es die Haustür, die mit lautem Krach zuflog.

Das Stiegenhaus war wieder leer. Aus einer der beiden Parterrewohnungen hörte man jetzt eine Frauenstimme singen. Hätte der Briefträger etwas besänftigter das Haus verlassen, hätte er sie vielleicht auch noch gehört. Aber er hörte sie nicht mehr. Er ging jetzt gerade in ein anderes, auf der gegenüberliegenden Seite der breiten, nur von wenigen Häusern gesäumten Vorstadtstraße gelegenes Haus. Er schimpfte immer noch leise vor sich hin.

Podesta, die Ursache seines Ärgers, hörte die Frauenstimme natürlich auch nicht. Denn abgesehen davon, daß er im vierten Stock wohnte, befand er sich in einem seltsam erregten Zustand, in dem er nur sich selbst zu hören vermochte. Den eben erst bekommenen Brief krampfhaft in der rechten Hand haltend, tanzte er in dem langen Vorzimmer auf und ab und schrie dabei und sang dabei: „Es macht sich, es macht sich, es macht sich, trala, es …“

Dann sperrte er die vorhin so sorgsam verschlossene Tür wieder auf, tanzte mit dem emporgehobenen Brief singend und schreiend in das Zimmer hinein, schob den Paravent beiseite und hieb der unentwegt noch immer mit gleichem Genuß Essenden vor Freude auf den Rücken, daß es knackste.

„Schweinefraß!“

„Jetzt werden wir Vokabeln lernen.“

„Nicht zum Fressen!“

„Der Präsident hat uns geschrieben.“

„Schweinefraß!“

„Es macht sich, es macht sich, es macht sich, trala!“

„Schweinefraß!“

„Halts Maul!“

Wieder machte Podesta die blitzschnelle Bewegung an ihrem Rücken, wieder schwieg sie ruckartig, als wäre ihr Mundwerk abgeschaltet worden. Eine zweite Bewegung ihrer Seite entlang, und sie hörte zu essen auf. Podesta öffnete nun ihre Vorderseite, nahm alles heraus, was sie soeben mit großem Appetit gegessen hatte, und stellte es in den Kühlschrank. Dann schraubte er sie vollständig auseinander, schob das Pianino zur Seite und verstaute sie in einem hinter dem Pianino in die Wand eingelassenen Safe.

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