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Оглавление4. Kapitel
Podestas Erzählung
(Nach einem Gedächtnisprotokoll Pizarrinis, das jedoch unglücklicherweise von seiner allzusehr besorgten Zimmerfrau zum Ausstopfen seiner stets etwas feuchten Schuhe benutzt wurde und daher nur noch in sehr beschränktem Maße entzifferbar war.
Etwaige Unstimmigkeiten möge der geneigte Leser auf diesen Umstand zurückführen und gütigst entschuldigen.
Ebenso erklärt sich aus diesem zum Himmel stinkenden Vorfall die distanzierte Darstellung, die sicherlich von der ursprünglichen, durch unmittelbare Teilnahme stark persönlich gefärbten Erzählung Podestas bedeutend abweicht.)
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Ernst Schmidbruch, der Präsident der Interkontinentalen Speisewagen AG, war dieser Tage einundsechzig Jahre alt geworden. Er war ein mittelgroßer, magerer Mann mit einem faltenreichen Gesicht, das mitunter einen höchst verkniffenen Ausdruck annehmen konnte. Man konnte jedoch nicht sagen – wie dies bei anderen faltenreichen Gesichtern der Fall sein mag –, daß die vielen Falten und Fältchen sein Gesicht durchfurchten. Dieses Bild stimmte bei Schmidbruch nicht. Viel eher drängte sich der Vergleich mit den säuberlich gebügelten und streng geordneten Falten eines plissierten Stoffes auf. Es war, als seien alle diese Falten und Fältchen nach einem bestimmten Schema in die stets glattrasierte Gesichtshaut des Präsidenten hineingelegt, hineingefaltet worden.
Es hätte vermutlich auch kaum jemanden verwundert, wäre dieses schmale, hagere Gesicht plötzlich wie ein Fächer auseinandergegangen und hätte auf seiner ausgebreiteten Fläche ein unheimlich langes Inhaltsverzeichnis der verschiedensten Dinge und Vorkommnisse gezeigt. Wie abgelegte Akten lagen die Falten in diesem Gesicht, starr, unbeweglich und doch voll Spannung, voll geheimer, gut aufbewahrter Fakten – jederzeit greifbar –, voll unausgesprochener Drohungen hinter einem breiten, schmallippigen Mund, hinter gleichmütig dreinblickenden, blaugrauen Augen.
Präsident Schmidbruch war bekannt ob seiner Schweigsamkeit. Unter den Beamten und Angestellten der Interkontinentalen Speisewagen AG ging sogar die Rede, er wäre durch seine Schweigsamkeit Präsident geworden. Das war ein Gerücht, dessen Wahrheit niemand nachweisen konnte, nicht mehr. Trotzdem mag es kurz berichtet sein. Man sagt, Schmidbruch hätte damals, nach dem Tod des vorhergehenden Präsidenten, in seiner Eigenschaft als Direktor der Inspektionsabteilung eine Zusammenkunft der Hauptaktionäre arrangiert, bei welcher er die Versammelten um Vorschläge für einen Nachfolger des verstorbenen Präsidenten gebeten habe. Die Mehrheit der Aktionäre habe sich dabei auf von Stechenkamp geeinigt, der als Vertreter der Kleinaktionäre im Aufsichtsrat war und als ehemaliger Diplomat über ausgezeichnete Verbindungen verfügte. Dieser von Stechenkamp war ein äußerst geachteter, schon ziemlich alter Mann, der mit großer Ängstlichkeit auf seine Reputation bedacht war. Da er von den Geschäften, die ihm als Aufsichtsrat oblagen, nichts verstand, hatte er sich immer von Schmidbruch als Direktor der Inspektionsabteilung beraten lassen und war dabei immer gut gefahren. Als ihm Schmidbruch daher jetzt berichtete, daß er als Präsident vorgeschlagen sei, war es nur selbstverständlich, daß er diesen sogleich fragte, ob er dies annehmen solle. Auf diese Frage nun, so erzählt das Gerücht, habe Schmidbruch geschwiegen. Dieses vieldeutige Schweigen wäre der eigentliche Grund für den ängstlichen von Stechenkamp gewesen, die Wahl abzulehnen. Wie dem auch sei. Tatsache ist, daß von Stechenkamp in der Vollversammlung die auf ihn entfallene Wahl mit dem Hinweis auf sein Alter ablehnte und gleichzeitig in einer aufsehenerregenden Rede Schmidbruch als Präsidenten vorschlug. Aufsehen erregte die Rede hauptsächlich deshalb, weil sie voll dunkler Andeutungen war, die sich niemand zu deuten wußte, die aber alle darauf hinzuweisen schienen, daß nur noch ein Mann von der Sachkenntnis und der Energie, wie sie sich beide glücklicherweise in der Person des Direktors der Inspektionsabteilung Ernst Schmidbruch vereinigten, die Zukunft retten könne. Die Rede war von derart diplomatischer Meisterhaftigkeit, daß an ihrem Ende niemand mehr die Lage überblickte und jeder das Gefühl hatte, daß die Wahl Schmidbruchs zum Präsidenten der einzige Ausweg sei. Im darauffolgenden Wahlgang wurde denn auch Schmidbruch fast einstimmig zum Präsidenten der Interkontinentalen Speisewagen AG gewählt.
Tatsache ist weiter, daß Schmidbruchs Schweigen System hatte, ja, man kann ruhig sagen: Es war eine Art zu regieren. Dadurch nämlich, daß er schwieg, zwang er seine Direktoren und Referenten zum Reden. Da er nun aber ganz gewaltig in Zorn geraten konnte, wenn in seiner Gegenwart unvernünftig geredet wurde, zwang er in Verein mit dieser zweiten Eigenschaft durch sein Schweigen seine Mitarbeiter, vernünftig zu reden und, da auf die Dauer niemand vernünftig reden und unvernünftig handeln kann, auch dementsprechend zu handeln.
Schmidbruch war verheiratet. Er wohnte mit seiner Familie in einer großen Villa vor der Stadt. Seine Familie, das war seine fünfzehn Jahre jüngere Frau und seine achtzehnjährige Tochter.
Seine Frau war eine mit den Jahren üppig gewordene Blondine, die, bevor sie Schmidbruch geheiratet hatte, Soubrette in einem Provinztheater des Nachbarlandes gewesen war. Schmidbruch wußte eigentlich nicht mehr, warum er sie geheiratet hatte, aber er hatte es nie bereut. Sie mischte sich nie in seine Angelegenheiten und verschonte ihn auch mit den ihren. Obwohl sie keineswegs klug war, dürfte sie doch schon sehr früh erkannt haben, daß dies die beste Art war, mit Schmidbruch auszukommen. So herrschte zwischen diesen Ehegatten seit Jahren immer das gleiche kühlfreundliche Klima, und hätten sie sich nicht mit den Vornamen angesprochen, sie ihn mit Ernst, er sie mit Alma, wäre es für einen Außenstehenden schwer gewesen, sie nicht untereinander für fremd zu halten. Die Tochter war ein hochaufgeschossenes, grobknochiges Mädchen. Wie die Mutter, deren Vornamen sie auch trug, neigte auch sie zur Üppigkeit. Sie hatte ein breites, offenes Gesicht, trug Augengläser, einen blonden Wuschelkopf, war alles in allem ein sympathischer junger Mensch. Ihr Verhältnis zu ihrem Vater war burschikoser, trockener Natur, dennoch einen Ton herzlicher als das der Ehegatten untereinander. An ihrer Mutter hing sie sehr. Alma die Alte und Alma die Junge sah man oft ineinander eingehängt zusammen durch die Stadt bummeln, sah sie in Modesalons „Vogue“ und „Elegance“ durchblättern, sah sie gelangweilt in einem der zwei Nobelcafés sitzen, die es in der Stadt gab, sah sie nie ohne einen kleinen, struppigen, schmutzigweißen Hund, der Fiffy hieß, und den sie an einer kurzen Leine immer hinter sich herzogen, was Fiffy nie ohne wütendes Protestgekläff geschehen ließ.
Sonst wäre von Präsident Schmidbruch noch zu sagen, daß er gewisse feste Gewohnheiten hatte, denen er ebenso pünktlich und exakt nachkam wie seiner Arbeit. So pflegte er zum Beispiel sonntagsvormittags Golf zu spielen, und freitagsabends ins Kino zu gehen.
Eine Merkwürdigkeit sei noch erwähnt. Er fuhr immer selbst. Auto fahren war eine seiner wenigen Leidenschaften oder zumindest die einzige, die als solche bekannt war.