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Nach dem langen Unterrichtstag benutzte Philipp die U-Bahn von der Station Unter den Linden bis Alexanderplatz und von dort die Straßenbahn 74, die über Prenzlauer Berg nach Weißensee fuhr. In den meisten Fensterrahmen der Bahn war das fehlende Glas durch klappernde Blechplatten ersetzt worden.

Philipp fand es doof, dass er während der Fahrt nicht hinausschauen konnte. Da tippte ihm jemand auf die Schulter. Sophie saß hinter ihm und schrie gegen die lärmenden Blechplatten an.

»Bist du bis Alex gefahren?«

»Ja«, schrie er zurück, »mit der U-Bahn.«

»Zu Fuß ist es genauso schnell.«

Am nächsten Morgen gingen sie gemeinsam vom Alex quer durch den Lustgarten zur VA und am Nachmittag gemeinsam zurück. Sie sahen die Trümmer zu beiden Seiten der Straßen und dahinter die Ruinen, und sie trafen Frauen mit Kopftüchern beim Steineklopfen. Männer führen Kriege, Frauen räumen auf, dachte Philipp. Ihn bewegte jetzt doch das Ausmaß der Zerstörung, während Sophie davon weniger beeindruckt schien und über Westdeutschland sprechen wollte.

»Wie ist die revolutionäre Situation im Ruhrgebiet?«, fragte sie.

Philipp verstand nicht.

»Aber du bist doch aus einer Proletarierfamilie.«

Er verstand noch weniger und fand die Bezeichnung Proletarier ganz lustig.

»Proletarier aller Länder ...«

»Ist dein Vater in der Partei?«, unterbrach Sophie ihn.

»Nein, aber ich habe einen Onkel, der war in der Partei.«

»War in der Partei?«

»Ja, in der NSDAP.«

»Stalin schreibt über die ...«, sagte sie mit ernstem Gesicht, ohne auf seinen Scherz einzugehen, machte eine Pause, und dann zu einem entgegenkommenden jungen Mann: »Freundschaft!«

»Wie, was hast du gerade gesagt?«, fragte Philipp erstaunt.

»Stalin schreibt über die revolutionäre ...«

»Nein, nein, was hast du gerade zu dem Burschen da gesagt?«

»Freundschaft!«

»Wie, was, Freundschaft, du sagst zu einem wildfremden Menschen so einfach Freundschaft?«

»Ja, natürlich, er hat ein FDJ-Abzeichen an. Wir grüßen uns so. Ich bin auch in der FDJ, Freie Deutsche Jugend.«

Sie berichtete, dass sie schon in der Sowjetunion bei den Pionieren und vor der Rückkehr nach Deutschland auch noch beim Komsomol war, der kommunistischen Jugendorganisation.

»Im vergangenen Jahr haben wir FDJler Uniformen bekommen und eine Fahne, blau mit aufgehender Sonne.«

»Und wenn es nun eine untergehende Sonne ist, wie willst du das unterscheiden?«

»Kann es sein, dass du unsere Sache nicht ernst nimmst?«

Später erzählte Philipp Christian von diesem Gespräch.

»Die ist völlig verkorkst«, sagte der, »da müsste sich mal jemand finden, der sie tüchtig bearbeitet. Wenn die etwas mehr vorzuweisen hätte, würde ich dir die Arbeit ja gerne abnehmen. Aber das wirst du wohl selber machen müssen.«

Sophies Mutter, Edda Dahlhaus, war eine geborene Franke und die Tochter einer bekannten, wohlhabenden Familie aus dem Berliner Westen. Ihre beiden Brüder waren im Ersten Weltkrieg gefallen. Vater Karl Franke war Direktor bei Borsig und aus einer Familie, die für ihre Pioniertaten auf dem Gebiet der Industrialisierung bekannt war. Luise Franke, Eddas Mutter, war eine geborene Porten und stammte aus einer Künstlerfamilie. Ihr Vater war Kunstmaler. Der Regisseur Franz Porten, Vater der aus Stummfilmen bekannten Schauspielerin Henny Porten, war ein Vetter ihres Vaters.

Nach ihrer Heirat mit Karl Franke war Luise klug genug, den Verkehr mit ihrer Künstlerfamilie auf das Notwendige zu beschränken. Die Sorge für ihren Mann sowie die Pflege und Erziehung ihrer drei Kinder füllten ihre Tage als Ehefrau und Mutter aus. Nach dem frühen Heldentod ihrer beiden Söhne aber war sie zu einer frommen Frau geworden, die sich neben der Fürsorge für ihre geliebte Tochter mit Kirchenbesuchen und mildtätigen Aufgaben beschäftigte. Karl Franke wollte seine Ruhe in der Familie haben und ließ sie gewähren. Edda genoss eine behütete Kindheit und eine gute Schulausbildung auf einem humanistischen Gymnasium. Als junges Mädchen wirkte sie mit ihren blaugrauen Augen und ihren weichen Zügen ein wenig verträumt. Ihr kurzes, dunkelblondes Haar und die Bubikopf-Frisur ließen ihr eher rundliches Gesicht noch runder wirken. Die hervortretenden Backenknochen gaben ihr dazu ein leicht slawisches Aussehen.

Schon früh entwickelte Edda einen besonderen Sinn für alles, was da blüht und krabbelt, sammelte Pflanzen, Käfer und Schmetterlinge und auch sonst allerlei Getier. Als sie den Wunsch äußerte, Biologie studieren zu wollen, war die Familie nicht sehr überrascht. Ungewöhnlich war nur, dass sie als Frau eine Universität besuchen wollte. Das war in beiden Familien noch nicht vorgekommen. Aber seit das Kaiserreich zusammengebrochen und Deutschland eine Republik war mit dem Sattlergesellen Ebert an der Spitze, ja seit selbst der Präsident der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft, Walter Rathenau, sich im Wirtschaftsrat mit Sozialdemokraten zusammensetzte, konnte Direktor Franke nichts mehr verwundern.

Edda ließ sich an der Universität Jena einschreiben. Sie wollte nicht in der Nähe des Elternhauses studieren, und Jena kam ihr in den Sinn, weil sie sich an einen Besuch dort als Kind mit ihrer Mutter im Botanischen Garten erinnerte − und weil sie für den Dichter Schiller schwärmte. Den Eltern war es nicht recht, dass ihre Tochter so fern von Berlin sein würde. Letztlich aber willigte der Vater doch ein und versprach auch einen monatlichen Wechsel mit einem großzügigen Betrag.

Edda studierte gerne, wenngleich sie mehr und mehr das Empfinden bekam, Eindringling in einem den Männern vorbehaltenen, ja ihnen gehörenden Lebensbereich zu sein. Als Ausgleich versuchte sie, sich einer der studentischen Vereinigungen anzuschließen. In den konservativen Verbindungen konnte sie als Frau nicht Mitglied werden, so blieb ihr nur die Freie Studentenschaft, die den Sozialdemokraten nahestand. Die auf den Versammlungen und Diskussionsabenden behandelten Themen waren ihr zuerst fremd, eröffneten ihr jedoch bald eine ganz neue Art zu denken. Sie versäumte keinen der Abende.

Nach einiger Zeit trat Edda der SPD bei und berichtete das auch den Eltern. Vater Franke tobte und wollte ihr den Wechsel sperren, ließ sich aber durch seine Frau davon überzeugen, dass das Ganze sicher nur eine jugendliche Dummheit und bald vorbei sei.

Eddas Briefe nach Hause wurden weniger; ihre Mutter musste immer öfter ein Lebenszeichen von ihrer Tochter anmahnen. Auch kam sie in den Semesterferien bald nur noch kurz und dann auch seltener heim. Einmal, Edda studierte nun schon das dritte Jahr in Jena, kam ein Brief, in dem sie ankündigte, dass sie in Kürze kommen und einen jungen Mann mitbringen werde. Sie habe einen Institutsassistenten kennen gelernt, wolle ihn den Eltern vorstellen und deren Segen zu ihrer Verlobung erbitten. Dr. Jonas Blumenthal, so der Name des Assistenten, sei ein fleißiger junger Mann, dem man eine große Karriere an der Universität voraussagte. Karl Franke war außer sich. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, ein Jude in der Familie.

»Mir genügen schon die Juden in der Firma, da muss es nicht auch noch ein jüdischer Schwiegersohn sein. Das hast du nun von den jugendlichen Dummheiten, jetzt wirst du bald Bastarde als Enkel haben«, schimpfte er mit seiner Frau.

Er ahnte aber, dass mit Härte bei seiner Tochter nichts zu erreichen sein würde, beriet sich mit seiner Frau und stimmte zu, sie einen Brief nach Jena schreiben zu lassen.

Mein liebes Kind, schrieb Luise Franke, Vati und ich, wir freuen uns sehr auf Dein baldiges Kommen. Matilda hat gleich angefangen, Dein Zimmer herzurichten. »Ich werde ihr was Ordentliches kochen, Frau Direktor, das Mädelchen war beim letzten Besuch ja so dünn«, hat sie gesagt, die Gute. An den Gedanken, dass Du Dich verloben wirst, müssen wir uns erst gewöhnen. Für uns bist Du immer noch unsere Kleine. Ich kann es nicht glauben, dass Du schon zweiundzwanzig Jahre alt bist, vielleicht, weil ich immer noch Deine älteren Brüder sehe, die mit siebzehn und achtzehn Jahren sterben mussten. Und was ist aus unserem Vaterland geworden, für das sie gefallen sind! Jetzt bist Du unser ganzer Lebensinhalt, und wir machen uns natürlich Sorgen um Deine Zukunft. Glaube mir, Schatz, wir wollen nur Dein Glück. Muss es aber gleich ein Jude sein? Vati und ich haben nichts gegen Juden, Gott bewahre! Wir kennen ja selber einige, die sind ganz nett. Aber wir leben nun mal in einem christlichen Land, und wir sind eine christliche Familie. Ich möchte doch mal dabei sein, wenn meine Enkelkinder getauft werden und vielleicht − wenn ich es denn noch erlebe − wie sie zur Konfirmation gehen. Du willst doch sicher nicht, dass ich noch jiddische Lieder lernen muss, um die Kinder, an ihren Bettchen sitzend, in den Schlaf zu singen. Gell, Du überlegst es Dir nochmal? Vati lässt Dir ausrichten, dass er Dir unser Jugendstilhaus in Dahlem schenken will, wenn Du einen christlichen Ehemann haben wirst und dort wohnen möchtest. Du liebst das Haus doch so sehr. Er sagt, dass es kein Problem sein wird, die jetzigen Mieter rauszuklagen. Die Neueinrichtung übernimmt Vati auch. Schatz, ich bete, dass Du unsere große, vernünftige Tochter sein wirst.

Viele zärtliche Küsse von Mutti und von Vati

Als Edda diesen Brief erhielt, hatte Jonas Blumenthal sich schon wieder von ihr getrennt und war zu seiner früheren Freundin zurückgekehrt. Heimgesucht von den unterschiedlichsten Gefühlen, war Edda eine Zeit lang wie gelähmt. Dazu wurden die Schwierigkeiten für sie als Frau im Studium immer größer, so dass ihr die Freude an der Biologie verging. Gefangen in diesem Seelentief, traf sie Wilhelm Dahlhaus, einen Pädagogikstudenten, auch Mitglied der Freien Studentenschaft und der SPD, der ihr seit langem den Hof zu machen versuchte. Er war groß, eher schlank, hatte leicht krauses Haar und wirkte mit seinem schmalen Schädel und der randlosen Brille schon in jungen Jahren wie ein Gelehrter. Mit seinen langen Armen und Beinen bewegte er sich etwas ungelenk. Edda fand ihn verklemmt, in seiner betont korrekten Art eher komisch und hatte ihn mehrmals abgewiesen. Jetzt erhörte sie ihn und gab seinen unbeholfenen sexuellen Versuchen nach, ja sie half bis an die Grenze des Schicklichen mit, um das Gelingen einer Verführung durch ihn nicht zu gefährden.

Am nächsten Tag schrieb sie einen Brief an die Eltern. Sie werde das Studium aufgeben und heiraten. Wilhelm Dahlhaus sei ein tüchtiger Mann, der schon bald in den höheren Schuldienst treten werde und somit eine Familie ernähren könne. Wenn es ihm gelänge, eine Stelle in Berlin zu bekommen, würden sie sehr gerne das Angebot annehmen und das Jugendstilhaus bewohnen. Und außerdem sei sie schwanger.

Letzteres war zwar noch ungewiss, aber Edda hatte die feste Absicht, es in ganz kurzer Zeit zu sein, und ob sie es nun eine Woche vorher oder hinterher den Eltern verkündete, wer wollte sie dafür tadeln. Als Karl Franke den Brief gelesen hatte, war er zufrieden.

»Na Gott sei Dank! Nun wird doch noch alles gut.«

Und so kam es dann auch. Wilhelm Dahlhaus machte sein Examen und erhielt eine Stelle an einem Berliner Gymnasium. Edda brach ihr Studium ab. Sie heirateten und zogen in das freigeklagte Haus in Dahlem. Edda bekam einen gesunden Sohn, Kurt, und war mit ihren neuen Pflichten als Mutter und Hausfrau voll beschäftigt und zufrieden.

Wilhelm Dahlhaus stammte aus einer Lehrerfamilie. Sein Vater, ein Dorfschullehrer in Thüringen, war als technisches Genie mit einem Hang zum Sonderling über sein Dorf hinaus berühmt. Seine Schüler erinnerten sich in späteren Jahren gerne noch an seine physikalischen und chemischen Experimente, die mancher Experimentalvorlesung einer Universität gut angestanden hätten, aber nicht immer ganz ungefährlich waren und keinesfalls dem Stoffplan einer Dorfschule entsprachen. Aber sie waren eindrucksvoll, und die Kinder gingen mit Freuden zur Schule.

An kalten Wintertagen, wenn in den anderen Klassenräumen die Schüler beim Unterrichtsbeginn in Mänteln und Schals gehüllt saßen, mit den Holzschuhen klapperten und darauf warteten, dass der eben gezündete Kanonenofen endlich Wärme verbreitete, war es in Lehrer Dahlhausens Klassenraum schon lange warm. Er hatte einen alten Wecker umfunktioniert zu einem Zeitzünder, der über eine Zündschnur den am Abend vorher präparierten Ofen weit vor Unterrichtsbeginn anheizte.

Jeder, der diese Dorfschule besuchte, besaß eine als Camera lucida bekannte, unter Anleitung des Lehrers selbst gebastelte Vorrichtung zum Nachzeichnen von Gegenständen in der Natur. Das ganze Dorfleben Thüringens gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, soweit es sich um unbewegliche Gegenstände handelte oder um Objekte, welche sich für die Dauer des Nachzeichnens zur Bewegungslosigkeit befehlen ließen, wurde so in unzähligen Zeichnungen festgehalten.

Als junger Ehemann besaß Wilhelm noch eine ansehnliche Zahl solcher kolorierter Pergamentblätter, die sein Vater vom Schulleben, von seiner Familie und von der neben der Schule von ihnen betriebenen kleinen Landwirtschaft angefertigt hatte. Dabei war es auffallend, dass der Hersteller der Zeichnungen aus dem dörflichen Wirtschaftsleben natürlich nicht darauf zu sehen war, aber immer seine Frau bei den verschiedenen Feld- und Stallarbeiten.

Noch vor Ausbruch des Krieges starb Wilhelms Vater an einem Magenleiden. Wilhelm war erst zwölf Jahre alt und litt sehr unter dem Verlust. Er verdankte dem Vater viel, so auch die Liebe zur Fotografie. Die unter Anleitung des Vaters gebastelte Camera obscura bewahrte er bis zu seiner Verhaftung auf. Drei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes bekamen Edda und Wilhelm eine kleine Tochter; sie nannten sie Sophie. Edda war nun mit ihrem Leben zufrieden. Sie hatte zwei gesunde Kinder, einen Mann, der sie liebte und den sie lieben wollte, und ein Haus in Dahlem, das sie nach ihren Vorstellungen ausstattete.

Wilhelm richtete sich in dem Haus ein Fotolabor ein, und wenn seine Pflichten als Familienvater und Lehrer es zuließen, entwickelte er dort Porträts von seiner Frau und den Kindern, aber auch Bilder vom stark wachsenden Berlin. Den Abriss mancher Altberliner Idylle und das Werden vieler technischer Bauten, die nach der Eingemeindung der Randstädte notwendig waren, hielt er in Bildern fest.

Edda zeigte Verständnis für das Steckenpferd ihres Mannes, ja sie war selber an allem interessiert, was das Wachsen der neuen Stadt Groß-Berlin ausmachte. Seit sie die Interessen ihres Mannes näher kannte, fand sie ihn mehr und mehr liebenswert. Sie konnte ja nicht ahnen, dass gerade sein Hobby ihm den frühen Tod durch den Henker bringen sowie ihr Leben und das ihrer Kinder völlig verändern sollte.

Sophie gestand Philipp, dass sie Schwierigkeiten in Chemie und Physik habe und bat ihn um Nachhilfe. Philipp musste an die spöttischen Bemerkungen von Christian denken und lehnte ab.

»Ich habe selber Schwierigkeiten; in Geschichte bin ich besonders schlecht.«

»Aber da kann ich doch helfen. Helfen wir uns zusammen.«

»Gegenseitig, sagt man, nicht zusammen«, verbesserte er. »Aber du verstehst mich falsch, nicht das Lernen fällt mir schwer, nur manchmal das Glauben.«

»Wie, das Glauben?«, fragte sie erstaunt. »Du musst nicht glauben, Geschichte ist doch eine Wissenschaft. Stalin hat schon 1938 in seiner Arbeit über den Historischen Materialismus geschrieben, dass es in der Gesellschaft sich verhält wie mit den Gesetzen in der Natur.«

»Schön, wenn es so einfach wäre!«

»Aber es ist so einfach! Stalin schreibt von dem Beispiel mit dem Wasser, das bei Temperaturerhöhung, wenn es kocht, sich plötzlich in Dampf verwandelt. Quantität schlägt um in eine neue Qualität. Und so ist es genau in der Gesellschaft. Im Kapitalismus wird das Proletariat immer stärker, und mit der Revolution kommt eine neue Gesellschaft, kommt der Sozialismus.«

»Ich glaube, dein Genosse Stalin hat genau wie du Schwierigkeiten in Physik. Das Beispiel ist so was von falsch!«

»Dann erklär mir, warum!«

So kam es, dass Philipp ihr doch noch Nachhilfe gab. Sophie meinte, dass er zu ihr aufs Zimmer kommen könne. Sie wohne bei einem älteren Ehepaar, Kommunisten und Bekannte ihrer Mutter aus der Zeit der illegalen Arbeit, die erlaubten das.

»Komm am Sonntag«, sagte sie. »Ich habe noch etwas Mehl und Salz, hat mir die Mutti geschenkt. Das Mehl röste ich, und daraus mache ich uns eine Suppe.«

Eine Suppe am Sonntag, das war Philipp einen Besuch wert. Er konnte schlecht haushalten und hatte sich angewöhnt, am Beginn einer Dekade die Lebensmittelmarken immer gleich auszugeben. Das bedeutete, dass er von der letzten Suppenausgabe in der VA am Freitag bis zur nächsten am Montag von Leitungswasser leben musste.

Am zweiten Sonntag gingen sie nach der Suppe zusammen ins Bett. Sophie lag auf dem Rücken und ließ es geschehen. Sie lächelte Philipp freundlich an, zeigte aber sonst keine Gefühle. Nach einiger Zeit unterbrach sie die Stille.

»Ich habe jetzt genug, wenn du aber willst, kannst du ruhig noch weitermachen.«

Philipp stieg ab und setzte auch den Nachhilfeunterricht nicht fort.

Gesang der Lerchen

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