Читать книгу Handbuch der antiken Architektur - Patrick Schollmeyer - Страница 6
Vorwort
ОглавлениеDie Baukunst der Griechen und Römer gehört zweifellos zu den auch heute noch eindrucksvollsten Zeugnissen der untergegangenen antiken Welt. Ihre monumentalen Reste sind bedeutende Tourismusmagneten und prägten respektive prägen die Vorstellung von der einstigen Größe Griechenlands und des Imperium Romanum. Diese Verankerung im kulturellen Gedächtnis setzte bereits im Mittelalter ein und besteht bis heute fort. Prominente Bauwerke wie der Parthenon in Athen oder Kolosseum sowie Pantheon in Rom sind nahezu auf dem ganzen Globus bekannt. Neben dieser populären Welt der Wahrnehmung antiker Architektur existiert eine andere, die der Archäologen, Architekten und Bauhistoriker, die sich professionell mit den Ruinen griechischer und römischer Baukunst befassen. Ihr Wissensdurst ist anders gelagert als der der interessierten Reisenden. Wo sich diese mit allgemeinen Aussagen zu Rekonstruktion, Funktion und Datierung zufriedengeben können, müssen jene zwangsläufig weitergehende Fragen stellen und ins Detail gehen. Denn nur auf diese Weise lässt sich überhaupt das Wissen generieren, das auch für ein fachfremdes Publikum von Interesse ist. Es mutet daher durchaus nicht unproblematisch an, eine zusammenfassende Darstellung antiker Architektur vorzulegen, die gemessen an der Menge erhaltener griechischer sowie römischer Bauten und der hierzu von Generationen von Fachleuten seit der Renaissance erarbeiteten Fülle fachwissenschaftlicher Erkenntnisse auf vergleichsweise wenigen Textseiten die Grundzüge dieser Baukunst zu skizzieren versucht. Dass ein solches Werk keine umfassende Enzyklopädie sein kann, liegt auf der Hand. Eine solche müsste schon auf mehrere Bände angelegt sein, um sowohl der Vielfalt der erhaltenen Bauwerke in typologischer, funktioneller, chronologischer und geographischer Hinsicht als auch der kontroversen Forschungsdiskussion einigermaßen gerecht zu werden. Ebenso vermessen wäre es, eine Architekturgeschichte im eigentlichen Wortsinn zu wagen, solange viele antike Bauwerke noch nicht oder nur unzureichend publiziert sind und es an Überblicken zur architektonischen Entwicklung sowohl einzelner Regionen sowie Epochen als auch Bautypen mangelt.
Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt und ihr für den Bereich der Altertumswissenschaften zuständige Fachlektor Dr. Harald Baulig, der die Idee zu diesem Buch hatte und dem an dieser Stelle ebenso wie Julia Rietsch sehr herzlich für die Unterstützung und wohlwollende Begleitung des Projekts gedankt sei, verfolgten daher von Beginn an ein anderes Ziel. Ergänzend zu Günther Bindings erfolgreichem, aktuell in 6. Auflage erschienenem Titel Architektonische Formenlehre soll der vorliegende Band vor allem ein Bildhandbuch antiker Bautypen und -formen der Zeit des 1. Jts. v. Chr. bis zum 4. Jh. n. Chr. aus dem Bereich der griechischen und römischen Staatenwelt unter umfangbedingtem Ausschluss der Architektur von Kontaktkulturen wie der der Etrusker, Phönizier, Kyprer, Iberer, Kelten, Thraker, Nabatäer etc. sein. Aus demselben Grund musse ebenso die minoische und mykenische Baukunst des bronzezeitlichen Griechenlands weitgehend unberücksichtigt bleiben. Auch wurde auf ein Glossar verzichtet, da über das Begriffsregister die jeweiligen Fachtermini rasch im Haupttext aufzufinden sind, wo sie ohnehin erklärt werden. In dieser Gestalt wendet sich das Buch somit in erster Linie an interessierte Laien und Studierende der altertumskundlichen Fächer sowie der Architekturgeschichte, die eine überblicksartige Bilddokumentation der typologischen Vielfalt antiker Baukunst suchen, um sich auf eine im wahrsten Sinn des Wortes anschauliche Weise mit deren Grundzügen vertraut zu machen. Anschauung ist hier ganz im goetheschen Sinn zu verstehen, der in seiner Einleitung zu den Propyläen explizit sagt: „Um von Kunstwerken, eigentlich und mit wahrem Nutzen für sich und andere, zu sprechen, sollte es freilich nur in Gegenwart derselben geschehen. Alles kommt aufs Anschauen an, es kommt darauf an, dass bei dem Wort, wodurch man ein Kunstwerk zu erläutern hofft, das bestimmteste gedacht werde, weil sonst gar nichts gedacht wird.“ Verlag wie Autor halten es vor diesem Hintergrund daher für legitim, den anvisierten Nutzerinnen und Nutzern in der Hauptsache Abbildungen bedeutender antiker Bauwerke geordnet nach Bautypen und innerhalb dieser Gruppen nach Epochen und/oder Regionen zu bieten, während der Text nur die wichtigsten Grundinformationen sowie Literaturangaben bereithält. Auf diese Weise sollen die Leserinnen und Leser dazu angeregt werden, sich selbsttätig auf weiterführende Erkenntniswege zu begeben. Denn nur dort, wo durch offengebliebene Fragen der Wunsch nach tiefergehenden Informationen geweckt wird, kann diejenige Form einer letztlich wahren wissenschaftlichen Neugier entstehen, die nicht nur die Studierenden und Lehrenden der entsprechenden Disziplinen, sondern auch ein interessiertes Laienpublikum gleichermaßen auszeichnen sollte. In diesem Sinn hoffen Verlag und Autor auf eine geneigte und neugierige Leserschaft, die das vorliegende Buch ausschließlich sozusagen als eine Art Grundwortschatz ihrer eigenständigen Beschäftigung mit der antiken Baukunst versteht und in dieser Gestalt zu nutzen sowie zu würdigen weiß.
Mainz, im Juni 2013