Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 29

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Erwin Buback wollte von dem tschechischen Polizisten nichts. Sein Eindruck, gleich bei der ersten Begegnung von dem Schulheftchen vermittelt, hatte sich mit der Zeit vertieft. Der junge Mann war fähig und strebsam, kein Wunder, daß Beran ihm so vertraute. Gleichzeitig war er jedoch das geradezu beispielhafte Exemplar einer «Lotosblüte», wie Hilde allzu offene und vertrauensvolle Seelen immer nannte. Diesen Titel hatte sie sich bald selbst von ihm verdient. In der Zentrale der Prager Kripo, wo er auf so etwas am wenigsten gefaßt war, stieß er gleich auf zwei solcher Exemplare. Neben dem Adjunkten war es auch Berans Sekretärin, dieses Beinaheporträt der jungen Hilde.

Während er steif im Wagen saß, was er in Gegenwart von Bürgern der okkupierten Länder seit Kriegsbeginn immer tat, preußisch soldatische Haltung weckt für sich allein schon Respekt! wußte er nicht zu sagen, welche der beiden Frauen er gerade mit seinem inneren Auge wahrnahm. Seit Antwerpen widerfuhr ihm dies zum erstenmal, und er wußte sich damit keinen Rat. Frischt dieses unbekannte tschechische Mädchen das Andenken seiner geliebten Frau auf, oder hat die unauslöschliche Erinnerung an Hilde eine Beziehung in ihm geweckt, woran er erst kürzlich in der Bar gedacht hat? Ist es überhaupt möglich, diese verblüffende Ähnlichkeit des Gesichts und des Charakters anders zu verstehen als einen Wink des Schicksals?

Ein paar Tage lang wußte er absolut nichts von dem Mädchen, er wehrte sich selbst gegen das Gefühl, wollte nicht einmal vom Türschild wissen, wie es hieß. Er sah sie eigentlich nur für Augenblicke, wenn er an Berans jederzeit offenem Vorzimmer vorüberkam oder an ihr vorbei zu ihm hineinging.

Für merkwürdig hielt er außerdem, daß er Hilde einst auf die gleiche Weise zu Gesicht bekommen hatte. Sie war eine gerade ausgelernte Zuckerbäckerin, die Besitzertochter der Dresdener Schloßkonditorei. Hier hatte Buback seine wechselnden Freundinnen ausgeführt, bis eines Tages hinter dem neuen technischen Wunder, einer Kühlvitrine der Marke Electrolux, ein scheues Geschöpf mit großen Augen auftauchte, um nachzusehen, welches Naschwerk ergänzt werden mußte.

Dieses ganz kurze Ereignis, bei dem nichts geschah, stellte sein Leben auf den Kopf. Er begann jede freie Minute für einen Gang in die Konditorei zu nutzen und hielt einen bewundernden Blick für sie bereit, der, wie er wußte, bei seiner äußeren Erscheinung noch nie seine Wirkung verfehlt hatte, hier jedoch blieb er ohne Erfolg, da er sein Ziel nicht traf: Das Mädchen hob nicht ein einziges Mal den Blick von der süßen Ware.

Später gestand sie ihm eine kleine List. Durch die Jalousien der Backstube hatte sie ihn von Anfang an immer kommen sehen, so daß sie auch seine zahlreichen Begleiterinnen kannte. Gerade weil er sie mit seinem männlichen Aussehen und feinen Benehmen auf den ersten Blick erobert hatte, fürchtete sie, daß sie nur mehr als eine weitere seiner flüchtigen Bekanntschaften enden würde.

Er überzeugte sich später, daß dies nicht aus Berechnung geschah, sondern aus Selbsterhaltungstrieb. Als wäre sie für eine einzige große Beziehung geboren und aufgewachsen, war Hilde entschlossen, ihre ganzen Gefühle nur einmal und für immer zu vergeben. Wenn sie sich geirrt hätte, sagte sie ihm bald nach der Hochzeit, würde sie zerspringen. Wie? er verstand nicht. Wie Glocken zerspringen! Sie halten zwar nach wie vor zusammen, doch ihren Klang und damit auch ihren Sinn sind sie los.

Ihm blieb keine Wahl, als über seinen eigenen Schatten zu springen und zum erstenmal im Leben die Verantwortung für eine Bekanntschaft ausschließlich auf sich zu nehmen, er, dem die Frauen bislang nachgelaufen waren. Die einzige zeitgemäße, als höflich geltende Art war freilich um so gewichtiger.

«Wertes Fräulein Schäfer», schrieb er ihr, «ich bitte um Vergebung, daß ich Sie belästige, zur Entschuldigung führe ich an, daß ich Sie zumindest vom Sehen her kenne, ich bin ständiger Gast Ihres Etablissements, Justizkonzipient Erwin Buback. Hiermit bitte ich Ihre geschätzten Eltern und Sie in aller Form, mir zu gestatten, Sie an diesem Sonntag zum Fünfuhrtee in das Café-Restaurant Waldruh einzuladen. Im Falle Ihrer freundlichen Zusage werde ich Sie um halb fünf am Privateingang der Schloßkonditorei abholen, in tiefempfundener Hochachtung ergeben ...»

Als er den behutsam zustimmenden Brief Ludwig Schäfers erhielt, erschien er mit einem Blumenstrauß für die Mutter und ließ die Droschke warten, um höflich Konversation zu führen, was gehörigen Eindruck machte. Hilde wurde mit der Mahnung entlassen, spätestens um halb acht zu Hause zu sein.

Er brauchte eigentlich nur die ersten zehn Minuten. Bis der Tee kam, hatte er die Möglichkeit, durch ihre zärtlichen Augen die Tiefe ihrer Seele zu erschauen, und während sie den Tee umrührten, sprach er sie an.

«Ich weiß nicht, wie es gekommen ist, wertes Fräulein, und ich weiß, daß es allen guten Sitten widerspricht, doch ich liebe Sie einfach. Eigentlich habe ich noch nie im Leben geliebt, und ich war schon überzeugt, daß mir die Fähigkeit zu echtem Gefühl fehlt. Dann sah ich Sie, und seit jenem Augenblick weiß ich, was Liebe ist. Ich bitte Sie inständig, Ihre Scheu und Ihr Mißtrauen zu bezwingen, das Sie gegen mich als einen Unbekannten gewiß hegen. Erhören Sie mich, wertes Fräulein, als einen Menschen, der zum erstenmal empfunden und ausgesprochen hat, daß er ohne einen anderen nicht leben kann. Was antworten Sie mir?»

Daran erinnerte er sich jetzt im Auto, das über die schlaglochzerkerbte Landstraße nach Brünn fuhr, als sei es gestern gewesen, und plötzlich kam ihm der Gedanke, er könne zu der jungen Tschechin, die er etwa genauso lange kannte wie damals Hilde, ohne Befangenheit und Verstellung fast die gleichen Worte sagen.

Was damit? Soll er es tun, obwohl alles, aber auch alles dagegen spricht? Damals war er auf den schwachen und infolge Hildes Zustimmung im voraus wirkungslosen Widerstand des Vaters gestoßen, der die unsinnige Befürchtung hegte, dem Bewerber sei mehr an dem Café als an der Tochter gelegen, doch sie wurde dann, wie sie es immer wollte, Lehrerin, und die dufterfüllte Oase übernahm zum Ende der guten alten Zeit ihr Bruder, ehe sie jetzt wahrscheinlich die Bomben wegrasierten. Heute handelte es sich zwischen Tschechen und Deutschen um das ewige blutige Rächen der Montagues und Capulets ... dazu mit einem beträchtlich modernden Romeo, dachte er bitter.

Aus den Überlegungen riß ihn die zweite «Lotosblüte», die in all den Stunden wie ein Klotz neben ihm gehockt hatte. In seiner komischen Art räusperte Morava sich zunächst schüchtern, ehe er ihn ansprach.

«Wir haben die Vorstadt von Brünn erreicht, Herr Oberkriminalrat ...»

«Na und?»

«Möchten Sie zuerst ins Hotel?»

Von dem steifen Sitzen taten ihm die Knochen gewaltig weh, gar zu gern hätte er sich für ein Stündchen ausgestreckt, doch er wollte erst einmal auf andere Gedanken kommen.

«Nein. Gehen wir gleich an die Arbeit.»

Sternstunde der Mörder

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