Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 36

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Das Gespräch mit der Mutter beruhigte Morava. Jahrelang hatte er sich nicht damit abgefunden, daß er ihren Traum, das Familienhandwerk auch künftigen Generationen zu erhalten, zerstörte. Beflissen fuhr er immer wieder einmal zu ihr hin, doch nie verspürte er Erleichterung.

Bis heute das Wunder geschah. Als er, von der Zeit gehetzt, ihr in aller Eile von Jitka erzählte, erschrak er zuerst über ihre Tränen. Wird sie obendrein auch noch eifersüchtig? Doch sie legte sogleich die Arme um ihn und sagte, er habe sie unaussprechlich glücklich gemacht.

Also schlug er ihr gleich vor, wenigstens für einige Zeit nach Prag zu kommen, sie könne in seiner Junggesellenbleibe unterkommen, da er sowieso bei Jitka wohne, sie werde ihnen beiden die Sorge um ihr Schicksal hier nehmen, wo es nach baldigem Kampf aussehe. Auch das versprach sie hoch und heilig und gab ihm beim Abschied für Jitka ein seidenbesticktes Brusttuch von der Großmutter mit, das sie selber beim Kirchgang trug.

Er begrüßte noch kurz den Pächter, legte ihm ans Herz, die Mutter beim geringsten Anzeichen von Gefahr in den Zug nach Prag zu setzen, und sah dann auch schon mit verrenktem Hals und voll Rührung zu, wie sich die Frau, in der sein Leben begonnen hatte, entfernte und kleiner wurde, bis nur ein heller Punkt von ihr blieb, den bald der Horizont mit den Rebstöcken verschluckte.

In ungewöhnlich guter Stimmung begrüßte er es, daß die Unnahbarkeit des Deutschen nachgelassen hatte. Freilich stellte er nach wie vor selbst dessen unschuldigste Fragen auf den Kopf, ehe er darauf antwortete, und überlegte blitzschnell, wie Beran sie beurteilt hätte. Dieser Mensch aber schien sich erstaunlicherweise für die hiesige Gegend zu interessieren, und Morava konnte in der Gewißheit, keinen Bock zu schießen, von seiner Kindheit erzählen. An manchen Stellen bildete die Chaussee jetzt die unbewachte Grenze zwischen dem Protektorat und dem Sudetengebiet der einstigen Republik, das nach München dem Reich als Anzahlung auf den Rest zugefallen war, wie wird es hier nach dem Krieg aussehen? hätte er plötzlich gern gewußt, wird er hier, falls sie nicht gefallen sind, seine Mitschüler wiedersehen, die damals in der Klasse Heil! schrien und Heim ins Reich! in der Turnhalle brüllten? Wird es noch möglich sein, hier nebeneinander zu leben?

Dem Deutschen schilderte er begreiflicherweise nur, wie hier noch vor zehn Jahren jedermann in zwei Sprachen plauderte und keiner von der jeweils fremden behauptete, sie sei die schlechtere von beiden. Durch eine weitere harmlose Frage ermutigt, erinnerte er sich, wie man ebenda in den kleinen Weinkellern beim gemeinsamen Verkosten tschechische und deutsche Lieder sang und auch zur «zabijačka» je nach Bekanntschaft eingeladen wurde, nicht nach der Sprache. Was das sei, interessierte sich der Deutsche, und Morava schoß Berans Anweisung bei der gestrigen Verabschiedung auf der Insel durch den Kopf.

Umsichtig, doch plastisch beschrieb er den Brauch, bei dem das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Nahrung auf etwas treffe, das bereits die mühsam gezüchtete Frucht von Zivilisation und Kultur sei: dem Fremden vom eigenen Bissen anzubieten und dadurch jener animalischen Begierde vorzubeugen, aus der letzten Endes Kriege entstanden. Das sagte er allerdings nicht mehr, sondern betonte, daß auch in Zeiten wie diesen, da Essen zu etwas Kostbarem und zum Objekt der Spekulation geworden sei, in Südmähren weiterhin der Hunderte von Jahren alte Brauch gelte: Wer früher schon mit einem Gastgeschenk von dannen gegangen ist, hat es auch heute verdient. Was dem, der freigebig schenkt, zum Schicksal werden kann, sagte er und erzählte kühn, wie Beran es ihm geraten hatte, die Geschichte von Jitkas Vater, der ein Schwein geschlachtet hatte, nicht für den Schwarzhandel, sondern um auch Verwandte und Freunde teilhaben zu lassen.

Er bedauerte diesen Einfall, nachdem sich sein Nachbar wieder versteifte, als habe er ein Lineal verschluckt, doch noch ehe er sich strafwürdiger Einfalt zeihen konnte, vernahm er die recht freundliche Versicherung, die Behörden des Reichs, wie er übrigens wissen müßte, respektierten nicht nur das Recht, sondern verstünden auch damit umzugehen. Er, Buback, nehme persönlich nicht an, daß der Vater dieser ... wie heiße sie eigentlich? Jitka Modrá? ja, also von diesem Fräulein Modrá, sie sei gewiß ledig, nicht wahr? so jung wie sie sei? ja, also daß er als Saboteur bestraft werde, wenn sich bestätige, was er hier eben gehört habe. Der Kollege solle nur, wenn sie wieder in Prag seien, dem Fräulein sagen, sie könne ihn, Buback, in dieser Sache ohne weiteres ansprechen, bestimmt werde er sich über den Fall informieren, er benötige nur die Personalangaben.

Morava wollte den Bogen nicht überspannen und behielt das Geständnis, daß es sich hier um seine Braut handle, für sich, ihm schien es vorteilhafter, nicht aus einem so persönlichen Grund als Fürsprecher aufzutreten. Da wuchs aus den Weingärten auch schon der Turm des Schlosses auf, wo der tatverdächtige Jakub Malatínský auf sie warten sollte. Daß er es nicht tat, sollte nicht die letzte Überraschung dieses Tages sein, es genügte aber, ihnen beiden die Stimmung zu verderben, da sich damit die Heimreise auf unbestimmte Zeit verzögerte.

Sternstunde der Mörder

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