Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 34

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Der frühere Zimmermaler und jetzige Nachtwächter Josef Jurajda wurde in der Morgenfrühe von Váca persönlich aus den Federn geholt, er hatte seine freie Nacht gehabt. Ja bittschön, seine Frau ist gestern nach Olmütz gefahren, stammelte er, um die Tochter und die Enkelkinder zu holen, es sieht so aus, als wird die Stadt umkämpft werden, sie haben ein kleines Häuschen da und einen untiefen Keller. Nein bittschön, er ist nicht mitgefahren, er schläft sich aus, wann immer er kann, doch es reicht nie. Ja bittschön, der 14. Februar war für ihn ein normaler Tag wie die meisten Tage im Jahr, morgens um sechs ist er wieder zu Hause gewesen, hat bis zum Abend geschlafen und ist um acht wieder angetreten. Nein bittschön, beschwören kann er das nicht, jahrelang kommt er sich wie in einem Karussell vor, eine Nacht wie die andere, und über die Tage weiß er noch weniger, doch seine Frau erinnert sich, daß an diesem Tag Prag bombardiert wurde, und er hat es abends von ihr erfahren. Bittschön, ja, er weiß es noch, sie hat es ihm erzählt, als sie ihn zum Dienst weckte, so erfährt er fast alles erst hinterher. Bittschön, nein, wem hätte er in dem Gebäude begegnen können? Er kommt, wenn alle längst fort sind, erst gegen Morgen treffen die Putzweiber ein.

Morava hatte keine Fragen mehr und blickte auf Buback. Der Deutsche schüttelte den Kopf. Offenbar wunderte er sich auch, wie dieser trottelige Alte mit den Kaninchenaugen und den Hamstertaschen vor zehn Jahren gefesselte Prostituierte mit der Nadel in die Brüste stechen und dabei onanieren konnte.

Jedenfalls notierte er sich, daß dieser halbgebildete Sadist im Ruhestand reinstes Schrifttschechisch sprach. Wie die meisten Mährer, schmeichelte er sich, und sogleich fiel ihm ein, was der Hausmeister vom Moldauufer über den Mann sagte, der die arme Baronin von Pommeren zerstückelt hatte. Ja! Er war sein Landsmann! Das adelte ihn nicht, doch es engte den Kreis der möglichen Täter von sieben auf drei Millionen ein ...

Er wurde sich bewußt, daß Buback, dem Deutschen, das sprachliche Erkennungsmerkmal entgangen sein mußte, behielt es aber für sich, bis er sich mit Beran beraten hätte. Er ließ noch den Nachtwächter polizeiamtlich en face und zweimal en profil für den Prager Zeugen fotografieren und empfahl Váca, ihn einstweilen wieder ins Bett zu schicken. Dann fuhren sie schon gen Süden.

Er setzte sich gleich neben den Deutschen und fragte ihn, ob er an einer bestimmten Fahrstrecke interessiert sei. Nein, erfuhr er und stellte die nächste Frage, ob der Herr Oberkriminalrat unterwegs Mittag zu essen wünschte. Als Buback nickte, erkühnte er sich, ihm sogar den Ort vorzuschlagen: Auf direktem Weg gebe es ein anständiges Wirtshaus, gegen Mittag seien sie da, inzwischen werde er, mit Verlaub, kurz bei seiner Mutter vorbeischauen.

Zum erstenmal, seit sie sich kannten, bekundete der Deutsche so etwas wie menschliches Interesse. Morava setzte ihm kurz auseinander, daß er, nomen est omen, aus Morava, also aus Mähren, stamme, genauer gesagt aus dem einstigen mährischösterreichischen Grenzgebiet, wohin sie unterwegs seien, weshalb er von Kindesbeinen an leidlich Deutsch spreche, daß sein Vater schon lange tot sei und seine Mutter allein in der Schmiede wohne, die der Familie gehöre, die sie aber verpachtet habe, als er, der einzige Sohn, zum Jurastudium entlaufen sei und seine Schwester ihren Vikar geheiratet habe. Ihn habe dann die Schließung der tschechischen Hochschulen bestraft, und so sei er als Halbalphabet bei der Polizei gelandet.

Reicht eine Stunde? fragte Buback darauf im Telegrammstil, und der Kriminaladjunkt grub sich ohne Stift ins Gedächtnis, daß hier eine Schuld zu begleichen war, mochte der Mann auch ein Nazi sein.

Erneut schweigend, denn auch Berans Lieblingsfahrer Litera war heute noch ungesprächiger als sonst, schleppten sie sich dann die schmalen Bezirksstraßen dahin, die den doppelten Verkehr des Frühjahrs und des Krieges nicht zu bewältigen vermochten. So gut es eben ging, überholten sie Ackerwagen mit Mist wie Feldküchen, selber ununterbrochen von wild hupenden Stabsautos und Kurieren auf schweren Motorrädern überholt. Plötzlich tauchten die Eisenfresser der gefürchteten deutschen Feldgendarmerie auf, deren Brustschilder Morava an blecherne Spucknäpfe erinnerten. Die Ausweise der Protektoratspolizei stießen bei ihnen auf Gespött, schon wollten sie den Wagen zur Umkehr zwingen, als der Mitfahrer seine Nützlichkeit bewies.

Donnerwetter! dachte Morava anerkennend, als er sah, wie die drei Räuber sich urplötzlich in Lämmchen verwandelten, dieser Buback steht also ein ganzes Stück über Beran ...

Der Krieg verdrängte das Frühjahr jetzt völlig von der Fahrbahn, alle paar hundert Meter verrieten tiefe Rinnen im Ackerboden, die zu den nahen Wäldchen führten, daß die ganze Gegend mit einer Riesenmenge Militärtechnik gespickt war. Beim Anblick der bereits ausschlagenden Bäume durchschoß Morava der Gedanke, daß hier vielleicht noch vor dem Knospenknall Granaten explodierten, und er bekam es mit der Angst um die Mutter.

Das Wirtshaus auf dem Dorfplatz war verschlossen. Ein zahnloser Greis, den Morava nicht kannte, gab nuschelnd Auskunft, der Wirt sei mit Familie nach Brünn geflüchtet. Doch ehe sich dem Kriminaladjunkten das Herz verkrampfen konnte, beging der Deutsche eine weitere gute Tat, indem er trocken bemerkte, er sei keineswegs hungrig und vertrete sich gern ein halbes Stündchen die Beine an der frischen Luft. Morava war ihm dankbar dafür. Sie setzten Buback ab, und Litera kurvte durch matschige Gäßchen zur Schmiede. Der Pächter beschlug gerade ein Pferd, und die Mutter hielt den Huf.

«Jeníček!» schrie sie vor Glück auf und setzte den Huf vorsichtig auf den gestampften Boden, «aber nein! Aber nein! Aber nein!!»

Das wiederholte sie noch mehrmals in der guten Stube, als er, während der Fahrer in der Küche Brotstücke mit Speck verschlang und tüchtig mit Hagebuttentee nachspülte, ihr überstürzt berichtete, daß er sich in das bravste Mädel unter der Sonne verliebt habe und sie zur Frau nehmen wolle, weshalb er sein Mütterlein möglichst bald nach Prag holen möchte, damit Jitka und er sich bei ihrer Arbeit Enkelchen gestatten könnten.

Sternstunde der Mörder

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