Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 35

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Je länger ihre Fahrt durch das Land dauerte, das sich gerade in ein gigantisches Heerlager verwandelte, desto mehr schämte sich Erwin Buback seiner nächtlichen Depression.

Die Gesichter der Offiziere und Soldaten auf den Ladeflächen der Lkws wie auf den Sitzen der Stabswagen loderten zwar nicht vor Begeisterung, doch so sehen in allen Armeen der Welt die Gesichter von Menschen aus, die seit etlichen Jahren das zermürbende Kriegshandwerk ausüben. Andererseits las er keineswegs Verzagtheit in ihnen, selbst Müdigkeit nicht, sie wirkten ausgeruht und strahlten ruhige Entschlossenheit aus und das nötige Vertrauen, daß sie schließlich wieder Erfolg haben und obendrein überleben würden.

Dieses Phänomen hatte er schon in der Normandie beobachtet, in Flandern und zuletzt vor der Gegenoffensive in den Ardennen, deren Vorbereitung er noch miterleben konnte. Trotz des Rückzugs auf allen europäischen Kriegsschauplätzen bedurfte es nur irgendwo eines Teilerfolgs, und die Stimmung der Truppe war von einem Tag zum anderen nicht wiederzuerkennen. Die Vorwärtsbewegung, erkannte Buback, war heilsam, einige Tage Vormarsch reichten schon aus, um den Soldaten einen Vorrat an moralischen und physischen Kräften für weitere Monate der Defensive zurückzuverschaffen.

Allerdings kannte er die Pläne des Generalstabs nicht und verstand nichts vom Militärhandwerk, den Rang eines Majors und jetzt Sturmbannführers hatte man ihm verliehen, um seine Autorität besser zur Geltung zu bringen, deshalb wagte er nicht abzuschätzen, was hier eigentlich vor sich ging. Das hügelige Gelände, dessen Südhänge zumeist von Weingärten bestanden waren, eignete sich bestimmt zur Errichtung einer neuen Hauptverteidigungslinie, doch die große Zahl der Panzer, mochten diese sich auch nur durch ihre Kettenspuren im feuchten Boden verraten, berechtigte zu der Annahme, daß es genau in diesem Abschnitt zu der lange angekündigten Wendung kommen konnte.

Auf den deutschen Seelen lag immer noch wie ein schrecklicher Alptraum die unerwartete und zudem vernichtende Niederlage von Paulus’ 6. Armee bei Stalingrad und dann die erfolgreiche Invasion der Alliierten in Frankreich. Verjagen konnte ihn nur ein vergleichbar grandioser Sieg. Standartenführer Meckerle, der ausgezeichnete Verbindungen zum Führerhauptquartier unterhielt, hatte kürzlich unverhüllt angedeutet, der jüngste Rückzug aus Ostpreußen, der stellenweise kopflos wirken mochte und es dem Russen erlaubte, auf uralte Reichsgebiete vorzustoßen, sei Teil der großartigsten Falle in der Kriegsgeschichte. Kein Märchen, keine Fama, meine Herren! Nicht eine Armee, sondern mindestens zwei Armeegruppierungen der Bolschewiken, anderthalb Millionen Mann stark, werden in diesem gigantischen Kessel zu einem einzigen Borschtsch verkocht! Den ließ er sogar im Offizierskasino der Prager Gestapo servieren, und dessen dunkelrote Farbe wirkte sehr anschaulich und ermutigend.

Während des kurzen Spaziergangs auf dem Anger dieses Nestes, dessen Name gleich seinem Gedächtnis entfallen war, fuhr eine gewaltige Artilleriekolonne an ihm vorüber, die sie unterwegs nicht überholt hatten, so daß sie aus einer anderen Richtung verlegt worden sein mußte. Die schweren Zugmaschinen und die Länge der Anhängerfahrzeuge verrieten, daß unter den Planen mit den Tarnfarben Haubitzen in ihre neuen Stellungen fuhren. Ihr Trommelfeuer eröffnete doch jeden Großangriff! Wiederum warf er sich seine gestrige Schwäche vor. Sie war keine Lösung!

Noch im vergangenen Jahr hatte er im Bunde mit allen, die er kannte und nicht kannte, das Attentat auf den Führer verurteilt. Aber waren die Täter nicht vielleicht doch Patrioten, denen ähnliche Zweifel wie Hilde und ihm gekommen waren? Sollte das zutreffen, dann blieben sie gewiß nicht die einzigen. Wenn er sich nicht irrte, riskierten gerade weitere tapfere Menschen, wie Meckerle im engsten Kreis referierte, gleichfalls an Fleischerhaken und dünnen Saiten aufgehängt zu werden, damit sie besonders schmachvoll und lange starben.

Buback glaubte nicht, daß einer von ihnen insgeheim in den Reihen der Gestapo tätig war. Auch unter seinen eigenen Leuten gab es keinen richtigen Kriminalisten, alle kamen geradewegs aus den SS-Junkerschulen mit einem politischen Auftrag, der für sie in der Hauptsache darin bestand, echten oder vermeintlichen Widersachern die Zähne auszuschlagen, denn kleine Vergehen von Volksgenossen wurden längst nicht mehr untersucht, und wer wollte, konnte auf legale Weise töten und dafür auch noch befördert werden.

Ebensogut wußte er, daß kaum jemand aus anderen Polizeioder Militäreinheiten auftauchen würde, um ihn zur illegalen Mitarbeit am Werk der nationalen Rettung zu bewegen, denn er selbst müßte ihn für einen Provokateur halten und zur Sicherheit vielleicht sogar anzeigen! Dieser Gedanke war um so unerträglicher, als er wahrscheinlich war; viele konnten Interesse daran haben, den wahren Zustand seines Inneren zu erforschen, weil es ihre Aufgabe war, gerade die Träger schädlicher Ideen unschädlich zu machen.

Praktisch blieb also eines: die letzte Kraft zu unterstützen, die gewährleistete, daß Deutschland nicht aufs Haupt geschlagen würde, ehe sich jene Hoffnung erfüllte, die einige hohe Offiziere mit dem tragisch mißlungenen Versuch angeboten hatten, den bösen Geist mit Gewalt aus dem Weg zu räumen. Ebendiese Armee zu unterstützen, die er jetzt beobachtete und an der er bewunderte, wie ungebrochen sie in die vielleicht entscheidende Schlacht zog.

Diese Überlegungen drückten sich auch in seinem Verhalten gegenüber den beiden Tschechen aus. Im Geiste gab er zu, daß auch für sie Hitler alle Deutschen verkörpern konnte. Diesen irrigen Eindruck wollte er plötzlich nicht länger unterstützen. Deshalb nahm er zur eigenen Verwunderung auch das Geschenk an, das sie ihm mitbrachten, ein in eine schneeweiße Serviette eingeschlagenes Brot mit Butter und Speck. Auch während des Essens und danach wahrte er zwar Abstand, um nicht Verdacht zu erregen, doch er wußte geschickt Nutzen daraus zu ziehen, daß Berans Assistent sich ihm gegenüber spürbar verpflichtet fühlte und deshalb wohl oder übel aus seinem Schneckenhaus herauskam. Der junge Mann erachtete es sogar für notwendig, ihm zu verraten, er habe mit seiner Mutter sprechen müssen, um ihr zu eröffnen, daß er zu heiraten beabsichtige.

Buback hielt das Gespräch ohne verdächtige Fragen in Gang. Trotz seiner Natur konnte doch der junge Mann, der sich auf diesem anspruchsvollen Gebiet so gut bewährte, nicht auf den Kopf gefallen sein, bestimmt rechnete er damit, daß das Interesse eines Verbindungsoffiziers der Gestapo nicht bei einem ruchlosen Mörder endete. Aber auch so erfuhr er viel über die tschechische Mentalität, die sich im Laufe der Okkupation stark verändert hatte.

Dann fiel mehrmals ein Frauenname, und er kam erst mit Verspätung dahinter, daß es der Name jenes Mädchens war, an das er in den letzten Stunden öfter als an Hilde gedacht hatte ...

Sternstunde der Mörder

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