Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 37

Оглавление

Das Gespräch mit dem jungen Tschechen über Jitka Modrá versetzte Buback in Erregung. Der Apfel einer solchen Schüchternheit mußte von einem ähnlichen Baum gefallen sein, er glaubte gern, daß der Vater des Mädchens einer alten Tradition entsprechend gehandelt hatte und er ihm helfen konnte. Vor einiger Zeit war ihm Goebbels’ vertraulicher Vorschlag für den Führer in die Hände gelangt, das Reich solle so schnell wie möglich seine Politik gegenüber den slawischen Völkern überdenken, deren Gebiete es sich bereits einverleibt hatte. Eine Bevölkerung, der keine Überlebensperspektive vergönnt sei, verbünde sich eher mit Tyrannen, die wenigstens die gleiche Sprache sprechen, hieß es dort so ungefähr.

Buback war völlig damit einverstanden, doch wenig später erkannte er, daß das Memorandum des Führerlieblings diesmal auf taube Ohren gestoßen war. Das Kriegstheater im Osten, erfuhr er von seinen Vorgesetzten, schließe alle Nachgiebigkeit aus, nur brutale Gewalt sei dazu angetan, in den okkupierten Gebieten eine allgemeine Rebellion zu verhindern. Diese Ansichten teilten bei Gestapo und SS alle. Sein Instinkt sagte ihm jetzt aber, daß nicht unbedingt heute gelten mußte, was gestern richtig gewesen sein mochte.

Die Aufgabe, mit der er jetzt betraut wurde, nahm zweifellos eine Variante vorweg, die noch vor kurzem, laut ausgesprochen, den Tatbestand des Hochverrats erfüllt hätte: daß das stolze Reich, das seit Jahren fast den ganzen Kontinent beherrscht hatte, auf dessen Mitte zusammenschrumpfen würde. Die Millionen dort lebender Tschechen, die den Verlust ihrer Selbständigkeit nie verwunden hatten, konnte man weder evakuieren noch schnell liquidieren, höchstens durch geschicktes Wechseln von Zuckerbrot und Peitsche dazu bringen, nicht aufsässig zu werden.

Buback war sich gewiß, daß im gegebenen Fall, wo er Beran und seinen Leuten einen Kollegialitätsbeweis liefern konnte, der im Grunde nichts kostete und große Wirkung zeitigen würde, Meckerle nicht nein sagen konnte. Der Prager Gestapochef hatte schon im Herbst davon gesprochen, daß man die Prioritäten ändern müsse, und bändigte seine Untergebenen jetzt ebenso, wie er ihnen früher die Sporen gegeben hatte. Jawohl, der Vater dieses Mädchens paßte einfach ins Spiel, und Buback, der sich an seine Regeln hielt, bewahrte zusätzlich vor Angst und vielleicht auch vor einem Unglück die Wiederverkörperung seiner Hilde.

Die Feststellung, daß der verdächtige Jakub Malatínský entgegen der Weisung aus Brünn nicht anwesend war und keiner eine Ahnung hatte, wo er sich herumtreiben könnte, durchkreuzte seine Gedanken. Doch noch ehe er sich gezwungen sah, die Anwesenden gehörig abzukanzeln, dolmetschte sein Begleiter bereits, die Vorladung habe nicht zugestellt werden können: Malatínský habe schon vorher zwei Tage freigenommen.

«Worauf warten Sie denn noch?» schnauzte er wenigstens den Ortspolizisten an, der vor Furcht fahlgrün wurde, «schicken Sie jemand nach ihm, lassen Sie ihn suchen, was weiß ich, doch stehen Sie hier nicht wie einer rum, der frisch vom Himmel gefallen ist! Ich will zur Nacht in Prag sein!»

Sich ihm zu widersetzen wagte der junge Mann.

«Kann das, bitte, eine halbe Stunde warten?»

«Warum??» bellte er schon gereizt los.

«Vielleicht kommt er von selbst. Um zwei beginnt seine Schicht.»

Macht er sich vor den Leuten über mich lustig? dachte Buback, doch dann blickte er wieder in Augen, in denen selbst professionelles Mißtrauen keine Falschheit erkannte. Er willigte ein, wies zur Strafe aber das Angebot zum Besuch des angeblich berühmten Schloßkellers barsch zurück. Während sein Begleiter die linierten Seiten fleißig mit Angaben über den Verdächtigen vollkritzelte, hörte er aufmerksam zu und versuchte den Eindruck zu erwecken, daß er aus Unkenntnis der Sprache durchs Fenster eine Schar Krähen beobachtete, die mit gezielten Anflügen einen geeigneten Baumsitz suchten.

Der schweißgebadete Polizist führte Malatínský zwei Minuten nach zwei vom Hof herein. In wattierten Leinensachen und Filzstiefeln trat ein Kerl wie ein Baum ins Zimmer, fast stieß sein Kopf an den Türstock. Buback dachte unwillkürlich an Meckerle, ließ den Vergleich aber rasch fallen. Das hier war kein Sack Fleisch, sondern ein Bündel Sehnen und Muskeln. Er hatte ein ebenmäßiges und festes Gesicht unter einer schwarzen Mähne und kein einziges graues Haar, beim Gehen straffte er Knie und Schenkel fast wie eine Balletteuse, wobei aber eine animalische Manneskraft von ihm ausging.

Dann fing Buback den untergebenen Blick des Kriminaladjunkten auf und winkte ihm loszulegen. Der Tscheche bat die lokalen Würdenträger, den Polizisten ausgenommen, sich zu entfernen, und forderte den Vorgeladenen auf, sich zu setzen. Auch das tat dieser auf eine Weise, die einer besseren Gesellschaft würdig war. Er schlug die Beine übereinander und faltete seine ansehnlichen Hände im Schoß. Obendrein führte er vor, daß er Deutsch sprach, mit starkem Akzent freilich, doch dafür mit einem ordentlichen Wortschatz. Auch er stammte doch aus dieser gemischten Region.

Nach der üblichen Einleitung, bei der man seine Personalien überprüfte und ihn belehrte, stellte der Mähre aus Prag ihm dieselbe Frage wie schon dem Jurajda heute morgen in Brünn: Wo befand er sich am 14. Februar dieses Jahres, und wer kann ihm das bestätigen?

«Das schreibe ich mir lieber nicht auf», erwiderte zähneblekkend der Befragte.

«Dann werden Sie sich erinnern müssen.»

«Wieso ist das so wichtig?»

Der junge Mann kam gleich zur Sache, und Buback wußte, daß er nicht anders gehandelt hätte.

«Sie sind im Jahre 1929 wegen eines brutalen Mordes verurteilt und nach Ihrer Entlassung im Herbst 1938 wegen eines anderen Mordes vernommen worden, ohne Ergebnis. Wir suchen einen Täter, der am vierzehnten Februar dieses Jahres auf ganz ähnliche Weise eine Frau in Prag umgebracht hat.»

Jawohl, billigte es Buback, nur weiter so. Wenn er der Mörder war, wußte er genau, warum wir hier waren, und würde sich bald eher verkrampft benehmen. Der Mann lachte jedoch, als habe er einen guten Witz gehört.

«Und warum suchen Sie ihn ausgerechnet hier?»

«Eine bekannte Firma zu fragen», sagte Berans und jetzt Bubacks Famulus ebenso ungezwungen, «ist immer ein guter Anfang und oft auch das beste Ende. Haben Sie es getan?»

«Nein», versetzte der andere nach wie vor beinahe amüsiert, «solche Dummheiten liegen ein für allemal hinter mir. Hätte ich meine Frau damals kurzerhand auf der Straße durchgewatscht und ihr die Klamotten nachgeschmissen, hätte ich mir zehn Jahre meines Lebens erspart und nicht hundert bessere Weiber verpaßt. Nur war ich leider zwanzig und saublöd dazu.»

«Die Art, wie Sie die Tat begingen», fuhr der junge Mann im Gesprächston fort, «zeugte von keinem Affekt, sie wurde von den Geschworenen als Äußerung eines besonders widerwärtigen Sadismus qualifiziert. Der Staatsanwalt forderte lebenslänglich.»

«Das Gericht aber hat mir fünfzehn aufgebrummt, weil es mich verstand. Sie war meine erste, ich war damals eben rasend eifersüchtig. Im Kittchen ist mir das für alle Zeit vergangen.»

«Wo waren Sie am vierzehnten Februar dieses Jahres?»

«Was war das für ein Tag?»

«Ein Mittwoch.»

«Wahrscheinlich auf Arbeit.»

«Stimmt nicht», jetzt lächelte der Gegner, «wir wissen bereits, daß Sie zwei Tage Urlaub genommen hatten. Warum?»

«Ich war wohl müde. Eine Woche lang wurden hier die großen Fässer gereinigt.»

«Sie nehmen oft Urlaub.»

«Ich nehm Urlaub, wann ich will und kann. Sie nicht?»

«Und wie verbringen Sie ihn? Etwa den von heute. Daran erinnern Sie sich doch wohl?»

Malatínský lachte, daß sein weißes Gebiß funkelte.

«Ja, das schon.»

Er hat nicht eine einzige Plombe! stellte Buback neidisch fest. Der Kerl ging ihm immer mehr auf die Nerven. Dich sollte mal einer von Meckerles Boxern in die Mangel nehmen, dachte er und schämte sich sogleich: Ich bin schon wie die!

«Herr Malatínský», sagte sein Gefährte plötzlich in sehr ernstem Ton, «ich möchte Sie darauf hinweisen, daß das Opfer eine Bürgerin des Deutschen Reiches war. Die Untersuchung überwacht daher hier der Herr Oberkriminalrat Buback von der Prager Gestapo. Wenn Sie mir keinen Beweis Ihrer Unschuld liefern, dann wird seine Behörde ihn einfordern. Sie können wählen.»

Dieser Knabe liest meine Gedanken, wunderte sich Buback und steuerte einen eiskalten Blick bei, den er gut beherrschte. Dem Vorgeführten verging das Lachen.

«Ich war es wirklich nicht. Ich habe für den Februar ein genauso gutes Alibi wie für gestern. Nur kann es mich meine Stelle kosten ...»

Sein Selbstbewußtsein hatte einen Sprung bekommen, der sich rasch vergrößerte. Der Prager Kriminalist wandte sich dem hiesigen Ordnungshüter zu.

«Darf ich Sie bitten, hinauszugehen?»

Der Angesprochene, der bis dahin den Blick zwischen beiden hin und her hatte wandern lassen, verstand nicht gleich, er zog Malatínský am Ellbogen, er solle aufstehen und ihm folgen. Als Morava seine Aufforderung wiederholte, errötete er wie ein getadelter Schüler und ging selbst eilig hinaus. Erst jetzt fuhr der junge Mann fort, diesmal fast freundschaftlich.

«Wir haben kein Interesse daran, Ihnen Schwierigkeiten zu machen, falls Sie unschuldig sind. Sollte Ihr Alibi überzeugend sein, behalten wir es für uns.»

«Ich war in Brünn.»

«Was haben Sie da gemacht?»

«Gefickt», sagte der Mann in seiner Muttersprache, «ich weiß nicht, wie das auf deutsch heißt.»

Es erheiterte Buback, daß der Tscheche ihm dieses Wort beim Übersetzen verlegen umschrieb; er hatte diesen Ausdruck einst als erster in der Klasse gekannt.

«Sie verstehen», fuhr der junge Mann fort, «daß wir das noch prüfen müssen.»

«Ja. Ebenda liegt der Hase im Pfeffer.»

«Ist die Dame vielleicht verheiratet?»

«Welche?»

«Wieso welche ...?»

«Meinen Sie die vom Februar oder die jetzige?»

«Uns interessiert die vom Februar!»

«Ja, hm ... aber könnten Sie sie nicht fragen, wenn die andere nicht dabei ist?»

«Warum sollte sie dabei sein ...?»

«Es sind Mutter und Tochter.»

Der Kriminalist war auf einmal ein verstörtes Jüngelchen, und Buback schien es, als suchte der Verhörte jetzt männliches Verständnis bei ihm. Er hatte das Gefühl, eingreifen zu müssen.

«Welche war das im Februar?»

«Die Mutter.»

«Und wo finden wir sie?»

«Na hier.»

«Sie sprechen von Brünn.»

«Dort war ich mit ihr im Hotel. Jetzt mit der Tochter auch.»

«Und wer ist diese Mutter?»

«Die Frau vom hiesigen Verwalter. Sie wohnt gleich hier im Schloß. Aber von der Tochter reden Sie mit ihr doch nicht?»

«Nein», sagte Buback.

«Und könnten Sie sie unauffällig befragen?»

«Ja», sagte Buback.

Was ist mit mir los? dachte er verwundert. Zuerst wünsche ich ihm Prügel, und jetzt errichte ich eine dreifache Mauer um ihn? Werde ich ihn vor dem Ehemann und vor zwei betrogenen Geliebten decken? Nun, wie auch immer, der sechste Sinn des erfahrenen Fachmanns sagte ihm, daß die bestialische Tat, die dieser Mann seinerzeit begangen hatte, anscheinend doch nicht der Ausdruck angeborener Abartigkeit war, sondern ein Wutausbruch gedemütigter Männlichkeit. Er zweifelte nicht daran, daß sein Alibi überzeugend bestätigt werden würde, dieses Mannsbild verströmte eine solche Vitalität, daß er seine Wollust wahrlich nicht durch Quälen und Töten ersetzen mußte. Nein, der Ausflug hierher könnte nur in einer Hinsicht von Nutzen sein: Er würde versuchen, seinem Begleiter und damit seiner eigentlichen Aufgabe noch näher zu kommen.

Sternstunde der Mörder

Подняться наверх