Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 31

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Sie wurden von allen erwartet, die in Brünn dazugehörten. Der Chef der hiesigen Kriminalpolizei, Matulka, verdankte diesen Posten seinem eifrigen Kollaborieren, er war in der «Vlajka-Fahne», in der «Nationalen Gemeinschaft», in der «Liga gegen den Bolschewismus», und höchstwahrscheinlich denunzierte er obendrein, Beran hatte ihn heute früh auf der Moldauinsel als den «größten Fleck auf dem Rest von Ehre der tschechischen Kriminalpolizei» bezeichnet. Er durfte es sich sogar erlauben, nicht Deutsch zu können, man flüsterte, er habe sich während des ganzen Krieges gerade bis zur dritten Lektion durchgekämpft. Morava übersetzte also für Buback und den hiesigen Gestapomann.

Der Brünner sprach zunächst kriecherisch Bruno Thaler von jedwedem Verdacht frei, wegen seiner großdeutschen Herkunft und, wie er es nannte, erwiesenen patriotischen Aktivität außerhalb des Protektorats zur Zeit des Mordes an der Näherin Kubílková. Völlig aus dem Konzept brachte ihn Bubacks Bemerkung, die Tat sei noch während der ehemaligen Republik begangen worden und er werde dem Alibi persönlich nachgehen. Morava war überrascht, daß die beiden Deutschen ihrem hiesigen Verbündeten gegenüber eine geradezu beleidigende Geringschätzung an den Tag legten. Stinkt Verrat auch jenen, die sich seiner bedienen?

Dem Mann mußte dies klargeworden sein, er begann zu schwitzen und zu stottern, bis er endlich das Wort seinem Stellvertreter Váca übergab, der leider auch nicht nach einem Polizisten alter Schule aussah. Aus Papieren, die er anscheinend das erste Mal vor Augen hatte, las er ihnen stockend Informationen über zwei weitere Verdächtige aus dem Jahr 1938 vor.

Josef Jurajda, seinerzeit Invalide, da er beim Anstreichen des Brünner Rathauses von einer hohen Leiter gefallen war, wurde von der Stadt als Nachtwächter im Gebäude des Arbeitsamtes beschäftigt. Für den 14. Februar bestätigt ihm nur seine Frau das Alibi. Ihr zufolge verschlief er diesen Tag wie üblich, während sie im Grandhotel Geschirr spülte. Wann er den abendlichen Rundgang im Arbeitsamt begann, darüber gab es keine direkte Zeugenaussage, auf jeden Fall waren ihm um fünf Uhr früh des folgenden Tages die Putzfrauen begegnet. Die Herren aus Prag könnten ihn hier jederzeit verhören.

Jakub Malatínský hatte zur Zeit des Prager Mordes einen Abbummeltag, worüber er vorerst jede Auskunft verweigerte, er behauptete aber, er werde nötigenfalls ein stichfestes Alibi beibringen. Auch ihn hatte Brünn über die örtliche Polizei angewiesen, sich von seinem Wohnort nicht zu entfernen. Falls die Herren es wünschten, könne er unverzüglich herbeigeschafft werden.

Morava geriet in Begeisterung, als Buback erklärte, er wolle morgen persönlich nach Schloß Celtice fahren. Lieber Gott! er wollte es nicht berufen: Sollte es unterwegs möglich sein, die Mutter zu besuchen ...??

Was Alfons Hunyady betraf, schloß Váca, sich mit dem Taschentuch über den Nacken fahrend, so wurde dieser in die Registratur des Rasse- und Siedlungshauptamtes übernommen, wodurch sich die weitere Untersuchung der Kompetenz der Protektoratspolizei entzöge, die deshalb den Herren Deutschen nicht dienen könne ...

Als Morava mit dem Dolmetschen fertig war, fragte er Buback, ob er neben dem Fall Thaler auch diesen überprüfen wolle. Ihn befremdete, daß er das erste Mal einem verständnislosen Blick begegnete. Dann sagte der Deutsche, er solle den Zigeuner ruhig vergessen. Damit war das Programm der Besprechung erschöpft.

Für Matulka war es offenkundig nur ein bloßes Vorspiel gewesen, denn er lud die Anwesenden vielsagend zu einem geselligen Abend, den er sich für sie im Grandhotel zu bestellen erlaubt habe. Berans Theorie, diese Untersuchung sei nur die Leimrute, auf welche die ganze tschechische Polizei fliegen solle, bekam für Morava einen weiteren Riß, als Buback die Einladung ziemlich schroff ausschlug, das Verhör Jurajdas auf die achte Morgenstunde ansetzte und sich mit dem Brünner Gestapomenschen entfernte.

Morava konnte nicht ablehnen und wollte es auch nicht, der Verlauf der Sitzung hatte ihn nicht befriedigt, und so hoffte er, Matulka und Váca weitere interessante Einzelheiten zu entlokken. Bald erkannte er, daß Buback auch diesmal einen guten Riecher gehabt hatte. Die beiden wußten nicht mehr als das, was ihnen offensichtlich von ihren Leuten, die sie nicht hinzugezogen hatten, um sich mit fremden Federn schmücken zu können, auf den Tisch gelegt worden war. Sogar ihm, dem kleinen Assistenten, krochen sie auf unerträgliche Weise in den Hintern, und er begriff rasch, daß sie fast unzurechnungsfähig vor Angst waren.

Was die Zentrale mit ihnen vorhabe? wollte der hiesige höchste Gesetzeshüter wissen, während er hastig die Mährischen Spatzen vertilgte, die er im Hotel, an und für sich eine Straftat! markenfrei besorgt hatte, falls die Front hierherkäme? Niemand in Brünn zweifle daran, beeilte er sich Morava nachdrücklich zu versichern, damit es bis nach Prag gelangte, daß das Großdeutsche Reich siegen werde, doch wie sollte man sich in der kurzen Zwischenzeit verhalten, wenn der Führer es eventuell aus strategischen Gründen für günstig erachte, die Front vorübergehend nochmals zu verkürzen? Rechne man etwa damit, daß die Brünner Mitarbeiter mit ihren Erfahrungen ihre Prager Kollegen im Kampf gegen die kriminellen Elemente, die die Ereignisse mißbrauchten, unterstützen könnten?

Jan Morava hatte keine Ahnung gehabt, wie schadenfroh er zu sein wußte. Die menschliche Furcht, die aus ihren verlogenen Phrasen klang, war ihm verständlich, doch Matulkas Ruf und sein Verhalten machten ihn hart. Im Grunde, so teilte er ihnen mit, habe sich der Herr Polizeipräsident Rajner im Februar in seinem Beisein bei der Gestapo dahingehend ausgesprochen, der gesamte Apparat des Protektorats habe unter allen Umständen getreulich an seinem Platz auszuharren; Standartenführer Meckerle habe darauf geantwortet, daß das Reich nichts anderes erwarte.

Nicht doch! dachte er dabei entsetzt, seit wann kann er andern so ins Gesicht lügen? Und wird nicht mal rot? Offenbar nicht, denn Matulka und sein Speichellecker Váca, der sich seiner würdig erwies, blökten um die Wette, sie würden ein solches Vertrauen nicht enttäuschen. Ob der Herr Adjunkt ihnen aber andeuten könne, wie sie sich konkret zu verhalten hätten, falls Brünn, Gott bewahre, daß sie es erwarteten, doch rein theoretisch, von den Bolschewiken kurzfristig besetzt würde? Mit den Amerikanern sei wohl kaum zu rechnen, oder habe der Kollege andere Nachrichten aus guter Quelle?

O nein, bestätigte er ihnen mitleidlos, falls sich die Dinge so entwickelten, wie sie es gerade selbst andeuteten, kämen mit Sicherheit die Russen her. Die übergeordneten Stellen erwarteten, daß alle Dienstgrade der Polizei auf ihren Posten verblieben, um das öffentliche Leben wieder in Gang zu setzen und die Sicherheit der Bevölkerung eben vor den ihrerseits erwähnten Elementen zu gewährleisten.

Aber wie, so brach jetzt aus Váca ihre ganze Panik hervor, sei auf mögliche Anzeigen zu reagieren, sie seien Werkzeuge des Okkupationsregimes gewesen? Wer würde ihnen bestätigen, daß sie nur die Befehle der Zentrale ausgeführt hätten, wenn sich die Front zwischen sie schiebe? Sollten sie ihre Posten nicht lieber gleich weniger exponierten Leuten übertragen und sich nach Prag absetzen, bis sie hierher zurückkehrten, um der wiederhergestellten Protektoratsmacht erneut voll zur Verfügung zu stehen? Morava verlor jedes Erbarmen mit ihnen.

Sie seien doch Kriminalisten wie ihre Prager Kollegen, sagte er bereits kühl, und er kenne in Prag niemanden, den ähnliche Gedanken plagten. Falls sie hier der allgemeinen Ordnung gedient hätten, wie es ihre einzige Pflicht gewesen sei, und nicht auf eigene Faust außerdienstliche politische Tätigkeiten entwikkelt hätten, dann hatten sie doch gar nichts zu befürchten, eine Kriminalpolizei werde doch von jeder Macht benötigt. Doch jetzt mögen sie ihn freundlicherweise entschuldigen, er habe morgen eine Menge Arbeit zu erledigen, um zu ermitteln, was ihre Untergebenen nicht ermittelt hätten, und er würde gern ein wenig schlafen.

Er ließ sie dort samt ihren ungeleerten Gläsern und unverscheuchbaren Sorgen sitzen und gelangte mühelos ins Hotel, durch menschenleere Straßen gehend, die er während der Prager Jahre fast schon vergessen hatte. Bevor er beim Pförtner klingelte, hielt er inne und lauschte. Nein, er hatte sich nicht verhört, die kühle Windstille wurde von einem schwachen, doch erkennbaren Donnern erschüttert, das sich abschwächte, verstärkte und wie einst die Aprilgewitter über Südmähren hin und her rollte.

Die Front, begriff er. So nah waren sie schon?

Dann dachte er nur noch an Jitka, denn er ging in den letzten drei Wochen das erste Mal ohne sie schlafen.

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