Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 139
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Perry Rhodan
Die Sonne stieg höher, und die Dunkelheit der Nacht wich in Felsspalten und Höhlen zurück. Immer wieder knackte es im nahen Eis, manchmal laut wie eine Explosion, und Risse bildeten sich.
Der Wind wurde stärker, fauchte und zischte über die Felsen und schüttelte die kleine, nutzlos gewordene Antigravplattform der Shenpadri. Daneben führte der Eistunnel in die Tiefe, zur zerstörten Station aus der Zeit des Solaren Imperiums. Und zu einem Zweitkonditionierten, einem Überlebenden des Dolan-Kriegs.
In einer Mulde hatte sich Schmelzwasser gesammelt. Rhodan beobachtete mehrere rosarote Halme, die daneben aus Rissen in Stein und Eis sprossen. Einer von ihnen, größer als die anderen, trug zwei violette Knollen. Ein Windstoß traf sie, die Knollen wackelten und öffneten sich. Gelblicher Sporenstaub bildete kleine Wolken, die der Wind sofort packte und forttrug.
»Er stirbt«, klagte Shanlud mit seiner Lingumaske. »Der terranische Fluch bringt ihn um!«
Der zweite Shenpadri lag zusammengerollt und reglos. Die roten Muster in seinem weißen Gefieder waren grau geworden.
Amma Vargas kauerte im Windschatten des Felsens. Sie war blass und hustete immer wieder.
»Wir könnten nach unten zurückkehren«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »In die zerstörte Station. Vielleicht gibt es dort irgendwo Medopakete.«
»Nach mehr als dreitausend Jahren dürfte sich damit nicht mehr viel anfangen lassen«, entgegnete Rhodan. »Und außerdem treibt sich dort unten ein Zweitkonditionierter herum.«
»Warum hat er nicht zugeschlagen?«, fragte Amma. »Er hätte dich töten können, nicht wahr?«
»Ich denke schon.«
»Aber er hat es nicht getan.«
»Nein«, bestätigte Rhodan nachdenklich.
»Warum nicht?«
»Und warum geht es dir gut, Perry Rhodan?«, fragte Shanlud vorwurfsvoll. »Warum bist du nicht krank?« Die ersten rubinroten Muster in seinem Fall wurden grau wie bei dem anderen Shenpadri.
Rhodan glaubte die Antwort zu kennen. »Ich werde nie krank. Ich bin unsterblich.«
»Es ist dein Zellaktivator, nicht wahr?«, fragte Amma.
»Du weißt davon?«
»Er wird in den alten Geschichten und Legenden erwähnt.« Amma hustete wieder. »Ich wünschte, ich hätte ebenfalls einen. Sehr praktisch.«
Sonnenschein erreichte den Felsen und brachte Wärme. Amma Vargas schlief ein – oder vielleicht verlor sie das Bewusstsein –, und Shanluds Lingumaske verlor ihr menschliches Gesicht. Mund und Nase verschwanden, und die Augen wanderten umher, schrumpften und wurden zu Flecken so violett wie die Knollen der rosaroten Halme.
Rhodan beobachtete den Himmel, an dem keine Zylinderschiffe der Shenpadri mehr zu sehen waren, und auch den Rücken des langen Gletschers, aus dem da und dort Felsen ragten. Der immer noch wehende Wind wirbelte Schnee auf und ließ ihn über kleinen Schmelzwasserseen tanzen. Ansonsten zeigte sich nirgends Bewegung. Himmel und Gletscherrücken blieben leer.
Nach einer Weile legte sich der Wind, und Stille kroch heran, nur unterbrochen vom Knacken des schmelzenden Eises.
Rhodan schloss die Augen, nur für einen Moment, wie er dachte. Als er sie wieder öffnete, war mehr als eine Stunde vergangen. Er fühlte einen Druck auf dem Kopf, oder vielleicht darin, wie von etwas, das herein- oder hinauswollte. Vage erinnerte er sich an den Traum von einer langen Reise durch das Universum, von Galaxienhaufen zu Galaxienhaufen, durch die tiefe Leere zwischen ihnen.
In seinem Traum hatte er den Ereignishorizont von Schwarzen Löchern gesehen, den Tanz von Neutronensternen, das nukleare Brodeln kurz vor stellaren Explosionen. Im Kleinsten hatte er den Reigen des Werdens und Vergehens von virtuellen Teilen beobachtet, das Zittern von Raum und Zeit in Quantenfluktuationen, das besondere Spiel der Wahrscheinlichkeiten, das die zarten Gespinste von Realität hervorbrachte.
Er hatte die Hand ausgestreckt, falls es überhaupt eine Hand gewesen war, und die raue Oberfläche vergangener und zukünftiger Äonen gefühlt. Darunter tropfte und rann die Zeit, aber manchmal strömte sie auch, mit Wogen und Wellen, auf denen er reiten konnte, durch Vergangenheit und Zukunft.
Einmal hatte er sogar geglaubt, eine Spur der Gloriosen gefunden zu haben, von der es hieß, dass sie im Superplasma der Schöpfung gebadet hatte, in der Wiege von Raum und Zeit.
Rhodan blinzelte. Der Druck auf seinen Kopf – oder im Innern des Schädels – nahm zu, verursacht wie von Tausenden Stimmen, die zu schreien versuchten und nicht mehr schafften als ein wortloses, unverständliches Flüstern.
Etwas erschien am Himmel, ein heller Punkt, der einen Schweif hinter sich her zog.
Rhodan streifte die Benommenheit ab und richtete sich auf. Ein Zischen kam aus der Ferne, wie die Stimme des zurückkehrenden Winds, und aus dem Punkt wurde ein ... Gleiter?
Mit hoher Geschwindigkeit raste er heran, ohne ein schützendes Prallfeld, so schnell, dass Bug und Unterseite glühten. Er hielt direkt auf den Gletscher mit dem Eistunnel zu, und erst im letzten Augenblick aktivierte der Pilot Triebwerk und Antigrav, um die Geschwindigkeit zu verringern. Sie blieb dennoch hoch genug für eine ziemlich harte Landung – eine der Landestützen brach, und das Gletschereis schmolz und verdampfte beim Kontakt mit der heißen Außenhülle.
Rhodan näherte sich mit vorsichtigen Schritten. Einige Meter vor dem Gleiter blickte er zu den beiden Shenpadri und Amma Vargas zurück, die noch immer beim Felsen lagen und sich nicht rührten.
Das Eis knirschte und knackte.
Schließlich schwang vor ihm die Luke auf, und Donn Yaradua kletterte nach draußen, mit dem Siganesen auf der Schulter. Zafer Young von der NEY ELIAS folgte ihm.
Rhodan deutete sofort auf die Shenpadri und Amma Vargas. »Wir brauchen deine Hilfe, Donn.«
*
»Wie stellt er es an?« , brummte Zafer Young. »Was macht er?«
Rhodan und der stellvertretende Kommandant der NEY ELIAS standen einige Meter abseits und beobachteten, wie sich Donn Yaradua um die beiden Shenpadri und Amma Vargas kümmerte. Bei Amma bückte er sich, berührte sie an Händen und Kopf. Bei den Shenpadri sank er auf die Knie, strich behutsam über die Federn und schob die Finger vorsichtig in Lücken zwischen ihnen.
»Er verfügt über eine besondere Fähigkeit«, erklärte Rhodan. »Damit kann er Einfluss nehmen auf das Stoffwechselsystem anderer Lebewesen.«
Zafer hustete plötzlich. »Ich habe die verdammten Sporen ebenfalls eingeatmet, wie alle anderen.«
»Aber es geht dir besser als Amma.« Rhodan deutete zur Kommandantin der NEY ELIAS, die wie aus einem tiefen Schlaf erwachte und sich die Augen rieb. »Vielleicht sind manche Menschen widerstandsfähiger als andere. Bei den Shenpadri ist es ähnlich. Shanlud hat länger durchgehalten als der Plattformpilot.«
»Was ist mit dir?«, fragte Zafer. »Du scheinst nicht betroffen zu sein.«
»Weil ich einen kleinen Helfer habe, in mir.«
»Der Zellaktivator.«
»Du hast davon gehört.«
»Ja.« Zafer Young musterte ihn nachdenklich. »Du bist tatsächlich der legendäre Perry Rhodan, nicht wahr?«
Er wartete keine Antwort ab, stapfte zu Amma Vargas und half ihr auf die Beine. Donn Yaradua kniete noch immer bei den beiden Shenpadri, die inzwischen nicht mehr völlig reglos lagen.
Tief im Innern des Gletschers knirschte und knarrte es. Rhodan glaubte zu spüren, wie das Eis unter ihm zitterte.
Sholotow Affatenga sprang aus der offenen Luke des schief stehenden Gleiters, in den er zurückgekehrt war, und rutschte übers Eis.
»Er wird noch eine Weile schlafen«, sagte der Siganese, als er Rhodan erreichte. »Felix Ghiss, meine ich.«
»Ein Terraner als Agent der Cairaner«, murmelte Rhodan.
Zafer hatte ihn bereits darauf hingewiesen und auch von den Ereignissen in der Stadt berichtet, vom Rückzug der Shenpadri, der sich schnell ausbreitenden Infektion und dem Energieschwund.
»Er wird einige Fragen zu beantworten haben, wenn er erwacht«, kündigte Tenga an. »Vielleicht erfahren wir von ihm mehr über die Cairaner.«
»Die mit großer Sicherheit bereits hierher unterwegs sind.« Rhodan fragte sich, was das für die Shenpadri und die Wissenschaftler von der NEY ELIAS bedeutete. Er wollte weder Shanluds Archäo-Kampagne noch Amma Vargas und ihre Leute in Schwierigkeiten bringen. Und noch viel weniger lag ihm daran, dass in der Milchstraße Gerüchte über einen »terranischen Fluch« zu kursieren begannen, den man mit ihm in Verbindung brachte.
Das Knirschen und Knarren wurde lauter. Der Gleiter neigte sich noch ein wenig mehr zur Seite.
»Ich nehme an, damit können wir nicht zur Stadt zurückkehren oder Tellus verlassen«, sagte Rhodan.
»Nein«, bestätigte der Siganese. »Wir können von Glück sagen, dass uns die Landung gelungen ist. Für einen normalen Flug hätte die Energie nicht ausgereicht. Zafer Young hat uns mit Vollschub bis an die Grenze der Atmosphäre gebracht, und anschließend sind wir mit desaktivierten Systemen gefallen.«
Donn Yaradua kehrte von den Shenpadri zurück, die sich aufrichteten und deren Gefieder wieder rote Muster bekamen.
»Gute Arbeit«, sagte Rhodan.
Zufriedenheit erschien in Donns Gesicht, wich aber sofort neuem Ernst.
»Ich kann nur vorübergehend helfen«, sagte er, bückte sich und hob den Siganesen hoch. »Nicht die Sporen sind der eigentliche Grund für die ›Infektion‹, wenn wir es so nennen wollen, sondern ein externer Faktor in ihnen, ein von außen kommendes Agens, durch das sich die Wirkung der Sporen verändert.
Ich kann die normale Funktion von Zellen, Nervenverbindungen und Organen wiederherstellen, was anstrengend genug ist. Aber wenn ich aufhöre, setzen die degenerativen Entwicklungen von Neuem ein. Die Shenpadri scheinen davon stärker betroffen zu sein als wir Menschen, bei ihnen geht es schneller.«
Rhodan blickte zu Shanlud, dessen Lingumaske wieder menschliche Züge anzunehmen begann. »Sie werden wieder krank?«
»In den nächsten Stunden, ja. Übrigens ...« Donn Yaradua senkte die Stimme, damit ihn die beiden Shenpadri nicht hörten. »Im Kopf der Shenpadri gibt es etwas, das nicht Teil des Gehirns ist und eine andere Zellstruktur aufweist als der Rest des Körpers. Ein fremdes Organ, dem Körper hinzugefügt. Das heißt, ich bin mir nicht einmal sicher, ob es wirklich ein Organ ist.«
In Rhodan regten sich Erinnerungen. »Welche Funktion erfüllt es?«
»Ich weiß es nicht. Eine genaue medizinische Untersuchung wäre nötig, um es herausfinden.«
Auch die Tiere in der Ausweglosen Straße waren mit solchen zusätzlichen Organen ausgestattet gewesen.
Es knackte lauter. Hinter dem schief auf dem Gletscherrücken stehenden Gleiter bildeten sich weitere Spalten im Eis.
Rhodan dachte plötzlich an den Zweitkonditionierten, der vor über dreitausend Jahren den vom Solaren Imperium eingerichteten Stützpunkt zerstört und bis auf Betty Anne Longfield alle Besatzungsmitglieder getötet hatte. Aber dann war er erstarrt, in der Höhle neben dem Hibernationsraum, und während der nächsten drei Jahrtausende hatte er sich nicht von der Stelle gerührt. Rhodan erinnerte sich an das seltsame Licht in den drei großen Augen, die ihn angestarrt hatten, während die Faust erhoben gewesen war, bereit dazu, Helm und Schädel zu zertrümmern.
»Was hat den Schwingungswächter davon abgehalten, mich zu töten?«, fragte er leise.
»Schwingungswächter?«, wiederholte Zafer Young verwirrt.
»Und wohin ist er verschwunden?«, fügte Rhodan hinzu. Er spürte, wie sich der Druck auf – oder in – seinem Kopf veränderte, wie als Reaktion auf seine Fragen. »Das Agens, Donn, das fremde Etwas in den Sporen ... Kannst du feststellen, wo es seinen Ursprung hat?«
Shanlud glitt auf sie zu, ein Messinstrument in den Greiflappen seines Schwanzes.
»Die fremde Energie, die unsere Energie schluckt«, sagte er. »Sie ist hier, unter uns.«
»Bitte sehr, gerne geschehen«, sagte Tenga laut und deutlich.
»Was?« Der Ruinenhüter wandte sich ihm zu. »Was?«
»Du sagst: ›Danke, dass ihr mir das Leben gerettet habt.‹ Und wir sagen: ›Bitte sehr, gerne geschehen.‹ Ohne den Großen hier wärst du tot.« Er zeigte auf Donn Yaradua.
Rhodan achtete nicht auf den Wortwechsel. »Donn?«
»Es könnte stimmen«, erklärte der Metabolist. »Ich habe einen Eindruck von ... Nähe gewonnen. Vielleicht sind das Agens und der Ursprung des Energieschwunds tatsächlich hier.«
»Also gut.« Rhodan nickte. »Da wir ohnehin nicht die Möglichkeit haben, Tellus zu verlassen oder zur Ausgrabungsstätte mit der Stadt zurückzukehren ... Vielleicht finden wir unter dem Eis die eine oder andere Antwort.«