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10.

AUCBURN

Nervengift

»Es funktioniert!«, sagte Sholotow Affatenga.

Rhodan sah den Siganesen an.

»Mein SERUN hat Kontakt mit der Bordkommunikation.«

»Und?«

»Bin ich ein Positronenhirn? Es dauert eine Weile, bis ich den Funkverkehr ausgewertet habe. Da schwirren Zehntausende Nachrichten durch den Äther.«

Perry Rhodan fasste sich in Geduld. Er sah sich um. Ihre Lage hatte sich nicht grundlegend gebessert. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Schiffssysteme sie anmessen und entdecken würden. Ihr Ziel war es zwar noch immer, zumindest einen Scheinangriff auf den Permanenter durchzuführen oder ihn tatsächlich ernsthaft zu beschädigen, aber Tenga hatte zur Vorsicht geraten und so etwas wie einen Schlachtplan erstellt.

Zuerst mussten sie einen Schutzanzug für Rhodan besorgen. An den SERUN kamen sie nicht heran, er war gut verstaut im Zellentrakt der AUCBURN, aber ein onryonisches Äquivalent würde es zur Not auch tun und war einfacher zu beschaffen.

Der Siganese lauschte konzentriert dem Funkverkehr, der automatisch vom Translator übersetzt wurde. »Etwas tut sich im Schiff. Jemand kommt an Bord ... mit dem On-Transmitter, während sich das Schiff im Linearraum aufhält!«

Rhodan war angemessen beeindruckt. Das war keine kleine Leistung.

Affatenga hob die Hand, und Rhodan blieb stehen. Es sah sich um, befürchtete, der Siganese hätte Onryonen entdeckt. Er war bereit, sich wieder zu ergeben, um seinem kleinen Begleiter die Flucht zu ermöglichen, doch Tenga zeigte auf eine Schalttafel an der Wand. Er schwebte darauf zu. Es dauerte eine Weile, doch dann stellte sein SERUN-DS über ein schmales Kabel, das er ausfuhr, eine Verbindung mit dem Display her. Tenga murmelte etwas, und in der Wand glitt eine verborgene Tür zurück.

In einem schrankähnlichen Abteil hingen zahlreiche Schutzanzüge.

Rhodan nahm einen von der Halterung und streifte ihn über. Es fühlte sich seltsam an, ein onryonisches Fabrikat anzulegen, doch er würde sich daran gewöhnen. Er befürchtete jedoch, dass es eine geraume Weile dauern würde, bis er die Feinheiten der einzelnen Funktionen durchschaut hatte und sie angemessen bedienen konnte.

»Der Gast ist ein Cairaner!«, sagte der Siganese unvermittelt.

»Verflixt! Steht der Besuch in Zusammenhang mit unserer Flucht?«

»Nein.« Tenga schüttelte den Kopf. »So wichtig sind wir nicht. Der Besuch war schon länger geplant. Es handelt sich um einen Abgesandten des Konsuls des Sternwestlichen Konsulats, Aiharra Haio. Der Name des Gesandten ist Paroshat Klaik.«

»Weshalb ist er hier?«

»Das muss ich herausfinden. Auf jeden Fall bringt er eine Probe mit an Bord ... die Probe einer Vitalenergie-Transfusion.«

»Eine Vitalenergie-Transfusion ...« Geschah das mit der Vitalenergie, die in der Ausweglosen Straße durch Vital-Suppressoren entzogen wurde?

»Wir sind da«, verkündete Tenga.

Ihnen versperrte ein Schott den Weg.

Dahinter lag ihr Ziel: der Permanenter.

*

»Wenn wir dieses Schott öffnen, werden wir es mit jeder Menge Onryonen zu tun bekommen«, sagte Rhodan. »Wie wollen wir vorgehen?«

»Nicht unbedingt«, widersprach Tenga. »Für uns ist der Permanenter etwas Besonderes, für die Besatzung der AUCBURN nicht. Lässt du an Bord der BJO das Lineartriebwerk eigens von Sicherheitskräften überwachen, oder nimmst du es einfach als gegeben hin?«

Die Argumentation des Siganesen hatte etwas für sich, doch Rhodan vertraute auf sein Bauchgefühl, und das sagte ihm, dass sie mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu rechnen hatten. »Wir müssen sehr vorsichtig vorgehen. Du trägst bei dem Angriff die Hauptlast. Ich stecke in einem Schutzanzug, den ich nicht vollständig beherrsche, und verfüge über nur eine Waffe ...«

»Sollten wir tatsächlich auf Wächter stoßen, werde ich sie ausschalten, und du nimmst ihre Kombistrahler an dich.«

Theoretisch hörte sich das ganz einfach an, doch Rhodan bezweifelte, dass es so leicht werden würde.

Tenga stellte mit der Schalttafel an der Wand eine Verbindung per Kabel her. Nach ein paar Sekunden zog der SERUN es wieder zurück, und der Siganese nickte.

Es ging los.

Geräuschlos fuhr das Schott in die Wand. Der Siganese schwebte zuerst durch die Öffnung.

Rhodan folgte ihm. Er fand sich in einer Maschinenhalle wieder, wie es sie auch an Bord der BJO BREISKOLL gab. Die Aggregate summten leise; die AUCBURN hielt sich zwar im Linearraum auf, flog aber nicht mit Höchstgeschwindigkeit, das Triebwerk wurde kaum beansprucht.

Tenga winkte ihn weiter. Er hatte sämtliche Instrumente des SERUNS aktiviert, die permanent orteten. »Mehrere Lebenszeichen vor uns, aber nicht in unmittelbarer Nähe.« Er hatte das Akustikfeld gedämpft, sodass Rhodan seine Stimme wie das leise Flüstern eines Terraners wahrnahm. »Vielleicht ist das nur das normale technische Personal ...«

Rhodan zuckte mit den Achseln. Er legte keinen besonderen Wert darauf, es bis ins Detail herauszufinden.

Sie schlichen weiter. Die SERUN-Instrumente verrieten Tenga den Weg. Ohne Zwischenfälle bewegten sie sich zwischen den mehrere Meter großen Aggregatblöcken.

Schließlich blieb Tenga stehen. Vor ihnen schwebte ein etwa zwei Meter hohes Gebilde, eine durchsichtige Kugel mit einem langen, antennenähnlichen Fortsatz am oberen Ende, der leicht vibrierte. In der Mitte befand sich ein schätzungsweise einen Meter hohes, nach oben und unten offenes schwarzes Gerät, das Rhodan wie ein Kessel vorkam, von dem ein intensives orangenes Leuchten ausging. Darüber und darunter waren zwei lampenschirmähnliche Elemente angebracht, und unter und über ihnen wiederum halbkugelförmige kleinere Bauteile. Von dem unteren ging ein rötliches Leuchten aus, das von dem Schirm darüber aufgenommen und an das mittlere Bauteil weitergeleitet wurde.

Während Rhodan noch über die Funktionsweise des Permanenters grübelte, gab Tenga eine leise Warnung von sich. »Wir müssen uns beeilen! Mehrere Onryonen nähern sich!«

»Haben sie uns entdeckt?«

»Keine Ahnung. Vielleicht sind sie nur auf Routinepatrouille. Soll ich?«

»Worauf wartest du? Deshalb sind wir hier.«

Tenga zog seinen Strahler. Im nächsten Augenblick bohrte sich ein dünner Thermostrahl in die durchsichtige Sphäre, die den Permanenter umgab.

Zu Rhodans Überraschung hielt das Material der Kugel dem Beschuss stand. Tenga fluchte leise und justierte die Waffe, gab mehr Energie in den Schuss.

Die Sphäre des Permanenters flimmerte.

Schritte erklangen, dann Stimmen, wurden schnell lauter. Rhodan wirbelte herum und sah, wie zwei Onryonen um die Ecke eines Maschinenblocks bogen ... und ein Jarrashalla!

Waren es seine Wächter, oder gab es mehrere dieser riesigen Fledermäuse an Bord? Das Tier ließ sich wie ein Haluter auf die Arme herab und rannte los, während die Onryonen ihre Waffen zogen und auf den Siganesen richteten, aber nicht zu schießen wagten.

Tenga befindet sich zu nah am Permanenter!, durchfuhr es den Terraner. Sie haben Angst, das Aggregat mit ihren Schüssen zu beschädigen!

Rhodan sah zu dem Siganesen. Mit verbissenem Gesichtsausdruck starrte Sholotow Affatenga auf den On-Permanenzgenerator, der der AUCBURN den dauerhaften Verbleib im Halbraum ermöglichte. Er gab weiterhin Feuer, stieg mit dem SERUN aber höher, bis dicht unter die Decke, um sich dem Zugriff des Jarrashallas zu entziehen.

Aber er hatte nicht mit der Sprungkraft des großen Tiers gerechnet. Mit einem mächtigen Satz stieß sich das fledermausähnliche Wesen vom Boden ab und griff nach dem Siganesen.

In diesem Augenblick durchdrang der Thermostrahl die Sphäre des Permanenters.

Tenga stieß einen unterdrückten Schrei aus, als sich die Klaue des Jarrashallas um sein linkes Bein schloss. Gleichzeitig versprühte der Permanenzgenerator eine Flut rötlicher Funken in den Maschinenraum.

*

Rhodan sah, dass die beiden Onryonen aus weit aufgerissenen Augen auf den Permanenter starrten. Ihre Emots leuchteten kalkweiß und flackerten dann in strahlendem Gelb auf, was von Schrecken, Angst, ja sogar Entsetzen kündete.

Hatte das Gerät so eine große Bedeutung für sie, oder befürchteten sie, unerbittlich zur Rechenschaft gezogen zu werden, weil sie nicht hatten verhindern können, dass es beschädigt worden war, während sie die Verantwortung für seine Unversehrtheit trugen?

Während er einen großen Satz machte, sah er aus dem Augenwinkel, wie der Jarrashalla dem Siganesen mitten ins Gesicht biss. In letzter Sekunde drehte Tenga sich zur Seite, sodass ihn nur einer der Eckzähne streifte und eine klaffende Wunde riss.

Perry Rhodan fluchte innerlich, hatte aber keine Zeit, sich um den Waffentechniker zu kümmern. Er musste die Onryonen ausschalten!

Seine Gegner reagierten viel zu spät. Er hatte sie bereits erreicht, als sie die Waffen senkten und auf ihn richteten. Einem rammte er die Faust in das lackschwarz schimmernde Gesicht; schreiend schlug jener die Hände vor die goldfarbenen Augen und brach zusammen.

Dem anderen entrang er dessen Handstrahler und versetzte ihm einen Handkantenschlag gegen den Hals. Im nächsten Moment wirbelte er herum.

Er hatte nicht die gleichen Skrupel wie die Onryonen hinsichtlich seines Waffeneinsatzes. Er feuerte einen Schuss auf das große fledermausähnliche Wesen ab, das sofort von dem Siganesen abließ und floh. Der Jarrashalla war und blieb ein Tier und floh vor dem Schmerz, den der glutheiße Strahl hervorgerufen hatte.

Rhodan kannte sich mit onryonischen Waffen gut genug aus, um den Strahler von Thermo- auf Paralysestrahlen umstellen zu können. Ihre Funktionsweise hatte sich in den letzten fünfhundert Jahren kaum verändert. Er bestrich die Onryonen mit den Betäubungsstrahlen und lief zu Tenga.

Die Bisswunde war kaum mehr als ein Kratzer und blutete kaum; trotzdem war der Siganese durch den Biss des Jarrashallas schwer verletzt worden. Die Giftdosis war für ihn unverhältnismäßig hoch. Dabei hatte er noch Glück im Unglück gehabt: Hätte die riesige Fledermaus ihn mit allen Zähnen erwischt, hätte sie ihm glatt den Kopf vom kleinen Körper getrennt.

Tenga hatte die Augen weit aufgerissen, sein Blick ging ins Leere. Das Nervengift wirkte offenbar.

Einen Moment spielte Rhodan mit dem Gedanken, Tenga zurücklassen und die Flucht allein fortzusetzen. Den Onryonen war bestimmt mittlerweile aufgefallen, dass der Permanenter nicht mehr ordnungsgemäß funktionierte, und sie würden in ein paar Minuten im Maschinenraum sein, um nach dem Rechten zu sehen. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass sie sich des Siganesen annehmen und ihm helfen würden. Sie hatten die besseren medizinischen Mittel, und die Bestandteile des lähmenden Nervengifts waren ihnen bekannt. Wahrscheinlich verfügten sie sogar über ein Gegengift.

Aber würden sie das wirklich tun? Da war sich Rhodan keinesfalls sicher, jedenfalls nicht sicher genug. Er kannte die Onryonen zwar als ethisch hochstehende Wesen, aber die Besatzung der AUCBURN waren Piraten.

Würden sie helfen oder Tenga sich selbst überlassen?

Nein, kein Risiko eingehen.

Vorsichtig hob Perry Rhodan den Siganesen hoch und sicherte ihn, so gut es ging, an seiner Hüfte.

Mit einem letzten Blick auf die beiden paralysierten Onryonen verließ er den Maschinenraum.

*

Zweimal musste Rhodan onryonischen Patrouillen ausweichen, die den Bereich um den Maschinenraum durchsuchten. Er hatte den Funkempfänger des erbeuteten Schutzanzugs auf die Frequenz umgestellt, die seine Häscher benutzten, und war auf diese Weise einigermaßen über ihr Vorgehen informiert.

Einmal lief er vor dem Suchtrupp davon. Beim zweiten Mal verbarg er sich in einem Lagerraum. Aber ihm war klar, dass er sich dem Zugriff nicht mehr lange entziehen konnte. Er musste die Initiative ergreifen.

Sholotow Affatenga war weiterhin bewusstlos. Der SERUN tat, was er konnte, doch der Zustand des Siganesen war besorgniserregend. Bald würde Rhodan eine Entscheidung treffen müssen. Als letzten Ausweg sah er, sich den Onryonen zu stellen und sie um Hilfe zu bitten.

Als er Tengas fahlgrünes Gesicht ein weiteres Mal betrachtete, stieg ein Gedanke in ihm empor. Zuerst kam er ihm abstrus vor, doch als er länger darüber nachdachte, wurde er immer verlockender. Was, wenn es ihm gelänge, die Probe der Vitalenergie-Transfusion in seinen Besitz zu bringen, die der Cairaner bei sich führte?

Aber wie sollte ihm das gelingen?

Rhodan ging weiter. Er musste in Bewegung bleiben. Es herrschte zwar Unruhe an Bord, doch sie war nicht so groß, wie man es eigentlich erwarten konnte.

War es möglich, dass der Kommandant der AUCBURN, Occnar Saddoryc, dem Gesandten des Konsuls noch nicht eröffnet hatte, dass der Gefangene geflohen war? Dass er insgeheim nach ihm suchen ließ, die Sache aber nicht an die große Glocke hängte?

Oder verrannte Rhodan sich damit lediglich in ein Wunschdenken, das ihm ermöglichte, noch eine Spur Hoffnung zu hegen?

Er musste es herausfinden. Er musste die Gunst der Stunde nutzen und den Cairaner überrumpeln, ihm die Vitalenergie entwenden.

Doch wie konnte ihm das gelingen, so vollkommen ohne Unterstützung? Ihm fiel nur einer ein, der ihm eventuell helfen würde, seinen Plan zu verwirklichen: Klingsor Too.

Immerhin war der Deccar-Reiter allem Anschein nach ein Terraner. Rhodan wusste nicht, wieso er sich den Onryonen angeschlossen hatte, doch vielleicht hatte er gute Gründe dafür. Das ließ sich herausfinden. Er musste seinem Instinkt vertrauen und Klingsor Too aufzusuchen.

Doch wo sollte er ihn finden?

Bei seinem Deccar natürlich!

Rhodan entsann sich an das große Biotop, durch das Occnar Saddoryc ihn auf seinem Weg zur Zelle geführt hatte. War dieses Reservat tatsächlich der natürlichen Umgebung der Deccars nachempfunden? Oder hatte Saddoryc es aus einer Laune heraus anlegen lassen, um etwaige Gäste damit zu beeindrucken, etwa den Cairaner, der an Bord gekommen war?

Aber das spielte eigentlich keine Rolle. Too würde sich bei seinem Deccar aufhalten, zumindest gelegentlich nach ihm sehen. Im Biotop konnte er hoffentlich recht bald Kontakt mit ihm aufnehmen.

Den Weg dorthin kannte er.

Aber er musste vorsichtig bleiben. Saddoryc würde überall Wachen aufstellen und Suchtrupps herumscheuchen, unterstützt von der Bordpositronik.

Und es stand keineswegs fest, wie Klingsor Too reagieren würde. Vielleicht war er ein Pirat mit Leib und Seele und würde Rhodan sofort an seine Kumpane verraten.

Es war riskant, doch Perry Rhodan sah keine andere Möglichkeit, aus der AUCBURN zu fliehen und Tenga damit das Leben zu retten.

Er würde es wohl oder übel auf die harte Tour herausfinden müssen.

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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