Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 174

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4.

Damals und jetzt

Seit zwei Tagen saßen sie nun in dieser Lagerhalle. Marli wünschte sich einen der Würfel aus Snajis Bar herbei. Sie hatte sich einen Außeneinsatz gefährlich vorgestellt. Lebensbedrohlich ... Nun hockte sie herum und drehte Däumchen, während Gucky esperte und Aurelia im Alleingang Informationen sammelte.

Atlan dagegen war die Ruhe in Person und schien die meiste Zeit zu schlafen. Übte er sich in philosophischen Debatten mit seinem Extrasinn? Machte er geistiges Dagor? Sonderlich gesprächig war er nicht, was Marli recht war. Mit Aurelia hätte sie sich gerne ausgetauscht, aber mit Atlan ... Sie waren in einem Einsatz, nicht zum Plaudern in Ogygia.

Immerhin hatte Aurelia Marli etwas dagelassen, das sie untersuchen konnte: einen TS-Roboter namens Lexa. Die kaum handgroße, diskusförmige Einheit war ein wahres Wunderwerk, das vor allem eines gut konnte: infiltrieren. Das TS stand für Trojanischer Simulant. Aurelia hatte das Gerät selbst modifiziert. Es eignete sich hervorragend, um sich an andere Roboter zu heften wie eine Klette. Hatte es erst unbemerkt angedockt, blieb es an einer fremden Maschine und simulierte, Teil dieser zu sein. Aurelia behauptete, dass sie auf diese Weise selbst Sprengstoff in sensible Bereiche bringen könnte.

Einmal hätten sie Lexa beinahe einsetzen müssen. Eine Kolonne aus acht Robotern war hereingeschwebt und hatte eine flüchtige Inspektion vorgenommen. Atlan hatte sie rechtzeitig entdeckt, und so war der Trupp aus ungleichen Maschinen wieder abgezogen, ohne Alarm auszulösen.

Die ständige Anspannung hatte Marli erst mürbe gemacht, aber sie konnte nicht die ganze Zeit über angespannt sein. Irgendwann hatte sie sich zwangsläufig beruhigt, und das ganz ohne Cashew-Schokodrops. Hin und wieder übte sie sich behutsam in den Steuerungsfunktionen des Schutzanzugs. Sie hatte ein Programm über den Umgang mit Strahlern durchgearbeitet, doch das alles lenkte sie nur bedingt ab. Der Anzug war trotz aller Anpassung auf Dauer unbequem und jeder Komfort musste da scheitern, wo die Ausscheidung begann.

»Ich wüsste zu gern, ob Kirt und Sebastion noch leben«, flüsterte sie im Helmfunk, obwohl sie dort eigentlich nicht flüstern musste.

Atlan antwortete in normaler Lautstärke. »Das könntest du gleich erfahren. Aurelia ist auf dem Rückweg. Sie wurde nicht entdeckt.«

Das erleichterte Marli. Ein Teil ihrer Phantasie war stets damit beschäftigt, sich Horrorszenarien vorzustellen, in denen ein wütender Posbi-Mob auf Aurelia losging.

»Kann ich den Helm kurz abnehmen?«

Atlan zögerte. Vermutlich prüfte er Daten und sicherte die Umgebung. »Sollte gehen. Leidest du unter Raumangst?«

»Ich komme schon klar, danke.« Marli öffnete den Helm und fuhr sich durch das kinnlange Haar. Die Luft schmeckte trocken und ein wenig metallisch. Es war empfindlich kalt. Sie bemerkte Atlans überraschten Blick. Er musste das Symbol unter den blauen Haarsträhnen entdeckt haben: ein rasiertes Emblem mit integriertem Holo, das orangegelb leuchtete.

»Das ist das Logo meiner Lieblingsmannschaft.«

»Du hast dir das einrasiert?«

»Natürlich!«

»Jetzt weiß ich wieder, weshalb ich Terraner Barbaren nenne.«

»Gibt es auf Arkon keine Fans?«

Atlan wirkte nachdenklich. »Wer weiß, was es noch auf Arkon gibt.«

Das erinnerte Marli schlagartig an die Erde, die ein Mythos sein sollte. Sie setzte den Helm wieder auf. Ein Signal im Visier blinkte. »Ist das ...«

»Ja«, sagte Atlan knapp. »Aurelia kommt zurück.« Er stand auf.

Auch Gucky erhob sich.

Fasziniert beobachtete Marli, wie Lexa auf Aurelia zuschwebte und an ihrem Rücken unsichtbar wurde.

»Neuigkeiten?«, fragte Gucky.

Aurelia lächelte. Ihre Lippen waren in diesem Moment so silberweiß wie ihre Augenbrauen. Sie änderten die Farbe gelegentlich, wurden mal dunkler und schattiger, dann wieder bleich wie Knochen. Vermutlich war es Aurelias Art, mit dem Ausdruck ihrer Gefühle zu spielen. Auch der Körper war nun eine Nuance dunkler, die Hülle graublau. »Ja! Ich habe Kirt über die öffentlichen Verzeichnisse gefunden!«

»Großartig!« Marli wäre vor Aufregung beinahe vom Container gestürzt – und sie war unsicher, ob der Anzug sie wirklich aufgefangen hätte, obwohl sie inzwischen deutlich besser mit der Flugfunktion zurechtkam.

»Wir müssen uns beeilen!« Aurelia winkte ihnen, ihr zu folgen. »Kirt ist nicht immer allein. Er hat einen Matten-Willy bei sich, der kaum von seiner Seite weicht. Sein Name ist Prexxel-Alabaster. Vermutlich eine Art Betreuer. Momentan hat der Matten-Willy das Quartier verlassen.«

»Ein Betreuer?«, fragte Atlan nach. »Warum braucht er einen?«

»Keine Ahnung.« Die Posmi flog schneller. »Aber wir sollten allein mit Kirt reden. Ich traue Prexxel-Alabaster nicht.«

»Hier ist einiges sonderbar«, stellte Gucky fest. »Der Eindruck, den ich bisher hatte, hat sich noch verstärkt. Die wenigen Posbis, die hier leben, haben sich in eine Art innere Verborgenheit zurückgezogen. Es herrscht Angst vor Stahmon. Jeder fürchtet, dass er ihm das Wertvollste nehmen könnte.«

»Das stimmt.« Aurelias Stimme klang hart. »Aber es leben nicht wenige Posbis ... jedenfalls nicht grundsätzlich. Aber die meisten haben keinen Plasmaanteil. Im Gegensatz zu mir simulieren sie allerdings keine Persönlichkeit, sondern sind im Grunde Roboter. Man hat ihnen das Wertvollste geraubt: ihre Existenz.«

»Was?« Marli hoffte, sich verhört zu haben. »Du willst sagen, man hätte ihnen das Plasma entfernt? Aber das ist Mord!«

»Es kann wieder eingesetzt werden«, sagte Aurelia. »Es wird verwahrt. Angeblich in einer Art Stasiskammer.«

»Von Stahmon?«, fragte Atlan.

»Ja.« Aurelia flog unruhiger, als würde sie allein die Nennung des Namens durcheinanderbringen. Die violetten Strukturen in ihrem Inneren leuchteten schwächer. »Offensichtlich beseitigt Stahmon auf diese Weise jene, die ihm im Weg stehen. Er scheint weit mehr ein Diktator als ein Kommandant zu sein.«

Aurelia lenkte sie in einen kahlen Gang, der wohl eine Art stillgelegter Versorgungsschacht war. Sie schien sich bestens auszukennen. Bisher hatten sie kein Schott öffnen müssen. Die Wege waren frei.

»Das passt«, sagte Gucky. »Die Posbis, die ich espern kann, sind in sich zurückgezogen. Ihre Furcht vor Stahmon bestimmt sie. Aber an Stahmon selbst komme ich nicht heran. Einmal hatte ich einige Gedanken, die von ihm stammen könnten, doch sie waren gleich wieder fort.«

In Marli tobte schwarze Wut. »Er hat ihnen die Plasmaanteile entfernt?«

Gucky kniff die Augen zusammen. »Glaub nicht, dass uns das entgangen wäre oder gleichgültig ist! Ich werde mir diesen Stahmon früher oder später höchstpersönlich vorknöpfen, und dann ...«

»Später«, unterbrach Atlan. »Nicht früher. Zuerst brauchen wir mehr Informationen. Aurelia, was weißt du über Stahmon?«

»Nichts mit Gewissheit. Die Aussagen widersprechen einander – wie bei so vielem. Offenbar hatten der Posizid und die Datensintflut auch an Bord der Station starke Auswirkungen. Ich habe mich darauf beschränkt, aus der Verborgenheit zu ermitteln, das war langwierig. Es wäre sicher leichter, wenn ich direkt mit Posbis Kontakt aufnehmen würde. Immerhin konnte ich auf ein paar frei verfügbare Funkdaten zugreifen.

Stahmon ist sehr umtriebig. Er erscheint öfter – so nennt man es. Offenbar benutzt er Avatare, um ständig präsent zu sein.«

Marli schauderte. In was für eine Umgebung war sie da geraten? »Ist er ein Posbi?«

»Das weiß ich nicht. Selbst in diesem Punkt widersprechen die Daten einander. Offensichtlich herrscht auf WHEELER große Unsicherheit. Wobei es eine gewisse Unklarheit gibt, inwieweit hierfür tatsächlich der Posizid verantwortlich ist, oder ob Stahmon die Daten manipuliert hat.«

Die Umgebung wechselte. Sie flogen in einen tunnelförmigen, hell erleuchteten Gang. Wände und Decken waren über und über mit Farbe bespritzt. Zuerst dachte Marli, es steckte kein Sinn dahinter: Farbtupfer auf Farbtupfer, ein wahlloses Durcheinander. Doch die Positronik wies sie darauf hin, dass es sich um einen einzigen, sich stets wiederholenden Satz handelte, der in allen Farben wieder und wieder übereinandergeschrieben stand.

»Wow«, sagte Gucky. »Seht ihr das auch?«

»Ja.« Atlans Stimme klang belegt. »Die Botschaft ist so simpel wie paranoid: Sicherheit geht vor.«

»Haben sie deswegen auf uns geschossen?«, fragte Marli.

»Vermutlich.« Atlan klang nachdenklich. »Ich hoffe, die Posbis wurden vom Posizid nicht in Mitleidenschaft gezogen, leiden an keinem Virus oder wurden anderweitig übernommen. Die Cairaner könnten sie beeinflusst haben.«

Die Cairaner. Eines der vielen Rätsel dieser Epoche. Was genau verbarg sich hinter ihnen?

Die bunten Wände blieben, doch nun kamen metallisch anmutende Gebilde hinzu, die an den Seiten und der Decke klebten. Es hätten Geräte sein können, Generatoren oder Anlagen zur Luftreinigung, doch der SERUN zeigte überdeutlich, um was es sich handelte: Matten-Willys! Offensichtlich ruhten sich die Begleiter der Posbis in diesem Tunnel aus.

»Erinnert an Fledermäuse«, scherzte Gucky. »Vielleicht ist Stahmon ja eine Art Vampir. Die Stimmung an Bord ist jedenfalls mieser als auf einem Friedhof.«

Marli dachte noch darüber nach, was die Cairaner den Posbis angetan haben könnten. Wie seltsam es war, fünfhundert Jahre später in eine Welt zu kommen, in der nichts mehr Gewissheit hatte. Sie wollte endlich erfahren, wie es Kirt ging, was aus Sebastion geworden war ...

»Da drüben ist es«, sagte Aurelia. »Auf dem Gang gibt es Kameras. Aber in den Quartieren herrscht Privatsphäre – falls sie gewünscht wird. Wir sollten uns Kirt zu erkennen geben, sobald wir drin sind.«

»Marli wird das tun«, entschied Atlan. »Wir halten uns vorerst zurück. Je weniger von uns sich zu erkennen geben, desto besser.«

Es lag also an ihr. Allein der Gedanke jagte Marli Furcht ein. Was war, wenn sie scheiterte? Kirt verärgerte? Nicht die richtigen Worte fand? Sie zwang sich, diesen negativen Gedanken nicht weiter zu folgen.

Sie hatten die Matten-Willys in Ruhestellung passiert und erreichten ein Wohngebiet. Doch noch immer war niemand zu entdecken.

Der Gang lag still da, kein Ton war zu hören. Auf den bunten Wänden erstreckten sich weiße Ausschnitte, wie Fenster, die Schneetreiben zeigten. Es waren ungenutzte Holoflächen. Ihre Inaktivität machte den Bereich trostlos. Marli hatte das Gefühl, in eine Raumstation geraten zu sein, in der nach einer verheerenden Katastrophe niemand mehr lebte. Nur die Maschinen arbeiteten weiter.

Auch die breite Gleittür vor ihnen war über und über mit dem einen Satz bedeckt: Sicherheit geht vor!

Die Art und Weise, wie konsequent diese Worte überall standen, hatte etwas Gruseliges an sich. Wenn Stahmon dafür verantwortlich war, war er möglicherweise paranoid geworden. Manchmal passierte selbst Posbis das.

»Ich habe Kirt und Prexxel-Alabaster ausspionieren können«, sagte Aurelia. Sie schwebte zum Eingabefeld, tippte mit fliegenden Fingern eine mindestens zwanzigstellige Zahlenabfolge ein.

Die Tür glitt auf.

Unwillkürlich hielt Marli die Luft an.

*

Die gut zwei Meter breite Gleittür vor mir fuhr zur Seite. Ich blickte in einen Raum, der derart sinnverwirrend war, dass mich die Details trotz Extrasinn überfluteten. Wände und Decke waren ab der Höhe von einem Meter Stauräume.

In transparenten Setzkästen steckten die unmöglichsten Dinge. Einige lagen auf Regalen, andere schwebten in Antigravfeldern. Vieles davon war technischer Natur, anderes wirkte wie das Sammelsurium eines Wahnsinnigen oder eines Müllliebhabers. Da schwebten metallene Verpackungen neben künstlichen Pflanzenstücken, Löffel neben Waschlappen, arkonidischer Halsschmuck neben einem Mini-Konverter. Jeder Gegenstand war sorgsam in der Mitte seiner winzigen Parzelle drapiert, lag oder schwebte wie ein Museumspräparat, eingepfercht von Tausenden Sammelstücken.

Der SERUN ließ die atembare Luft passieren. Es roch süßlich, nach Räucherstäbchen, Vanille und einem Parfüm, das ich von einigen Jülziish her kannte.

Mitten in diesem vollkommen überladenen Raum drehte sich ein gut fünfzig Zentimeter breiter Posbi zu uns um. Er bestand aus zwei metallenen, schwarz-weiß gemusterten Rädern, die mit einer Achse verbunden waren. Insgesamt maß der Posbi einen halben Meter in der Höhe. Er drehte sich von links nach rechts, als suchte er mit unsichtbaren Augen nach uns.

»Ist da jemand?«, fragte Kirt aus einem Akustikfeld, das in der Achse saß. Seine Stimme klang warm. Die schwarz-weiß gemusterten Räder rotierten vor und zurück. Ich kannte Posbis gut genug, um in den rasch aufeinanderfolgenden Richtungswechseln Kirts Unsicherheit zu erkennen.

»Zeig dich ihm!«, befahl ich Willka. »Versuch ihn zu beruhigen.«

Hinter uns schloss sich die Tür. Aurelia ging davor in Position, falls Kirt versuchen sollte, zu fliehen. Auch Gucky wirkte äußert wachsam.

»Mach schon!«, rief Gucky Willka zu. »Er hat große Angst!«

Willka schaltete den Deflektor ab. Ich konnte im Visier beobachten, wie ihr Herzschlag anstieg. Sie schien ebenso nervös wie der Posbis zu sein.

»Kirt!«, rief Willka. »Ich bin es!«

»Invasion!«, brüllte Kirt. Er fuhr noch wilder von links nach rechts. Auf der Achse in seiner Mitte glühten rote Lichter auf. »Invasion! Eindringlinge! Ladhonische Scharen! Alarm!«

»Kirt!« Willka hob beschwörend beide Arme. »Ich bin's, Marli! Marli Willka!«

Die Situation drohte außer Kontrolle zu geraten. Offensichtlich suchte Kirt nach einer Möglichkeit, den Sicherheitsdienst zu alarmieren.

»Bedroh ihn mit dem Strahler!«, riet ich.

Willka schüttelte den Kopf. »Nein! Er ist mein Freund!«

»Gucky!«

Der Ilt reagierte sofort. Er hielt Kirt telekinetisch fest.

»Aurelia, kann er Funkimpulse raussenden?«

»Nein! Ich habe ein Störfeld geschaltet!«

Wenigstens auf Gucky und Aurelia war Verlass.

»Was ist das?«, rief Kirt. »Was machst du mit mir?«

»Ich mache gar nichts!« Willka kam näher, kniete sich vor dem Posbi hin und hob die Hand. »Erinnerst du dich nicht? Marli! Marli Willka! Wir haben uns schon einmal getroffen! Du kennst doch Sebastion!«

»Sebastion?« Kirt starrte auf ihre Hand. »Ich ... ich weiß nicht. Wo ist Prexxel?«

»Er kommt gleich«, sagte Willka.

Als wäre das ein unheilvolles Stichwort, glitt die Tür auf. Ein zwei Meter großes, alabasterfarbenes Plasmawesen mit einer Vielzahl ausgebildeter Tentakel kam herein. Einer der Tentakel trug an seiner Spitze ein großes Auge, das sich ruckartig Willka zuwandte. »Was ist hier los?«

Ich zielte auf Prexxel, um ihn paralysieren zu können, falls es nötig wurde.

Der Matten-Willy stürzte sich ohne weiteres Wort auf Willka, wollte sie packen und zur Seite schleudern, doch dank der Kraftverstärker blieb Willka einfach stehen.

Prexxel ächzte. Er drehte sich im Kreis, rotierte und grub dabei die Teleskopfüße in den Boden. Das eine Auge blinzelte panisch.

Ich schaltete den Deflektor ab. »Prexxel! Kennst du mich?«

Die Panik wich Verwunderung – das Auge vergrößerte sich. »Bist du ... Atlan? Atlan da Gonozal?«

Auch Gucky schaltete den Deflektor ab. Nun blieb als einziger Trumpf Aurelia übrig.

»Hallo!«, sagte Gucky. »Mich kennst du doch auch, oder? Charmanter Universenretter? Überall-zugleich-Töter? Liebling terranischer Kinder?«

Das Pseudopodienauge wippte nach unten und oben, was wohl eine Zustimmung war. »Ich kenne euch. Oder besser – Geschichten über auch. Warum seid ihr heimlich hier eingedrungen?«

»Stahmon«, sagte ich. »Er mag keine Gäste.«

Prexxel schloss das eine Auge. Weitere Pseudopodien bildeten sich aus, die er abwehrend vor sich hielt. »Stahmon. Nein. Er ... sie ... mag niemanden.«

»Sie?«, hakte ich nach, doch Prexxel achtete nicht mehr auf mich. Er ging zu Kirt, dessen Halbkugel wild nach oben und unten rutschte. Das eine Auge war verschwunden.

»Die Ladhonischen Scharen ...«, stieß Kirt hervor.

»Sie sind nicht hier«, sagte Prexxel. »Du bist in Sicherheit.«

»Nein, nein, nein ...«, wimmerte Kirt.

Willka zog den Handschuh ab. »Wir haben früher ein Spiel gespielt, erinnerst du dich?« Sie hielt die Hand hoch, spreizte die Finger.

Kirt hörte auf zu wimmern. Seine Bewegungen wurden langsamer, die Räder kamen zum Stillstand. Er kam näher, berührte mit einem der Reifen Willkas Hand. Die roten Leuchtpunkte auf seiner Achse wechselten die Farbe in Orange, schließlich zu Gelb. »Marli ...«

»Ja, ich bin's. Erinnerst du dich?«

»Es war wärmer, damals. Wärmer. Mein Plasma war frei ...«

»Und genau das ist es jetzt nicht mehr«, stellte ich fest. »Wegen Stahmon.«

Ein Schauer aus roten Lichtern pulste über Kirts Körper. »Stahmon ... Er ist überall ...«

»Er?« Nun war ich irritiert. »Oder meinst du sie? Was genau ist Stahmon? Die Stationspositronik?«

Kirt und Prexxel sahen sich an. Sie schienen unsicher, ob sie sich uns anvertrauen sollten.

Gucky verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir verstehen euer Misstrauen, okay? Wir dringen hier einfach so ein und überfallen euch. Aber das liegt daran, dass wir Stahmon nicht auf uns aufmerksam machen möchten.«

»Niemand will das«, sagte Prexxel. Er schaute erst mich an, dann Willka und schließlich Kirt. »Kennst du sie von früher?«

Obwohl Kirt weder antwortete, noch eine Geste machte, die ich wahrgenommen hätte, schien er mit Prexxel zu kommunizieren. Vielleicht über die Anzahl der Lichter, die nun über seine Achse huschten.

»Gut«, sagte Prexxel. Das Augententakel glitt Willka entgegen. »Ich denke, dass du ihm helfen könntest – und wir können möglicherweise euch helfen.«

Er bildete eine weitere Augenpseudopodie aus, die sich auf mich richtete. »Stahmon ist ein Posbi. Manche sehen ihn als weiblich, andere als männlich oder geschlechtslos. Er gibt sich aber jedenfalls gerne das Aussehen einer Terranerin.

Früher waren die Terraner unsere Freunde, und Stahmon will uns beschützen. Er mag das alte Terra, den Mythos, doch misstraut allem und jedem. Etwas hat ihn wahnsinnig gemacht. Vielleicht die Datensintflut. Was genau geschehen ist, weiß niemand. Er kann nur noch in eine Richtung denken.«

»Sicherheit geht vor«, sagte Gucky.

»Ganz genau«, bestätigte Prexxel. »Deshalb kann sich Stahmon überall auf der Station bewegen. Er benutzt Holos, tritt jedoch auch selbst auf. Ich war dabei, als er einmal persönlich das Plasma eines Posbis entnommen hat. Wollt ihr die Form sehen, die er sich meistens gibt?«

»Ja«, sagte ich knapp.

Prexxel berührte seinen Bauch. Ein technisches Gerät wurde sichtbar, kaum größer als ein Taubenei. Daraus strahlte ein Holo auf. Es zeigte eine zierliche Frau mit schwarzen Haaren und schmalen braunen Augen. »Das ist Stahmon. So zeigt er sich bei öffentlichen Reden. Seinen Skelettkörper habe ich noch nie gesehen.«

Ich beugte mich vor. »Und? Wie gerecht ist er?«

»Gerecht? Seine Herrschaft ist grausam, das ist sie.«

Gucky kniff die Augen zusammen. »Wieso lasst ihr ihn gewähren? Er ist nur ein Posbi, ihr seid viele!«

Prexxel schrumpfte in sich zusammen. Seine Konturen wurden schwammig. »Wir sind ängstlich. Zu kämpfen liegt uns nicht. Wir gehen Konflikten aus dem Weg, und Stahmon will uns beschützen. Die Welt da draußen ist gefährlicher denn je.«

»Wie alt bist du?«, fragte ich. Ich hoffte, von Prexxel Informationen zu erhalten, die aus der Zeit vor dieser ominösen Datensintflut stammten, als Terra mehr als ein Mythos war.

»Zweihundertelf«, antwortete Prexxel.

Das war zu jung.

Willka mischte sich ein. »Kennst du einen Posbi namens Sebastion?«

Prexxel schrumpfte weiter in sich zusammen, als wollte er sich in sich selbst verkriechen. »Kirt hat ihn einmal erwähnt. Er ist von hier fortgegangen. Ich glaube nicht, dass er noch lebt. Da draußen ist es gefährlich.«

»Oh.« Willkas Herzschlag stieg erneut an. Sie schien mit der Fassung zu ringen.

»Was weißt du über die Datensintflut?«, fragte Gucky. »Wer hat sie ausgelöst?«

»Das weiß wohl niemand mit Gewissheit.« Prexxel wuchs wieder ein Stück an. »Vermutlich nicht mal Stahmon.«

Die Lichter auf Kirts Achse glommen gelb. Seine Räder standen nun still. Willka beugte sich zu ihm. »Kirt, wir brauchen deine Hilfe. Wir müssen Culsu finden und hatten gehofft, dass du unser Lotse sein kannst.«

»Culsu ...« Kirt zog das Wort in die Länge, als wollte er wissen, wie es schmeckte. »Welt aus Eisen ...«

»Ja. Eben deshalb haben wir WHEELER gesucht.«

»WHEELER?«

Ich dachte erst, Kirt wäre in die Verwirrung zurückgefallen, doch dann erinnerte mich der Extrasinn daran, dass WHEELER kein Posbi-Begriff war. Für die Bewohner hieß die Station nach ihrer Nummer. »Willka meint Station 43284. Was denkst du, Kirt? Könntest du heimlich mit uns kommen und uns helfen?«

»Weggehen?«, Kirts Stimme klang schrill. »Weggehen! Nein!« Er sauste auf den Rädern durch den Raum. Es sah aus, als würde er gegen die Wand donnern, doch die Verkleidung öffnete sich blitzschnell, ließ Kirt ein und schloss sich hinter ihm.

»Sein Notfallversteck«, sagte Prexxel. Er schaute Willka nachdenklich an. »Ich habe Kirt selten so klar erlebt wie eben gerade. Er scheint dich wirklich zu kennen.«

»Kennt er die Koordinaten von Culsu?«, fragte ich.

»Nein. Solche Daten verwahrt Stahmon.«

»Gibt es eine Möglichkeit, sie in die Hände zu bekommen?«

»Das könnt ihr vergessen. Nicht solange Stahmon regiert.«

»Du meinst: nicht freiwillig.«

In Guckys Augen schien es zu funkeln. »Ich ahne, was du vorhast.«

»Ich nicht!« Willka sah aus, als müsste sie sich übergeben. »Und ich weiß nicht, ob ich es wissen will. Ich bin nicht für gefährliche Aufgaben geeignet!«

Ich nickte in Richtung Kirt. »Deswegen wirst du auch hierbleiben. Wir brauchen einen Überblick über WHEELERS Geschichte, damit wir Rückschlüsse auf die Gesamtentwicklung der Milchstraße in den vergangenen 500 Jahren ziehen können. Du wirst das erledigen. Befrag Kirt. Erstell mir Zusammenfassungen. Falls es brenzlig wird, bleib unter dem Radar.«

Die Erleichterung stand Willka wie ein Leuchtlogo ins Gesicht geschrieben. »Und was werdet ihr tun?«

»Wir holen uns Antworten von Stahmon.«

Zwischenspiel

Vergangenheit

Manchmal war Vater-Mutter ein wenig seltsam. Wenn er-sie dachte, ich würde es nicht registrieren, sank sein-ihr Körper in sich zusammen, als hätte er-sie einen biologischen Leib. Dann verharrte er-sie für Minuten, ohne sich zu regen.

Ich behielt es für mich. Vater-Mutter wünschte sich, dass ich ihn-sie verstand. Das war meine neue Aufgabe, neben der, die Station zu schützen. Wenn ich zeigte, dass ich etwas nicht verstand, würde das Vater-Mutter traurig machen.

Ich hatte viele Kapazitäten, und eine davon nutzte ich, um zu analysieren, was da geschah. Das Ergebnis war eindeutig: Vater-Mutter war krank. Todkrank vielleicht.

Doch ich spürte deutlich, dass er-sie nicht darauf angesprochen werden wollte.

Also schwieg ich.

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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