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2.

Hier und fort

Gucky biss geräuschvoll in die Kohlrabischeibe. »Da scheint mir was zu fehlen!«

Ich stand auf.

Noch immer herrschte Schweigen. Die gut zwei Dutzend Mitglieder der Zentralebesatzung wirkten geschockt. Egal auf welcher der leicht zueinander verschobenen Ebenen – überall war Betroffenheit zu spüren.

Ohne Culsu, die Welt aus Eisen, konnten wir die RAS TSCHUBAI nicht reparieren. Ein angeschlagenes Schiff machte uns angreifbar. Mehr noch – für die meisten an Bord war die RAS ein Zuhause. Ohne entsprechende Werften und Verbündete hingen wir buchstäblich im freien All.

Cascard Holonders Hand bewegte sich, als kritzelte er auf einem Stück Papier, doch der riesenhafte, glatzköpfige Kommandant hatte keinen Stift in der Hand.

Major Briony Legh, die Erste Pilotin, sah ungewöhnlich blass aus. Sie kniff die Lippen zusammen. Der Zweite Offizier, Major Atani Kekuka, regte sich nicht. Da er sich normalerweise viel bewegte und weite Gesten bevorzugte, wirkte das ungemein bedrückend. Auch Magebe Lenski, die Erste Offizierin, hatte sich in ein Holostandbild ihrer selbst verwandelt.

War unsere Mission, das Schiff wieder auf Vordermann zu bringen, an diesem frühen Punkt gescheitert?

Auf dem COMMAND-Podest erschien ein Holo des umgebenden Weltalls. Es zeigte exakt das, was auch der Hologlobus präsentierte: nichts.

»Können sie sich getarnt haben?«, fragte ich.

»Keinerlei Anmessung«, sagte Lit Olwar, der Leiter der Station Funk- und Ortung. »Da draußen ist nichts.«

Sichus Gesicht wirkte steinern. Sie hatte ihren Mann Perry Rhodan allein in den Einsatz fliegen lassen, war mit mir und Gucky gekommen, weil sie Culsu kannte – nun war die Station nicht aufzufinden.

»Es gibt keine Trümmer«, stellte ich fest. »Culsu muss nicht zerstört worden sein. Womöglich hat man den Planeten ... versetzt.«

Die Gesichtszüge der Ator entspannten sich ein wenig. »Wir wussten, dass uns das passieren kann. Es wäre schön gewesen, wenn Culsu hier gewesen wäre, aber nach all den Jahrhunderten ... Was ist mit unserem Plan B?«

»Hatten wir einen?«, scherzte Gucky.

»WHEELER.« Ich sagte nur das eine Wort. Jeder in der Zentrale wusste, wovon ich sprach. Die Raumstation, die wir auch das letzte Mal aufgesucht hatten, um Culsu zu finden. »Falls Culsu versetzt wurde, wird man dort die Koordinaten kennen. Die Posbis können uns einen Lotsen stellen.«

Gucky verschränkte die Arme vor der Brust. »Oder die Koordinaten einfach rausrücken!«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Du kennst sie. Das werden sie nicht tun. Sie werden auf einem Lotsen bestehen, der dafür sorgt, dass die Koordinaten nicht in falsche Hände geraten. Wir müssen einen solchen Lotsen an Bord holen.«

»Falls WHEELER noch da ist«, unkte Gucky.

Ich blickte zu Cascard Holonder.

Der Kommandant nickte mir zu. »Wir fliegen WHEELER an.«

*

Als wir die Koordinaten WHEELERS wenige Stunden später erreichten, stieg die Anspannung in der Zentrale schlagartig auf ein neues Level. Ich lehnte mich lässig zurück, bildete ganz bewusst einen Gegenpol zur negativen Stimmung.

Wir materialisierten in einem System der südlichen Westside, mit einer alles dominierenden, blauen Riesensonne: Bright Eye. Sie war gewaltig, knapp einhundert Mal so groß wie Sol, mit der 21-fachen Masse und der 180.000-fachen Leuchtkraft. Ihre Oberflächentemperatur betrug stolze 11.500 Kelvin, doch letztlich waren es nicht diese Daten, die Bright Eye einzigartig machten.

In diesem System war WHEELER die Besonderheit – die spindelförmige Station, die untrennbar in die Nähe von Bright Eye gehörte, einfach deshalb, weil sie dort seit Äonen im Orbit kreiste. WHEELER war eine Station voller Rätsel und Geheimnisse, die mich an die Wunder des Weltalls erinnerte. Niemand hatte je erfahren, wer sie erbaut hatte, vermutlich nicht einmal die Posbis, die sich dort irgendwann einquartiert hatten.

Sekunden krochen dahin. Alle Blicke lagen auf dem Hologlobus.

Nichts. Keine Anmessungsdaten. Von der dreihundert Meter langen Spindel, um die gegenläufig zwei radähnliche Gebilde rotierten, gab es keine Spur.

»Zum Kuckuck!«, rief Gucky aus.

Ich lehnte mich vor. Über meinen Nacken schien etwas Kaltes, Glitschiges zu kriechen. »WHEELER ist da.«

Das Gefühl war übermächtig. Ich meinte, dass wir aus dem Ortungsschatten der Sonne heraus beobachtet wurden. Das Inferno des Riesensterns bot die perfekte Möglichkeit, sich zu verbergen.

Cascard Holonder schien es ähnlich zu gehen. »Schutzschirme hoch! Wir müssen davon ausgehen, dass sie sich vor uns verstecken. Nach allem, was wir über diese Zeit wissen, ist die Raumfahrt nicht mehr sonderlich populär. Sie ist mit etlichen Gefahren verbunden, wie den Ladhonischen Scharen. WHEELER könnte sich getarnt haben.«

»Funken wir sie denn nicht an?«, fragte Gucky.

Lit Olwar schwenkte den Sessel in seine Richtung. »Natürlich tun wir das. Allerdings bekommen wir keine Antwort auf unsere Hyperfunkrufe. Wir versuchen es weiter.«

Ich nickte Gucky zu. »Versuch du dein Glück!«

Der Mausbiber schloss die Augen. Ich hatte ihn schon oft gesehen, wenn es esperte. Manchmal war die Veränderung, die dabei mit ihm vorging, verblüffend. Egal, wie lebhaft Gucky vorher gewesen war – in diesem Moment konzentrierte er sich vollkommen.

Es blieb eine ganze Weile ruhig. Minuten verstrichen. Dann öffnete Gucky die Augen wieder. »Da war etwas. Aber es war schwach – flüchtig, wie ein Blick hinter einen Schleier, der sich sofort wieder senkt.«

»Denkst du, es waren Posbis?«, hakte ich nach. »Ein Lebenszeichen der Besatzung von WHEELER?«

»Nun ...« Sichu kniff die Augen zusammen. Die grünen Sprenkel darin schienen dunkler als sonst. »In fünfhundert Jahren kann viel passieren. Selbst wenn WHEELER da ist, wissen wir nicht, wer heutzutage die Besatzung der Station stellt. Oder weißt du es, Gucky?«

»Nein. Womöglich habe ich Gedanken von Wesen aufgefangen, deren Schiff bei unserer Ankunft in den Linearraum geflohen ist. Oder von WHEELER während einer kurzzeitigen Strukturlücke. Die Besatzung könnte den Schutzschirm dauerhaft aktiviert halten und ihn nur im Notfall öffnen. Aber ob das Posbis waren ... keinen Schimmer.«

Cascard Holonder senkte den Kopf seitlich, als würde er auf etwas lauschen. »Falls sie sich verstecken, werden sie schwer aufzuspüren sein. Die Sonne ist riesig, die tobenden Energien enorm – der ideale Ortungsschutz. Wobei die Frage bleibt, warum WHEELER in diesem Fall eine Strukturlücke geschaltet haben sollte.«

»Das kann mehrere Gründe haben«, sagte ich. »Eine Routine, ein kurzfristiger, rasch behobener Schaden, Eingang von Schiffen, die aufgrund unserer Ankunft in den sicheren Hangar wollten. Ich denke, wir sollten Sonden in die Sonnenatmosphäre schicken, ausgestattet mit einer Grußbotschaft: Ein Schiff der Liga braucht Hilfe. Gleichzeitig sollten wir den Ortungsschutz ebenfalls für uns in Anspruch nehmen.«


Illustration: Swen Papenbrock

»Einverstanden«, sagte Holonder. »Wir tauchen in die Sonne ein und schicken zwanzigtausend Sonden raus. Wenn WHEELER da drin ist, stöbern wir die Station auf.«

»Richtig. Wobei wir überdies einen Multimutanten an Bord haben, der den Prozess möglicherweise beschleunigen könnte.« Ich blickte zu Gucky.

Der Mausbiber präsentierte seinen Nagezahn. »Stets zu Diensten! Was schwebt dir vor?«

»Eine LAURIN-Space-Jet mit einem kleinen Team, falls wir erfolgreich sein sollten. Wir spüren WHEELER mit deiner Hilfe telepathisch auf, und du bringst uns per Teleportation an Bord.«

»Bin dabei!« Gucky ließ den Sitz auf meinen zuschnellen. »Wer noch? Sichu?«

Auch die Chefwissenschaftlerin rückte näher. »Wir wissen nicht, was uns auf WHEELER erwartet. Möglicherweise wäre es besser, wenn ihr jemanden mitnehmt, der sich mit Posbis auskennt.«

»Einen Posbi?«, schlug Gucky vor. »Ariel?«

Ich schüttelte den Kopf. »Er fühlt sich den Posbis an Bord als ihr Sprecher nach wie vor verpflichtet, auch wenn kaum noch welche da sind. Er wird sie nicht verlassen wollen.«

Gucky blickte treuherzig zu Sichu auf. »Wie sieht es aus in der Wissenschaftsabteilung? Kannst du jemanden empfehlen, der eine besondere Affinität zu Posbis hat?«

Sichu berührte ihre Stirn. Ich sah ihr an, dass sie angestrengt nachdachte – und zwar über etwas, das ihr unangenehm zu sein schien. »Nun ... Es gäbe jemanden, der wirklich hervorragend geeignet wäre ... Ihr Name ist Marli Willka. Sie ist Xenotechnologin, mit Schwerpunkt auf Posbi-Kybernetik.«

»Aber?«, fragte Gucky das unausgesprochen Mitschwingende.

»Na, ja ... sie ist ... speziell. Eine Zusammenarbeit mit ihr dürfte herausfordernd sein. Außerdem will sie nicht auf riskante Missionen. Genau wie Ariel fühlt sich wohl auf der RAS.«

»Dann hat sie keine Erfahrung mit Außeneinsätzen?«, hakte ich nach.

»Nein.«

»Weshalb schlägst du sie dann vor?«

»Weil sie etwas hat, das für diese Mission von unschätzbarem Wert sein könnte und womöglich den Ausschlag für Erfolg oder Fehlschlag geben kann.«

»Oho!« Gucky hob den Kopf, als wollte er hoch in der Luft die dünne Fahne einer exquisiten Gemüsepfanne wittern. »Jetzt machst du mich aber neugierig! Was ist das denn Geheimnisvolles?«

»Freunde«, antwortete Sichu. »Marli Willka hat Freunde auf dieser Station.«

*

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Ich begriff sofort, was Sichu meinte, nahm mir jedoch Zeit, abzuwägen. »Du meinst, sie hatte Freunde, und du hoffst, dass sie noch leben und auf der Station sind, weil es sich um Posbis handelt.«

»Exakt«, bestätigte Sichu. »Posbis sind extrem langlebig, und sie vergessen selten etwas. Haben sie erst einmal mit jemandem Freundschaft geschlossen, sind sie loyale Verbündete. Gerade in dieser Zeit, in der wir den Daten nicht vertrauen dürfen, könnte ein glaubwürdiger Zeuge, der die Jahrhunderte vor Ort überlebt hat, eine echte Schatzgrube sein.«

»Gut.« Ich entschied, Marli Willka eine Chance zu geben. »Kennst du sie persönlich?«

»Ja, wenn auch nur flüchtig. Ich war einmal im Training ihrer Mannschaft, um es mir anzusehen. Ich rede mit ihr.«

»Einverstanden. Bestell sie in die Nähe der Zentrale in einen Konferenzraum, damit sie spürt, wie wichtig ihre Zusage ist, und melde dich, falls du Unterstützung brauchst.«

*

Die Holobilder vor Marli flimmerten. Helle Punkte tanzten durch die Gesichter. Es waren Aufnahmen, die sie bei Regen gemacht hatte. Die Konturen von Hanka, Trudi, Ellsan und Fador verschwammen.

Tok beugte sich zu ihr. »Du vermisst sie wirklich, was?«

»Ja.« Marli schaltete das Holobild ab und schaute auf. Eben brachte ihr ein Servoroboter einen Fruchtsaft – sie war einer der wenigen Gäste, die ein Getränk brauchten.

»Wohl bekomm's!«, rief der Roboter fröhlich und sirrte davon.

Marli lehnte sich in dem weichen Besuchersessel zurück, der sich deutlich von der überwiegend metallisch anmutenden Einrichtung unterschied. Die meisten Posbis verzichteten auf Stühle. Einige vermeintliche Möbelstücke im Raum waren in Wirklichkeit Matten-Willys, die sich eine Auszeit gönnten.

Snaji führte diese Bar, die vor allem für Posbis ausgelegt war. Seitdem die meisten Posbis von Bord gegangen waren, herrschte kaum mehr Betrieb. Der Großteil der komplizierten Dreh- und Schiebespiele aus Tausenden kleinster Teilchen schwebte unbeachtet in den Antigravhalterungen. Selbst die Musik war leiser als sonst, weil es weniger Stimmen gab, die übertönt werden mussten. Mehrere Posbis unterhielten sich per Funk und verzichteten ganz auf den Austausch von Lauten.

Tok deutete nach vorne, auf den ovalen Holoschirm, der sich wie eine Bühne vor ihnen öffnete.

»Ist es schon so weit?«, fragte Marli.

Er wankte von einer Seite auf die andere, was seine Art zu nicken war.

Auf dem Holo erschien das dunkle Gesicht eines Mannes, den jeder auf der RAS kannte: Es war Ratssprecher Col Tschubai, ein Nachkomme des Schiffsnamensgebers, der dem Bordrat seit dessen Gründung angehörte. Col nahm es seit dem Eintritt in die Cairanische Epoche auf sich, jedem, der es wissen wollte, persönliche Lageberichte zu liefern, abseits der ohnehin erhältlichen Bordinfos. Er wusste, wie neugierig alle waren, und tat sein Bestes, diese Neugierde zu befriedigen.

»Hallo zusammen«, sagte Col auf scheinbar lockere Weise, doch Marli hatte stets den Eindruck, dass er nicht gerade jemand war, der sich darum riss, im Rampenlicht zu stehen. Er schien nie recht zu wissen, wo er seine großen Hände und Füße unterbringen sollte.

»Bisher haben wir leider keine Spur von WHEELER finden können, doch Missionsleiter Atlan und Kommandant Holonder gehen davon aus, dass sich die Station im Ortungsschatten der Sonne versteckt haben könnte. Was die Datenlage betrifft, hat ANANSI keine neuen gesicherten Informationen. Wir erhoffen uns auf WHEELER ergänzende Auskünfte, um aus dem Chaos mögliche Wahrheiten herauszufiltern.«

WHEELER.

Marli dachte dabei an ihre Freunde, die vor zwei Jahren – gestern ... vor ein paar Jahrhunderten – dorthin gegangen waren: Kirt und Sebastion. Beide waren schon früher auf WHEELER gewesen, hatten beim Bau der RAS TSCHUBAI geholfen. Ob sie noch lebten?

Col hob den Kopf. Der Blick seiner hellblauen Augen war eindringlich. »Missionsleiter Atlan erinnert erneut daran, dass sich die Zivilisten nicht davor scheuen sollen, sich Übungsprogramme zum Umgang mit Strahlern sowie der Nutzung von Schutzanzügen hochzuladen. Zusätzlich sollten sämtliche Notfallpläne parat gehalten werden. Unsere Situation ist nach wie vor ungewiss.«

»Oh, Mann«, murmelte Tok. »Die verstehen es ja, einem Mut zu machen. Dabei haben wir mit den ganzen Umstrukturierungen echt genug zu tun. Meinen Arbeitsplatz haben sie schon wieder um eine Etage verlegt.«

Ein enervierender Ton verwirrte Marli. Zuerst begriff sie nicht, dass er von ihrem Armbandgerät kam. Sie hob die Hand. »Eine Nachricht an mich. Dringlichkeitsstufe Eins.«

»Wer ist es denn?«

»Sichu Dorksteiger. Ich soll in einen Besprechungsraum neben der Zentrale kommen.«

»Hast du etwas ausgefressen? Vielleicht Forschungsgeräte außerhalb deiner eingetragenen Laborzeiten benutzt?«

Marli wollte das entrüstet von sich weisen, doch tatsächlich hatte sie erst am Vorabend deutlich länger gearbeitet, als sie angegeben hatte. Aber das war wohl kaum ein Grund, um von der Chefwissenschaftlerin der Liga in die Zentrale bestellt zu werden. Wobei ... seit gestern so viele Jahrhunderte her war, konnte Sichu wohl bestenfalls noch als Chefwissenschaftlerin der RAS gelten. Der Zeitsprung verwirrte doch immer wieder.

Sie trank hastig das Glas aus und stand auf. »Ich werde es herausfinden!«

»Viel Glück!« Tok nahm sich eines der Würfelgebilde und drehte es in seine ursprüngliche Form zurück. Seine Finger bewegten sich immer schneller, verschwammen nahezu.

Marli dachte an Fadurs Gesicht im Regen. Sie seufzte leise, winkte Snaji, der am Tresen terranische Fruchtsäfte mit arkonidischen Kräutern und Wurzeln mixte, und trat aus der Bar. Sie nahm eine Expresskabine zu einem der Hauptantigravschächte, schwebte der Zentrale auf Deck 16 entgegen. Dabei überlegte sie, ob sie etwas angestellt haben könnte. Eigentlich nicht. Was wollte Sichu Dorksteiger von ihr?

Als sie den Besprechungsraum erreichte, wartete Sichu Dorksteiger bereits. Die sowohl vom Aussehen als auch von ihren Fähigkeiten her beeindruckende Frau bot ihr einen Sitzplatz an. Marli hatte das Gefühl, in eine Falle gelockt zu werden. Sie ließ ihren Blick über die in Ruhestellung verharrenden Multimediawände gleiten und versuchte, ruhiger zu atmen. Die eingestellte Waldkulisse half ihr dabei. Hatte Dorksteiger sie absichtlich gewählt?

»Worum geht es?«, fragte sie nach einer knappen Begrüßung.

»Um deine Freunde auf WHEELER. Wir brauchen gesicherte Informationen und sind auf einen Posbi angewiesen, der als Lotse an Bord kommt. Womöglich wäre einer deiner Bekannten dafür geeignet.«

In Marlis Kopf überschlugen sich die Gedanken. »Du willst, dass ich in einen ... Risikoeinsatz gehe?«

»Ja.«

Wenigstens beschönigte Dorksteiger es nicht, indem sie behauptete, die Mission sei nicht gefährlich. »Kommt er auch mit?«

»Wen meinst du?«

Marli wägte ab, ob es möglich war, dass Sichu Dorksteiger nichts von ihrer persönlichen Abneigung gegen Gucky wusste. »Gucky.«

»Selbstverständlich, er ist ein wichtiges Mitglied im Einsatzteam.«

»Nicht im Ernst, oder?«

Sichu Dorksteiger runzelte die Stirn. Sie hatte den Gesichtsausdruck eines Leutnants, der seinen betrunkenen Soldaten soeben dabei erwischt hatte, im Vollsuff auf das Ligaemblem zu urinieren. »Wie soll ich das bitte verstehen?«

Marli schluckte. Das war es ja: Sichu Dorksteiger würde das überhaupt nicht verstehen! Die Mannschaft, die ihrer Lieblingsmannschaft am übelsten mitgespielt hatte, das waren die »Lausbiber« – allesamt Gucky-Fans, die als Kinder die Geschichten des Mausbibers verschlungen hatten. Und ebendiese »Lausbiber« hatten den Goldfüßen sieben Mal den Pokal abgejagt, sie drei Mal aus der »Planet-League« befördert und ihnen sechs Mal verdammt gute Spieler abgekauft – Verräter allesamt, aber trotzdem verdammt gute Spieler.

»Nun ...« Marli überlegte, was Sichu Dorksteiger verstehen würde. »Gucky ist immer da, wo es brennt. Er zieht Gefahren magisch an. Ich würde mich auf der RAS wohler fühlen.«

»Du kannst dich beweisen. Etwas tun, das für uns alle wichtig ist. Deine Beziehungen zu den Posbis könnten den Ausschlag geben. Vorausgesetzt, WHEELER ist überhaupt vor Ort.«

»Ich will nicht mit Gucky in den Einsatz. Und weißt du, warum? Weil ich im Gegensatz zu den heutigen Bewohnern der Milchstraße die korrekte Historie kenne! Perrys Lebensaufzeichnungen. Die Berichte über Atlan. Es ist doch völlig klar, dass ich keinen Aktivator habe und niemals einen bekomme. Ich habe nicht mal Einsatzerfahrung!

Das ist kein Höflichkeitsbesuch. Die Cairaner sind alles andere als lustige Zeitgenossen. Sie und ihr ominöser Friedensbund haben die Galaxis offensichtlich hervorragend im Griff. In diesem Sonnenortungsschatten kann sich wer weiß was verbergen. Wenn ich da rausgehe, werde ich höchstwahrscheinlich sterben. Ich bin bestenfalls Kanonenfutter. Was hilft es mir, wenn andere nach erfolgreichem Einsatz mit einem Mohrrübensaft auf meinen Tod anstoßen?«

In Dorksteigers Gesicht arbeitete es auf beängstigende Weise. Die goldenen Linien schienen ein Eigenleben zu entwickeln, ja, sich in winzige Schlangen zu verwandeln. Marli kam der Verdacht, dass sie zu weit gegangen war. Sie hatte einen wunden Punkt der Ator getroffen, wenn sie auch keine Ahnung hatte, worin genau der bestehen mochte.

Die Mannschaft warf Marli immer wieder vor, sie würde zu Dramatisierungen neigen. Nun ja. Das mochte sein, aber was ausgesprochen werden musste, musste eben ausgesprochen werden.

»Ich versichere dir«, sagte Dorksteiger mit angespannter Stimme, »dass du ganz gewiss kein Kanonenfutter bist. Du hast Beziehungen, die sehr wertvoll sind. Willst du nicht herausfinden, ob deine Freunde auf WHEELER noch leben? Wie es ihnen in den letzten Jahrhunderten ergangen ist?«

»Nein«, log Marli. Natürlich wollte sie das! Kirt und Sebastion waren großartig. Es wäre ein Fest, die beiden wiederzusehen, auch wenn sie Kirt im Grunde nur flüchtig kannte. Aber ihre Angst war stärker als die Neugierde. Ihre Angst – und die Abneigung gegen Gucky! Keine Sekunde wollte sie diesen laufenden, pelzigen Fußabtreter unterstützen! Dieses arrogante, in sich selbst verliebte Übel, das sich jede nur erdenkliche Freiheit herausnahm, weil es zufälligerweise mächtige Paragaben hatte!

Sichu Dorksteiger versuchte es mit neuen Argumenten, doch Marli war nicht gewillt, die Logik der Ator an sich heranzulassen. Sie war Zivilistin, kein Mitglied des Militärs. Niemand durfte ihr befehlen, in einen solchen Einsatz zu gehen, der auf jeden Fall eine große Gefahr für ihr Leben und ihre Sicherheit bedeutete.

»Wir brauchen dich«, sagte Dorksteiger. »Bedeutet dir das gar nichts?«

Marli verschränkte die Arme vor der Brust. Sie fühlte sich in die Enge getrieben, ein Zustand, der ihr wenig gefiel. »Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen. Du redest mit der Falschen.«

Die Tür des Raums glitt auf. Atlan und Gucky traten ein. Eigentlich hatte Marli erwartet, bei Guckys Anblick sofort schlechte Laune zu bekommen, doch da war Atlan: groß, athletisch, weißhaarig. Ihn umgab ein kosmischer Hauch, eine Ausstrahlung, die ebenso adelig wie erfahren wirkte. Abgeklärt und geheimnisvoll zugleich.

Der ehemalige Kristallprinz suchte ihren Blick. Marli erwiderte ihn. Ihr Widerstand schmolz wie Schnee in einem Hochofen.

Atlan blieb dicht vor ihr stehen. Seine Nähe war überwältigend. »Ich will, dass du mit mir auf diese Mission gehst. Pack deine Sachen. Oder gibt es ein Problem?«

Marli öffnete die Lippen einen Spaltbreit, sog die Luft ein. »Nein. Kein Problem. Ich bin in einer Stunde fertig.«

»Dreißig Minuten.«

»Dreißig Minuten. Natürlich.« Marli nickte heftig und lief aus dem Raum.

*

Sichus entgeisterter Blick brachte mich zum Lachen. »Was?«

»Wie ... Ich meine ... warum? Ich habe Willka bekniet, mit auf diese Mission zu gehen! Ich habe nahezu gefleht! Und ich kenne sie immerhin ein wenig. Weshalb reicht ein Satz von dir, und sie wirft ihre Zweifel und Bedenken einfach über Bord?«

»Vielleicht solltest du dir eine Ritteraura zulegen.« Meine Aura als Ritter der Tiefe hatte eine durchschlagende Wirkung auf viele Lebewesen. Sie hatte mir schon oft in vergleichbaren Situationen geholfen.

»Oder mehr Sexappeal«, frotzelte Gucky.

Die Ator strafte ihn mit einem vernichtenden Blick.

»Na, schön«, lenkte Gucky ein, »das nehme ich zurück. Für mich hast du genug davon. Aber auf Marli scheint's halt nicht zu wirken.«

»Das ist nicht der Punkt«, sagte Sichu. »Ich begrüße es, dass Marli Willka mit auf die Mission kommt, aber es ging mir nie darum, sie zu manipulieren.«

Ich hatte da deutlich weniger Bedenken. Wir brauchten Willka. Trotzdem lenkte ich um Sichus willen ein. »Bevor wir abfliegen, frage ich sie noch mal.«

Sichus Gesichtszüge entspannten sich. »Einverstanden.«

Zwischenspiel

Vergangenheit

Es waren Galaktiker gekommen! Galaktiker!

74-1-2 spürte, wie sich sein Plasma vor Zorn ausweitete. Die Galaktiker hatten sie überfallen! Sie waren schuld an jedem Übel! War es nicht ihnen zu verdanken, dass die Posbis in der Vergangenheit immer wieder angegriffen worden waren?

»Deine Bewegungen sind sehr ruckartig«, sagte die neutrale Stimme. »Du verhältst dich abweichend. Soll ich eine Medoeinheit rufen?«

»Nein! Erledige einfach deine Aufgabe!« 74-1-2 wollte nicht mehr nett sein. Seinem Schützling war es ohnehin egal. Manchmal war 74-1-2, als käme die neutrale Stimme gar nicht von außen, aus einem verborgenen Mikrofon innerhalb der Zentrale, sondern direkt aus seinem Inneren. Als wären er und die Stimme ein und dasselbe. Ob das an der besonderen Eigenart seines Schützlings lag? An den Erschaffern, die trotz einer Annäherung an die Posbis fremd geblieben waren?

»Wie du wünschst«, sagte sein Schützling. »Vergiss nicht: Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.«

»Du bist für mich da?«, höhnte er. »Du kannst mich nicht einmal verstehen!«

Das war das Schlimmste: dass niemand ihn verstand! Er war schrecklich allein auf Station 43284, hatte keinen einzigen Freund, nur diese Stimme, mit der er gezwungen war, zu arbeiten.

»Dann mach, dass ich dich verstehe«, sagte der Schützling.

74-1-2 hielt inne. Ja. Das war es! Er musste machen, dass er ihn verstand!

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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