Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 163

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Folge 68

Der schlafende Riese

von Olaf Brill

Cru sah die Fremde schon, als sie noch einen halben Tagesmarsch entfernt war.

Sie war größer und dünner als die Küstenbewohner, und ihr Gang strahlte eine majestätische Eleganz aus. Sie war allein und zu Fuß unterwegs und schien keine Eile zu haben.

Hinter ihr trottete lediglich ein Tier von der Größe einer Ziege, dessen Kopf leicht hin und her pendelte. Es zog einen Schlitten, dessen Ladung mit einer Plane bedeckt war.

Die erste Händlerin, die dieses Jahr aus dem Norden kam. Wahrscheinlich brachte sie Technikware oder fabrikgefertigte Kleidung. Für beides interessierte Cru sich nicht sonderlich.

Er beschloss, die leichte Unruhe zu ignorieren, die ihn erfasst hatte.

Es war dieser Tag, an dem er fühlen konnte, dass der Winter verschwand und ein neues Jahr begann. Die Luft lag nicht mehr kalt auf Land und Wasser, die Sonne wärmte schon am Morgen. Die schweren Wolken der letzten Monate waren verschwunden und durch verspielte Fäden ersetzt worden, die den violetten Himmel sprenkelten.

Er konnte Moos riechen und das Meer. Gelegentlich erklang der Schrei eines Kaydras, der gelassen hoch am Himmel schwebte, um nachzuschauen, ob an Land schon wieder etwas zu holen war.

Cru atmete tief ein und genoss den Geschmack der Luft.

Hier war er zu Hause. Hier war alles so, wie es sein sollte. Wie es immer war. Wie es sich nur durch das jährliche Spiel von Wachstum und Verfall erneuerte und dann wieder von vorn begann.

Er saß auf dem großen Felsen, von dem er weit übers Land blicken konnte. Auf der anderen Seite lag das Meer, ruhig und verlockend wie eine Geliebte, die um ihre Vorzüge wusste: Komm, besuch mich doch mal wieder!

Die Fischer, so besagte eine alte Legende, mieden die Untiefen im Westen, da sie Angst vor einem Riesen hatten, der weit draußen auf dem Meeresgrund lag. Er habe mit seinen Fangarmen Boote versenkt und Seeleute gefressen. Nun, da er satt war, hatte er sich in einen langen Schlaf begeben. Wenn er einmal erwachte, würde er die Seefahrer in einem Todeswirbel in den Abgrund reißen.

Cru verscheuchte die düsteren Gedanken. Die Wahrheit war, dass die Fischer dort zur See rausfuhren, wo ihnen die meisten Fische in die Netze gingen.

Er dachte darüber nach, dass der Felsen, auf dem er saß, erst im myranischen Mittelalter aufgefaltet worden sein sollte. Selbst der Felsen war also nicht immer an diesem Ort gewesen. Lange genug für ihn jedenfalls. Der Felsen würde nicht mehr weggehen, genauso wenig wie Cru.

Damals war auch die große Bucht entstanden, auf die er nun hinabblickte.

Er spürte, wie sein Herz schneller schlug.

Dort unten war Silhouette.

*

Grüß dich, Cru.

Ich grüße dich, Sil.

Sie begannen die Unterhaltung bereits, als sie noch viele Mannlängen voneinander entfernt waren. Dabei benutzten sie dieselben Zeichen, mit denen sie sich auch unter Wasser verständigten. Sil und Cru hatten die Zeichensprache der Taucher perfektioniert und führten damit oft lange Gespräche.

Silhouette stand bis zu den Knöcheln im seichten Wasser und vertäute an einem Baum am Ufer die KÖNIGIN, ihr kleines Boot, das leicht einhändig gesegelt werden konnte, aber auch eine Kabine besaß, in der vier oder fünf Seefahrer Platz fanden.

Zwanzig oder dreißig schlanke Kaydras umwimmelten die KÖNIGIN auf Beutefang, merkten, dass es nichts zu holen gab, und zogen weiter übers Wasser, als ginge sie das alles nichts mehr an.

Du warst also schon draußen!

Es ist ein wunderschöner Tag! Das Meer ist ruhig. Der Riese schläft wohl noch.

Sil benutzte die Zeichensprache sogar für ironische Äußerungen. Nicht immer gefiel Cru das. An diesem Tag war es ihm egal.

Draußen hat eine Familie Flugmantas ihr Frühlingstänzchen aufgeführt.

Cru keckerte, während er immer schneller ausschritt.

Nach Meinung einiger Lehrer waren die großen Tiere der Ursprung der Legende vom schlafenden Riesen. Ein geschickter Taucher konnte sich unter Wasser ein Stück von ihnen mitnehmen lassen. Doch niemals hatte sich einer an einem Flugmanta festhalten können, der übermütig wurde und aus dem Wasser sprang.

Ich habe eine Händlerin aus dem Norden gesehen. Weiß nicht, was sie bringt.

Wir werden sehen.

So ist es.

Dann war er bei ihr.

Sie trug ein grobes Hemd und eine kurze Hose. Das Hemd war an einigen Stellen nass, da sie im Wasser gewesen war und es übergezogen hatte, ohne sich abzutrocknen. Die kleinen spitzen Ohren, die seitlich vom Kopf abstanden, drehten sich neugierig zu allen Seiten, und ihre schrägen gelben Augen blickten ihm verheißungsvoll entgegen.

Sie umarmten sich und legten die Stirnen aneinander.

»Oh, du bist noch nass!«

Sie keckerte und kniff ihm in die Seite. Dann zog sie das Hemd aus und trocknete damit einige noch nasse Stellen.

Sie gingen gemeinsam am kleinen Strand entlang und planten den Tag.

Später fuhren sie mit Cayalla aus dem Dorf zu einem Tauchgang hinaus, bei dem sie herausfinden wollten, ob die lebendigen Wälder gewachsen waren, die im Rhythmus des Ozeans schwangen. Am Abend würden sie an den Strand zurückkehren, und Cru würde Silhouette wieder einmal zuhören, wenn sie von Nachtlicht schwärmte, dem hellsten Stern am Himmel.

Natürlich wusste Cru, dass Nachtlicht kein Stern war, sondern ein Gasplanet, der Somnus umkreiste, so wie ihr eigener Planet. Doch für Silhouette war er ein magisches Objekt, an dem die Seefahrer sich orientierten und den die Luftfahrer sich einst zum Ziel nehmen würden. So wie in der Legende der Lurer, die vor langer Zeit vom Himmel gekommen waren, um die Völker von Myra zu gründen.

Als sie an diesem Tag zurückkamen und die KÖNIGIN in die Bucht einfuhr, hatte Cru alle bösen Gedanken vergessen. Da sah er am Strand die hoch aufgerichtete Gestalt, die auf sie wartete, geduldig wie eine Statue. Es war die Fremde.

*

Sie war größer und noch dünner, als Cru erwartet hatte, mit langen Ohren und herben Gesichtszügen. Dennoch blickten ihre gelben Augen sanft, und um die Mundwinkel hatten sich kleine Grübchen gebildet. Das Grün ihrer Haut war heller als das der Küstenbewohner, und sie sprach mit einem seltsamen Zungenschlag.

Widerwillig gestand Cru sich ein, dass er sie auf Anhieb mochte.

Sie hatte ein paar freundliche Worte mit Silhouette gewechselt und wandte sich nun Cru zu.

»Ich sehe, ich gefalle dir. Das ist gut.«

Erschreckt stellte Cru fest, dass er sie angestarrt haben musste.

»Mein Name ist Shanee«, sagte sie. »Shanee May. Im Dorf sagte man, du und Silhouette seid die besten Taucher der Küste. Ihr seid schon weit aufs Meer hinausgefahren, nicht wahr?«

Cru zögerte. Was wollte die Fremde von ihnen?

Silhouette machte das Zeichen für Bestätigung. »Und in große Tiefen getaucht!«, berichtete sie voller Begeisterung. »Du findest hier nirgends Taucher mit mehr Erfahrung als uns.«

Die Fremde keckerte auf eine eigenartige, fremde Weise.

»Das ist gut«, sagte sie wieder. »Denn ich besitze diese Erfahrung nicht. Könnt ihr es mir beibringen?«

Silhouette bestätigte eifrig. Sie hatte wohl auf Anhieb eine neue Freundin gefunden. Auch ihr gefiel die geheimnisvolle Frau aus dem Norden offensichtlich.

Nachdenklich betrachtete Cru das vierbeinige Lasttier, das sich am Strand niedergelassen hatte und anscheinend schlief. Ein schmutziges zotteliges Fell bedeckte den Körper, dessen Form Cru nicht genau ausmachen konnte. Was für ein Tier war das überhaupt?

Er lugte hinüber zu dem kleinen Schlitten, den es gezogen hatte. Unter einer Plane war die Ware verborgen, die die Fremde mitgebracht hatte.

»Ist das euer Schiff? Es ist schön.«

Silhouette nahm das Lob zum Anlass, ins flache Wasser zu waten und ihrer neuen Freundin eine kleine Führung zu geben. Sie half ihr an Bord der KÖNIGIN und zeigte ihr die kleine Kabine, in der ihre Netze und die Tauchausrüstung lagerten: Flossen, Druckluftflaschen, Atemschläuche, Handlichtwerfer und so weiter.

»Ich habe da etwas, das euch interessieren dürfte«, sagte die Fremde, nachdem sie mit einem eleganten Satz zurück ins Wasser gesprungen war. Sie ging zum Strand, wo das Lasttier zurückgeblieben war, das sich für all das nicht zu interessieren schien.

Die Fremde schlug die Plane über dem Schlitten zurück und enthüllte darunter allerlei Gerät.

Als Erstes fielen Cru die Kleidungsstücke auf: Skaphander aus einem lederähnlichen Material, die zum längeren Aufenthalt in großer Tiefe gedacht waren. Dann sah er, dass die Kleidung auf einem Stapel Druckluftflaschen lag, etwas größer als die, die Sil und Cru verwendeten, jeweils zwei durch ein Brückenventil zu einem Paket verbunden. Auch Flossen sah er und Pakete mit Kleingeräten.

All das war neuestes Tauchgerät, und zweifellos war es die Ausstattung für eine größere Expedition, anders als die bescheidene Ausrüstung, die Cru und Sil verwendeten, wenn sie in die Tiefe hinabgingen.

Sie benutzten selten Skaphander und manchmal nicht einmal Luftflaschen. Die Lungen der Küstenbewohner waren größer als die der Leute aus dem Norden, und sie ertrugen die Kälte in großer Tiefe. Die Fremde jedoch bereitete sich offenbar auf einen ungewöhnlich langen und tiefen Tauchgang vor.

»Das ist eine topmoderne Ausrüstung industrieller Fertigung«, sagte er staunend. »Damit können wir stundenlang in die Tiefe gehen!«

»Die Ausrüstung ist sogar moderner, als du denkst«, behauptete die Fremde und zeigte auf die mehr als zehn Flaschen. »Darin ist die Luft mit weitaus höherem Druck gepresst als in euren Geräten. Und hier ...«

Sie packte eines der Pakete aus, das ein Bündel mit Gurten enthielt, die man sich um den Kopf binden konnte. Daran waren kleine Lampen befestigt. »Diese Lichtwerfer sind kleiner und stärker als eure. Wenn ihr mir helft, könnt ihr all das haben. Was meint ihr ... bringt ihr mir das Tauchen bei?«

Zweifellos malte Silhouette sich bereits endlose Tauchgänge aus, weiter hinunter in die schwerelose violette Tiefe als jemals zuvor. Ohne zu zögern, gab sie das Zeichen für Deal.

Cru liebte es, mit Sil zu tauchen. Deal.

Shanee hob den Arm und machte den Handel perfekt: Deal.

*

Das Training begann am nächsten Morgen. Das neue Gerät erwies sich als überraschend leicht und einfach zu bedienen, und die Fremde war eine gelehrige Schülerin, die unter Wasser immer gelassener wurde.

Die Kopflichtwerfer warfen tatsächlich einen weiteren Schein als die groben Handgeräte, die Silhouette und Cru bisher benutzt hatten.

Sie übten auch die Unterwasserstopps, bei denen sie ihre Körper dem höheren Druck in der Tiefe anpassten.

In der Regel gaben sie zwei Lektionen am Tag, eine vormittags und eine nachmittags.

Am Abend saßen sie am Strand oder auf dem Felsen und redeten und lernten einander kennen. Nur eins hatte Shanee noch nicht erzählt: was genau sie eigentlich vorhatte. Als müsse sie die Freunde erst darauf vorbereiten.

Genau wie Silhouette blickte Shanee gerne in den Himmel, wo sich in der Nacht funkelnde Lichter und Sternbilder zeigten, weit entfernte Sonnen. Bereits in der Abenddämmerung war Nachtlicht zu sehen.

»Welche Geheimnisse wohl die Meere von Nachtlicht bergen?«, fragte Sil.

»Du kennst die Legende, dass die Bewohner unseres Planeten Nachfahren von Sternenfahrern sind?«

»Sie sollen hier vor vielen Jahrtausenden gestrandet sein, Jahrzehntausenden sogar. Doch nie hat man einen Überrest von ihnen gefunden. Ihre Raumfahrzeuge, ihre Technik ... alles ist vergessen worden, und die Zivilisation auf Myra musste sich wieder von vorne entwickeln. Es gibt keine Zeugnisse, keine Unterlagen, keine Relikte. Nur die Legende hat sich erhalten.«

»Ich bin auf der Suche nach einem Artefakt von Raumfahrern.«

Sils Augen weiteten sich. »Du willst ein Artefakt der Lurer finden?«

Shanee verneinte. »Ich glaube, Myra ist in jüngerer Zeit erneut von Raumfahrern besucht worden. In jüngerer Zeit, wenn du an die Geschichte des ganzen Planeten denkst. Doch vor langer Zeit für uns.«

Nun war sie wohl so weit, den Freunden ihre Motive zu offenbaren.

»Die Lurer, wenn es sie gab, haben gewiss ihre Spuren hinterlassen«, holte Shanee aus. »Sie haben sich mit unseren Vorfahren gepaart, doch das war bereits vor Jahrzehntausenden. Was sie uns hinterlassen haben, ist längst in uns übergegangen. Wir sind in gewisser Weise die Lurer. Die Lurer wiederum sind Myraner geworden, denn sie werden sich in all der Zeit dem Planeten angepasst haben, auf dem sie leben.«

Sie zeigte zum Himmel, an dem einzig Nachtlicht leuchtete.

»Doch was wäre, wenn noch einmal Raumfahrer gekommen wären, vor ein paar Hundert Jahren? Seht ihr das da oben? Ich nenne es Abendrot.«

Cru verstand nicht, wovon sie redete.

»Ihr könnt es nicht sehen, nicht wahr? Ihr seht Dämmerung, die in die Nacht übergeht. Ich sehe eine Farbe, die ich Rot nenne. Sie ist ähnlich den Flügeln der Kupferzirpen, doch jenseits davon. Ich sehe einen warm glühenden Abendhimmel, wie das Feuer eines Vulkans.«

Verspottete Shanee sie? Sie wirkte vollkommen ernst.

»Dafür kann ich das Ultraviolett nicht sehen, mit dem ihr so tief in den Ozean blickt. Versteht ihr, was ich sagen will? Ich glaube, dass ich von Raumfahrern abstamme, die vor kürzerer Zeit nach Myra gekommen sind und daher deutlichere Spuren hinterlassen haben. Auf dem Planeten und in mir.«

Cru starrte verständnislos zum Himmel.

Eines war ihm klar geworden: Ihre neue Freundin war immer noch eine Fremde.

*

»Du meinst, du hast ... andere Augen als wir?«, fragte er.

»Und du glaubst, deine Augen sind das Erbe von Raumfahrern?«, rief Silhouette.

»Ich glaube, vor etwa fünfhundert Jahren hat noch einmal ein Raumfahrzeug Myra besucht. Es soll übrigens hier im Meer niedergegangen sein.«

Silhouette platzte heraus: »Und du suchst nach Überresten!«

In Crus Kopf drehten sich Wörter und Begriffe. Lurer ... im Meer niedergegangen ... die Farbe Rot ... Raumfahrzeug!

Shanee war so fremd, wie sie ihm von Anfang an erschienen war. Klar, überall auf Myra sahen die Menschen verschieden aus. Sie hatten andere Köpfe, Nasen, Ohren. Ihre Hautfarbe variierte bis zu Gelb und Blassrosa. Doch Shanee war nicht von dieser Welt.

Während Cru noch mit diesen Gedanken beschäftigt war, feuerte Sil bereits weitere Fragen auf die Fremde ab: »Und das soll vor fünfhundert Jahren passiert sein? Woher weißt du das? Warst du dabei?«

Shanee keckerte in ihrer fremden Art. »Oh, ich bin auf Myra geboren«, sagte sie. »Genau wie meine Mutter und Großmutter. Nein, ich war nicht dabei, und ich bin auch keine fünfhundert Jahre alt!«

Ihr Blick wanderte zu dem seltsamen Tier, das den Schlitten gezogen hatte. Cru wusste immer noch nicht, welcher Art es angehörte.

Seit Shanees Ankunft hatte das Tier kein besonderes Interesse an ihren Tauchgängen oder den Abendunterhaltungen gezeigt. Manchmal hatte es sich damit vergnügt, Kaydras zu verscheuchen, die sich neugierig dem Schlitten genähert hatten. Meist lag es scheinbar teilnahmslos am Boden und regte sich nicht.

Nun, da Shanees Blick das Tier traf, geschah etwas, mit dem Cru nicht gerechnet hatte. Wäre es am ersten Tag passiert, wäre er vermutlich schreiend davongelaufen. Nun war es so, als habe Shanee die Freunde in der Zeit ihres Beisammenseins an diesen Moment gewöhnt.

Das »Tier« richtete sich auf und blickte mürrisch in die Runde, als müsse es sich vergewissern, dass der Moment wirklich gekommen war. Dann hob es den Kopf und sagte: »Ich war dabei.«

*

Das »Tier« war ein mechanisches Wesen. Unter dem »Fell«, das sich bei näherem Hinsehen als plumpe Verkleidung erwies, steckte eine blecherne Gestalt. Wenn sie sich aufrichtete, sah sie aus wie eine dürre Kinderpuppe – allerdings eine Puppe mit einem tellerförmigen Kopf, der bei jeder Bewegung leicht pendelte.

»Das ist Theo«, stellte Shanee das seltsame Wesen vor. »Theo ist ein Roboter.«

»Ich hatte schon viele Namen«, plapperte der Roboter. »Theo hat mir gefallen, deshalb bin ich dabei geblieben. Habe schon vielen Meistern gedient. Zuletzt ein paar Jahrhunderte in Familienbesitz. Wurde schon oft als Kofferträger missbraucht oder als ...« Er warf einen missbilligenden Blick auf Shanee. »... Packesel! Jemand Interesse an einer philosophischen Diskussion?«

Cru glaubte zu träumen. So etwas durfte es doch gar nicht geben!

»Und du bist wirklich fünfhundert Jahre alt?«, fragte Silhouette.

»So mehr oder weniger. Kommt ja auch drauf an, welchen Planetenlauf du zur Grundlage solcher Berechnungen machst. Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon vorher ein paar Jährchen auf dem Buckel. Roboter leben lange.«

Aus irgendeinem Grund dachte Cru an Flo, den Stanley, den er als Kind besessen hatte. Stanleys waren hauszahme Raubtiere, die kleinen Drachen ähnelten. Den Geschichten nach hatten sie sich vor etwa fünfhundert Jahren auf diesem Kontinent verbreitet.

Was war damals geschehen? Waren wirklich Raumfahrer nach Myra gekommen, hatten sich vermehrt und waren dann wieder verschwunden? Warum hatten sie Theo zurückgelassen? Und warum machte er sich nun auf die Suche nach ihren Überresten?

Unbehaglich sah Cru zu Silhouette hinüber.

Er wusste bereits, dass nichts sie davon abhalten konnte, mit der Fremden und ihrem Roboter auf Schatzsuche zu gehen.

Noch nie hatte er Sil davon abhalten können, irgendwohin zu fahren, wo sie ein Abenteuer witterte. Wenn möglich dorthin, wo die schlafenden Riesen ruhten. Die, wenn sie einmal erwachten, alles verschlangen. Sil hatte das nie geschreckt. Sie wollte immer etwas Neues erleben, immer weiter hinaus, immer tiefer hinunter. Crus größte Sorge war, dass er sie darüber einmal verlieren würde.

Er tat einen Seufzer. Denn selbstverständlich würde er auch diesmal mit ihr gehen.

Doch insgeheim hoffte er, sie würden einfach gar nichts finden.

*

So wurde eine Expedition geplant.

Das Meer blieb ruhig, Somnus wärmte jeden Tag stärker, die Kaydras machten gute Fänge direkt unter der Wasseroberfläche, und die drei Taucher verluden Shanees Ausrüstung auf die KÖNIGIN.

Theo verfügte über erstaunliche Fähigkeiten. Offenbar besaß er ein Gehirn, das eine grenzenlose Anzahl von Informationen aufnehmen, speichern, verarbeiten und abrufen konnte. Shanee behauptete, solange sie ihn dabeihatten, brauchten sie keine Tiefenmesser und Seekarten. Theo vergaß nie etwas.

Daher wusste Shanee erstaunlich genau, wo sie nach Artefakten eines fünfhundert Jahre alten Raumschiffs suchen wollte. Die Stelle lag weitab ihres üblichen Reviers.

Sie planten präzise die dafür notwendigen Tauchetappen und Dekompressionsstopps. Ausgerüstet mit Shanees neuen Tauchflaschen, würden sie an einem Seil Ersatzflaschen herablassen, die sie auf dem Rückweg benutzen konnten, falls ihnen die Luft ausging. Theo benötigte keine Luftflasche. Er würde ohne weitere Ausrüstung am Tauchgang teilnehmen und als Orter und Navigator fungieren.

Cru würde ebenfalls mit hinuntergehen, auch wenn ihm dabei mulmig war. Nie und nimmer würde er Sil mit diesen beiden seltsamen Gestalten allein in den Abgrund lassen!

Und dann war es so weit.

Als Wache, die an Bord der KÖNIGIN bleiben sollte, holten sie Cayalla aus dem Dorf dazu. Sie hatte, wie sich herausstellte, keinerlei Probleme damit, eine Tauchexpedition in unbekannte Gefilde zu begleiten, die von einer geheimnisvollen Fremden und einem Metalltier geleitet wurde.

»Das ist ein Roboter, oder?«, sagte sie. Die jungen Leute dieser Zeit schienen sich von nichts mehr überraschen zu lassen.

Theo hatte inzwischen seine Maskerade gänzlich abgelegt und wirkte dadurch erstaunlicherweise weniger fremd als zuvor. Er war eben ein Gerät, nur weiterentwickelt als alles, was die planetare Industrie bisher hervorgebracht hatte.

Der Wind blies rau und die See war unruhig, als sie die Segel setzten. Die Frauen schreckte das nicht. Sie waren entschlossen, die Expedition an diesem Tag zu starten.

Silhouette war eine geschickte Seglerin, die ohne Weiteres in der Lage war, einen Punkt auf einer Seekarte im Meer zu finden, und sie und Cru waren ein eingespieltes Team.

Theo war auf irgendeine Weise in der Lage, die Untiefen, die Sil und Cru bereits kannten, genau zu bestimmen. Konnte er bis auf den Meeresgrund sehen? Wozu waren seine Augen imstande? Die nautische Position, auf die er die KÖNIGIN lenkte, war jedoch weit entfernt von den Meerestiefen, die sie bisher erforscht hatten.

Sie beschlossen, seinen Anweisungen zu vertrauen. Was blieb ihnen anderes übrig?

Schließlich hielt Theo das Boot an, sie ließen das Seil mit den vorbereiteten Luftflaschen in die Tiefe, dann legten die drei Taucher die Ausrüstung an, die Shanee mitgebracht hatte. Auch Cru und Silhouette zogen Skaphander über, ebenso die Doppelflaschen mit komprimierter Luft, Gesichtmasken, Handschuhe, Flossen und Messer, die sie am Unterschenkel befestigten. Zuletzt banden sie die neuen Lichtwerfer an den Kopf.

Sie gaben einander das Zeichen für Alles in Ordnung, und dann gingen sie hinab, zwei Taucher von der Küste, eine Nachfahrin von Weltraumreisenden und ein mehr als fünfhundert Jahre alter Roboter.

*

Die Skaphander wärmten, dennoch spürte Cru das kühle Wasser, als über ihm der Himmel verschwand und sie eindrangen in diese andere Welt, zu der sie nun gehörten. Noch ließen die Sonnenstrahlen den Ozean unter ihnen violett schimmern, doch schon lag da die bodenlose Schwärze, in die sie langsam hinabglitten.

Blasen stiegen aus ihren Tauchgeräten nach oben zur KÖNIGIN. Einzig der metallene Roboter, der keinen Tauchanzug und keinen Luftvorrat trug, wirkte wie ein Fremdkörper in diesem wunderbaren Kosmos.

Öfter als nötig gaben sie einander das In-Ordnung-Zeichen. Wenn sie sich voneinander entfernten, sahen sie die anderen anhand der glimmenden Kopflampe. Aber es gab in der Weite nichts, worauf die Lampe ihren Schein werfen konnte. Es war, als würde das Meer alles Licht verschlucken.

Bei den Stopps zum Druckausgleich kamen sie zusammen und fassten sich an den Händen. Nur Theo blieb abseits und erinnerte so an das »Tier«, das er gewesen war, das scheinbar teilnahmslos am Boden gelegen hatte, während die Frauen im Geist zu den Sternen reisten.

Gelegentlich erleuchteten die Lichtwerfer flinke Schwärme, die zackig die Richtung wechselten, als die Taucher in ihre Nähe kamen; pulsierende, beinahe durchsichtige Quallen, die ihre neuen Mitbewohner gelassen zur Kenntnis nahmen; und phosphoreszierende Fische, deren eigenartige Körper selbst das wenige Licht, das zu ihnen drang, in grellen Farben reflektierten.

Dann tauchten tief unter ihnen helle Punkte auf, die langsam größer wurden: Ihre Lampen hatten den Meeresboden erfasst – eine bizarre Felsenwelt, die langsam näher kam.

Theo übernahm die Führung und steuerte in einer Spiralbahn auf den Grund zu, der gar kein Grund war, sondern ein riesiges Gebirge, auf das sie schwerelos hinabglitten.

Als sie den Gipfel erreichten, legten sie einen letzten Stopp ein.

Nicht mehr viel Zeit, signalisierte Cru, der befürchtete, Shanee würde mehr Luft verbrauchen als die erfahrenen Taucher.

Wir haben noch die Ersatzflaschen, antwortete Sil. Unsere beiden Freunde wissen, was sie tun.

Die beiden Freunde wollten tiefer hinab.

Bald umschwebten sie das unterseeische Gebirge, das schon über ihnen aufragte, die KÖNIGIN in weiter Ferne. Sie gelangten in ein groteskes Höhlenlabyrinth, in dem urzeitliche Fische lebten. Einmal erschreckten sie ein flaches Tier von der Größe eines Fischerboots, das Staub aufwirbelte und ihnen für kurze Zeit die Sicht nahm.

Cru wusste, was in solchen Fällen zu tun war. Ruhig bleiben. Auf die Richtung der Blasen und Aufwirbelungen achten. Orientieren.

Doch wo war Shanee?

Cru sah einen Schatten, der mit heftigen Flossenbewegungen um sich schlug.

Shanee geriet in Panik. Sie wusste nicht mehr, wo unten und oben war.

Schon war Cru bei ihr, schneller noch als der Roboter, der von Lampen an seinem Körper spärlich beleuchtet wurde.

Shanee beruhigte sich, dann legte der Staub sich wieder, wie ein Morgennebel, der urplötzlich entstand und sich genauso schnell wieder verzog.

Der »Nebel« gab die Sicht auf ein Tal frei, das unter ihnen lag.

Im selben Moment erkannte Cru, dass er schon immer gewusst hatte, was sie da unten finden würden. Nie hatten sie nach Trümmern, Überresten oder Artefakten gesucht.

Was da im »Tal« am Meeresgrund lag, halb vergraben und mit grünen Seemoosen bedeckt, war weitaus größer als ein Fischerboot, größer als zehn oder zwanzig Fischerboote. Es war nicht von dieser Welt. Der schlafende Riese. Das Raumfahrzeug der Fremden.

*

Der Riese war zu einem Drittel im Meeresboden versunken und wies eine perfekte Kugelform auf. Schräg um diese Kugel zog sich ein breiter Ring wie eine gewaltige Mauer. All das war von Seepflanzen erobert worden, die sanft auf und ab schwangen.

Je tiefer sie sanken, desto mehr Details sahen sie – Muster auf der Oberfläche der Kugel, die so etwas wie Fenster oder Luftlöcher darstellen mochten, die unter den Pflanzen lagen. Und je mehr Details sie sahen, desto größer erschien der Riese.

Obwohl das fremde Objekt still dalag, wirkte es doch wie ein Raubtier, das in der Tiefe lauerte und jederzeit emporschnellen konnte, um alles zu schnappen, was da im Wasser schwamm, es zu zerbeißen und verschlucken.

Cru spürte sein Herz schlagen. Panik stieg in ihm hoch.

Er erinnerte sich, wie er Shanee beruhigt hatte, und zwang sich, bewusst zu atmen.

Sil musste es ähnlich ergehen.

Das war nicht der Riese der Legenden, beschwor Cru sich, sondern das Produkt einer überlegenen Technologie. Es lag hier seit dem Mittelalter des Planeten und hatte sich seitdem vermutlich nicht bewegt.

Shanee und Theo übernahmen mit ein paar kräftigen Flossenschlägen die Führung und sanken als Erste auf den Riesen hinab.

Cru und Sil warfen einander einen kurzen Blick zu, dann folgten sie ohne weiteres Zögern den anderen.

Voller Staunen umkreisten sie die riesige Kugel.

Der Roboter hatte offenbar eine Entdeckung gemacht und schwamm zielstrebig auf einen Punkt unterhalb des großen Rings zu, der die Kugel umschloss.

Dann sah Cru es ebenfalls. Dort klaffte in der Hülle ein Loch.

Ein Loch, das ins Innere des Riesen führte.

*

Hinter dem Loch lag eine Halle, die ebenfalls von Seepflanzen bewuchert war. Der »Boden« war in einem absurden Winkel nach unten geneigt. Die Kugel war also nicht »gerade« gelandet. Vermutlich hätte der Außenring sie waagerecht umschließen sollen. Er stand aber schräg.

Mit einem flauen Gefühl folgte Cru den anderen, die beherzt in die unheimliche Halle einschwammen. Ihre Lampen warfen helle Kreise an die mit Algen bewachsenen Wände, wanderten umher und zeigten das wahre Ausmaß des Raumes, in dem sie sich aufhielten. Sie waren bereits im Innern des Riesen.

Ein paar knöcherne Fische mit großen Augen glotzten sie an, störten sich aber nicht weiter an den Eindringlingen und gingen ihren eigenen Geschäften nach.

Weiter hinten standen auf dem schrägen Boden starre, spinnenartige Gebilde, ebenfalls von einer Grünschicht umzogen.

Theo steuerte auf ein Schott zu, das sich unten am Ende der Halle befand. Es war verschlossen. Doch schon hantierte der Roboter an einer Art Tafel, die neben dem Schott angebracht war. Er fuhr ein Instrument aus seinem Roboterkörper aus, drang in die Tafel ein, das Instrument machte einige blitzschnelle Drehbewegungen.

Dann hörte Cru durch das Wasser ein dumpfes Geräusch, das ihn im Innersten erschütterte.

Das Schott bewegte sich. Es seufzte wie ein aus Millionen Jahren Schlaf erwachtes Urzeittier. Dann glitten die beiden Türflügel seitlich in die Wand.

Licht drang aus dem Raum dahinter, und augenblicklich erfasste ein Sog die Taucher.

Eine gewaltige Luftblase entwich aus dem Raum hinter dem Schott.

Das nachströmende Wasser riss Cru, Sil und Shanee hinein.

Theo schien als Einziger nicht überrascht und schaffte es irgendwie, sich gerade zu halten.

Die anderen wurden wild durcheinanderpurzelnd in den schräg stehenden Innenraum gezogen. Seine Wände leuchteten diffus und tauchten den Raum in ein seltsames, einheitliches Licht. Nach der geisterhaften Halle war dies ein geradezu intimer Ort, etwa wie eine Bootskabine.

Cru wurde bewusst, dass sie nun immer weiter ins Innere des Riesen gelangten.

Zu seinem Entsetzen schloss sich das Schott über ihnen wieder.

Dann geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte: Das Wasser floss ab.

*

Eine Schleuse!

Bald ragten ihre Köpfe über die Wasserlinie, und sie mussten die Augen zusammenkneifen, weil das unwirkliche Licht schmerzte. Wo kam es überhaupt her, nach fünfhundert Jahren?

Als das Wasser bis zu ihren Knöcheln stand, wirkte die Kabine geradezu wie der Innenraum eines Hauses. Allein die Schräglage zeigte, dass sie sich auf dem Grund des Ozeans befanden.

Shanee war die Erste, die ihre Flossen abnahm und barfuß teils auf dem Boden, teils auf der gekippten Wand stand.

Sil und Cru taten es ihr gleich.

Theo gab ein Signal, und Shanee bedeutete den anderen, die Atemmasken abzunehmen.

Zögerlich hoben sie die Geräte vom Mund und atmeten ein. Die Luft schmeckte schal und roch nach Moos, doch sie war zweifellos atembar.

Damit geriet fürs Erste die Sorge in den Hintergrund, dass sie beim Vordringen in den Riesen ersticken würden. Sie schlossen die Ventile, behielten aber vorsichtshalber die Luftflaschen auf dem Rücken.

Eine Lampe am gegenüberliegenden Schott, die sie vorher nicht gesehen hatten, leuchtete grün. Theo hatte an einem Schaltelement hantiert. Mit unwirklich naher Stimme verkündete er nun: »Uns wurde der Zugang gewährt.«

Gewährt ... von wem?

Das Schott fuhr auf mit einem kaum wahrnehmbaren Geräusch. Unter diesen Umständen wirkte es wie ein Donnergrollen.

Hinter dem Schott führte ein strahlend heller Korridor in die Tiefe. Unter Wasser hätten sie ihn hinabschwimmen können. Nun würde es eine Rutschpartie werden.

Da ging ein unheimlicher Ruck durch den Riesen. Die schrägen Wände neigten sich ihnen entgegen.

Noch ein Atemzug, dann würde alles um sie herum zusammenbrechen.

*

Zu ihrer Überraschung brachen die Wände nicht zusammen. Das vermeintliche Seebeben verebbte so schnell wie es gekommen war. Der Korridor, der vor ihnen in die Tiefe geführt hatte, war nun genau waagerecht ausgerichtet, sodass sie ihn bequem entlanggehen konnten.

Theo schien das alles nichts auszumachen. Nun war er das Wesen, das in die neue Umgebung passte, die anderen waren Fremdkörper.

Der Roboter schritt entschieden voran, Cru und die beiden Frauen folgten ihm staunend.

Nach etlichen Mannlängen verzweigte sich der Weg nach links und rechts.

Sie standen erneut vor einem Schott, das auf Theos Befehl mit einem leisen Seufzen aufglitt und die Sicht darauf freigab, was dahinter lag. Dort gab es keinen Boden, sondern der hell erleuchtete Raum erwies sich als große Röhre, die in die Tiefe und die Höhe führte.

Ohne zu zögern, trat Theo hinein und wurde sogleich von einem leichten Auftrieb erfasst.

Shanee trat ebenfalls heran, drehte sich zu den beiden Begleitern um und sagte mit belegter Stimme: »Es ist sicher, vertraut mir!«

Mit einem Ruck wandte sie sich wieder um, trat entschlossen in den Schacht und glitt nach oben.

Diesmal war es Cru, der Sil voranschritt. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung trug der Sog, oder was immer es war, auch ihn und Silhouette aufwärts. Sie schwammen nach oben, obwohl sie kein Wasser mehr trug.

Die drei Menschen atmeten erleichtert auf, als sie den Schacht weiter oben wieder verließen.

Theo führte sie durch weitere Gänge, und schließlich gelangten sie in einen Raum, der dreimal so hoch war wie sie selbst. Darin standen Sitzmöbel, ein Tisch. Er wirkte wie ein Empfangsraum.

Plötzlich wurde die Wand vor ihnen transparent, und sie sahen, dass der Raum dahinter in fünf kleine Etagen unterteilt war, die wie eine Wohnung eingerichtet waren ... ein Puppenhaus.

Auf einer dieser Etagen, oberhalb ihrer Augenhöhe, vollzog sich ein einzigartiges Schauspiel: Dort war so etwas wie ein Laboratorium voller technischer Geräte, mittig ein kleines Bassin, in das Schläuche und Kabel führten. Es besaß eine durchsichtige Kuppel, die mit einem undurchdringlichen Gas gefüllt war. An den Geräten blinkten Lichter.

Dann strömte das Gas hinaus, und die Kuppel öffnete sich.

Was sich darin erhob, war ein Lebewesen, wie die Menschen vom Planeten Myra noch nie eins gesehen hatten: Es sah aus wie ein graues, leicht gekrümmtes Kürbisgewächs, aber mit kurzen stummelartigen Beinen und zwei übereinander liegenden Armpaaren mit zarten Händen und filigranen Fingern.

Es lebte.

Noch zitternd erhob sich das Wesen von seiner Liege. Voller Erstaunen blickte es in Richtung der Myraner. Dann erfasste es die neue Lage offenbar schneller als sie.

Die transparente Wand dieser einen Etage schob sich zur Seite, und ein süßlicher neuer Geruch strömte in den Raum, der Geruch einer anderen Welt.

Auf einer Art Thronsessel mit scheibenförmigem Sockel schwebte das graue Wesen in den Vorraum und schaute anscheinend vergnügt auf seine Besucher hinab.

»Fürchtet euch nicht«, sagte es mit heller Stimme, die klang wie das Idiom einer weit entfernten Dorfgemeinschaft. »Willkommen auf der STELLARIS!«

*

Der Fremde nannte sich Zirome.

Seine Haut war vollkommen grau. An der Oberseite des gebogenen Körpers befand sich ein freundliches Gesicht mit zwei großen Augen und kleinem Mund.

Sahen alle Lebewesen, die von den Sternen kamen, so aus?

Cru versuchte, der unwirklichen Szene, die sich vor ihm abspielte, Sinn zu geben. Ihm fielen die Korridore ein, durch die sie gekommen waren, und der Empfangsraum, in dem sie standen. Diese waren für viel größere Wesen gemacht. Sahen die Sternenwesen ganz unterschiedlich aus? Die Lurer fielen ihm ein. Gab es Sternenwesen, die so aussahen wie Myraner?

Zirome hatte offenbar noch anderes zu tun, als Besucher zu begrüßen. Mit schlanken Fingern tippte und wischte er ununterbrochen über Geräte in den Armlehnen seines Sessels.

Laut sagte er: »STEL, bist du wach?«

Eine weibliche Stimme ertönte, wie aus einer anderen Welt. »Selbstverständlich, Konsul.«

»Wie lange war ich weg?«

»492 Jahre und 125 Tage.«

»Das nenne ich eine funktionstüchtige Stasiskammer. Machst du mir bitte einen Espresso?«

Die nächste Frage ging an Theo. »Ist der Hypermonsun vorbei?«

»Abgeflaut«, antwortete der Roboter ohne Zögern. »Ein Rückflug in die Galaxis sollte möglich sein.«

»Ich danke dir für deinen Einsatz. Danke, dass ihr mich geweckt habt.«

Damit wandte sich Zirome wieder den drei Myranern zu, die dem Austausch stumm gefolgt waren. Er zwinkerte ihnen zu. »Ihr seid also die Lemurerabkömmlinge. Und du ...«

Er schwebte hinab auf Shanees Augenhöhe. »... bist eine Nachfahrin von Caliban May, nicht wahr?«

Er tippte an seinen kleinen Kopf, dort wo bei Myranern die Ohren saßen.

»Die Geschichte der STELLARIS ist in meiner Familie weitergetragen worden«, sagte sie ergriffen. »Theo hat all die Jahrhunderte astrografische Messungen vorgenommen und vor Kurzem das Abflauen der Hypersturmfront beobachtet. Da beschlossen wir, dich aus dem Schlaf zu holen, bevor die Entwicklung einer planetaren Raumfahrtindustrie einsetzt.«

»Ihr müsst wissen«, sprach Zirome wieder die Myraner an, »wir saßen gewissermaßen hier fest. Also wurde die Besatzung der STELLARIS auf eurem Planeten heimisch. Der Roboter passte auf den Monsun auf, selbstverständlich musste die Familie May ihn vor euren Vorfahren verstecken. Und ich ... tja, ich passte auf die STELLARIS auf. Ein Wesen meiner Art hätte auf diesem Planeten wohl kaum eine Zukunft gehabt. Entschuldigt übrigens die Schwerkraftverhältnisse bei eurer Ankunft. Wir hatten nicht mit euch gerechnet.«

Cru kam dies alles vor wie ein bizarrer Traum.

Silhouette dagegen löste sich langsam aus der Erstarrung, die von den Myranern Besitz ergriffen hatte. »Du hast die Schwerkraftverhältnisse geändert?«, fragte sie verständnislos.

»War ein Klacks. Ich konnte euch ja schlecht die Gänge der STELLARIS herunterklettern lassen. Übrigens werden wir mal nachsehen müssen, was sich in der Galaxis in der Zwischenzeit getan hat. Immerhin waren wir eine Weile weg.«

»Die Galaxis! Was ist dort, wie sieht es dort aus?«

Zirome krümmte einen Finger, eine Geste, die Myranern nicht geläufig war. »Ich habe ein paar Hundert Jahre geschlafen und weiß nicht einmal, ob es Terra, Maharani oder die LFG noch gibt. Und unser klappriger Raumfrachter ist womöglich nicht mehr der neueste Schrei. Wir werden uns ein wenig umsehen müssen, ein paar alte Freunde anrufen, die eine oder andere Schramme ausbeulen, so etwas in der Art.«

Cru stellte sich vor, wie die myranischen Herrscher reagieren würden, wenn sie von diesem kleinen Gespräch erfuhren. Sie würden in Schreikrämpfe ausbrechen.

Sie redeten mit einem absurd alten Wesen über unvorstellbare Dinge, als wären sie ein Ausflug zum Strand. Zirome wollte ein paar Freunde anrufen! Und was waren Terra, Maharani und die Elleffgee?

Cru fürchtete sich vor den Antworten, doch Silhouette war erwartungsgemäß mit vollem Eifer bei der Sache. »Kannst du den Rie..., ich meine, dieses ... Raumfahrzeug denn wieder flugtauglich machen?«

»Oh, wir fliegen doch bereits«, sagte Zirome.

*

Er hatte sie in einen Saal gebracht, der für festliche Anlässe konstruiert sein mochte. Aber die Myraner achteten nicht auf die Einrichtung, sondern hatten nur Augen für das große runde Fenster zu ihren Köpfen, durch das sie direkt nach außen blicken konnten.

Soeben tauchte die STELLARIS durch die Ammoniakmeere des Gasplaneten Nachtlicht. Nur eine kleine Probefahrt durch das Somnussystem, wie Zirome versichert hatte. Eruptionen, Wirbel und Schlieren in schillernden Farben zogen an ihnen vorbei. Das Meer, das sie gerade durchquerten, war wie kein Meer, das sie jemals befahren hatten. Es war größer als der ganze Planet Myra, größer als hundert Myras. Es war phantastisch!

Cru hatte immer gewusst, dass Silhouette eines Tages ihr Dorf verlassen und in die Ferne aufbrechen würde. Nur hatte er sich das anders vorgestellt.

In diesem Moment war er froh, dass er dabei an ihrer Seite stand.

ENDE

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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