Читать книгу 15 Western Koffer Sommer 2018 - Gegen das Gesetz und 14 andere Romane - Pete Hackett - Страница 11
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ОглавлениеEin Mann reitet durch die Wind River Range von Wyoming. Einsam wie sein Ritt sind auch seine Gedanken und Gefühle. Er weiß nicht, wann er zum letzten Mal in seinem Leben Furcht verspürte. Jetzt hat er Furcht. Denn seit vier Tagen liegt der schwerste Weg seines Lebens vor ihm. In der Hütte im tiefen Wald wartet sein Mädchen auf ihn — und sein Sohn, der vor drei Monaten geboren wurde. Der Junge weiß von nichts, aber Nancy wird keine Nacht ruhig schlafen. Sie wird jeden Tag, jede Stunde am Fenster stehen und in das Schweigen des Waldes hineinlauschen. Sie wird das Kind in den Armen wiegen und bittere Tränen vergießen. Und sie wird erst wieder lachen können, wenn ein Pferd vor der Hütte hält und ein Mann mit seiner typisch lässigen Bewegung vom Sattel steigt.
Sam Mahone spürt einen würgenden Kloß im Hals.
„Ich werde es schaffen, Nancy“, knirscht er zwischen den Zähnen. „Hölle, ich muss es schaffen!“
Ein scharfer Wind fegt durch die Range. Sam Mahone wirft einen Blick zu den jagenden Wolken hoch, und sein dunkles, scharfgeschnittenes Gesicht verzerrt sich. Regen steht wieder bevor, viel Regen, und das kann verdammt schlecht sein für einen Coup. Aber er wird nichts aufschieben. Er wird Nancy nicht lange warten lassen. Er wird rasch zurück sein, und dann kann ihr friedliches Leben in der Wildnis nichts mehr stören.
Ein heißer Strom steigt plötzlich in dem Manne hoch, und er treibt den Wallach zu einem Galopp an. Die Hufe trommeln und wirbeln Grassoden auf. Rauschende Wälder wechseln mit zerklüftetem Hügelland. Am Nachmittag liegt offenes Land vor ihm. Wenig später stößt er auf die alte Postkutschenstraße nach Rock Springs.
Schwere Wolkenmassen hängen am Himmel. Und als die Häuser der Town vor Sam auftauchen, peitscht ihm der heulende Wind die ersten Tropfen ins Gesicht.
„Ich werde bis morgen warten müssen“, flucht Sam. „Sicher hat die Bank schon geschlossen. Bei diesem Hundewetter erledigt keiner solche Geschäfte.“
Er drückt den Stetson in die Stirn, strafft den Windriemen und knöpft die Wildlederjacke bis obenhin zu. Dann treibt er den Wallach die Neigung hinunter auf die fünf Dutzend Holzhäuser zu. Und plötzlich stürzt der Regen prasselnd auf ihn herab. Seine Kleidung trieft vor Nässe, als er die Mainstreet erreicht. Hastig bindet er sein Pferd an den nächsten Zügelholm, springt unter das Verandadach und versucht, durch die fingerdicken Regenstränge hindurchzuspähen.
Es ist, als wäre er allein in Rock Springs. Kein Laut ist zu hören außer dem Prasseln und Klatschen des Regens. Er stapft ein Stück den Sidewalk entlang und starrt auf den Schlamm und die Pfützen, die sich im Nu gebildet haben.
Mit meinem gut überlegten Plan ist es aus, denkt er bitter. Wenn er morgen die Bank überfällt, wird es für den Sheriff ein Kinderspiel sein, auf dem aufgeweichten Boden seine Spur zu verfolgen.
Warten, bis die Sonne die Erde wieder hartgebacken hat? Nein! Nancy steht Todesängste aus. Er wird sie nicht länger warten lassen. Aber ohne das Geld will er nicht zurückkehren.
Der Himmel wird immer düsterer. Sam beschließt, ein Zimmer zu mieten. Er knöpft die Jacke auf und zieht den 45er aus dem hochgeschnallten Holster. Die Waffe ist feucht, er trocknet sie sorgfältig mit dem Taschentuch. Dann prüft er jede einzelne Patrone in der Trommel.
Schon will er zu seinem Pferd zurück, als hinter seinem Rücken eine Tür quietscht. Er wirbelt herum und sieht einen älteren, untersetzten Mann in schwarzem Gehrock. Er hat glatt zurückgekämmtes Haar und wulstige Lippen, die sich geringschätzig verziehen, als er Sam erblickt. Offenbar hält er ihn für einen durchziehenden Satteltramp.
Sam's Herz pochte bis zum Halse, als er das Schild neben der Tür entdeckt:
TRADE & RANCHINO BANK
Er befindet sich genau vor der Bank, und der Marin im Gehrock ist offensichtlich der Bankier.
Sam starrt den Mann drei Herzschläge lang an. Der Regen prasselt. Und die einzigen Menschen in der grauen Town scheinen Sam Mahone und der Bankier zu sein. Der geringschätzige Zug um des Mannes Mund verblasst. Er kneift die kleinen Augen misstrauisch zusammen und macht einen schnellen Schritt zurück. Die Tür schwingt quietschend zu, und Sam hört einen Schlüsselbund rasseln. Seine Hand fliegt hoch und krallt sich in die Hemdbrust, worunter der Drellsack verborgen ist. Und diese Bewegung ist die Folge dessen, was Sam an gehetzten Gedanken miteinander verknüpft hat.
Jetzt oder nie! Sam macht zwei Sätze.
Sein mit Wucht vorschießender Stiefel prallt mit der Tür zusammen, ehe diese ins Schloss fallen kann. Dann fliegt sein volles Körpergewicht dröhnend gegen das Holz, und von innen ertönt ein dünner Schrei. Der Bankier war allein.. Er liegt halb auf den Dielen, das glatte Haar plötzlich zerzaust, und reibt sich stöhnend die Stirn, wo ihn die zurücksausende Tür erwischte.
Sam's Seele ist ein glimmendes Feuer unter einer dünnen Eisschicht. Und er muss seinen schrecklichen Coup abgewickelt haben, ehe die Kältewand zerschmilzt und er die Nerven verliert. Hier geht es um alles!
„Wer ist noch da?“, fragt er zischend und deutet mit dem Kopf zur Tür eines Nebenzimmers.
Die blassen Augen des Bankiers sind schreckgeweitet. Er sieht die dunkle Revolvermündung, die auf seine Stirn zielt, und er sieht das steinerne Gesicht des Eindringlings. Dass sich der Fremde nicht einmal bemüht, sein Gesicht mit dem Halstuch zu maskieren, ist kein Grund, sich eine fadenscheinige Hoffnung zu machen. Im Gegenteil, der Desperado ist in seinem überhasteten Überfall zu allem entschlossen.
„Bin — bin allein“, schluckt der Bankier. Er richtet sich ächzend auf den Hosenboden hoch, macht aber nicht den Versuch, aufzustehen.
„Ich habe keine Zeit“, sagt der Outlaw verzerrt.
Mit zwei Sätzen ist er bei dem Alten und reißt ihn am Rockkragen hoch.
„Mach den Tresor auf, schnell!“
Der Bankier schielt auf den Colt unter seiner Nase und schrumpft zusammen. Sam wirbelt ihn am Kragen herum und stößt ihm die Coltmündung in den Rücken. Willenlos stolpert der Mann um den Schalter herum zum Tresor.
„Ich geb dir fünfzehn Sekunden!“, faucht Sam Mahone und zieht den Drellsack unter dem Hemd hervor. „Dann hast du den Kasten aufgemacht und das Geld in den Sack gestopft — nur die Scheine. Los!“
Der Alte braucht nur zehn Sekunden. Sam reißt ihm den gefüllten Sack aus den Händen. Er schluckt trocken und starrt den Bankier sekundenlang an, als könne er nicht fassen, dass alles so glatt gegangen ist.
Der Alte stützt sich mit einer Hand schwer auf die Barriere, mit der anderen wischt er sich den perlenden Schweiß von der Stirn.
„Auf die Art hat's noch keiner versucht“, murmelt er düster. „By gosh, Fremder, Sie müssen mit dem Satan im Bunde stehen. Warten einfach auf den großen Regen, weil das für Sie die beste Deckung ist, denn kein Mensch lässt sich bei dem Sauwetter auf der Straße sehen. Nur Ihre Spur, die können Sie nicht verwischen. Aber wahrscheinlich haben Sie auch herausgekriegt, dass der Sheriff gerade mit 'nem Aufgebot nach Uvalde weg ist. Ausgerechnet vor dem großen Regen hauen die Kerle ab, und der Regen verzögert ihre Rückkehr. So viel Glück für Sie — oder Zufall? Sie müssen wirklich ein Partner des Satans sein, Mister. — Lassen Sie mich am Leben?“
Sam Mahone presst die Lippen hart aufeinander.
„Ich bin kein Mörder! Drehen Sie sich um, ich muss Sie niederschlagen. Tut mir leid!“
„Ich bin nicht mehr der Jüngste, Fremder! Sie könnten mich totschlagen!“
Sam beißt sich auf die Unterlippe.
„Keine Zeit. Muss es riskieren. Drehen Sie sich um, schnell!“
„Sie können mich fesseln — und knebeln! Im Nebenraum liegt ein Strick. Ich schwör's, Fremder, ich bin allein im Haus. Mein Clerk ist seit zwei Tagen krank. er wohnt am Ende der Stadt. Beim Satan, wieder so ein verteufelter Zufall. Sie müssen wirklich ...“
„Ich weiß!“, unterbricht ihn Sam mürrisch. „Gehen Sie voran! Eine krumme Bewegung, und Sie haben gewählt!“
Sam folgt ihm wachsam mit vorgehaltenem Revolver. In dem Office lässt er den Bankier sich niederlegen und fesselt ihm Arme und Beine. Zum Schluss zerreißt er das Hemd des Alten und knebelt ihn leicht mit einigen Fetzen.
„Denken Sie immer daran, dass ich Sie hätte umbringen können“, murmelt Sam zum Abschied.
Drei Sekunden später steht er wieder auf dem Sidewalk. Der Regen hat nicht nachgelassen, er scheint sogar noch stärker niederzuprasseln.
Nachdem Sam den Geldsack in der Satteltasche seines Wallachs verstaut hat, steht er einen Moment reglos da und starrt in die lückenlos scheinende Regenwand. Er kann noch immer nicht fassen, dass der Coup so glatt abgegangen ist, dass er das Geld hat und zu Nancy zurückkehren kann.
Flucht? Solange der Regen vom Himmel stürzt, wird es keine Jagd auf ihn geben. Und der Sheriff ist gerade unterwegs. Ist das alles nicht zu viel Glück?
Der Himmel weiß, dass ich es nicht für mich tue, sondern für meinen Sohn, denkt Sam Mahone. Darum steht er mir bei.
Fast gelassen löst er den Zügel vom Holm. Er schwingt sich in den Sattel und reitet im Trab durch den rauschenden Regen davon — so, als ob er eine selbstverständliche Aufgabe erfüllt hätte.
Unbemerkt, wie er in Rock Springs auftauchte, verschwindet er im weiten Hügelland — wie ein Geisterreiter. Und von einem Geisterreiter wird Clem Duncan, der Bankier, reden, wenn man ihn Stunden später aus seiner Not erlöst.
Die Verkettung unglaublicher Zufälle ließ das dreiste Unternehmen eines Mannes gelingen, der hundert einsame Meilen ritt, freies Leben zu bereiten. Nicht allein dieser sein, sondern auch der Name des Mannes, der den Coup ausführte. Sein Name wird zur Legende werden ...
Er macht ein Feuer, trocknet seine Kleider und versorgt das Pferd, das er in die Hütte mitgenommen hat. Nachdem er etwas Dörrfleisch verzehrt hat, macht er sich daran, das Geld zu zählen. Er braucht eine Stunde dafür.
Knapp achtzigtausend Dollar brachte der Coup. Sam's Augen glühen. Gleichsam im Vorbeigehen hat er mehr Dollars erbeutet, als zwei Cowboys zusammen in ihrem ganzen Leben verdienen.
Der Outlaw schluckt wieder und wieder. Er kneift sich in die Arme, schlägt sich klatschend ins Gesicht. Nein, er träumt nicht! Er hat das Geld, ist in Sicherheit und kann heimkehren.
„Himmel und Hölle, ich danke euch!“, flüstert Mahone. Er ist in guter Stimmung, springt in dem Raum umher wie ein ausgelassenes Kind und umarmt schließlich seinen Wallach.
Als die Dunkelheit über die Hütte fällt, liegt Sam ruhig auf dem Lager. Er hat die Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrt zur Decke. Draußen rauscht der Regen. Ab und zu schnaubt das Pferd, das sich in Sam's Nähe hingestreckt hat.
Der Mann denkt an Nancy und den Jungen, den sie Jake tauften, und wieder beschleichen ihn Ungeduld und Sorge. Er weiß, dass noch Tage vergehen werden, ehe er die Blockhütte in der Wind River Range erreicht. Keinesfalls darf er den schnellsten Weg nach Hause einschlagen. Er muss wieder Umwege reiten, um seine Spuren zu verwischen.
Seine Gedanken verwirren sich bei diesen Überlegungen, und er schläft ein.
Als er erwacht, ist es still draußen — unheimlich still. Mit einem Satz ist er hoch und reißt die Tür auf. Der Regen ist vorüber. Der Morgenwind spielt in einem grauen Gewoge.
„Ich muss weiter!“, knirscht der Outlaw.
In fliegender Hast sattelt er den Wallach, zerrt ihn heraus und springt in den Sattel. Irgendwo im grauen Dunst geht die Sonne auf. Das Morgenrot kann die Schwaden nicht durchdringen, aber es ist schon so hell, dass die Büsche und Bäume des Graslandes sich schattenhaft abzeichnen.
Sam drückt die Schenkel an, und der Wallach galoppiert in das widerliche Gewoge hinein.
Die Wind River Range liegt im Osten, doch Sam reitet nach Süden. Erst gegen Mittag, als er ein meilenlanges Geröllfeld passiert hat, biegt er in einem spitzen Winkel nach Osten ab. Er lässt den Wallach durch seichte Flüsse gehen, reitet im Zickzack oder führt das Tier am Zügel über schmale Gebirgspfade.
Endlich, am dritten Tag nach seinem Coup in Rock Springs, glaubt Sam, seine Spuren hinreichend verwischt zu haben. Auf dem einfachsten Weg sucht er nun das riesige Waldgebiet der Wind River Range.
In zwei weiteren Tagen würde er seine Blockhütte erreichen.
Doch am Abend des folgenden Tages, zwanzig Meilen vor dem Ziel, hat er Pech. Der Wallach tritt in ein Kaninchenloch, bricht ein Bein, und Sam muss das Tier erschießen. Er schnallt den Sattel mit den Taschen los und setzt den Weg zu Fuß fort. Er folgt dem Lauf des Shoshone River, der dicht an der Blockhütte vorbeifließt.
Es wird eine qualvolle Wanderung. Sam schießt die Hacken seiner Stiefel weg, um besser laufen zu können. Zwei Nächte verbringt er unter freiem Himmel, in seine Decke gehüllt. Der Morgen, der der zweiten Nacht folgt, bringt Sam zu der mächtigen Eiche, die er wie einen lieben Bekannten grüßt. Es ist die Stelle, die Nancy immer aufsucht, um am Flussufer die Kleider zu waschen.
Dann bleiben Sam nur noch wenige Minuten, um sich vorzustellen, wie Nancy ihn empfangen wird.
Als die kleine Lichtung vor ihm liegt, bleibt er mit aufgeregt hämmerndem Herzen stehen. Die Hütte zwischen den gewaltigen Blutbuchen steht wie verlassen. Aber war da nicht eine hastige Bewegung am Fenster?
Die Tür fliegt auf. Nancy steht da. Sie trägt Jeans und ein kariertes Baumwollhemd. Ihre Hände auf die Brust gepresst, steht sie sekundenlang reglos da. Dann läuft sie stumm auf ihn zu.
Der Mann lässt Sattel und Taschen fallen, geht ihr entgegen und fängt sie in seinen Armen auf. Er muss sie festhalten, denn plötzlich verlassen Nancy die Kräfte, und sie beginnt heftig zu schluchzen. Er küsst ihr die Tränen von den Wimpern.
„Alles ist gut, Nancy, Liebes“, murmelt er heiser. Und nach einiger Zeit fragt er: „Jake?“
Sie nickt und lacht unter Tränen. Da hebt er sie auf die Arme.
„Ich werde dich nie wieder allein lassen“, schwört er und trägt sie in die Hütte.