Читать книгу 15 Western Koffer Sommer 2018 - Gegen das Gesetz und 14 andere Romane - Pete Hackett - Страница 8
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ОглавлениеEr hat gegen das Gesetz gehandelt — und das Gesetz hat ihn erreicht. Sam Mahone hat seine Schuld abgebüßt. Die Jahre im Jail wird er nie vergessen. Und als er zurückkommt in die Stadt, wo er einmal zu Hause war, will er ein neues Leben anfangen und die Vergangenheit vergessen. Aber sie lässt sich nicht einfach abschütteln, diese dunkle Vergangenheit. Für die ehrbaren Bürger der Town ist und bleibt Sam Mahone der Outlaw. Und sein Sohn Jake bekommt es auf Schritt und Tritt zu spüren.
Als eines Tages die Bank überfallen wird und der Bankier Jed Harper dabei sein Leben verliert, fällt der Verdacht auf Sam Mahone, den Outlaw. Sein Sohn Jake ist der einzige, der an Sams Unschuld glaubt. Aber kann er das auch beweisen?
Dumpf rollt der Donner über die Wind River Range von Wyoming. Ängstlich rauscht der Wald in einer Niederung am Fuß des Gebirges. Dort, wo sich schroffe, felsige Klippen weit in die dicht mit Laubholz bewachsene Niederung erstrecken, steht zwischen gewaltigen Bäumen eine Blockhütte. Aus dem offenen Fenster blickt ein Mann starr in die immer düsterer werdende Waldlandschaft.
Plötzlich zuckt ein greller Blitzstrahl aus der schwarzen Wolkendecke und beleuchtet für Sekunden das hagere, verzerrte Gesicht des Mannes. Dann folgt ein schmetternder Schlag. Die Wolken bersten, und der Regen stürzt vom Himmel, als solle alles Leben in einer Sintflut untergehen.
„Bitte, komm endlich vom Fenster weg, Sam!“, fleht die leise Stimme eines Mädchens aus dem Halbdunkel der Hütte. Der Mann wendet sich um, und augenblicklich weicht die Kälte in seinen rauchgrauen Augen einer milden Wärme.
„Wie fühlst du dich, Liebes?“, fragt er zärtlich. Er geht zu dem Tisch in der Mitte des Raumes, entzündet die Kerosinlampe und schraubt den Docht höher. Angenehmes, goldgelbes Licht durchflutet den Raum, der so gemütlich eingerichtet ist, wie die natürlichen Mittel der Wildnis es erlauben. Der Tisch, die beiden Stühle, ein kleiner Wandschrank und die breite Liegestatt sind rohgezimmert. Die Wände sind mit Fellen und Rotwildgeweihen behangen. Über der Liege dient eine ausgespannte bunte Indianerdecke als Wandbekleidung. Weitere Decken liegen ungeordnet auf dem Lager, wo das Mädchen sitzt. Ihr gelöstes Haar ist rabenschwarz und fällt in Wellen über Schultern, die für ein Weib ziemlich breit erscheinen. Lange, seidige Wimpern überschatten haselnussbraune Augen. Schmal und gerade ist die Nase. Die leicht aufgeworfenen Lippen geben dem reinen Gesicht eine herbe Schönheit. Sie ist jung, vielleicht fünfundzwanzig. Der Mann ist nur wenige Jahre älter.
Als sie aufsteht, kann man erkennen, dass sie gesegneten Leibes ist.
„Sorge dich nicht um mich, Sam“, sagt sie dunkel, „und auch nicht um das Kind. Ich werde es gesund zur Welt bringen. Das fühle ich.“
Sie trägt ein weites, blaues Kattunkleid, das sie vor wenigen Monaten aus einigen Stoffresten selbst herstellte. Gewöhnlich trägt sie Jeans, Wildlederstiefel und Baumwollhemd — wie der Mann.
„Nancy!“, sagt er heiser. „Ich frage mich oft, ob es richtig war, mit dir in diese Wildnis zu ziehen. Für eine Frau ist es vielleicht ...“
Sie unterbricht ihn sanft.
„Fang nicht damit an, Sam! Darüber brauchen wir keine Worte zu verlieren, niemals! Du bist ein besonderer Mann, anders als alle Männer. Ich bin mit dir gegangen, weil ich dich verstehe. Und ich will deine Frau sein, Sam Mahone, auch wenn wir in wilder Ehe leben.“
„Du bist eine wunderbare Frau, Nancy Mahone“, flüstert er. Doch dann tritt er ans Fenster und starrt wieder in den strömenden Regen hinaus.
Als habe sie das kurze Stehen ermattet, sinkt die Frau auf das Lager zurück.
„Was hast du, Sam? Wir haben uns geschworen, keine heimlichen Gefühle zu haben. Hast du das vergessen?“
Der Mann atmet tief. Sie sieht, wie seine Schultern sich heben. Dann dreht er sich langsam um, geht mit schweren Schritten zum Lager und setzt sich neben sie. Als er noch schweigt, sagt sie: „Du hast doch alles, was du dir wünschtest — ein Leben in freier Natur, fern von den Schlechtigkeiten der Menschen, und du hast mich. Genügt es dir nicht mehr?“
Er legt eine Hand um ihre Schultern, die andere auf ihren Schoß.
„Yeah, ich habe alles“, erwidert er heiser. „Wir leben so, wie jedermann leben sollte. Wir leben an einem Ort, zu dem die Zivilisation noch nicht vorgedrungen ist. Ich hasse sie, die Zivilisation. Sie hat vernichtet, was mir einmal lieb war. Sie wird bald dieses prächtige Land, das einmal den freien Indianern gehörte, völlig verändert haben. Yeah, ich begreife die Roten. Ich verstehe, dass sie Krieg gegen die Weißen führen müssen, um so leben zu können, wie unser Gott, wie ihr Manitou es will. Sie müssen rauben und morden, um ihren Sinn für das natürliche Leben nicht zu verlieren. Ah, manchmal wünsche ich mir, dass ich mit den Indianern reiten könnte, um diese Höllenhunde zu vernichten, die in ihrer Gier nach Macht und Reichtum darauf pfeifen, ob das Gesicht dieser prächtigen Erde zernarbt und verrottet wird. Sie kommen in Scharen über das große Meer, errichten stinkige Bohrtürme, zerschneiden das Land mit neumodischen Stacheldrahtzäunen, sprengen den Boden auf, um irgendwelche Metalle zu finden, und lassen die saftige Erde von den stinkigen Schafen und Schweinen zerwühlen und verpesten. Fortschritt!“ Angewidert spuckt er aus. „Er hat die Indianer in verzweifelt um sich beißende Bestien verwandelt — und er hat mich zum Outlaw, zum Außergesetzlichen gemacht. Ich habe geraubt, und ich musste Menschen anschießen, um nicht zu verhungern!“ Er springt hoch und läuft auf und ab wie ein gereizter Puma.
„Ehrliche Arbeit? Ich hab's versucht! Meine Familie hatte eine wunderbare Ranch. Du konntest einen Tag reiten, und dein Gaul hatte immer noch guten Boden von Big John Mahone unter den Hufen. Da strömten diese dreckigen Schweinezüchter und Schafhirten ins Land. Sie ließen sich frech auf unserem Weideland nieder und zerwühlten und vermisteten den fruchtbaren Boden. Mit guten Worten ließen sie sich nicht vertreiben. Wir mussten ihnen mit unseren Colts Angst einjagen, aber auch das half nicht. Mir ist heute noch nicht klar, woher die Burschen plötzlich ihre Waffen hatten. Sie schossen auf uns — sie schossen scharf, obwohl wir nur Löcher in die Luft ballerten.
Mein jüngerer Bruder bekam Blei in die Schulter. Er fiel vom Gaul, und dann ... Nancy, dann passierte etwas, was ich nie vergessen werde. Mein Bruder blieb ohnmächtig liegen, und es gab eine kurze Feuerpause. Alle lagen in Deckung. Mein Bruder lag auf dem freien Feld zwischen uns und diesen Landplünderern. Plötzlich trottete die Schweineherde dieser Mistbauern heran. Zuerst war es nur eine alte Sau, die meinen Bruder mit dem Rüssel anstieß. Die anderen Viecher grunzten. Ich sprang auf, um meinen Bruder zu retten. Aber die Lumpenhunde eröffneten das Feuer. Sie ließen keinen an den Ohnmächtigen heran. Mich selbst erwischte ein Blei am Schädel. Als ich aufwachte, war alles vorbei. Ich musste mir erzählen lassen, dass die Schweineherde meinen hilflosen Bruder bei lebendigem Leibe zerrissen hatte. Und der Sheriff stand daneben und hatte für die Story nur ein Schulterzucken übrig. Den verfluchten Schweinezüchtern gab er recht. Faselte was von verbrieftem Recht und dass wir versäumt hätten, unser Land beurkunden zu lassen. Hoh, nach und nach hatten uns die dreckigen Nester aus unserem ganzen Besitz hinausgegaunert. Freies Regierungsland — pah!“ Wieder spuckt er aus. „Mein Vater hatte sich auf dem Boden sesshaft gemacht, als die Apachen noch frei umherstreiften, und er kam wunderbar mit den Roten aus. Er wollte seinen Söhnen gutes Rinderland hinterlassen. Es war sein Lebenswerk. Und da kommen irgendwelche Mistbauern über das Meer, zeigen einen Fetzen Papier vor und nehmen das Land in Besitz, das mit Schweiß und Tränen braver Pioniere gedüngt ist. Fortschritt! Zivilisation! Ich kann das nicht mehr hören!“
„Lass die Vergangenheit, Sam!“m sagt Nancy schluckend. „Das einsame Land hier gibt uns alles, was wir zum Leben brauchen. Wir brauchen die andere Welt nicht.“
Er fährt fort, als habe er ihre Worte nicht verstanden. „Mein Vater starb an dem fressenden Gram. Es war, als hätte man einen Kapitän, der nur sein Schiff und den Geschmack des Salzwassers kennt, plötzlich an Land verbannt. Die verdammten Nesters steckten ihre Heimstätten-Claims ab und rissen unser Land förmlich auseinander. Und das Gesetz wachte darüber, dass wir nicht eingriffen. — Nein, mein Vater hätte sich nie mit diesem Fortschritt abgefunden — genauso wenig wie ich. Als die Ranch verloren war, irrte ich monatelang umher, schuftete für einen Hungerlohn und wurde auch noch bestohlen und betrogen ...“ Er macht eine wegwerfende Handbewegung. „Das kennst du ja alles, Nancy. Als ich dich kennenlernte, war ich so ausgepowert, dass ich dir nicht mal eine schiefe, jämmerliche Hütte bieten konnte. Ich machte dir klar, dass ich geraubt und für Geld auf Menschen geschossen habe, aber du kamst trotzdem mit mir. Ich gab das Räuberleben auf, um mit dir in freier Natur zu leben. Hier waren wir zufrieden, hatten unsere Ruhe. Yeah, aber nun kommt das Kind. Damit habe ich nie gerechnet.“
„Es wird nichts ändern, Sam“, sagt das Mädchen fest. „Das Kind wird bei uns aufwachsen und ... und ...“
„Das ist es, Nancy“, presst der Mann scharf heraus. „Es wird bei uns aufwachsen, und dann? Glaubst du, wir können es für immer an diese Wildnis binden? Es wird wissen wollen, wie es da draußen in der — pah — in der Zivilisation aussieht. Wenn es ein Mädchen wird ... well, Mädchen sind fügsam und häuslich. Außerdem werde ich nicht zulassen, dass sie sich irgendeinem wildfremden Burschen an den Hals wirft.“
„Aber wenn es ein Junge ist“, fährt Sam Mahone fort, „so soll er heranwachsen und seinen freien Entschluss haben. Er soll reiten, wenn ihn das Fernweh packt, und er kann jederzeit wiederkommen. Aber ich will seine Zukunft sichern. Auf ehrliche Weise wird er nämlich da draußen sein Glück nicht machen können — nicht mit dem Blut der Mahones! Nein, mein Sohn soll es besser haben. Und darum muss ich rasch handeln, ehe ich alt bin und für den Job nicht mehr tauge!“
„Sam!“, ruft sie wagend, von böser Ahnung erfüllt.
Mahones Fäuste ruhen schwer auf der Tischplatte.
„Es muss sein, Nancy! Ein letztes Mal! Diese verdammte Zivilisation hat mich zum Outlaw, zum Desperado gemacht. Glattwangige Kids dürfen mich abknallen und dafür noch eine Belohnung einstreichen.“ Schwer atmet er aus. „Well, Nancy, wenn du mir einen Sohn schenkst, so will ich dafür sorgen, dass diese Zivilisation sein Blut nicht saugt — mein Blut!“ Er tritt ans Fenster und atmet gierig die frische Luft. „Es wird mein letzter Streich sein, Nancy“, murmelt er. „Der letzte Coup des Outlaws Sam Mahone, aber der muss sich lohnen. Ich denke an die Bank in Rock Springs. Zum Monatsende liegen mindestens sechzigtausend Dollar im Tresor ...“
Das Mädchen schluchzt auf. Doch der Mann starrt mit glühenden Augen in den prasselnden Regen. Endlich geht er zur Tür, öffnet sie weit und bleibt auf der Schwelle stehen, als reiche ihm die Luft am Fenster nicht mehr. Hinter sich hört er Nancy tonlos sagen: „Es wäre besser, das Kind käme nicht.“
Sam Mahone schiebt die Brauen zusammen.
„Das wäre wirklich besser!“, erwidert er hart und tritt hinaus in das Unwetter. Er mag den Regen. Denn Regen ist natürlich, und Sam Mahone liebt Natürlichkeit in jeder Weise. Dieses Land wird zu verdammt zivilisiert, aber es regnet immer noch so wie in alten Zeiten.
Er hebt sein Gesicht, und es macht ihm nichts aus, dass er in Sekundenschnelle bis auf die Haut durchnässt ist. Er ist froh, dieses Stück Erde abseits der Zivilisation gefunden zu haben — nach langem Herumirren ...
Als die Ranch des alten John Mahone verloren war, ritt Sam, so weit ihn sein Pferd tragen konnte. Und je weiter er ritt, desto mehr Einwanderern begegnete er. Mit der alten „Ellbogenfreiheit“ war es vorbei. Sam Mahone drohte zu ersticken. Er sah Bohrtürme entstehen, Stacheldrahtzäune die prächtige Landschaft zerreißen; er sah Gesellschaften, die barbarisch den Boden umwühlen ließen, um Gold, Silber oder Kupfer zu gewinnen; er sah Rancher, die erbittert gegen fremde Eindringlinge kämpften — wie sein Vater; er hörte von Gesetzen, die plötzlich dies und jenes verboten. Gesetze, die seinen Vater umgebracht hatten und die ihn, Sam Mahone, bald auf die abschüssige Bahn brachten.
Er versuchte ehrlich, zu Arbeit und Geld zu gelangen. Aber er hatte Pech. Er wurde betrogen, dann bestohlen. Und weil er bald jedem misstraute, wurde er auch von ehrlichen Menschen herumgestoßen. Nirgends fand er Arbeit, die ihm gefiel. Sam Mahone wurde zum Wegelagerer, zum Desperado, zum Outlaw, der bald in Utah, Colorado und New Mexico steckbrieflich verfolgt wurde. Sein Hass auf die Zivilisation wuchs, je länger er umherirrte. Die Zivilisation, die ihre Ranch dahinraffte. Die Gesetze einführte, welche ein Mahone einfach nicht verstehen konnte.
Viele Pioniere verfluchten den Fortschritt. Doch sie fanden sich damit ab; und viele gehen ihre eigenen Wege in der Einsamkeit der Wildnis. Bei Sam Mahone kommt hinzu, dass er Pech gehabt hat, Pech am laufenden Band. So hat er sich in den Glauben verbissen, dass ihm bitteres Unrecht widerfahren ist, dass der Fortschritt an allem schuld sei.
Jetzt lebt er einsam in der Wildnis, um nicht wieder rauben und auf Menschen schießen zu müssen. Nancy hat ihm zu diesem Entschluss verholfen. Ihre Liebe gibt ihm Kraft und stärkt seinen Glauben, dass er richtig gehandelt hat. Nancy ist ein Teil von ihm. Und wenn sie ihm ein Kind schenkt, so ist auch dieses ein Teil von ihm — sein Blut. Und das Blut der Mahones soll Teil der reinen Erde werden — niemals wird es den verdorbenen Boden der Zivilisation tränken!
Der Mann steht im strömenden Regen und blickt starr zu den finster drohenden Wolken hinauf.
Plötzlich lacht er, und sein eigenes schauerliches Lachen reißt ihn in die Wirklichkeit zurück.