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Gegen Mittag kam die Sonne durch. Im Handumdrehen rann Wasser von den Felswänden, taute der Schnee unmittelbar um die Hütte herum weg. Es wurde so hell, dass Joe nur mit fast geschlossenen Lidern in das grelle Weiß der Schneelandschaft sehen konnte.

Ringsum wirkte alles wie ausgestorben. Kein Vogel, kein Lebewesen sonst war zu sehen. Am Himmel segelten abziehende Wolkenberge, aber das Blau überwog. In der Sonne schmolz der Schnee allerorten. Das Rauschen abfließenden Schmelzwassers war jetzt das einzige Geräusch außer dem Schnauben und Stampfen der Pferde.

Aus dem Kamin der Hütte quoll Rauch, auch das Feuer auf dem kleinen Vorplatz des Blockhauses qualmte. Die angesengten Holzstangen lagen daneben. Sie waren von Cobble und Joe zusammengefügt worden wie zu einem Floß. Schräg gestellt hatte man sie mit Schneebergen bedeckt und über dem Feuer aufgebaut. Das Schmelzwasser war anschließend in den Tränktrog geronnen. Nun wirkte das alles sinnlos und überflüssig. Für die Pferde war nun mehr Wasser da, als sie saufen konnten. Aber das hatte am Morgen noch keiner wissen können.

Brazos-Jim, Kingsman und Cobble standen vorn an jener Stelle, wo jetzt das Ausmaß des Felssturzes sichtbar wurde. Der Schnee taute weg, und so ließ sich abschätzen, wie es um die Menschen hier oben bestellt war.

Red River Joe hatte es sich vorhin schon angesehen und fragte sich, wie es weitergehen würde. Von der Hütte aus gab es keinen Weg zur Passstraße hinunter, keinen, den die Pferde hätten gehen können. Der Felsgrat war weggerissen worden, und selbst auf dem Passweg hatten die Trümmer eine haushohe Schuttwand errichtet. Der Pass war nach Westen zu gesperrt. Zurück nach Osten konnte man erst, wenn die Verwehungen weiter unten abgetaut waren. Aber es lag nahe, dass auch dort möglicherweise Lawinen den Hohlweg verschüttet hatten.

Joe dachte an Diana Derrick. Seit dem Morgen besaß niemand mehr etwas zu essen. Brazos-Jim und seine beiden Begleiter waren ja schon ohne Vorräte nach Holdford gekommen und hatten sie dort ursprünglich auffüllen wollen. Die überhastete Flucht ließ sie nicht dazu kommen. Kingsman besaß auch nicht einen Krümel Brot, und Diana und der Junge ebenfalls nicht. Joes Vorräte waren aufgeteilt und verzehrt worden. Der Anblick des zugeschütteten Passweges und des weggerissenen Grates schmälerte aber die Hoffnung der Menschen hier oben, schnell wieder von hier wegzukommen.

Die wärmende Sonne ließ es zunächst leichter ertragen. Joe machte sich keine großen Sorgen, zumal er sich aus der ganzen Geschichte, was Kingsman und die Bande betraf, heraushalten wollte. Aber seit dem Morgen beschäftigte ihn Diana Derricks Schicksal. Er hatte sich erst dazu zwingen wollen, sich nur um sich selbst zu kümmern, diesmal allen Problemen anderer Leute aus dem Weg zu gehen. Immerzu waren es die Sorgen anderer gewesen, weshalb er selbst dann von seinem Ziel abgekommen und in Schwierigkeiten geraten war. Noch gestern war er von seinem Vorsatz überzeugt gewesen. Er wollte nach Oregon, wollte dort neu anfangen. Keine Schießereien mehr, keinen Streit mit anderen, nicht den Kopf für irgendwelche Rancher hinhalten, nur weil er auf deren Lohnrolle stand. Jetzt wollte er sein eigenes Heim aufbauen, für sich und all jene, die einmal zu ihm gehören würden.

Aber sein Vorsatz schmolz so rasch wie jetzt am Mittag der Schnee. Diana Derrick war kein Mensch, an dem er hätte vorbeisehen können. Und nicht nur deshalb, weil sie hübsch war. Doch fast ebenso wie das Mädchen beschäftigte ihn Jack, der Junge. Irgendwie erinnerte ihn Jack an seinen Bruder Randolf, der jetzt siebzehn sein musste. Ja, dachte Joe, sie ähneln sich wirklich.

War es die Erinnerung an zu Hause, die Sehnsucht nach der Mutter und dem jüngeren Bruder? Er wusste es selbst nicht, aber er wollte auch nicht darüber nachdenken. Der Entschluss, dem Mädchen und dem Jungen zu helfen, kam plötzlich und wie selbstverständlich. Und als er sich darüber klar war, den beiden helfen zu wollen, war es ihm, als sei ihm durch diese Entscheidung ein Stein von den Schultern genommen worden.

Etwas anders lag die Sache mit Brazos-Jim. Früher hatten sie sich immer gern gehabt, und im Grunde mochte Joe den großen Texaner auch heute noch. Wenn nur diese bösen sechs Jahre in Brazos-Jims Leben nicht gewesen wären, diese Zeit der Banküberfälle, der Postkutschen Hold-ups und mancher anderer üblen Geschichten, die nach Joes Ansicht gar nicht zu Brazos-Jim passten. Cobble, ja, der war dieser Typ. Schon sein Äußeres stand dazu. Aber Brazos-Jim?

Joe stand in der Tür der Hütte. Er hörte Mac O’Neill stöhnen und im Fieber aufschreien. Lange würde es der schwerverletzte Bandit nicht mehr aushalten.

Joe wandte sich um und blickte ins Dämmerlicht, das in der Hütte herrschte. Er sah, wie Diana Derrick feuchte Tücher auf Mac O’Neills Stirn legte. Der Junge stand neben ihr und blickte zur Tür. Joe lächelte, und der Junge griente über sein sommersprossiges Gesicht. Offenbar war sein Misstrauen geschwunden. Vielleicht, so sagte sich Joe, hatte ihm die Schwester zugeredet.

„Wie geht es ihm?“, fragte Joe und blickte auf Mac.

Diana sah auf. Ihr schmales Gesicht war gerötet. Sie wischte sich eine Locke ihres goldblonden Haares aus der Stirn und schüttelte den Kopf. Dann wandte sie sich von Mac ab, ging Joe ein Schritt entgegen und flüsterte: „Sehr schlecht, Mister Joe …“

Joe lachte. „Mister Joe? Sagen Sie einfach Joe zu mir. Mein Nachname ist Hastings, aber das hat seit mindestens zehn Jahren noch niemanden interessiert.“

„Es geht dem Kranken schlecht“, wiederholte Diana, ohne auf Joes Erklärung einzugehen. Sie sah ihn ernst an. „Sie könnten helfen, Joe.“

„Dem Kranken oder Ihnen?“

„Erst dem Kranken.“

„Der Mann ist ein Verbrecher, wussten Sie das nicht?“

„Er mag gewesen sein, was er will, jetzt jedenfalls ist er bedauernswert und braucht Hilfe.“

„Das weiß ich auch, aber wie sollen wir helfen? Haben Sie einmal aus der Tür gesehen?“

„Ich habe zugehört, als Brazos-Jim mit Cobble von Ihnen gesprochen hat. Da ist von allerlei Dingen die Rede gewesen, die ein normaler Mensch nicht vollbracht hätte. Deshalb sollten Sie sich hier auch einsetzen. Für einen Mann wie den da!“ Sie wies auf Mac, der wieder in Fieberträume versunken war.

Joe betrachtete Diana, und der Eifer, mit dem sie sich für Mac einsetzte, hatte ihr Gesicht gerötet. Sie war nicht nur schön, wie Joe schon von Anbeginn bemerkt hatte, sie war auch ein guter Mensch. Das Verlangen, diese Frau für sich zu gewinnen, überkam Joe wie ein spontanes Ereignis.

Er trat auf sie zu, blickte sie ernst an und fragte: „Wissen Sie, was Ihnen bevorstünde, wenn ich Sie Cobble und Brazos-Jim überließe?“

„Überließe? Die haben mich ja schon.“

Joe tippte an seinen Revolver. „Noch nicht. Der da ist auch noch da. Und ich ebenfalls. – Was meinst du, Jack?“

Jacks Augen leuchteten. „Sie halten nicht zu Brazos?“, fragte er begeistert.

„Man nennt mich Red River Joe, mein Junge, und der ist immer eigene Wege gegangen. Auch jetzt.“

Joe hörte Schritte an der Tür und wandte sich um. Es war Brazos-Jim.

„Na?“, fragte Brazos-Jim. „Plant unsere Venus einen Aufstand?“

„Du wirst lachen, Jim, aber sie wollte, dass ich euren Mac vor dem sicheren Tod rette. An sich hat sie nicht gedacht.“

Brazos-Jims Ledergesicht verzog sich. „Wenn du das sagst, ist es auch wahr. Wie edel von der Lady!“

Diana wandte sich ab und wurde rot. „Ich hätte nicht gedacht, Joe, dass Sie es ihm gleich sagen.“

„Miss, es ist ein Pluspunkt für Sie selbst, dass er es erzählt hat“, widersprach Brazos-Jim. „Aber es sieht draußen mies aus. Ich wüsste nicht, wie wir Mac wegbekommen sollten. Was meinst du, Joe?“

„Die Sonne ist auf unserer Seite.“

„Und auf der des Aufgebots“, ergänzte Brazos-Jim. „Immerhin haben wir das Mädchen und den Jungen. Aber nichts zu essen.“

„Und kein Pferd, wenn wir weg wollen.“

Brazos-Jim nickte. „Weißt du einen Tipp? Cobble redet und redet, aber was Vernünftiges kommt nicht heraus. Er kennt zwar die Gegend, aber nun ist er mit seinem Latein auch restlos am Ende.“

„Ich biete dir eine Chance, Jim“, sagte Joe plötzlich. „Lass uns allein darüber reden!“

Brazos-Jim nickte. Er sah kurz auf Diana und wandte sich wieder an Joe. „Du machst doch keine Zicken, Joe?“

„Zicken?“

„Ich habe dir die Kanone gelassen, Joe. Cobble hat eben noch gekeift. Ich weiß, dass du mich nicht anschmierst, Joe, aber …“

„Das aber hättest du dir sparen sollen, Jim. Gehen wir!“

Sie verließen die Hütte, und draußen blendete sie der sonnenüberflutete Schnee. Joe kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und blinzelte zu Cobble und Kingsman hinüber, die beide noch vor dem Grat standen, oder vielmehr da, wo der Grat gewesen war.

„Du hast von einer Chance gesprochen, Joe. Ich bin gespannt“, sagte Brazos-Jim mit gedämpfter Stimme.

„Du hast keinen umgebracht in den Jahren?“

„Im fairen Kampf, ja, aber nicht so, dass sie es Mord nennen können.“

Red River sah Joe nicht an. Und in diesem Augenblick erinnerten sie sich beide sehr deutlich der Jahre, als sie noch jünger und wilder gewesen waren, als ihnen manches Mal nach einem harten Treiben der Teufel im Genick gesessen hatte. Damals in Abilene, Wichita und Dodge. Ja, es war eine wilde und doch gute Zeit gewesen. Die Kameradschaft, der gemeinsame Kampf, die Herde durchzubringen, gegen die Naturgewalten, gegen die Indianer, gegen die Männer der Todeslinie in Kansas.

Sie dachten daran, aber keiner von ihnen nahm es in den Mund.

Joe nickte, als sei es eine Antwort auf Brazos-Jims Erklärung, keinen Menschen außer im fairen Kampf erschossen zu haben. „Du solltest in Oregon einen neuen Anfang nehmen – wie ich.“

„Du? Neuen Anfang? Aber hinter dir ist doch kein Sheriff her.“

„Doch, sogar die Armee. Du kennst doch die Geschichte.“

„Ja, kenne ich, und dafür wollen die dich …“

„Stimmt, aber Oregon wäre dennoch ein neuer Anfang, einer, wo wir etwas aufbauen könnten. Vielleicht wir beide, Jim. Ohne Cobble.“

Brazos-Jim sah Joe verblüfft an. „Ohne Cobble?“

„Du wirst doch einen neuen Anfang wollen. So wie damals, als wir getrieben haben. Hart und unerbittlich, aber kein Blut, verstehst du. Etwas, das sich sehen lassen kann. Weshalb man nicht weglaufen muss. Denn in Oregon will ich bleiben, Jim. Ich bin es satt. Bis jetzt war meine Heimat dort, wo meine Decke gelegen hat. Nun will ich ein Dach über dem Kopf haben, das mir gehört.“

„Tja, hört sich gut an. Alt genug sind wir nun dazu“, meinte Brazos-Jim nachdenklich und blickte auf die vielen Rinnsale im Schnee.

„Ja, Jim, es ist wie mit dem Schnee. Unsere Zeit geht auch dahin, und eines Tages sind wir alte Knaben und haben leere Hände.“

„Ohne Cobble?“, fragte Brazos-Jim noch einmal.

„Er bleibt ein Bandit. Immer.“

„Möglich, aber was wollen wir mit ihm machen?“

„Er ist kein Baby. Er wird eigene Wege finden.“

„Wie hast du es vor?“

„Wir übergeben Kingsman den Jungen und das Mädchen. Sobald der Weg frei ist, lassen wir ihn mit beiden abziehen. Dann trennen wir uns von Cobble und gehen allein nach Oregon.“

„Cobble wird uns folgen. Und außerdem ist Mac …“

„Mac überlebt die Nacht nicht, Jim, dafür kannst du mich ansehen. Also?“

„Ich wette, dieses Aufgebot lauert nur darauf, dass wir irgendwo nach Westen …“

„Nach Westen?“, unterbrach ihn Joe.

„Natürlich, da lauern sie. Wir gehen erst zurück und begleiten Kingsman ein Stück. Dann nehmen wir den Pass bei Fort Piney.“

Brazos-Jim zerrte seinen Tabakbeutel aus der Tasche, bekam aber nicht mehr genug Tabak für eine Zigarette zusammen. Joe gab ihm etwas dazu und sagte: „Wir müssen uns entscheiden, Jim! Jetzt!“

„Ich habe zu lange mit Cobble gearbeitet.“

„Gearbeitet? Das war keine Arbeit. Gib es auf. Jetzt!“

Brazos-Jim zögerte noch. Er war unentschlossen. Die Aussicht auf eine Zukunft war für ihn bestechend, aber die Zeit mit Cobble schien schon tief gewirkt zu haben.

Plötzlich sah Brazos-Jim auf, blickte Joe fest an und fragte: „Geht es dir um das Mädchen?“

„Natürlich auch. Entführung ist eine üble Geschichte.“

„Wenn ich nicht einverstanden bin, was würdest du tun?“, wollte Brazos-Jim wissen.

„Dann, Jim, hast du mich gegen euch.“

„Wegen des Mädchens also.“

„Und wegen des Jungen.“

„Mir gefällt das Mädchen auch, Joe.“

„So habe ich das nicht gemeint. Natürlich ist sie hübsch. Jeder von uns würde sie gerne anfassen. Aber sie passt weder zu dir noch zu mir. Mit uns würde so ein Mädchen nicht glücklich.“

„Aber ich würde es, darauf kannst du Gift nehmen. Sie gefällt mir. Sie gefällt mir sogar sehr.“ Er grinste Joe an.

Joe schüttelte den Kopf. „Du redest wie Cobble.“

„Ich sagte doch, dass wir zu lange zusammen gewesen sind.“ Brazos-Jim schnippte die Kippe seiner Zigarette in ein Rinnsal schmelzenden Schnees. „Es ist sinnlos, Joe. Geh du deinen Weg, wir gehen unseren.“

Joe blickte zu Cobble hinüber, der an die Glut des erloschenen Feuers getreten war und darin herumstocherte. „In Ordnung“, sagte Joe, „dann also nicht. Aber das Mädchen und der Junge kehren um.“

„Ohne die beiden kommen wir nicht durch, Joe“, widersprach Brazos-Jim.

Joe wollte erst etwas sagen, das Brazos-Jim auf eine Möglichkeit hingewiesen hätte, auch ohne das Mädchen und den Jungen durchzukommen. Doch bevor er das sagen konnte, kam Cobble vom Feuer herüber.

„Habt ihr nun lange genug gequatscht?“, fragte er und warf einen Blick zu Kingsman hinüber, der dort stand, wo einmal der Pfad zur Hütte hinauf gewesen war und nun die tiefe Schlucht gähnte.

„Joe“, sagte Brazos-Jim, ohne auf Cobble zu achten, „du bist mir noch eine Antwort schuldig.“

„Ich sagte, ohne das Mädchen kommen wir nicht durch.“

„Nehmt doch Kingsman mit. Bei dem wäre es mir egal. Aber, was zum Teufel, kann das Mädchen dafür, dass ihr gejagt werdet? Was hat ein Junge damit zu tun?“

Cobble mischte sich ein: „Na, hör mal! Der Junge und dieser Bulle, die sind uns doch nachgelaufen. Das Mädchen kann nichts dafür, aber das Leben ist nun mal so ungerecht. Was kann ich dafür, Red River, das mein Vater kein Millionär gewesen ist, he? Glaubst du, dass ich es dann nötig gehabt hätte, anderen das Geld aus der Bank zu holen? Eh, Red River, kann ich etwas dafür, dass ich schon als armes Schwein auf die Welt gekommen bin?“

„Vielleicht hättest du es mit Arbeit versuchen sollen.“

Cobble lachte abfällig. „Arbeit? Jetzt glaube ich doch, dass du einen kleinen Stich hast. Wir nehmen das Mädchen mit, Red River, und damit du nicht bis dahin auf dumme Gedanken kommst, solltest du jetzt abschnallen!“

Cobble hatte die Hand in der Nähe seines Revolvers. Brazos-Jim, der seitlich von Joe stand, ließ den Arm sinken. Seine Hand schwebte über dem Revolvergriff.

Das war eindeutig genug.

„Tut mir leid, Joe“, sagte Brazos-Jim, „aber ich sehe auch keinen anderen Weg mehr. Schnall ab, und wir bleiben Freunde.“

Für Joe war nur Brazos-Jim eine Gefahr. Erstens, weil er seitlich stand, zweitens, weil er von Jim wusste, wie gut der mit dem Revolver war. Cobble wollte er keinesfalls unterschätzen, aber er hielt ihn trotz aller Vorsicht für einen Kläffer, allerdings einen bösartigen.

Cobble höhnte: „Nun, jetzt machst du große Augen, wie? Den Gürtel ab, aber sehr behutsam, Junge, sonst spicke ich dich mit blauen Bohnen!“

Joe reagierte überhaupt nicht darauf, sondern sah Brazos-Jim an und fragte: „Du würdest auf mich schießen?“

Brazos-Jim biss sich auf die Lippen und schwieg. Die Frage quälte ihn wie eine Lanzenspitze in der Hüfte.

„Aha“, sagte Joe, „du willst es also tun. Hast du die Nacht am Arkansas vergessen?“

„He, hör auf, den Moralprediger zu spielen!“, rief Cobble. „Was geht uns deine Nacht am Arkansas an?“

„Halt dein Maul, Stew!“, fauchte ihn Brazos-Jim an. Dann wandte er sich an Joe: „Nein, Joe, ich denke gerade jetzt dauernd daran. Das macht es ja für mich so schwer, Joe.“

Red River Joe nickte bedächtig. „Deshalb hatte ich dir vorhin auch den Vor schlag gemacht. Es hätte sein können wie damals.“

„Hört auf, in Rätseln zu quatschen!“, rief Cobble. „Entweder schnall ab, Red River, oder zieh deinen Revolver! Das ist eine Sprache, die ich verstehe, nicht euer dämliches Gerede vom Arkansas.“

„Du sollst dein verdammtes Maul halten!“, schrie ihn Brazos-Jim an, und diesmal verlor er seine Beherrschung. „Joe hat damals sieben Menschen aus dem Wasser gezogen, die ohne ihn abgesoffen wären. Der erste, den er herauszog, das war ich. Aber beim siebten Mann ist er selbst bald ertrunken. Und da habe ich ihn herausgeholt. Was damals war, Stew, das wirst du in deinem ganzen Leben nie begreifen können. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft gewesen, jeder von uns hätte sich für den anderen schlachten lassen. Das kannst du nicht verstehen. – Pshaw! Was rede ich nur? – Joe, mach es mir leicht und schnall ab. Ich bürge dafür, dass du deine Waffen und alles, was du hast, zurückbekommst, wenn wir uns trennen. Du hast mein Wort.“

„Deines würde mir genügen. Aber das von dem dort, das wäre mir einen Dreck wert, selbst wenn er es feierlich aussprechen sollte“, sagte Joe und wies auf Cobble.

Der bullige Mann mit dem Stoppelbart wurde weiß vor Zorn. Seine Hand zuckte, aber er griff nicht zum Revolver.

„Wenn du jetzt ziehst, Stew, würde ich dir nicht helfen“, sagte Brazos-Jim. „Schnall du auch ab! Tu es, und ich denke, damit wäre Joe einverstanden. Ich will keine Schießerei hier. Schnallt beide ab, und es bleibt alles fair.“

„Den Teufel werde ich!“, schrie Cobble. Dann fuhr seine Hand zum Revolver. Er riss ihn heraus, schwenkte den Lauf nach oben und schoss.

Joe flog durch die Luft, prallte gegen Brazos-Jim, und beide stürzten zu Boden. Nachdem der erste Schuss Cobbles gefehlt hatte, wollte der Bandit zum zweiten Mal schießen. Doch da fuhr ihm von Joe her ein Feuerstrahl entgegen.

Cobble wollte sich herumwerfen, aber es war zu spät. Der Schuss traf ihn seitlich zwischen die Rippen. Cobble stand fast zwei Sekunden lang wie eine steife Säule. Dann schien er noch größer zu werden, riss den Mund weit auf, ohne nur einen Laut auszustoßen. Dann brach er blitzartig zusammen. In einer Reflexbewegung drückte sein Zeigefinger noch dreimal auf den Abzug des Revolvers, aber es löste sich kein Schuss mehr.

Joe sprang auf die Beine, aber Brazos-Jim war schon vor ihm hoch. Beide hielten ihre Revolver in den Händen, sahen sich an, dann senkten sie die Waffen.

„Verdammt, warum hast du ihn gleich erschossen?“, fragte Brazos-Jim wütend.

Kingsman. der jetzt näher humpelte, gab Brazos-Jim an Joes Stelle die Antwort: „Sollte er sich von ihm umbringen lassen?“ Er blickte auf den leblos liegenden Cobble, kniete sich neben ihn und richtete sich nach kurzer Untersuchung auf. Dabei verzog er vor Schmerzen, die ihm sein rheumatisches Bein bereitete, das Gesicht. „Er ist tot. Herzschuss, möchte ich annehmen.“

Brazos-Jim steckte den Revolver in die Halfter, und Joe tat es ebenfalls. „Es steht jetzt ausgeglichen“, meinte Joe. „Nur wir beide müssten es nun austragen. Ich bin nicht dafür.“ Er sah Brazos-Jim an.

Der große Texaner starrte auf Cobble und wandte sich dann der Hütte zu, in deren Tür das Mädchen und der Junge mit schreckgeweiteten Augen auf den Toten sahen.

„Ja“, murmelte Brazos-Jim, „es steht ausgeglichen, aber von nun an, Joe, werde ich mich beim besten Willen nicht mehr an den Arkansas erinnern können.“ Er blickte ruckartig zu Joe hin und fuhr mit schneidender Stimme fort: „Von jetzt an sind wir Gegner, Joe, es sei denn, du tust, was ich dir sage.“

„Willst du es mit mir ausschießen?“, fragte Joe mit kaltem Lächeln.

„Wir sind gleich gut, denke ich. Wir würden uns beide schwer verletzen. Wenn es einen ganz erwischt, ist der andere auch so gut wie tot. Nein, Joe, kein Duell. Wenn zwei Gegner gleichstark sind, werden sie sich nicht auf offenem Feld angreifen. Dann, Joe, müssen wir andere Möglichkeiten wählen. Du hast deine Waffen, und ich habe meine. Es kommt darauf an, wer von uns beiden zuletzt schießen wird.“

Kingsman lächelte bitter. „Du machst einen Fehler, Brazos! Der Fehler ist, dass du nicht siehst, wie viele gegen dich sind. Red River Joe ist vielleicht noch dein nachsichtigster Gegner. Aber ich, mein Junge, ich werde die geringste Gelegenheit wahrnehmen, dich aufs Kreuz zu legen. Und mir wäre es egal, wie das geschieht. Mach nur einen Fehler, dann weißt du es.“

„Er redet große Töne“, meinte Brazos-Jim geringschätzig. „Dabei ist er schon so verkalkt, dass er kaum noch laufen kann. Ich bin froh, Joe, dass du dich für den da bestimmt nicht übernehmen wirst.“

„Nein, für den nicht“, bestätigte Joe, der Kingsman nicht ausstehen konnte. Und das nicht nur, weil Kingsman ein Marshal war. Er kannte diese selbstherrliche Sorte, die mit Gesetz und Recht im Rücken zu gerne Macht demonstrierte. Aber wenn diese Leute dann mit einer Sache nicht mehr zurechtkamen, kniffen sie. Kingsman hatte bei der Schmiede gekniffen, und er würde auch hier kneifen, sobald einer auf ihn losging. Seine großen Worte, sagte sich Joe, kamen nur jetzt, nachdem Cobble tot war. Vielleicht glaubte Kingsman, Joe werde ihn als Partner betrachten.

Kingsman spürte, dass Joe mit ihm nichts zu tun haben wollte. Und so keifte er mit überschnappender Stimme: „Gegen dich haben wir auch einen Haftbefehl. Warte nur, Johnston wird mit einer Vollmacht bis nach Oregon hinter dir sein.“

„Da hast du es. Eine Ratte!“, meinte Brazos-Jim. „Nun gut, es geht mich nichts an. Ich kümmere mich um Stew.“ Er ging zu dem Toten und beugte sich über ihn.

Dakota Western Großband 7 Romane Dezember 2019 - Wildwest Sammelband 7018

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