Читать книгу Pulverdampf aus der Revolvermündung: Super Western Bibliothek 15 Romane und eine Kurzgeschichte - Pete Hackett - Страница 12
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ОглавлениеDie kleinen Kinder schrien zuerst, dann die Mütter, die sie im abgegrenzten Teil der Wagenburg hüteten.
Schrille Schreie der Angst und der Verzweiflung waren es, und die meisten der Augenzeugen begriffen nicht sofort, was geschah. Denn im Bereich der Mütter und Kinder herrschte ein derartiges Gewühl, dass ein rascher Überblick unmöglich war.
Fast alle waren erschrocken, starrten auf das Geschehen im Halbdunkel. Auch First Lieutenant Nicholas schien ausgesprochen konsterniert zu sein.
Barsche Männerstimmen mischten sich in die Schreie.
White Feather sprang auf, um besser sehen zu können. Little Bird hielt sie am Handgelenk fest.
»Geh nicht hin!«, rief die glutäugige Indianerin. »Misch dich bloß nicht ein!«
Doch White Feather riss sich los. Sie witterte buchstäblich, dass der Verdruss dort drüben im Lager der Frauen und Kinder durch eine Ungeheuerlichkeit hervorgerufen wurde.
Ohne zu zögern lief sie an ihren Leidensgenossinnen vorbei bis an die Seilabsperrung. Der First Lieutenant und seine Leibwächter waren rechts von ihr, in der Gasse.
»Los, komm schon!«, grunzte eine Männerstimme aus dem Gewühl. »Zier dich nicht, Schlampe. Du kannst doch froh sein, wenn's dir mal ein richtiger Kerl besorgt.«
White Feather sah jetzt zwei Kerle mit nacktem Oberkörper. Schweiß und Staub hatten wirre Bahnen auf ihre bleiche Haut gezeichnet.
Sie hatten die Frau bei den Händen gepackt, zerrten sie von ihren Kindern weg. Ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen, nicht älter als zwei und vier Jahre, versuchten vergeblich, sich an den Beinen ihrer Mutter festzuklammern. Die Kinder weinten herzerweichend, doch die Soldaten hatten nur Hohnlachen dafür übrig.
Die Squaw schrie und sträubte sich, doch sie hatte keine Chance. Niemand wagte es, ihr zu Hilfe zu kommen. Die anderen Frauen waren zurückgewichen, hatten sich schützend vor ihre Kinder gestellt.
White Feather konnte es nicht mehr mit ansehen. »Kommandant!«, schrie sie voller Empörung. »So tun Sie doch etwas!« Niemand beachtete sie.
Denn im selben Moment geschah das Unfassbare.
Ein Wutschrei ertönte aus dem Lager der alten Frauen und Männer.
White Feather stockte der Atem.
Spotted Wolf, ein großer und immer noch kräftiger Mann mit silbergrauem Haar bahnte sich einen Weg durch die angstvolle Schar seiner Altersgenossen. Und ohne zu zögern sprang er über das Absperrungsseil. Zornig und mit hoch erhobenen Fäusten stürmte er auf die Soldaten zu.
»Lasst die Squaw los!«, herrschte er sie an. »Lasst sie sofort los!«
Und er packte den einen an der Schulter. Ein grobschlächtiger blonder Kerl war es. Spotted Wolf riss ihn herum und fällte ihn mit einem einzigen Fausthieb.
Der andere verharrte verdutzt. Er war dunkelhaarig und untersetzt. Das Handgelenk der Squaw hielt er mit der Linken. Ohne sie loszulassen drehte er sich um, blinzelte ungläubig und sperrte den Mund auf.
Der First Lieutenant, seine Leibwächter und die Wachsoldaten rührten sich nicht. Keiner von ihnen dachte daran, einzugreifen.
Die Frau schrie vor Entsetzen. Im eisenharten Griff des Soldaten war sie gezwungen, das furchtbare Geschehen aus nächster Nähe anzusehen.
Der Soldat zog den Colt im selben Moment, in dem der grauhaarige Indianer ihn ansprang.
Ein angstvolles Raunen ging durch die Reihen der Nez Perces.
Es erstarb mit dem Krachen des Schusses.
Im Sprung prallte Spotted Wolf gegen die ungeheure Wucht der Kugel. Mündungsfeuer und Pulverrauch hüllten ihn ein, als er zu Boden schlug.
Wutentbrannt jagte ihm der Soldat zwei weitere Kugeln in den schon leblosen Körper. Die Frau im Eisengriff seiner Hand zuckte jedes Mal zusammen, zitterte am ganzen Körper und wagte doch nicht mehr, ihre Angst hinaus zu schreien.
Die Wachsoldaten und die Leibwächter des Kommandanten legten ihre Karabiner auf die Gefangenen an, die allesamt wie gelähmt dastanden.
White Feather fühlte ohnmächtigen Zorn in sich aufwallen. Grimmig ballte sie die Fäuste, stieg über das Seil und ging auf den First Lieutenant zu.
Der grobschlächtige Soldat war wieder zu sich gekommen. Zusammen mit seinem Kumpan zerrte er die Squaw aus der Wagenburg, und niemand hinderte ihn daran.
»Mörder!«, schrie White Feather. »Ihr verfluchten Mörder!«
Die Leibwächter schwenkten ihr die Karabiner entgegen. »Keinen Schritt weiter!«, bellte einer.
Der Kommandant wandte ihr den Rücken zu, es schien unter seine Würde zu liegen, sich zu ihr umzudrehen.
White Feather blieb stehen. Und sie sprach zu dem Nacken des arroganten Offiziers hin.
»Was seid ihr nur für erbärmliche Feiglinge, euch an wehrlosen Frauen und alten Leuten zu vergreifen! Warum schlachtet ihr uns nicht gleich ab? Darin seid ihr doch geübt!«
White Feather wollte die Massaker erwähnen, in denen Frauen, Kinder und Greise von Kavalleristen grausam getötet worden waren. Noch in Jahrhunderten würden die Geschichtsbücher von diesen Gräueltaten künden. White Feather wollte es hinaus schreien.
Doch nun drehte sich der First Lieutenant zu ihr um. Ein niederträchtiges, gemeines Grinsen lag in seinen Mundwinkeln. Er erwiderte nichts, musterte sie nur von Kopf bis Fuß. Das Grinsen schwand aus seinen Mundwinkeln, stattdessen spiegelten sie nun wider, wie überaus beeindruckt er war. Mit gnädiger Miene taxierte er die schöne Indianerin noch einmal, dann wandte er sich dem Leibwächter zu seiner Rechten zu.
»Geeignet für den Ordonnanzdienst«, entschied der First Lieutenant knarrend. »Ab in mein Zelt damit!«
White Feather fand keine Worte vor Empörung. Sie rang nach Atem, bekam keine Silbe mehr heraus. Im selben Augenblick wurde sie auch schon von den Soldaten gepackt und weggeschleift. Ihr Versuch, sich zu sträuben, wirkte lächerlich angesichts der Bärenkräfte der Männer.
So ergab sie sich in ihr Schicksal.
Sie tat es mit Tränen in den Augen. Denn hinter ihr, in der Wagenburg, setzte das Wehklagen der Frauen ein, die um den tapferen alten Spotted Wolf trauerten.