Читать книгу Unsere skrupellosesten Killer: Krimi Paket 6 Thriller - Pete Hackett - Страница 17
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ОглавлениеAndere bemühen sich ein Leben lang, die Sprossen der Karriereleiter hinaufzuklettern. Jerry Bixby wählte den leichteren Weg. Er stieg die Sprossen hinunter und langte schließlich auf dem Penner-Niveau an.
Jetzt gab es für ihn keine Pflichten und Zwänge mehr. Die Gesellschaft sah ihn als Außenseiter an. Das Bequeme daran war, dass nicht er sich mit ihr, sondern sie sich mit ihm abfinden musste.
Der Abstieg hatte begonnen, als ihn seine Frau verließ. Sie war bei Nacht und Nebel mit einem windigen Nähmaschinenvertreter durchgebrannt.
Er hatte gewusst, wohin. Im Aufwallen seiner ersten Wut hatte er den beiden nachfahren und sie umbringen wollen, aber er hatte schnell erkannt, dass er dafür nicht der richtige Mann war. Als nächstes überkam ihn das heulende Elend.
Er betrank sich sinnlos und wollte sich an der Wasserleitung aufhängen. Doch das Rohr riss ab und verursachte die größte Überschwemmung seit der Sintflut.
Schließlich sagte er sich, dass er in der Ehe und im Beruf nichts tauge und deshalb für ein Leben als Penner bestens geeignet sein müsse.
Er verkaufte alles, was ihm gehörte und ging auf die Straße. Seither schlief er auf Parkbänken, unter Brücken oder in Männerheimen.
Im Winter saß er im Knast, das wusste er schon so einzurichten. Erfahrungsgemäß ist es sehr leicht, da hineinzukommen. Leichter jedenfalls als wieder hinaus.
Es fand sich immer irgendeine strafbare Tat, die er begehen konnte. Den Behörden blieb dann nichts anderes übrig, als ihn einzulochen.
Knast war für Jerry Bixby kein abschreckendes Wort. Das Gefängnis war im Winter für ihn ein Zufluchtsort, wo es Wärme, relativ gutes Essen und ein geregeltes Leben gab.
Meistens traf er da gute alte Bekannte. Außerdem wurde ihm die Möglichkeit geboten, zu duschen und er konnte viel öfter als sonst die Wäsche wechseln.
Wären nicht die vergitterten Fenster und die manchmal etwas aufsässigen Wärter gewesen, hätte man den Knast beinahe für ein Paradies halten können.
In dieser Nacht hatte sich Jerry Bixby bei den Hudson Piers zur Ruhe gebettet. Er hatte in der Nähe gebündeltes Altpapier entdeckt und es zu einer Matratze ausgebreitet. Zufrieden lag er unter seinem zerschlissenen Mantel und schlief den Schlaf der Gerechten.
Doch plötzlich wurde er unsanft geweckt. Ein Fahrzeug kam. Es fuhr an ihm vorbei. Unwillkürlich zog er die Beine an, damit ihm der Wagen nicht über die Füße rollte.
Es war ein Krankenwagen. Merkwürdig. Jetzt blieb das Fahrzeug stehen. Schlaftrunken richtete sich Jerry Bixby auf. Was er da sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln.
Träumte er? Das konnte doch nicht wahr sein! Die Hecktür des Krankenwagens öffnete sich und dann wurde ein Mann mit einem Fußtritt hinausbefördert.
Was waren denn das für neue Sitten? Wurden die Leute neuerdings nicht mehr in den Krankenhäusern abgeliefert? Hatte man eine bequemere Art gefunden, sie loszuwerden?
Die Tür klappte zu und der Wagen fuhr weiter. Jerry Bixby wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Augen. Als er dann wieder über den Rand des Metallfasses blickte, das schützend vor ihm stand, lag der Mann immer noch auf dem Boden.
Der Krankenwagen war allerdings weg.
Jerry Bixby legte den Mantel beiseite und stand auf. Viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Dass es sich um keine normalen Pfleger gehandelt hatte, stand für ihn fest. Was geschehen war, musste das Werk gewissenloser Verbrecher sein.
Vielleicht hat der Mann noch Geld bei sich, überlegte Bixby. Geld kann man immer gebrauchen.
Er erschrak. Man konnte über ihn denken, wie man wollte. Er war nicht gerade eine Stütze der Gesellschaft, aber er hatte noch nie einem Wehrlosen etwas weggenommen. Darauf war er immer stolz gewesen.
„Leichenfledderer!“, murmelte er. „Bist du schon so tief gesunken?“
Wieder erschrak er. Gütiger Himmel, wenn er sich einen Leichenfledderer nannte, dann musste dort ja eine Leiche liegen!
Unschlüssig stand er da. Sollte er einfach mit den Schultern zucken, seine Siebensachen packen und fortgehen? Das entsprach nicht seinem Wesen.
Er musste wissen, was mit dem Mann los war. Vielleicht lebte er noch und brauchte Hilfe.
Zaghaft setzte Jerry Bixby sich in Bewegung. Nervös blickte er sich um. Hoffentlich kam der Krankenwagen nicht zurück.
Bixbys Schritt wurde immer langsamer, je näher er der reglosen Gestalt kam. Seiner Haltung war anzusehen, dass er sofort zurückspringen würde, wenn der Mann sich bewegte.
Die Spannung zerrte an seinen Nerven. Es war schon lange her, dass er sich dermaßen aufgeregt hatte. Normalerweise stand er den Dingen eher gleichgültig und teilnahmslos gegenüber.
Doch dieses Erlebnis hatte ihn empfindlich getroffen. Zwei Schritte noch bis zur „Leiche“. Bixby machte vier daraus, dann beugte er sich über den Mann. Es kostete ihn einige Überwindung, ihn zu berühren.
Er fasste an den Hals des Mannes und fühlte den Pulsschlag.
Er lebt, stellte Bixby erleichtert fest. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Wer hat schon gern mit Toten zu tun?
Eilig durchsuchte Bixby die Taschen des Bewusstlosen. Die Papiere, die er fand, verrieten ihm, wen er vor sich hatte.
Er steckte die Brieftasche wieder zurück.
„An zwei Orten müsste man jetzt gleichzeitig sein können“, brummte er vor sich hin.
Er war gezwungen, den Staatsanwalt allein zu lassen, um zu telefonieren. Mit seinen kurzen Beinen lief er durch die Dunkelheit. Er kannte dieses Gebiet wie seine Westentasche und hoffte, dass die Telefonzelle, zu der er unterwegs war, nicht demoliert war, was in dieser Gegend des Öfteren vorkam.
Schon nach hundert Metern war er völlig außer Atem.
„Nichts mehr wert bist du“, keuchte Bixby. „Hundert Meter und du pfeifst schon aus dem letzten Loch.“ Die Telefonbox war zwar nicht kaputt, aber irgendein Schwein hatte sie zweckentfremdet und darin seine Notdurft verrichtet.
„Drecksau“, schimpfte Bixby und wählte den Polizeinotruf. „Hören Sie zu, Officer, ich werde Ihnen meinen Namen nicht nennen, bitte Sie, mir aber trotzdem zu glauben. Ich befinde mich bei den Hudson Piers. Ein Krankenwagen kam hier vorbei und lud jemanden aus. Das ist kein Flachs, sondern Tatsache. Ich nehme Sie bestimmt nicht auf den Arm und bin auch nicht besoffen. Der Mann, den sie aus dem Krankenwagen geworfen haben, ist Staatsanwalt Don Foxworth. Ich denke, Sie sollten ihn schnellstens abholen lassen.“
„Augenblick noch“, sagte der Polizist am andern Ende. „Wo genau liegt der Mann?“
Bixby beschrieb es.
„Lebt er noch?“
„Ja. Aber vielleicht nicht mehr lange. Ich weiß nicht, was die ihm angetan haben, Officer. Es scheint kein Honigschlecken gewesen zu sein. Mein Gott, stinkt es hier...“
„Wollen Sie mir nicht doch Ihren Namen nennen?“, fragte der Polizist.
„Wozu? Ich habe mit der Sache nichts zu tun.“
„Das glaube ich Ihnen, Mister...“
„Ich bin kein Mister.“
„... aber Sie könnten uns vielleicht bei der Aufklärung eines Verbrechens behilflich sein.“
„Was Ihr schon wieder alles wollt. Reicht man Euch den kleinen Finger, greift Ihr gleich nach der ganzen Hand. Aber die kriegt Ihr von mir nicht. Ich denke, ich habe meiner staatsbürgerlichen Pflicht Genüge getan. Mehr dürft Ihr von mir nicht erwarten.“
Bixby hängte den Hörer an den Haken und verließ die stinkende Zelle. Die frische Luft draußen tat ihm gut. Er kehrte zu Foxworth zurück und wartete.
Als in der Ferne die Signale der Polizei und Rettungswagen zu hören waren, verdrückte er sich. Er hatte keine Lust, die ganze Nacht auf einem Revier zu verbringen und sich mit Bullen zu unterhalten.