Читать книгу Methodik der juristischen Fallbearbeitung - Peter Bringewat - Страница 10

I.Beispiele für Sachverhalte und Aufgabenstellungen aus dem Zivilrecht

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10Sachverhalt 1: V vertreibt Haushaltsgeräte. K interessiert sich für eine Waschmaschine Modell „S 1200“, die ihm für sein privates Wäscheaufkommen ideal geeignet erscheint. Am 4.1.2020 sucht K das Verkaufslokal des V auf, der von dem beim Hersteller noch weiterhin erhältlichen Modell noch genau ein Exemplar in seinen Räumlichkeiten ausstellt. K und V einigen sich über den Kauf des Geräts. Statt der unverbindlichen Preisempfehlung von 1800 Euro soll der Kaufpreis für das unbenutzte und fehlerfreie Ausstellungsstück nur 1600 Euro betragen, 50 Euro über dem von V gezahlten Einkaufspreis. In dem von K unterzeichneten Vertragsformular heißt es an deutlich hervorgehobener Stelle: „Auf Wunsch wird das Gerät von uns ausgeliefert und vor Ort angeschlossen. Für Schädigungen im Zuge und in Folge dieser Leistung wird keinerlei Haftung oder Gewährleistung übernommen.“

Da K sich in einem finanziellen Engpass befindet, zückt V ein Formular der B-Bank, mit der er in solchen Fällen stets zusammenarbeitet, und schlägt K Folgendes vor: K soll einen Kredit der B in Anspruch nehmen; diese werde den Kaufpreis unmittelbar an V auszahlen, während K den Betrag in 36 jeweils monatlich fällig werdenden Raten entsprechend verzinst an B zurückzuzahlen habe. K ist einverstanden und unterschreibt das mit allen notwendigen Angaben versehene Formular der B und eine entsprechende Widerrufsbelehrung. K kommt mit V überein, dass die Maschine am 7.1.2020 von Angestellten des V ausgeliefert und angeschlossen werden soll.

Die Lieferung erfolgt vereinbarungsgemäß. Bei der Verbindung des Geräts mit dem Abwasserrohr kommt es auf Grund einer kleinen Unaufmerksamkeit von V’s Monteur zu einer Undichtigkeit. In der Folge rinnt bei jedem Betrieb der Waschmaschine Wasser in beträchtlicher Menge in das hinter der Maschine gelegene Mauerwerk.

11Einiges von dem, was in diesem Sachverhalt 1 – es handelt sich übrigens um den Prüfungsgegenstand einer Abschlussklausur im Rahmen einer „Übung im Zivilrecht für Fortgeschrittene“ (vgl. dazu Henssler/Dedek, Fortgeschrittenenklausur – Bürgerliches Recht: Probleme des reformierten Kaufrechts, JuS 2004, 497 ff.) – rechtlichen Konfliktstoff bieten könnte, erahnt und spürt man schon beim erstmaligen Durchlesen des Sachverhaltstextes. Was jedoch ganz konkret und im Einzelnen an rechtlichen Fragestellungen im Sachverhalt 1 enthalten und zu beantworten ist oder doch sein könnte, das lässt sich der Beschreibung des durchaus „aus dem Leben gegriffenen“ Waschmaschinengeschäfts nicht, jedenfalls nicht so ohne weiteres entnehmen. Genaueren Aufschluss darüber gibt erst die mit dem Sachverhaltstext verbundene Aufgabenstellung. Und erst die (enge) sachliche Verzahnung des konkreten Lebenssachverhalts mit den in der Aufgabenstellung einer juristischen Hausarbeit und Klausur angesprochenen rechtlichen Befunden, Streitgegenständen, Zuständen, Ereignissen oder den Rechtsinteressen der im Sachverhaltstext benannten Personen stellt das her, was in Form einer Hausarbeit oder Klausur zu bearbeiten ist: den Rechtsfall.

12Kernstück der Aufgabenstellung, die sich nicht selten im Anschluss an den Sachverhaltstext unter dem Stichwort „Bearbeitervermerk“ findet, ist (sind) die sog. Fallfrage(n). Sie wird (werden) bisweilen um „Hinweise zur Bearbeitung“ bzw. „Bearbeiterhinweise“ oder auch bloße „Hinweise“ ergänzt. Solche ergänzenden Bearbeitungshinweise sind in zweifacher Hinsicht wichtig. Zum einen können sie inhaltlich den zu prüfenden Rechtsstoff begrenzen, zum anderen können sie formale Anforderungen an die (gewünschte) Darstellungsweise – was insbesondere für die Anfertigung juristischer Hausarbeiten von Bedeutung ist – festlegen. Es empfiehlt sich, derartige Bearbeitungshinweise beim Wort zu nehmen und die „Anweisungen“ strikt einzuhalten, da anderenfalls das Risiko besteht, dass der Hausarbeit oder Klausur die Annahme zur Korrektur und Bewertung verweigert wird. Entsprechendes gilt für die Beachtung vorgegebener Bearbeitungszeiten bzw. Abgabefristen sowie den Abgabeort etc. Auch diese Daten werden zumeist in den „Hinweisen zur Bearbeitung“ von Hausarbeiten und Klausuren mitgeteilt.

13Auf das Sachverhaltsbeispiel „Waschmaschinengeschäft“ angewandt ergibt sich die klausurbestimmende Aufgabenstellung wie folgt:

Fallfrage(n) 1:

a) K bemerkt die Undichtigkeit nach wenigen Tagen. K verlangt von V Nachlieferung. V verweist auf die Vertragsbedingungen: Für Montagefehler hafte er nicht. Allenfalls sei er zur Nachbesserung, keinesfalls zur Nachlieferung bereit, was sich schon verbiete, weil K ein bestimmtes Ausstellungsstück erworben habe. Kann K von V die Nachlieferung verlangen?

b) K bemerkt die Undichtigkeit zunächst nicht. Erst im Februar 2021 fällt ihm auf, dass sich an der Wand hinter der Waschmaschine ein großflächiger Schimmelfleck gebildet hat. Die Entfernung des Pilzes und die Trockenlegung der Wand kosten K 900 Euro. Empört wendet sich K an V und verlangt von V, den Montagefehler zu beheben und ihm die entstandenen Kosten von 900 Euro zu ersetzen. Als sich V kategorisch weigert, erklärt K gegenüber V den Rücktritt. Dieser meint, man solle ihn mit diesen alten Geschichten nicht mehr behelligen.

– K fordert von V nun Ersatz von 900 Euro

– Gegenüber B verweigert er nun mit dem Hinweis auf den undichten Anschluss die Zahlung weiterer Raten

zu Recht?

Bearbeitungshinweis 1: Deliktische Ansprüche und Ansprüche aus dem ProdHaftG sind nicht zu prüfen.

14Der „rechtsfallkonstituierende“ Zusammenhang zwischen Prüfungsgegenstand und Aufgabenstellung einer juristischen Hausarbeit und Klausur ist „von Natur aus“ komplex. Er kann deshalb auf unterschiedlichste Weise gestaltet werden. Das soll nachfolgend das Beispiel einer vorlesungsbegleitenden bzw. -abschließenden Hausarbeit zum Vertragsrecht im Vergleich mit der soeben besprochenen „Fortgeschrittenenklausur“ deutlich machen:

15Sachverhalt 2: Der bekannte Schauspieler M möchte für sich und seine Familie eine größere Wohnung mieten, nachdem seine Frau das dritte Kind geboren hat. Er hat zwar vor, sich auch irgendwann eine eigene Immobilie anzuschaffen, kann sich jedoch nicht entscheiden, ob er sich auf Dauer lieber in Hamburg oder in München niederlassen will, so dass ihm eine Mietwohnung zum derzeitigen Augenblick sehr praktisch erscheint. Ein eigenes Haus will er sich erst in einigen Jahren kaufen. Nach längerer Suche findet er eine schöne Altbauwohnung in Zentrumsnähe in Hamburg mit 200 qm Wohnfläche sowie einer schönen Terrasse, die von dem Vermieter V über den Makler X angeboten wird. M verhandelt mit X und V und einigt sich auf einen Mietvertrag, den M und V nach Rückkehr von V von einem zweimonatigen Auslandsaufenthalt schriftlich abschließen wollen. Der Vertrag soll auf fünf Jahre fest zu einem monatlichen Mietpreis von 1.500 Euro abgeschlossen werden. Darüber hinaus soll M ein Depot in Höhe von drei Monatsmieten auf ein Sparkonto einzahlen. X verlangt für seine Dienste drei Monatsmieten, also 4.500 Euro.

Zu den Verhandlungen hat M seine älteste Tochter T (sechs Jahre alt) mitgebracht. Nachdem V sie noch einmal durch die Wohnung geführt hat, damit T sich ihr neues großes Spielzimmer genau ansehen konnte, verlassen alle zusammen die Wohnung im 2. Stock. Im Treppenhaus hält sich T an dem etwas morschen Treppengeländer fest, welches V schon lange hatte erneuern wollen. Plötzlich gibt es ein lautes Krachen und das Geländer bricht. T fällt die Treppe hinunter und bricht sich hierbei einen Arm.

Damit der Umzug von M und seiner Familie möglichst zügig erfolgen kann, ist V einverstanden, dass M bereits während seiner Abwesenheit die Wohnung renovieren kann. Zu diesem Zweck händigt V dem M einen Wohnungsschlüssel aus, damit dieser Zugang zur Wohnung hat. V begibt sich anschließend auf seine Auslandsreise. M beauftragt nunmehr Maler G damit, die alten Tapeten in der Wohnung zu entfernen und neue Glasfasertapeten mit einem weißen Anstrich anzubringen. Darüber hinaus soll G alle Holztüren streichen und lackieren. G erklärt sich auch bereit, den Parkettfußboden neu zu versiegeln. Für diese Arbeiten benötigt G zusammen mit zwei Gehilfen sechs Wochen. G verlangt für seine Arbeiten insgesamt 30.000 Euro.

Nach Abschluss der Malerarbeiten von G stellt M zu seinem Entsetzen fest, dass alle Tapeten offensichtlich mit einem falschen Kleber verklebt worden sind und sich von der Wand lösen. Des Weiteren entstehen durch die Verbindung mit dem Kleber und der verwendeten Farbe Bläschen und Verfärbungen. Die Türlackierung sowie die Bodenversiegelung sind in Ordnung, allerdings haben die beiden Gehilfen von G im Rahmen ihrer Arbeit Schäden an zwei hochwertigen Einbauschränken in den Schlafzimmern verursacht. Nachdem V nunmehr von seiner Auslandreise zurückgekehrt ist, ist er über den Zustand seiner Wohnung äußerst verärgert. Er erklärt M, dass er auf keinen Fall den Mietvertrag unterschreiben werde. M habe auch den ursprünglichen Zustand der Wohnung wiederherzustellen. Hierfür ist ein Aufwand in Höhe von 15.000 Euro erforderlich. Außerdem würde die Instandsetzung der beschädigten Schränke nochmals 3.000 Euro betragen. Des Weiteren macht V drei Monate Mietausfall geltend. Dabei beruft er sich darauf, dass er die Wohnung in diesem ursprünglichen Zustand bereits vor seiner Abreise an einen anderen Interessenten hätte vermieten können, dieses aber aufgrund des Vertrauens, dass er in M gesetzt habe, nicht getan hätte.

M, der nun schon ohnehin so viel Ärger hat, traut seinen Augen nicht, als er im Zeitungskiosk die Illustrierte „Promis Aktuell“ des Verlegers P sieht. Auf der Titelseite steht: „Ehekrach bei Familie M“. In der Zeitung findet sich dann auf Seite 5 ein Interview mit M und seiner Frau F, was jedoch niemals stattgefunden hat. Hierin erklärt M, dass er sich von seiner Frau trennen wollte und daher auch die neue Wohnung nicht beziehen werde. Zudem enthält der Artikel ein Foto von M und einer Schauspielerin Y, unterlegt mit einem roten Herzen. Bei dem Bild handelt es sich eindeutig um eine Fotomontage. Darunter findet sich der Satz:

„M und Y, – das neue Paar!“ M ist hierüber mehr als verärgert. Zudem klingelt nun sein Telefon pausenlos, da andere Reporter ebenfalls ein Interview mit ihm wünschen.

16Es ist wie im Sachverhalt 1: Dass auch der Sachverhalt 2 voller rechtlicher Probleme steckt, ist schon auf den ersten Blick erkennbar. Um was es geht, deutet sich zumindest teilweise schon nach der Rückkehr von V aus dem Ausland an. Aber es ist auch klar, dass nicht nur die rechtlichen Interessen von V zur Debatte stehen. Was genau den im Rahmen der Hausarbeit zu bearbeitenden Rechtsfall ausmacht, darüber gibt eine Reihe von Fallfragen Auskunft. Bearbeitungshinweise formaler Art runden die Aufgabenstellung der Hausarbeit ab:

17Fallfrage(n) 2:

1. Welche Ansprüche hat G gegen M und V?

2. Welche Ansprüche hat V gegen M und G?

3. Welche Ansprüche hat M bzw. T gegen V bezüglich der Arztkosten?

4. Welche Ansprüche kann M gegen G sowie dessen Gehilfen geltend machen?

5. Kann X seine Maklercourtage von M fordern?

6. Welche Ansprüche hat M gegen P bezüglich des Interviews?

Bearbeitungshinweis 2: Die Hausarbeit ist bis zum ………. am Lehrstuhl X (Gebäude Y, Zimmer Z) abzugeben. Im Fall der Postwegverschickung hat dies per Einschreiben mit Poststempel zu erfolgen. Formalien für die Anfertigung einer Hausarbeit können u. a. auch den Hinweisen auf der Homepage von ……….. unter ……… entnommen werden. Der Umfang des Gutachtens ist auf 30 Seiten zu beschränken; 1,5-zeilig; 1/3 Rand; 12er Schriftgröße Textteil; 10er Schriftgröße im Fußnotenteil in Times New Roman.

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