Читать книгу Methodik der juristischen Fallbearbeitung - Peter Bringewat - Страница 16
2.Von der abstrakten zur konkreten Fallfrage
Оглавление55Nicht immer sind in der Aufgabenstellung einer juristischen Hausarbeit oder Klausur die Fallfragen so konkret gefasst, dass auf Anhieb erkennbar wäre, wonach denn ganz genau gefragt ist. Manchmal sind es noch nicht einmal in Frageform gekleidete rechtliche Interessen oder Begehren, die – von im Sachverhalt auftretenden Personen geäußert – den Kern der Aufgabenstellung ausmachen. Zur Auswertung der Aufgabenstellung gehört in diesen Fällen stets, die „eigentliche“ nicht mehr konkretisierungsbedürftige Fragestellung selbst herauszuarbeiten. Die für eine seriöse und solide Fallbearbeitung und -lösung unverzichtbare eigene Erarbeitung ausreichend konkreter Fallfragen setzt allerdings eine bis ins Einzelne gehende Kenntnis des Sachverhalts und die Fähigkeit voraus, mit den darin enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Informationen sinnvoll umzugehen, sie insbesondere im Vorgang der Konkretisierung abstrakter Fallfragen authentisch umzusetzen und zu nutzen. Und ebenso erforderlich ist eine hinreichende Kenntnis des den Sachverhalt betreffenden materiellen Rechts (ggf. auch des einschlägigen Prozessrechts).
56Als die inhaltlich weitgehendste und dementsprechend höchst abstrakte Fallfrage ist wohl die allgemeine Frage nach der Rechtslage („Wie ist die Rechtslage?“, oder noch kürzer: „Rechtslage?“) anzusehen. Sie erfordert im Rahmen der Fallbearbeitung eine – freilich strikt sachverhaltsbezogene und -begrenzte – Analyse und Erörterung aller dem Zivilrecht, Strafrecht oder öffentlichen Recht zugehörigen rechtlichen Konstellationen und Gegebenheiten. Methodisch bedeutet das nichts anderes, als die allgemeine Frage nach der Rechtslage unter Beachtung der Besonderheiten des je maßgeblichen Rechtsgebiets in konkrete Fallfragen zu entfalten, sie gewissermaßen in ihre Einzelheiten zu zerlegen. Dass dieses notwendige „Kleinarbeiten“ abstrakter Fallfragen mit erheblichen Fehlerrisiken verbunden ist, liegt auf der Hand. Anzuraten ist deshalb im kontinuierlichen Fortgang einer Fallbearbeitung eine stetig wiederholte Vollständigkeits- und Richtigkeitskontrolle der selbst ermittelten konkreten Fallfragen.
57a) Beispiel Zivilrecht. Da es in der Aufgabenstellung einer zivilrechtlichen Hausarbeit oder Klausur zumeist um die Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen geht (was unter „Anspruch“ zu verstehen ist, sagt § 194 Abs. 1 BGB: „das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“), ist die allgemeine Fallfrage nach der Rechtslage in diesen Fällen (etwas anderes gilt z. B., wenn die Wirksamkeit eines Vertrages, das Bestehen bestimmter Rechtsverhältnisse, die materielle Richtigkeit des Grundbuchs, die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen etc. zur Debatte steht) „herunterzubrechen“ auf konkrete Fallfragen nach möglicherweise bestehenden Ansprüchen (modifiziert trifft das auch für die Aufgabenstellung in öffentlich-rechtlichen Klausuren und Hausarbeiten zu, soweit sie auf Geld- oder Sachleistungsrechte und -pflichten ausgerichtet sind), und zwar nach bestimmten Ansprüchen eines Anspruchstellers gegenüber einem Anspruchsgegner getreu dem Motto: Wer (Anspruchsteller) hat welche Ansprüche (Anspruchsziel, Anspruchsgegenstand) gegen wen (Anspruchsgegner), oder – knapper formuliert – wer will was von wem?
58Zugleich liefert diese markante Kurzformel die für zivilrechtliche (modifiziert auch für öffentlich-rechtliche) Rechtsfälle typischen Ansatzpunkte zur Erarbeitung konkreter Fallfragen; denn je nach Komplexität des Sachverhalts und Vielfalt der Rechtsbeziehungen in Zwei- oder Mehrpersonenverhältnissen können Art und Anzahl der Anspruchsteller, Art und Anzahl der Anspruchsgegner und/oder Art und Anzahl der (streitigen) Ansprüche variieren und im Blick auf die zu ermittelnde Fallfrage konkretisierungsbedürftig sein. Gutes Anschauungsmaterial für die variable Konkretheit von Fallfragen und den daraus resultierenden Zurüstungsaufwand zur Ermittlung bearbeitbarer konkreter Fallfragen bietet der Fallfragenkomplex bei Erster Teil, B. I. Fallfrage(n) 2.
59Ohne Weiteres zu bearbeiten ist die unter Ziff. 5 formulierte Frage, ob der X seine Maklercourtage von M fordern kann: Weder die Person des Anspruchstellers (X) noch die des Anspruchsgegners (M) und ebenso wenig der Anspruchsgegenstand (Maklercourtage) sind zweifelhaft. Nicht ganz so klar sind die Fallfragen in Ziff. 3 und 6. Zwar sind die Anspruchsteller (M bzw. T in Ziff. 3, M in Ziff. 6) und Anspruchsgegner (V in Ziff. 3, P in Ziff. 6) bestimmt. Auch der Anspruchsgegenstand (Arztkosten in Ziff. 3, Interview in Ziff. 6) ist umschrieben. Um welche Einzelansprüche, um welche Anspruchsziele es im Einzelnen geht, ist dagegen noch offen: „Welche Ansprüche hat …“ muss daher noch „kleingearbeitet“ und in genauere Fallfragen umgesetzt werden (z. B. in Ziff. 6: „Hat M einen Anspruch auf Schadensersatz gegen P?“ oder noch genauer „Hat M einen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen P?“ etc.). Ähnlich konkretisierungsbedürftig sind die Fallfragen in Ziff. 1, 2 und 4. Anspruchsteller und Anspruchsgegner sind jeweils ausdrücklich genannt, Anspruchsgegenstand und/oder -ziel müssen erst noch erarbeitet werden, wobei mangels jeder weiteren Eingrenzung (etwa wie in Ziff. 3 „Arztkosten“ oder in Ziff. 6 „Interview“) sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche zu ermitteln sind.
60Auch der Fallfragenkomplex bei Erster Teil, B. I., Fallfrage(n) 1 ist unter dem Aspekt der Zurüstung „noch unfertiger“ Fallfragen informativ und lehrreich. Während die erste Fallfrage unter a) – vergleichbar der Fallfrage in Ziff. 5 im Fallfragenkomplex bei Erster Teil, B. I., Fallfrage(n) 2 – ganz konkret Anspruchsteller, Anspruchsgegner und Anspruchsgegenstand/-ziel benennt (der Sache nach: Steht K gegen V ein Anspruch auf Nachlieferung einer Waschmaschine zu?), bedürfen die zweite und dritte Fallfrage unter b) mit Hilfe und in Verbindung mit der ergänzenden Sachverhaltsschilderung einer „Aufbereitung“. Wenn K von V in Höhe von 900,– EUR Ersatz fordert und daran anschließend gefragt wird „zu Recht?“, lautet die Fallfrage: Hat K („wer“ = Anspruchsteller) einen Anspruch auf Ersatz seines Wandschadens in Höhe von 900,– EUR („will was“ = Anspruchsgegenstand/-ziel) gegen V („von wem“ = Anspruchsgegner)?
61Bei der dritten Fallfrage (Gegenüber B verweigert K mit Hinweis auf den undichten Anschluss die Zahlung weiterer Raten – zu Recht?) führt eine naheliegende sprachliche Umformulierung (Verweigert K gegenüber B die Zahlung weiterer Raten zu Recht? – vgl. bei Henssler/Dedek, a. a. O. (II., 1.), S. 501) – zunächst nicht viel weiter, weil es auf den ersten Blick dem K nicht darum geht, etwas von einem anderen zu verlangen, sondern es ihm darauf ankommt, sich gegen das Verlangen eines anderen möglichst erfolgreich zu wehren. Da im Zivilrecht u. a. durchsetzbare Ansprüche eine maßgebliche Rolle spielen, die Frage der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen also ebenso wichtig ist wie die, ob ein bestimmter Anspruch dem Anspruchsteller überhaupt zusteht, zielt die dritte Fallfrage darauf ab zu prüfen, ob der K gegenüber B berechtigt ist, rechtsvernichtende, -hindernde oder -hemmende Einwendungen oder Einreden zu erheben.
62Damit aber ergibt sich für die weitere Fallbearbeitung ein Problem, das in erster Linie zwar den Aufbau einer zivilrechtlichen Hausarbeit oder Klausur betrifft, aber auch im Zusammenhang mit der Erarbeitung konkreter Fallfragen eine wichtige Rolle spielt. Es ist nämlich nicht damit getan, die vorgegebene Fallfrage in diesen Fällen einfach nur sprachlich im Blick auf mögliche Einwendungen oder Einreden zu verändern; denn die Fragen „Steht K gegenüber B eine Einwendung (Einrede) zu?“ oder „Welche Einwendungen (Einreden) stehen K gegenüber B zu?“ etc. besagen allenfalls, dass nunmehr nicht nach Ansprüchen, sondern nach Gegenrechten gefragt ist, nicht aber, um welche Gegenrechte es sich im Einzelnen handelt. Erforderlich ist daher, den Bezugspunkt etwaiger Einwendungen und Einreden sowie den Gegenstand und das Ziel der Einwendungen und Einreden in die Fallfrage zu integrieren. Daraus folgt beispielsweise, dass eine von Ansprüchen losgelöste Frage nach möglichen Einwendungen „in der Luft hängt“, ganz abgesehen davon, dass die Art und Anzahl von Ansprüchen unmittelbar die Art der Einwendungen und/oder Einreden mitbestimmt, weil zwischen Anspruch und Einwendung/Einrede (zumeist) ein sachhaltiges Korrespondenzverhältnis besteht.
63Bei der dritten Fallfrage im Fallfragenkomplex bei Erster Teil, B. I., Fallfrage(n) 1 ist maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Verweigerung weiterer Ratenzahlung ein Zahlungsanspruch der B (etwa aus § 488 Abs. 1 BGB). Nur wenn der B ein solcher Zahlungsanspruch zumindest noch teilweise zusteht, ist die Frage nach berechtigten Einwendungen des K mit dem Ziel, keine Raten mehr bezahlen zu müssen, eine sinnvolle Frage. Zugleich gibt dieser Zahlungsanspruch die Richtung vor, mit der nach möglichen Einwendungen (Einreden) zu suchen ist. In Betracht käme im Beispielsfall ein sog. Einwendungsdurchgriff aus §§ 358, 359 BGB, d. h. von Bedeutung sind ggf. Einwendungen, die als Gegenrechte gegen Ansprüche des V aus dem Kaufvertrag zwischen K und V auch der B entgegengesetzt werden könnten (vgl. näher bei Henssler/Dedek, a. a. O. (II. 1.), S. 501). Erst wenn man derlei, häufig sehr weit in eine Art rechtlicher Vorprüfung hineinreichende Überlegungen angestellt hat, kann man mit hinreichender Genauigkeit die maßgebliche Fallfrage festlegen. So könnte im Beispielsfall die zu bearbeitende Fallfrage lauten: Kann K gegen B Einwendungen erheben, auf Grund deren er berechtigt ist, einem Zahlungsanspruch der B ein ihm möglicherweise zustehendes Leistungsverweigerungsrecht aus dem Vertragsverhältnis zwischen ihm und V entgegenzuhalten?
64b) Besonderheit „Anwaltsklausur/-hausarbeit“. Vor vergleichbaren Schwierigkeiten schon bei der Erarbeitung und Ausformulierung konkreter Fallfragen steht man in sog. „Anwaltsklausuren“ oder „-hausarbeiten“. Darunter versteht man Klausuren oder Hausarbeiten, deren Aufgabenstellung in ihrem „Fallfragenteil“ mit der Beratung und/oder sonstigen Tätigkeiten eines beauftragen und (bisweilen) vor Gericht auftretenden Rechtsanwalts verknüpft ist. Die „Verpackung“ der zu bearbeitenden Fallfragen ist in der Regel derartiger Anwaltsklausuren oder -hausarbeiten der letzte Absatz des Sachverhaltstextes mitsamt weiterer Sachverhaltsergänzungen. Fast immer ist darin ein Anspruchsteller oder ein einwendungsberechtigter Anspruchsgegner beschrieben, der in seiner „Rechtsnot“ von seinem Rechtsanwalt hilfreiche Beratung oder die erfolgreiche Durchführung eines Rechtsstreits erwartet und ihm dementsprechend eine Reihe „verkappter“ Fallfragen stellt: „Was wird R dem M wohl raten?“ oder „Welche Erfolgsaussichten hat die von R erhobene Klage?“ etc. sind typische sachverhaltsabschließende Fragen, die wie die allgemeine Fallfrage nach der Rechtslage erheblichen Konkretisierungsaufwand nötig machen.
65In zivilrechtlichen Klausuren und Hausarbeiten ist man dem sog. Anspruchsaufbau (vgl. dazu Zweiter Teil, B. II.) zufolge regelmäßig darauf zurückverwiesen, Fallfragen nach dem Muster des „Wer will was von wem?“ oder nach dem Schema von „Anspruch und Gegenrecht (Einwendung/Einrede)“ zu erarbeiten. In öffentlich-rechtlichen Klausuren und Hausarbeiten geht es dagegen fast immer um die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs (Rechtsmittels) oder einer Klage, wenn ein Rechtsanwalt befragt oder tätig wird. An den Aufbauregeln für öffentlich-rechtliche Hausarbeiten und Klausuren (vgl. dazu Zweiter Teil, D. I. und II.) orientiert sind dann die zu ermittelnden konkreten Fallfragen wie auch sonst darauf ausgerichtet, Zulässigkeit und Begründetheit von Rechtsbehelfen (Rechtsmitteln) und/oder Klagen an Hand ihrer fallbezogenen und problematischen Einzelelemente zu hinterfragen (näher dazu sogleich).
66c) Strafrecht und öffentliches Recht. Insgesamt einfacher als im Zivilrecht gestaltet sich die Aufbereitung und Zurüstung von bearbeitbaren Fallfragen in strafrechtlichen und letztlich auch in öffentlich-rechtlichen Hausarbeiten und Klausuren. Die Gründe dafür liegen u. a. in den teilweise andersartigen rechtlichen Grundstrukturen des Strafrechts und des öffentlichen Rechts.
67Strafrechtliche Aufgabenstellungen zeichnen sich nahezu ausnahmslos (etwas anderes gilt wie schon bemerkt bei „Themenklausuren“ oder „-hausarbeiten“) dadurch aus, dass im Fallfragenbereich die Strafbarkeit der im Sachverhalt auftretenden Personen zur Diskussion steht. Da die Strafbarkeitsfrage immer auf die mögliche Begehung bestimmter Delikte und damit auf die Verwirklichung bestimmter gesetzlicher Straftatbestände unter Einschluss allgemeinstrafrechtlicher Strafbarkeitsvoraussetzungen bezogen ist, ergibt sich bei allgemein gehaltenen Fallfragen stets Konkretisierungsbedarf hinsichtlich der verschiedenen Delikte, die begangen worden sind. Als ähnlich konkretisierungsbedürftig kann sich der als Täter oder sonstige Tatbeteiligte in Frage kommende und im Sachverhalt genauer umrissene Personenkreis erweisen.
68Fallfragen wie etwa die unspezifizierte Frage nach der Strafbarkeit aller Beteiligten (vgl. bei Erster Teil, B. II. Fallfrage(n) 4) erfordern daher eine Konkretisierung in zweifacher Hinsicht: Zum einen muss der Kreis der Tatbeteiligten ausdifferenziert werden und zum anderen sind die möglicherweise verwirklichten Delikte, und zwar individuell bezogen auf die jeweils einzelnen Tatbeteiligten, zu ermitteln. „Wie haben sich die Beteiligten strafbar gemacht“ ist dementsprechend in konkrete Fallfragen wie z. B. „Hat sich A gemäß § 263 StGB strafbar gemacht?“, „Hat sich B gemäß §§ 263, 27 StGB strafbar gemacht?“, „Hat sich C gemäß § 266 StGB strafbar gemacht?“ etc. umzusetzen.
69Auch die Fallfrage(n) 3 bei Erster Teil, B. II., die auf die Begehung von Vermögensdelikten zielt, ist zu konkretisieren; denn als mögliche Straftaten des A kommen Betrug und Untreue (§§ 263, 266 StGB) in Betracht. Doch auch die Umsetzung der Frage „Hat sich A strafbar gemacht?“ in „Hat sich A gemäß § 263 StGB strafbar gemacht?“ und „Hat sich A gemäß § 266 StGB strafbar gemacht?“ ist nur ein erster Schritt zur genaueren Erfassung der Fallfrage(n). Aus dem Sachverhalt 3 bei Erster Teil, B. II. lässt sich nämlich ableiten (zur Arbeit am und mit dem Sachverhalt vgl. Erster Teil, C. II.), dass sich A wegen Betruges auf zweifache Weise strafbar gemacht haben könnte: durch aktives Tun und durch Unterlassen (§ 13 StGB). Demzufolge lauten die „kleingearbeiteten“ Fallfragen: „Hat sich A gemäß § 263 StGB strafbar gemacht?“ und „Hat sich A gemäß §§ 263, 13 StGB strafbar gemacht?“. Im Blick auf strafbare Untreue ist ebenfalls zu differenzieren, und zwar zwischen den beiden Tatbestandsalternativen des Untreuetatbestandes (Missbrauchs- und Treubruchstatbestand) mit entsprechend genauer gefassten Fallfragen: „Hat sich A gemäß § 266 Abs. 1, 1. Alt. StGB strafbar gemacht?“ und „Hat sich A gemäß § 266 Abs. 1, 2. Alt. StGB strafbar gemacht?“
70Grundsätzlich gilt, was die Erarbeitung konkreter Fallfragen betrifft, für öffentlich-rechtliche Klausuren und Hausarbeiten nichts anderes als für strafrechtliche und zivilrechtliche Klausuren und Hausarbeiten. Fallfragen wie „Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?“ oder „Beurteilen Sie die Erfolgsaussichten der Klage“ oder „Prüfen Sie die Erfolgsaussichten des Widerspruchs“ oder „Haben die Anträge Aussicht auf Erfolg?“ (vgl. nur die Fallfrage(n) 5 und 6 bei Erster Teil, B., III.) sind in dieser Allgemeinheit nicht zu beantworten. Sie dürfen insbesondere nicht dazu verleiten, im Wege einer allgemeinen Erörterung das Für und Wider von Anträgen, Rechtsbehelfen (Rechtsmitteln) und/oder Klagen mit anschließender Ergebnisformulierung abzuwägen: Die Bearbeitung und Lösung von Rechtsfällen in öffentlich-rechtlichen Klausuren und Hausarbeiten ist kein „Besinnungsaufsatz“.
71Soweit es in den Aufgabenstellungen öffentlich-rechtlicher Hausarbeiten und Klausuren um die rechtliche Beurteilung von Anträgen, Rechtsbehelfen (Rechtsmitteln) und/oder Klagen (verfassungsrechtliche Streitigkeiten, Verfassungsbeschwerde, Bund-Länder-Streit etc. machen keine Ausnahme) geht, wird die Fallbearbeitung und – ihr vorausgehend – die Ermittlung der maßgeblichen Fallfragen nachhaltig von einem bewährten Aufbauprinzip (vgl. zum Aufbau einer öffentlich-rechtlichen Fallbearbeitung Zweiter Teil, D. I. und II.) beherrscht und bestimmt: der Unterscheidung und Unterteilung in einen Merkmalskomplex der „Zulässigkeit“ und einen der „Begründetheit“ von Klagen, Anträgen, Rechtsbehelfen (Rechtsmitteln) etc.
72Wohl deshalb taucht geradezu stereotyp als Einleitung in öffentlich-rechtlichen Fallbearbeitungen der ebenso selbstverständliche wie überflüssige Satz „Die Klage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist“ oder „Der Antrag hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist“ oder etwas Ähnliches auf. Immerhin: Die „aufbautechnische“ Grobdifferenzierung in Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage, eines Antrages etc. macht deutlich, worauf es bei der Ermittlung der konkreten Fallfragen ankommt. „Hat die Klage Aussicht auf Erfolg“ etc. ist danach zunächst in „Ist die Klage etc. zulässig?“ und „Ist die Klage etc. begründet?“ zu trennen, um sodann in weiteren Konkretisierungsschritten z. B. danach zu fragen „Ist der beschrittene Verwaltungsrechtsweg eröffnet?“ oder „Ist der Kläger K klagebefugt?“. Hierbei handelt es sich um Einzelfragen aus dem Merkmalskomplex der Zulässigkeit, die abgearbeitet sein müssen, um überhaupt in die Begründetheit einer Klage „einsteigen“ zu können. „Ist die Klage begründet?“ bedarf dann in prinzipiell derselben Weise der Zerlegung in Einzelfragen wie z. B. „Verstößt die (zu beurteilende) behördliche Maßnahme gegen Art. 2 Abs. 2 GG?“ oder „Verstößt die behördliche Verfügung gegen Art. 3 Abs. 1 GG?“, wobei mögliche Verstöße gegen Bestimmungen nicht allein des GG, sondern auch alle möglichen anderen Gesetzesverstöße die Bezugspunkte der konkreten Fallfragen aus dem Merkmalskomplex der Begründetheit abgeben können.
73Bei alledem ist noch einmal zu betonen, dass eine sachgerechte Erarbeitung genügend genauer Fallfragen einen soliden Grundstock an verfügbaren Rechtskenntnissen und die – durchaus trainierbaren – Fähigkeiten voraussetzt, den wechselbezüglichen Sachzusammenhang zwischen Sachverhaltsschilderung und Fallfrage(n) zu erspüren und rechtlich zutreffend zu erfassen. Jedenfalls darin unterscheidet sich die Fallfragenproblematik in öffentlich-rechtlichen Klausuren und Hausarbeiten in nichts von der in strafrechtlichen und zivilrechtlichen Hausarbeiten und Klausuren.