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III.Beispiele für Sachverhalte und Aufgabenstellungen aus dem öffentlichen Recht

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26Unter dem „Dach“ des öffentlichen Rechts (im Gegensatz zum Privatrecht/Zivilrecht; das Strafrecht nimmt eine „unselbständige Mittelstellung“ zwischen dem Privatrecht und öffentlichen Recht ein: Historisch gewachsen ist seine Zugehörigkeit zur sog. ordentlichen Gerichtsbarkeit, in der Sache spricht vieles dafür, es in einem weiteren Sinne dem öffentlichen Recht zuzuweisen) findet sich eine Fülle öffentlich-rechtlicher Einzelrechtsgebiete. Dazu zählt das Verfassungsrecht jedweder Art, das allgemeine und das besondere Verwaltungsrecht wie etwa das Gemeinderecht, Polizeirecht, Beamtenrecht, Hochschulrecht, Bauordnungs- und Bauplanungsrecht etc. Entsprechend vielgestaltig können die Prüfungsgegenstände und Aufgabenstellungen von öffentlich-rechtlichen Hausarbeiten und Klausuren ausfallen. Und wie im Zivil- und Strafrecht bestimmt auch im öffentlichen Recht die Eigenart des jeweiligen Einzelrechtsgebiets die inhaltliche Ausrichtung des zu bearbeitenden Rechtsfalls.

27Sachverhalt 5: S ist Eigentümerin eines Grundstückes in der kreisangehörigen Gemeinde T im Landkreis Z. Das Grundstück ist zwar vollständig erschlossen, liegt aber im Außenbereich am Rande des Bebauungsplans „B“, der ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Um ihr Grundstück mit einem Einfamilienhaus bebauen zu können, beantragt S bei der Gemeinde T, das Grundstück in den Geltungsbereich dieses Bebauungsplans einzubeziehen. Der Gemeinderat von T hat dagegen grundsätzlich keine Bedenken, ist aber auf Gerechtigkeit bedacht: Denn bei der Erschließung des Baugebietes „B“ hatten alle Grundstückseigentümer im Plangebiet Erschließungsbeiträge entrichten müssen. Dazu kann S nach Einbeziehung ihres Grundstücks aus Rechtsgründen nicht mehr herangezogen werden. Nach Ansicht des Gemeinderats wäre es aber unbillig, wenn S „kostenlos“ in den Genuss öffentlicher Straßen und anderer Erschließungsanlagen käme. Daher fasst der Gemeinderat über die Einbeziehung des Grundstücks der S in den Bebauungsplan „B“ ordnungsgemäß Beschluss, weist den ersten Bürgermeister jedoch an, die Änderungssatzung erst auszufertigen, wenn S einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 8.000,00 Euro an die Gemeindekasse entrichtet hat. Dieser Betrag entspricht demjenigen, der sich ergeben hätte, wenn das Grundstück der S seinerzeit mit einem Erschließungsbeitrag belastet worden wäre.

Vor diesem Hintergrund kommt es zwischen S und der Gemeinde T zum Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung, in der sich S zur Zahlung von 8.000,00 Euro verpflichtet. Dieser Betrag soll – so wird in der Vereinbarung festgelegt – für die Instandsetzung der Kinderspielplätze im Gemeindegebiet verwendet werden.

Als S die 8.000,00 Euro an die Gemeinde T überwiesen hat und der geänderte Bebauungsplan in Kraft getreten ist, wird der S die beantragte Genehmigung zur Errichtung des Einfamilienhauses erteilt. Vier Wochen nach Fertigstellung und Einzug in ihr Eigenheim fordert S den Betrag von 8.000,00 Euro von der Gemeinde T zurück: Die zugrunde liegende Vereinbarung sei nichtig, weil die Gemeinde eine solche „Gegenleistung“ nicht habe fordern dürfen. Dabei weist S – rechtlich zutreffend – darauf hin, dass die Kosten, welche die Gemeinde am Erschließungsaufwand zu tragen hatte, gleich hoch gewesen wären, wenn sich das Grundstück der S zum Zeitpunkt der Erschließung bereits im Plangebiet befunden hätte. Die Gemeinde T verweigert die Rückzahlung und bringt vor: Selbst wenn die Vereinbarung unwirksam sei, stehe der Grundsatz von Treu und Glauben einer Rückforderung entgegen, da die Leistung der Gemeinde – die Verschaffung eines Baurechts – nicht mehr rückabgewickelt werden könne. Im Übrigen sei der Betrag von 8.000,00 Euro zwischenzeitlich vollständig für Instandsetzungsmaßnahmen auf Kinderspielplätzen verwendet worden. Daraufhin erhebt S Klage zum zuständigen Verwaltungsgericht.

28Nicht von ungefähr fühlt man sich beim Sachverhalt 5 an die Sachverhaltsbeispiele aus dem Zivilrecht erinnert: auch im Sachverhalt 5 – es geht bei ihm um den Prüfungsgegenstand einer öffentlich-rechtlichen Übungsklausur (vgl. dazu Gröpl, Klausur aus dem Verwaltungsrecht: „Baurecht gegen Vorkasse“, JURA 2003, 778 ff.) – steht u. a. ein Vertrag, nämlich ggf. ein öffentlich-rechtlicher Vertrag bzw. dessen Unwirksamkeit im Mittelpunkt des Interesses. Fragen nach den Folgen einer etwaigen Unwirksamkeit oder Nichtigkeit vertraglicher Vereinbarungen zwischen Bürgerin (S) und Staat (T) drängen sich auf. Zudem ist im Schlussabsatz des Sachverhaltstextes die Aufgabenstellung in Gestalt einer Rückzahlungsforderung der S bereits angedeutet:

29Fallfrage(n) 5: Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?

Bearbeitungshinweis 5: Es ist davon auszugehen, dass die vorliegende Vereinbarung nicht unter § 11 Abs. 1 S. 2 BauGB fällt und dass die erschließungsbeitragsrechtliche Beurteilung im Sachverhalt zutreffend ist.

30Lapidare Fallfragen wie im Beispiel der Fallfrage(n) 5 sind für die Aufgabenstellung öffentlich-rechtlicher Hausarbeiten und Klausuren durchaus gang und gäbe (Bisweilen findet sich mit der Frage „Wie ist die Rechtslage“ in der Aufgabenstellung zivilrechtlicher und mit der Fallfrage „Haben sich die Beteiligten strafbar gemacht“ in der Aufgabenstellung strafrechtlicher Hausarbeiten und Klausuren etwas Ähnliches.). Fast immer enthält dann aber der Sachverhalt wie im Beispielsfall im Schlussabsatz des Sachverhalts 5 eine Reihe von Hinweisen, die im Zusammenhang mit der kurz und bündig formulierten Fallfrage deren wahre inhaltliche Reichweite und Bedeutung bestimmen. Man muss daher oftmals die „eigentliche(n)“ Fallfrage(n) erst noch ermitteln (vgl. dazu sogleich unter C. I.).

31Dies gilt auch für die Aufgabenstellung zum

Sachverhalt 6: In der Fußgängerzone der Stadt S findet seit etwa 20 Jahren der sog. „Kartoffelmarkt“ statt. Der gleichnamige Platz ist ein öffentlicher Platz, für dessen Benutzung zu Verkaufstätigkeiten die S Sondernutzungserlaubnisse erteilt. Die Verteilung der insgesamt elf Standplätze erfolgt nach Maßgabe der vom Stadtrat ordnungsgemäß beschlossenen „Richtlinien zur Verteilung der Standplätze auf dem Kartoffelmarkt“. Demnach werden die elf Standplätze an drei Gruppen von Beschickern vergeben: „Stammbeschicker“, „bekannte und bewährte Beschicker“ sowie „sonstige Beschicker“. Der Gruppe der Stammbeschicker stehen drei Plätze, der Gruppe der bekannten und bewährten Beschicker sechs Plätze und der Gruppe der sonstigen Beschicker zwei Plätze zur Verfügung. Innerhalb jeder Beschickergruppe wird die Beschickerliste durch das Los erstellt. Die Plätze selbst werden rollierend wochenweise vergeben. Die Vergabe der Standplätze erfolgt halbjährlich jeweils zum 1. Dezember für das erste Halbjahr und zum 1. Juni für das zweite Halbjahr.

Der auswärtige Händler H beantragt mit Schreiben vom 27. April 2020 die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis „zum Anbieten und Verkaufen von Waren auf dem Kartoffelmarkt“ für die Termine im zweiten Halbjahr 2020. Mit einem weiteren Schreiben vom 11. Mai 2020 verlangt er überdies, bei der nächsten Auslosung als Stammbeschicker berücksichtigt zu werden, da er sich – was zutrifft– seit dreizehn Jahren um einen Standplatz bewerbe. Mit Bescheid vom 25. Mai 2020 wird H als „sonstiger Beschicker“ für das zweite Halbjahr 2020 eine Sondernutzungserlaubnis für die 42. Kalenderwoche (12. bis 15. Oktober 2020) erteilt. Der Antrag vom 11. Mai 2020 wird hingegen mit Bescheid vom 29. Mai 2020 abgelehnt, da nach den Richtlinien ein Stammbeschicker seit mehr als vierzehn Jahren regelmäßig auf dem Kartoffelmarkt Handel getrieben haben muss.

Der empörte H erhebt sogleich Klage gegen den Bescheid vom 25. Mai 2020, soweit ihm lediglich eine Sondernutzungserlaubnis für die 42. Kalenderwoche erteilt worden ist. In der Klageschrift rügt sein Prozessbevollmächtigter, Rechtsanwalt R (der zugleich Mitglied des Gemeinderats ist) insbesondere, dass die Vergabe der Standplätze nach fehlerhaften Kriterien erfolge. Der Aspekt „bekannt und bewährt“ sei eine bei der Entscheidung über eine Sondernutzungserlaubnis unzulässige Erwägung und dürfe demnach nicht berücksichtigt werden. Demgegenüber macht die Klageerwiderung geltend, die Klage sei schon deshalb unzulässig, weil H aufgrund kommunalrechtlicher Vorgaben nicht ordnungsgemäß vertreten sei. Darüber hinaus stehe aufgrund des Bescheides vom 29. Mai 2020 bereits fest, dass H nicht als Stammbeschicker zu behandeln sei. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, da die Vergabe der Standplätze nach zulässigen und sachgerechten Kriterien erfolge.

32Ähnlich wie im vorhergehenden Sachverhaltsbeispiel ergibt sich für den Sachverhalt 6 die zugehörige Fallfrage nach dem Schlussabsatz des Sachverhaltstextes „wie von selbst“:

33Fallfrage(n) 6: Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

34Und ebenso wie im Sachverhalt 5 liefert auch im Sachverhalt 6 – es handelt sich um den Prüfungsgegenstand einer im Rahmen eines Examenklausurenkurses ausgegebenen Klausur (vgl. dazu Mückl, Examensklausur öffentliches Recht: Der Stand auf dem Kartoffelmarkt, JURA 2002, 627 ff.) – insbesondere der Schlussabsatz das an Hinweisen, was zur Erfassung der „eigentlichen“ Fallfrage(n) erforderlich ist (zur Auswertung von Bearbeitervermerken, Bearbeitungshinweisen und Fallfragen vgl. anschließend C. I.).

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