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Kapitel 12

Ein Mann mit Che-Guevara-Mütze, darunter beiges Fieldjacket und schwarze Cargohose, betritt den Gemeindesaal der evangelischen Freikirche Münzstadt. Er begutachtet gründlich die Auslässe der Lüftungsanlage sowie die Deckenlampen und macht ein paar Fotos davon. Erst dann schaut er sich weiter um, mustert die Menschen im Raum und spricht schließlich eine der Frauen an.

»Entschuldigen Sie, ich suche die Vortragende von heute Abend.« Er blättert in seinem Notizbuch. »Eine Frau Schmitzlein-Ithana«, liest er den Namen ab.

»Ja, da sind Sie genau richtig. Das bin ich.«

»Wunderbar, Karl Sturm mein Name, vom Münzstädter Boten.« Er schüttelt ihr kräftig die Hand. »Besteht die Möglichkeit, dass wir uns vor Ihrem Vortrag kurz unterhalten?«

»Sicher, wenn die Presse schon mal Interesse an diesem Thema zeigt, dann gebe ich doch gerne Auskunft. Bitte, setzen wir uns hierhin.« Sie nehmen an einem der Tische Platz. Er rückt das Teelicht etwas beiseite und legt seinen Notizblock auf der bunten Papiertischdecke ab.

»Etwas zu trinken für Sie, Herr Sturm?«

»Da lehne ich selten ab«, sagt er und lacht. Sie winkt der Bedienung.

»Was darf es für die Herrschaften sein?«

»Danke, für mich nichts, im Moment«, entgegnet Schmitzlein-Ithana.

»Ich nehme ein großes Bier und einen Cognac«, sagt Sturm.

»Hier gibt es keinen Alkohol«, antwortet die Bedienung gelassen.

»Okay, dann nur ein großes Bier.«

»Kein großes Bier.«

»Na, dann halt …«

Die Bedienung fällt ihm ins Wort. »Ein kleines Bier ist ebenfalls Alkohol.«

»Ich verstehe.« Sturm sinkt ein wenig nachdenklich in sich zusammen, grinst dann aber schnell wieder Richtung Bedienung. »Dann bringen Sie mir bitte einen Ingwer-Basilikum-Tee mit einem Schuss Granatapfelsirup, geriebenem Meerrettich und einem Stückchen Stangensellerie.«

Die Bedienung lächelt ihn an. »Gerne, kommt sofort.«

»Ach was? Ja, dann danke«, stottert Sturm.

»Nicht nur mein Vortrag handelt vom Dämon Alkohol, konsequenterweise werden hier keinerlei berauschende Getränke ausgeschenkt«, erklärt Schmitzlein-Ithana.

»Ja, versteht sich. Nun gut.« Sturm klappt sein Notizbuch auf. »Über Ihren löblichen Kampf gegen den Alkohol höre ich ja dann in Ihrem Vortrag. Ich und selbstverständlich auch unsere Leser sind ja immer fasziniert von den Geschichten, die eine so legendäre Organisation begleiten, und das sind bei den Templern eine ganz außergewöhnliche Historie und reichlich mysteriöse Geheimnisse.«

»Richtig, in den fast 170 Jahren seit der Gründung ist schon einiges passiert. Selbst wenn der Dämon Alkohol nicht bezwungen ist, haben wir das Thema nachhaltig in die Gesellschaft gebracht. Aber Geheimnisse und Mysterien gibt es keine.«

Die Bedienung serviert Sturm das Getränk. Er riecht an dem Glas und verzieht das Gesicht.

»Zumindest hier im Raum haben Sie den Kampf gewonnen, gegen den Alkohol, meine ich. Noch einmal zurück zur Historie Ihrer Gesellschaft. Ich denke selbstredend an die Geschichte, die vor der Neugründung im 19. Jahrhundert liegt. Wissen Sie etwas über den Verbleib der Bundeslade oder des Heiligen Grals?«

Schmitzlein-Ithana schreckt zurück. »Wie bitte? Natürlich nicht! Was hat das denn mit dem Thema heute und mit uns …«

»Wissen Sie nichts, oder sind Sie nicht befugt, darüber zu reden?«, fällt ihr Sturm ins Wort. »Wer ist bei Ihnen berechtigt, Auskunft zu geben? Werden wir hier beobachtet oder abgehört?« Er schaut hektisch um sich.

»Herr Sturm, ich glaube, Sie verwechseln da etwas. Die Guttempler wurden 1851 in den Vereinigten Staaten gegründet. Die Organisation steht für Abstinenz, Frieden und die Gleichberechtigung von Rassen und Geschlechtern. Was Sie aber meinen, das sind sicherlich die Tempelritter, der geistliche Ritterorden. Das sind völlig unterschiedliche Organisationen.«

Sturm schaut sie mit halb zugekniffenen Augen an und nimmt einen kräftigen Schluck von seinem Tee. »Puh, man glaubt kaum, dass das noch viel schlimmer schmeckt, als es riecht.«

»Hier finden nur Bio-Fair-Trade-Produkte Verwendung. Naturbelassen und gesund«, sagt Schmitzlein-Ithana mit einem zufriedenen Lächeln.

»Ja, genauso schmeckt das Zeug auch.« Er stellt das Getränk möglichst weit von sich auf den Tisch zurück. »Und hier ist jetzt nur Alkoholfreiheit, Friede und so weiter das Thema?«

»Das sind äußerst wichtige Themen in der heutigen Zeit, mein Vortrag wird Sie davon überzeugen.«

»Ja, ganz bestimmt.« Sturm klappt sein Notizbuch zu.

An den anderen Tischen haben sich inzwischen etwa fünfzehn Personen eingefunden.

»Das Interesse an den Guttemplern steigt ständig, so viele Leute waren bisher nie hier, und jetzt sogar noch die Presse.« Schmitzlein-Ithana lächelt zufrieden.

Sturm mustert die wenigen Leute, die sich in dem großen Gemeindesaal fast verlieren. »Ja, wow«, gesteht er zu.

»So, Herr Sturm, es wird Zeit für meinen Vortrag. Danke, dass Sie gekommen sind.«

Schmitzlein-Ithana schreitet zum Stehpult und lächelt dem Publikum freundlich zu.

»Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, Enthaltsamkeit, Solidarität und Frieden, das sind die ehernen Grundsätze der Guttempler. Der Alkohol ist, wie schon im 19. Jahrhundert und natürlich bis in unsere Zeit, fortwährend unser größtes Problem. Während andere Suchtmittel von staatlicher Seite verboten sind und entschieden bekämpft werden, ist der Alkohol allgegenwärtig, gesellschaftlich anerkannt und überall ständig verfügbar.«

Sturm notiert derweil: »Vortrag über die Schädlichkeit des Alkohols aus Sicht der Guttempler. Ziele von Homepage in Bericht einpflegen. Recherche: Vernetzung zu und mit den Tempelrittern herausfinden.«

Aus einer Jackentasche fingert er einen Flachmann, füllt seinen Tee bis zum Rand mit dem Inhalt auf und probiert einen kleinen Schluck. »Ja«, murmelt er, »so ist das richtig.« Auf seinem Smartphone ruft er die Seite eines Internetshops für Spirituosen auf, stöbert durch die Sonderangebote und bestellt diverse Flaschen. Dann sieht er seine Mails durch und beantwortet einige, sichtet Termine und aktualisiert den Kalender. Der Schlussapplaus im Raum reißt ihn aus seiner Beschäftigung heraus.

Schmitzlein-Ithana setzt sich wieder zu ihm. »Wie hat Ihnen mein Vortrag gefallen?«

»Sehr lehrreich, die Alkoholpolitik in diesem Lande einmal aus Sicht der Guttempler zu erfahren. Vielen Dank für den Vortrag und das Gespräch, aber ich muss dann mal weiter, Frau Schmitzlein-Ithana. Die Arbeit eines Reporters kennt selten einen Feierabend.«

»Wenn Sie weiterführende Fragen haben und Informationen zu unserer Organisation brauchen, ich helfe Ihnen sehr gerne weiter.«

»Ja, vielen Dank. Es wäre von großem Interesse für mich, einen von Ihren Hintermännern zu sprechen.«

»Hintermänner?« Schmitzlein-Ithana zuckt zusammen.

»Oder Großmeister? Wie der jetzt bei Ihnen auch immer heißen mag.«

»Herr Sturm, wir sind eine Organisation aus dem 19. Jahrhundert, es gibt keine Verschwörungen, keine Geheimnisse und keine Hintermänner.«

Sturm springt auf. »Ich kenne diese Lügen, nur zu gut kenne ich sie, ich höre so etwas täglich bei meinen Recherchen. Aber wie Sie wollen. Dann kommt die Wahrheit eben etwas später ans Licht, aber sie wird herauskommen. Auf Wiedersehen, Frau Schmitzlein-Ithana.«

Er grüßt militärisch zu einer der Deckenleuchten. »Euch auch einen schönen Abend und gute Nacht.«

Eilig marschiert er Richtung Ausgang, ab und an bleibt er noch einmal stehen und sieht sich einzelne Leute an, mustert die Einbauten an den Wänden und in der Decke.

Whiskey-Ballett

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