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ОглавлениеKapitel 2
Die Sanitäter schieben bereits die Trage mit dem Patienten in den Krankenwagen, als der Notarzt seinen Kombi vor dem großen Wohnblock abstellt.
»Platz da, ich muss hier durch! Unmöglich, dieses Volk.« Er bahnt sich mit seinem Notfallkoffer den Weg durch die versammelten Anwohner und Passanten, die das Geschehen konzentriert verfolgen und teils mit Smartphones in Bildern und Videos dokumentieren.
»Leute, jetzt lasst doch mal das Kind durch.« Eine tätowierte Frau schiebt ein kleines Mädchen nach vorne in die erste Reihe.
»Eh«, beschwert sich ein Mann, der unsanft von ihr beiseitegestoßen wird, »wir wollen doch alle was sehen.«
Die Leute in den hinteren Reihen des Menschenauflaufs heben ihre Smartphones hoch und filmen über die Köpfe der vor ihnen stehenden Personen hinweg.
Der Notarzt erreicht kopfschüttelnd den Krankenwagen.
»Hallo, die Herren, was veranstaltet ihr denn hier, ein Volksfest? Fehlen nur noch ein Bierzelt und eine Imbissbude.« Er klettert in den Krankenwagen zu dem Patienten.
»Wir arbeiten dran«, verspricht der Fahrer des Rettungswagens.
»Wen habt ihr denn da schon wieder?« Der Arzt sieht sich das Gesicht des Mannes auf der Trage genauer an. »Das ist doch der Simulant von letzter Woche?«
»Wie man’s nimmt. Nachbarn haben ihn auf dem Boden hinter dem Hauseingang gefunden, er hat Sehstörungen, die Haare fallen ihm aus. Er ist kollabiert. Nach einer Show sieht mir das eher nicht aus«, antwortet einer der Sanitäter.
Der Arzt untersucht kurz die Pupillen und prüft die Haut auf Reizreaktionen. »War er ansprechbar?«
»Ja, aber er konnte nur kurz die Symptome beschreiben, danach hat er das Bewusstsein verloren. Sein Puls ist auch viel zu schnell.«
»Dann schließt ihn ans EKG an, lasst noch flott den Hut im Publikum herumgehen, und dann sofort ab ins nächste Krankenhaus.«
Mit Blaulicht und Sirenen scheucht der Krankenwagen beim Anfahren die Gaffer auseinander und rast im Eiltempo durch die Stadt. Die Rettungsassistenten versorgen den Patienten, während der Fahrer per Funk die angesteuerte Klinik über Ankunftszeit und Symptome informiert. An der Krankenhausrampe empfängt ein Notfallteam das Einsatzfahrzeug. Die Sanitäter ziehen die Bahre mit dem Patienten aus dem Wagen und übergeben ihn an das Krankenhauspersonal.
»Timo Brenner, 42 Jahre alt, Sehstörungen, Haarausfall, Herzrhythmusstörungen, ist vor Kurzem kollabiert. Wir hatten letzte Woche schon einen Einsatz bei ihm, da handelte es sich aber nur um eine Diarrhö und erhöhtes Schmerzempfinden. Außer der Darmgeschichte war nichts Pathologisches oder Organisches zu finden. Mehr liegt uns von seiner Krankengeschichte nicht vor.«
»Okay, dann wollen wir mal.« Der Arzt schaut sich den Patienten kurz an. »Sofort auf die Intensivstation mit ihm«, weist er eine Krankenschwester an: »Veranlassen Sie eine Untersuchung auf Thalliumvergiftung und besorgen Sie Eisenhexacyanoferrat als Medikation, ich komme gleich nach.«
Die Pflegekräfte schieben Timo Brenner eilends von der Rampe und verschwinden mit ihm im Aufzug. Der Arzt wählt eine Nummer auf seinem Smartphone.
»Ja, ich bin es. Das angekündigte Paket ist angekommen. Wir werden das jetzt ganz vorschriftsmäßig und professionell abwickeln, aber eure Spielchen könnt ihr hier nicht weitertreiben. Jedenfalls nicht mit mir. Ich bin schließlich immer noch und vor allem Arzt, und er ist jetzt mein Patient.«
Er drückt die Verbindung weg, kickt einen weggeworfenen Kaffeebecher über eine Hecke und hastet in das Krankenhaus.