Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg - Peter H. Wilson - Страница 16
3. Die Casa de Austria Besitz und Dynastie
ОглавлениеDem Haus Österreich hat man in der Geschichte, die wir erzählen wollen, für gewöhnlich die Rolle des Schurken zugewiesen. Die zu ihrer Zeit viel gelesene Darstellung des Dreißigjährigen Krieges von C. V. Wedgwood erschien 1938, im Jahr des Münchner Abkommens, und zeichnete den englisch-schottischen König Jakob I. als einen schwachen Herrscher, der angesichts einer drohenden Diktatur der Habsburger diese zu beschwichtigen suchte. Der tschechische Historiker Josef Polišenský erlebte die Besetzung Prags durch die Truppen des nationalsozialistischen Deutschland aus nächster Nähe. Später sollte er das Versagen der westeuropäischen Mächte, den böhmischen Aufständischen 1618 beizustehen, explizit mit der Münchner Krise vergleichen, die sich genau 320 Jahre danach ereignet hatte. Die populären Bücher von Günter Barudio zum Thema, Der teutsche Krieg 1618–1648 sowie eine „politische Biografie“ Gustav Adolfs, stellen den Schwedenkönig als einen Vorkämpfer für Frieden und Gerechtigkeit dar, der die „teutsche Freiheit“ gegen die Übermacht der Habsburger verteidigt habe. Die ältere deutsche Forschung gab sich sogar noch parteiischer und zögerte nicht, den Kaiser mit einer „katholischen Tyrannenherrschaft“ in Verbindung zu bringen, mit der er die Kräfte des Lichts und des Fortschritts in der Geschichte habe auslöschen wollen. Es ist zudem eher von Nachteil gewesen, dass die besten englischsprachigen Studien über diese Zeit sich hauptsächlich mit den spanischen Habsburgern beschäftigen, den österreichischen Zweig der Familie aber vernachlässigen – obwohl gerade dessen Probleme zentral waren, was die Gründe, den Verlauf und den Ausgang des Dreißigjährigen Krieges anbetrifft.
Der beispiellose Erfolg der Habsburger war das Ergebnis einer langen Vorgeschichte. Den größten Teil des Spätmittelalters hindurch hatte die Dynastie gegenüber stärkeren Wettbewerbern um Macht und Einfluss im Reich das Nachsehen gehabt. Der Erwerb der Kaiserkrone 1438 hatte das Haus Habsburg dann mit einem Mal in den Mittelpunkt des Geschehens katapultiert; seine wirkliche Macht bezog es jedoch aus der Anhäufung immer weiterer Territorien und Königreiche zwischen 1477 und 1526. Die wichtigste unter diesen Erwerbungen war Spanien, das 1516 durch Erbschaft an die Habsburger fiel – just in jenem weltgeschichtlichen Moment, in dem die Spanier begonnen hatten, ein ganzes Weltreich zu erobern. Die Regierung dieses riesigen Reiches blieb dennoch ein regelrechter Familienbetrieb mit zahlreichen Akteuren. Nicht nur mangelte es den Habsburgern an der nötigen Expertise und den Ressourcen, um in ihrem Imperium ein einheitliches, zentralisiertes Herrschaftssystem zu errichten: Sie strebten eine solche Zentralisierung noch nicht einmal an. Schließlich kam mit jeder Eroberung, jedem neu erworbenen Territorium auch ein neuer Herrschaftstitel in den Besitz der Familie. Und das mehrte wieder ihre Macht und ihr Prestige unter den gekrönten Häuptern Europas. Der wichtigste habsburgische Titel auf einer langen Liste war zweifellos die Kaiserwürde, die jedoch nur zwischen 1519 und 1558 – in der Person Karls V. – mit der spanischen Krone verbunden war. Karl gebot über ein Reich, in dem, wie es so schön heißt, die Sonne niemals unterging – in dem aber auch kein Problem fehlte, mit dem sich die Welt der Frühen Neuzeit konfrontiert sah: Glaubensspaltung, rapider demografischer und wirtschaftlicher Wandel, Begegnungen mit unbekannten Ländern und Menschen, internationale Konflikte. Diesen und anderen Herausforderungen begegneten die Habsburger, indem sie neue Zweige ihres „Familienunternehmens“ eröffneten – ein Prozess, der, wie in Kapitel 2 bereits deutlich wurde, in den 1540er-Jahren schon in vollem Gange war und beim Tod Karls V. zur offiziellen Teilung des Hauses Habsburg führte.
Karls Bruder und Nachfolger, Kaiser Ferdinand I., führte die Geschicke des österreichischen Familienzweiges fort, der zumindest offiziell als die ranghöhere der beiden Linien galt – immerhin waren dort neben der Kaiserkrone auch noch die beiden Königskronen Böhmens und Ungarns verblieben. Karls Sohn, Philipp II., erhielt Spanien und das spanische Kolonialreich, dazu die Niederlande, die – als Burgundischer Reichskreis – nominell noch immer Teil des Heiligen Römischen Reichs waren, sowie die habsburgischen Besitzungen in Italien, die in vielen Fällen ebenfalls unter der Jurisdiktion des Reiches standen. Der niedrigere Status der spanischen Habsburger wurde durch ihren Ressourcenreichtum mehr als wettgemacht: Die Niederlande waren eine wahre Wirtschaftsmacht, und aus Südamerika hatte das Silber nach Europa zu strömen begonnen (siehe Kapitel 5). Im Gegensatz dazu musste Ferdinand sich mit den komplexen Problemen des Heiligen Römischen Reiches herumschlagen – eines Reiches, über das er weithin nur indirekt herrschte und das nur vergleichsweise wenig zum Kampf gegen die Türken beitrug, die bereits weite Teile Ungarns überrannt hatten. Im Verlauf von Ferdinands Regierungszeit verfünffachte sich die österreichische Staatsschuld; bei seinem Tod 1564 hatte sie zehn Millionen Gulden erreicht, was den Einnahmen aus fünf Jahren entsprach. Zur Bedienung dieser Schuld mussten 1,5 Millionen Gulden im Jahr aufgewandt werden, während die Verteidigung der östlichen Grenzen eine weitere Million Gulden kostete. Der Kaiser hinterließ persönliche Schulden in Höhe von 1,5 Millionen Gulden und war bei seinem Tod zudem mit den Soldzahlungen an seine Soldaten um eine weitere Million Gulden im Rückstand.35 Ferdinands posthume Lösung dieses Problemkomplexes bestand in der weiteren Aufspaltung des Herrscherhauses. In seinem Testament vermachte er die Kaiserwürde der Linie seines ältesten Sohnes und schuf zwei nachrangige Linien für dessen jüngere Brüder. Kurzfristig brachte diese Regelung den Habsburgern eine Festigung ihrer Herrschaft ein, erlaubte sie es doch, die Regierungslast auf den Schultern dreier Erzherzöge zu verteilen. Die Größenvorteile des ungeteilten Territoriums gingen jedoch verloren, als Ferdinands Schulden unter den drei neuen Herrschern aufgeteilt wurden – nun mussten sie alle drei in ihren Territorien die Steuern erhöhen, um ihren Anteil daran begleichen zu können. Die Zentrifugalkräfte, die schon jetzt in der weitgehenden Autonomie der einzelnen Länder steckten, nahmen in dem Maß weiter zu, in dem jede der drei Linien sich in der Folge auf ihre lokalen Probleme konzentrierte und dabei eine eigene Identität ausbildete.
Erzherzog Karl erhielt, als jüngster der drei Brüder, den scheinbar kärglichsten Teil, nämlich fünf Länder, die zusammen als „Innerösterreich“ bekannt waren, oft aber auch „Steiermark“ genannt wurden. Namengebend war das mit rund 460 000 Einwohnern im Jahr 1600 bevölkerungsreichste der fünf Länder, das Herzogtum Steiermark.36 Die anderen vier (die Herzogtümer Kärnten und Krain sowie die Grafschaft Görz mit Gradisca) kamen zusammen auf rund 600 000 Einwohner, wodurch der Erzherzog von Innerösterreich über mehr Untertanen gebot als die meisten Kurfürsten. Allerdings lag sein Herrschaftsgebiet in der äußersten südöstlichen Ecke des Heiligen Römischen Reiches – und damit in direkter Frontstellung zum Reich der Osmanen. Zwar entwickelte die steirische Wirtschaft sich prächtig – das Land war reich an Kupfer und Eisenerz –, aber schon bald floss ein immer größerer Teil der Steuereinnahmen in die Verteidigung der kroatischen und ungarischen Grenzen (der sogenannten Militärgrenze zum Osmanischen Reich). Dennoch nahm die steirische Linie der Habsburger in der internen Rangfolge des Hauses Österreich rasch den zweiten Platz ein. Das lag daran, dass sie mit ihrem relativen Wachstum die Tiroler Linie in den Schatten stellte, die der mittlere der drei Brüder, Erzherzog Ferdinand, begründet hatte. Die Silberminen, die Tirol einst zum reichsten habsburgischen Territorium gemacht hatten, befanden sich endgültig im Niedergang. Zwar eröffnete die Salzgewinnung eine alternative Einnahmequelle, aber auch das konnte nichts daran ändern, dass in den abgelegenen Alpentälern Tirols und im politisch dazugehörigen Vorderösterreich insgesamt gerade einmal 460 000 Menschen lebten. Beim letztgenannten, auch als „österreichische Vorlande“ bekannten Gebiet handelte es sich um eine Ansammlung verstreuter Enklaven, hauptsächlich am Oberrhein, im Schwarzwald und an den Oberläufen von Donau und Neckar gelegen, die im Westen bis in das Elsass reichten. Freilich war nur ein Drittel des Elsass unmittelbarer Besitz der Habsburger; ihre Autorität in den übrigen Teilen – und auch im übrigen Vorderösterreich – beruhte größtenteils auf Rechtstiteln, die mit der Kaiserwürde des ranghöchsten Familienzweiges zusammenhingen.
Maximilian von Habsburg war es, der, als ältester Sohn Kaiser Ferdinands, Österreich sowie die Kronen Böhmens und Ungarns erhielt, und den die Kurfürsten als neuen Kaiser annahmen. Allerdings waren nur Ober- und Niederösterreich (Österreich „ob der Enns“ und „unter der Enns“) Maximilians direkter Erbteil, und mit ihren zusammen rund 900 000 Einwohnern erwirtschafteten sie geringere Einkünfte als Böhmen, das aber auch mehr Einwohner hatte.37 Die Habsburger hatten die Wenzelskrone im Jahr 1526 geerbt, als der letzte König von Böhmen aus der mit ihnen verschwägerten, litauisch-polnischen Dynastie der Jagiellonen im Kampf getötet worden war. Die neuen Herren Böhmens betrachteten ihren Herrschaftsanspruch als erblich, hatten den böhmischen Adel aber noch nicht davon überzeugen können, seine traditionellen Vorstellungen eines Wahlkönigtums auch offiziell aufzugeben. Böhmen war ein Gebilde aus fünf sehr unterschiedlichen Provinzen, mit je eigenen Gesetzen und eigener Regierungsform. Innerhalb dieses Verbundes war es das Königreich Böhmen im engeren Sinne, das den Vorrang beanspruchte – das ging so weit, dass die Böhmen den Vertretern der restlichen Länder sogar die Teilnahme an der Königswahl verwehrten. Mit ihren rund 650 000 Einwohnern war die Markgrafschaft Mähren etwa halb so groß wie Böhmen, hatte mit diesem aber mehr gemein als mit den anderen Kronländern, so etwa die gemeinsame tschechische Sprache und das hussitische Erbe. Die Hussiten waren theologische Vorläufer Luthers gewesen, die im 15. Jahrhundert die Forderung nach religiösen Freiheiten mit einem Feldzug für politische Autonomie verbanden. Der böhmische König hatte ihren Aufstand in den 1430er-Jahren nur mit Mühe – und der Hilfe des deutschen Adels – niedergeschlagen. Diese Erfahrung hatte die Abgrenzung von den anderen, mehrheitlich deutschsprachigen Kronländern Oberlausitz, Niederlausitz und Schlesien verschärft, die nördlich und östlich des böhmischen Kernlandes hinter Gebirgszügen lagen.
Am schwächsten war die habsburgische Autorität in Ungarn, das ebenfalls 1526 durch Erbschaft in habsburgischen Besitz gekommen war, als Ludwig II., der junge jagiellonische König von Böhmen, Ungarn und Kroatien, zusammen mit drei Vierteln seines Heeres bei Mohács im Kampf gegen die Türken fiel. Unter den überlebenden ungarischen Adligen kam es in der Frage, ob sie ihr zerfallendes Reich den Habsburgern überlassen sollten, zu erbittertem Streit. Die Mehrheit stellte sich gegen eine Fremdherrschaft; stattdessen wollten sie die Stephanskrone einem aus ihrer Mitte übertragen: Johann (János) Zápolya, den sie im Einklang mit ihren eigenen Vorstellungen von einem ungarischen Wahlkönigtum als König von Ungarn proklamierten. Eine Minderheit akzeptierte den Anspruch der Habsburger, die sich mit umfassenden Zugeständnissen Unterstützung erkaufen wollten. Der vereinte ungarische Widerstand gegen die Osmanen brach zusammen, woraufhin diese Ungarn auf einer Fläche von mehr als 120 000 Quadratkilometern besetzten, was bis 1541 rund 900 000 dort ansässige Menschen unter osmanische Herrschaft brachte. Zápolya zog sich nach Nordosten zurück und schuf sich sein eigenes Reich, indem er das größtenteils autonome Fürstentum Siebenbürgen mit dem sogenannten Partium vereinte, einem in der historischen Landschaft Ruthenien gelegenen Teil des damaligen Königreiches Ungarn, der heute überwiegend zu Rumänien gehört. Das Partium bestand aus acht ungarischen Komitaten (Grafschaften) östlich der Theiß. Damit herrschte Zápolya über ein Territorium von insgesamt rund 80 000 Quadratkilometern Fläche, auf dem vielleicht 750 000 Menschen lebten. Seinen Anspruch auf den Fürstentitel ließ er sich von den Habsburgern bestätigen; im Gegenzug sollte das vergrößerte Fürstentum Siebenbürgen (und auch die ungarische Krone) nach seinem Tod an das Haus Habsburg fallen. Der örtliche Adel sah es jedoch überhaupt nicht ein, sich seine Rechte nehmen zu lassen, und wählte Stephan (István) Báthory zum Gegenfürsten; 1571 sicherte Báthory sich den Schutz der Osmanen.
Das Fürstentum Siebenbürgen wurde so zu einer autonomen Brücke zwischen dem türkisch besetzten Mittelungarn mit der Metropole Buda auf der einen Seite und dem habsburgischen „Rumpfungarn“ mit der Residenz Pressburg (Bratislava) auf der anderen. Der Zustrom von Flüchtlingen vor dem islamischen Vormarsch sorgte dafür, dass in dem habsburgischen Territorium bald – geringfügig – mehr Menschen lebten als in den beiden anderen; allerdings bewirkte die Teilung Ungarns, dass die Habsburger mehr als zwei Drittel ihres vormaligen ungarischen Besitzes verloren.38 Allein die Kroaten nahmen die habsburgische Herrschaft mit voller Überzeugung an, weil sie sich davon eine größere Autonomie von den Ungarn versprachen. Die ungarischen Stände wiederum blieben zwar königstreu und akzeptierten, dass die altehrwürdige Stephanskrone nun von einem Habsburger getragen werden sollte. Zugleich bestanden sie jedoch strikt auf ihren Rechten, nicht nur den König zu wählen, sondern sich ihm auch zu widersetzen, wenn er gegen ihre Verfassung verstieße. Wie schon in Böhmen, stellten diese politischen Differenzen keineswegs einen Konflikt zwischen monarchischen und republikanischen Idealen dar, sondern entsprangen aus abweichenden Vorstellungen von einer Mischverfassung oder monarchia mixta, wobei je nach Sachlage einmal die Rechte des Monarchen betont wurden, einmal die der Stände.