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c) Parlamentsrecht der Weimarer Republik

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Das Parlamentsrecht der Weimarer Republik verteilte sich – wie schon in der Kaiserzeit (s. Rn. 46 f.) – auf die Verfassung und auf die Geschäftsordnung. Im Vergleich zur alten Reichsverfassung waren einige Änderungen zu verzeichnen. Sie spiegelten die gewachsene Bedeutung des Reichstages wieder. Zusätzlich zur weiterhin bestehenden Geschäftsordnungsautonomie und dem Recht, das Präsidium zu wählen und Gesetze zu initiieren, wurden dem Parlament weitere Befugnisse zuerkannt: Der Reichstag erhielt erstmals das Selbstversammlungsrecht (Art. 24 Abs. 2) und der Reichstagspräsident die Polizeigewalt im Reichstagsgebäude (Art. 28 S. 1 WRV). Der Immunitätsschutz wurde erweitert: Art. 31 RV hatte die Abgeordneten nur vor Untersuchungs- oder Zivilhaft geschützt. Art. 37 WRV erstreckte die Immunität auf jede andere Haft und Beschränkung der persönlichen Freiheit. Die Abgeordneten besaßen erstmals ein Zeugnisverweigerungsrecht für ihnen anvertraute Geheimnisse, flankiert von einem akzessorischen Beschlagnahmeverbot für Schriftstücke (Art. 38 Abs. 1 WRV). Der Reichstag und seine Ausschüsse erhielten – als „Folge der parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit“[52] – das Recht, Regierungsmitglieder herbeizuzitieren (Art. 33 Abs. 1 WRV). Auf Anregung Max Webers[53] garantierte Art. 34 WRV außerdem das Recht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen.

Dies war auf Reichsebene ein Novum. In einigen Einzelstaaten war das Enquêterecht bereits vor 1918 verankert (vgl. z.B. Art. 82 PrVerf 1850). Die Minderheitsenquête war gemäß Art. 34 Abs. 1 S. 1 WRV möglich, konnte aber – anders als nach Art. 44 GG – nicht gerichtlich erzwungen werden.[54]

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Das Parlamentsrecht der Länder entsprach im Wesentlichen dem Reichsrecht. Das Auflösungsrecht und die Länge der Wahlperiode variierten. Das Geschäftsordnungsrecht der Länder knüpfte an die Regelungen an, die vor 1918/19 bestanden hatten, passte diese aber in gewissem Maße an die stärkere Rolle des Parlaments an.[55] Bestimmte Statusrechte der Reichstagsabgeordneten normierte die Weimarer Verfassung zugleich für die Landesebene (Art. 36-40 WRV). Nur einzelne Landesverfassungen nahmen auf die politischen Parteien (über Proporzregelungen) Bezug.

In manchen Landesparlamenten stellten sich die radikalen antidemokratischen Parteien KPD und NSDAP – zum Teil schon früher als auf Reichsebene – als Problem dar. Hierauf wurde verschiedentlich versucht, durch Geschäftsordnungsänderungen zu reagieren. So verlängerten einige Landtage die Dauer von Sitzungsausschlüssen und schufen die Möglichkeit, von der Beratung solcher Vorlagen abzusehen, die offenkundig nicht in die Zuständigkeit des Landesparlaments fielen.[56] Bekannt ist die Änderung der Geschäftsordnung des Preußischen Landtages vom 12. April 1932 – zwölf Tage vor einer Landtagswahl. Für die Wahl zum Ministerpräsidenten war danach auch im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit nötig (statt wie zuvor die relative Mehrheit). Damit konnte die NSDAP, welche bei der Landtagswahl stärkste Partei wurde, vom Amt des Ministerpräsidenten ferngehalten werden. Die bisherige SPD-geführte Regierung amtierte weiter. Das verfassungsrechtlich zweifelhafte Geschäftsordnungsmanöver[57] konnte die Demokratiefeinde aber nicht lange von Regierungsämtern fernhalten. Die obrigkeitsstaatlich gesinnte Reichsregierung von Papen entmachtete die Landesregierung mit dem „Preußenschlag“ am 20. Juli 1932. Wenige Monate später wurde der Nationalsozialist (und Reichstagspräsident) Hermann Göring zum kommissarischen preußischen Innenminister und im April 1933 zum Ministerpräsidenten ernannt.

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Von den erwähnten Änderungen abgesehen, war das Parlaments- bzw. Geschäftsordnungsrecht der Zwischenkriegszeit an vielen Stellen von inhaltlicher und teilweise sogar textlich-formaler Kontinuität zum Recht des kaiserzeitlichen Reichstages und der fortschrittlicheren Einzelstaaten geprägt:[58] Die Nationalversammlung (1919/20) und der 1. Reichstag der Weimarer Zeit übernahmen zunächst im Wesentlichen die kaiserzeitliche Geschäftsordnung. Aber eine gewisse Überarbeitung der bisherigen Rechtslage war geboten. Daher erließ der Reichstag am 22. Dezember 1922 eine neue Geschäftsordnung (GO-RT). Sie trat zum 1. Januar 1923 in Kraft[59] und galt mit kleineren Ergänzungen (u.a. vom 9. Februar 1931) bis zum Ende der Weimarer Republik. Die Geschäftsordnung zeichnete endlich die Parlamentswirklichkeit nach, indem sie die Fraktionen an mehreren Stellen, z.B. in § 7 (bei der Fraktionsbildung) und § 9 (bei den Stellenanteilen der Fraktionen), erwähnte. Der bisherige Seniorenkonvent wurde in „Ältestenrat“ umbenannt. Änderungen im Februar 1931 dienten einer Verschärfung der Ordnungsmittel, um Störungen der NSDAP und der KPD entgegenzuwirken, was letztlich erfolglos blieb. Störungen blieben an der Tagesordnung. Die Sitzung am 12. Mai 1932 musste sogar abgebrochen werden. Am 8. Dezember 1932 eskalierte ein Konflikt zu einer regelrechten Saalschlacht.

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Abgesehen von den beschriebenen Änderungen führte der Weimarer Reichstag die Organisation und die Arbeitsweise des kaiserlichen Parlaments im Wesentlichen fort: Weiterhin bestanden Proporzregeln für die Binnenorganisation. Die Sitzungszahl lag weiterhin bei über 100 pro Jahr.[60] Allerdings nahm die Ausschussarbeit „in einem exorbitanten Maß zu, wobei das Schwergewicht bei der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik lag.“[61] Die Regierungen wurden weiterhin eher als Gegenspieler des Parlaments verstanden, obwohl sie sich bis 1930 weitgehend auf Parlamentsmehrheiten stützten und ihre Mitglieder überwiegend Parteivertreter und Abgeordnete waren. Die inhaltliche Ausarbeitung der Gesetze wurde weiterhin der Regierung überlassen; Entwürfe aus der Mitte des Reichstages waren oftmals handwerklich mangelhaft, auch weil die Abgeordneten keine Mitarbeiterstäbe besaßen, die ihnen hätten zuarbeiten können.[62]

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