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e) Selbstentmachtung durch das Ermächtigungsgesetz[68]

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Am 27. Februar 1933 brannte der Reichstag. Der Plenarsaal wurde vollständig zerstört. Ein Fanal für die Zukunft der Republik. Wer auch immer den Brand gelegt oder dazu angestiftet hatte: die Regierung Hitler nutzte ihn umgehend aus. Die einen Tag nach dem Brand, am 28. Februar 1933, erlassene „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (sog. Reichstagsbrandverordnung) setzte „bis auf Weiteres“ die meisten Grundrechte außer Kraft. Sie galt bis zum Ende des NS-Regimes im Mai 1945. Bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 erreichte die NSDAP nur gemeinsam mit der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ (unter anderem DNVP, Stahlhelm und parteilose Rechtskonservative) die absolute Mehrheit der Sitze, obwohl der Wahlkampf anderer Parteien zum Teil massiv behindert worden war. Viele Zeitungen und Demonstrationen der linken Parteien waren mithilfe einer Notverordnung vom 4. Februar 1933 (sog. Schubladenverordnung) verboten worden. Die Organisation der KPD war zerschlagen worden. Viele ihrer Funktionäre befanden sich in „Schutzhaft“ oder auf der Flucht. Auch viele SPD-Funktionäre wurden verhaftet oder waren zur Emigration gezwungen. Hitler wollte Gesetze ohne Befassung des Reichstages (des Reichsrates und des Reichspräsidenten) erlassen können. Sein Ziel war die Verfassungsänderung durch ein Ermächtigungsgesetz, das die Gesetzgebung der Reichsregierung übertrug. Dafür war nach Art. 76 Abs. 1 S. 2 WRV eine doppelte Zweidrittelmehrheit erforderlich: Bei der Abstimmung mussten zwei Drittel der gesetzlichen Mitglieder anwesend sein und zwei Drittel der Anwesenden dem Gesetz zustimmen. Durch Versprechungen an das Zentrum gelang es den Nationalsozialisten, dieses zur Zustimmung zu bewegen. Auch die Abgeordneten der BVP und der anderen bürgerlichen (Splitter-)Parteien stimmten dem Gesetz zu. Das Gesetz erhielt 444 von 538 abgegebenen Stimmen. Damit wurde die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Mitglieder und der Anwesenden erreicht. Der Reichstag entmachtete sich, den Reichsrat und auch den Reichspräsidenten durch das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. März 1933[69], das Ermächtigungsgesetz, endgültig selbst. Nur die anwesenden 94 Abgeordneten der SPD stimmten mit „Nein“. Die 81 KPD-Mandate, deren Inhaber ohnehin schon verhaftet, untergetaucht oder ins Ausland geflohen waren, wurden „als nicht existent behandelt“[70]. Über die Verfassungsmäßigkeit des Ermächtigungsgesetzes ist viel gestritten worden. Auch wenn eine verfassungs- oder parlamentshistorische Darstellung nicht in der Lösung vergangener Rechtsfälle ihren Sinn findet: Richtiger Auffassung nach ist es nicht verfassungsgemäß zustandegekommen. Die einschüchternde SA- und SS-Präsenz im und vor dem Plenarsaal[71] war geeignet, die freie Willensentschließung und Abstimmung der Abgeordneten (Art. 21 WRV) einzuschränken. Die bedrohliche Atmosphäre im Sitzungssaal, die noch dadurch verstärkt wurde, dass der Raum mit Hakenkreuzflaggen dekoriert war und der Reichstagspräsident Göring sowie die übrigen NSDAP-Abgeordneten in Uniform erschienen, vermittelte den (nicht unbegründeten) Eindruck, Nein-Stimmen würden Leib und Leben gefährden. Die äußeren Umstände der Sitzung führten zur Unwirksamkeit der Abstimmung.[72]

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