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7. Auslegung der Geschäftsordnung

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Die Auslegung der formellen Geschäftsordnung geschieht grundsätzlich in gleicher Weise wie bei anderen Rechtssätzen auch; der übliche Methodenkanon ist anzuwenden.[67] Dabei ist nach Ansicht des BVerfG für die Auslegung der Geschäftsordnung „die parlamentarische Tradition und Praxis mitheranzuziehen, wie sie durch die historische und politische Entwicklung geformt worden ist“.[68] Die Parlamentstradition ist folglich für die Auslegung besonders bedeutsam, sofern sie bereits aus dem Bundestag stammt oder jedenfalls auf ihn übertragbar ist.[69] Zuständig für die Auslegung während einer Plenarsitzung ist der sitzungsleitende Bundestagspräsident (§ 127 Abs. 1 S. 1 GO-BT). Im Übrigen – also insb. außerhalb von Plenarsitzungen (etwa im Ausschussbetrieb) – ist der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität oder Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zur Auslegung berufen; jedoch können der Präsident, fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages, ein Ausschuss, eine Fraktion oder ein Viertel der Mitglieder des 1. Ausschusses verlangen, dass das Plenum über die Auslegung befindet (§ 127 Abs. 1 S. 2 GO-BT). Die Auslegungsentscheidungen des 1. Ausschusses haben – anders als die ad-hoc-Auslegungen durch den sitzungsleitenden Präsidenten – in manchen Fällen „rechtsfortbildenden Charakter“ und reichen insoweit über eine bloße Auslegung hinaus.[70] Allerdings schafft der 1. Ausschuss durch seine Auslegungsentscheidungen nicht neues Geschäftsordnungsrecht. Er unterbreitet lediglich einen Vorschlag für die künftige Handhabung des Geschäftsordnungsrechts.[71] Die Befugnis zur letztgültigen authentischen[72] Interpretation und zur Änderung der Geschäftsordnung besitzt allein das Plenum. „Das Haus bleibt Herr seines Verfahrens.“[73] Dies zeigen Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG und § 127 Abs. 1 S. 2 GO-BT. Nur durch eine Auslegungsentscheidung des Plenums würde neues Geschäftsordnungsrecht geschaffen (wenngleich in der Praxis zur Klarstellung die GO-BT geändert wird). Gleichwohl sind die mittlerweile über 220 Auslegungsentscheidungen des 1. Ausschusses in der Parlamentspraxis sehr bedeutsam. Das Parlament folgt ihnen bei der Handhabung der Geschäftsordnung. Neben dem Plenum und dem 1. Ausschuss kann auch die Handhabung der Geschäftsordnung durch den Ältestenrat, das Präsidium, den Präsidenten außerhalb von Sitzungen, die Ausschussvorsitzenden und andere Amtsträger die Auslegung prägen.[74] Dies gilt z.B. im Bereich der Verhaltensregeln, die dem Präsidenten und dem Präsidium Einzelfallentscheidungen ermöglichen (§§ 7, 8 der Anlage 1 zur GO-BT). Normcharakter hat eine Auslegungsentscheidung, wenn sie entweder vom Plenum getroffen wurde oder wenn sie vom 1. Ausschuss getroffen wurde, das Plenum ihr nicht widersprochen hat, und sie seit ihrer Verabschiedung mehrmals im Bewusstsein ihrer Verbindlichkeit angewandt wurde.[75] Sofern dies alles nicht der Fall ist, besitzt eine Auslegungsentscheidung keine Normqualität. Sie wirkt aber in der Praxis bis zu einer gegenteiligen Entscheidung oder Praxis als Konkretisierung der Geschäftsordnung, die zu beachten ist und auf die sich Parlamentsmitglieder berufen können.[76] In der Parlamentspraxis wird die Frage des Normcharakters nicht aufgeworfen. Dasselbe gilt für die Frage, ob Auslegungsentscheidungen nicht ebenfalls dem Prinzip der sachlichen Diskontinuität unterliegen. Grundsätzlich ist dies der Fall, da sich die Auslegungsentscheidungen auf die nach h.M. ebenfalls diskontinuierliche Geschäftsordnung beziehen. Sofern sie aber – wie im Regelfall – mindestens stillschweigend in jeder Wahlperiode, seitdem sie gefällt wurden, akzeptiert und befolgt werden, gelten Auslegungsentscheidungen als Teil des ungeschriebenen Geschäftsordnungs(gewohnheits)rechts auch über Wahlperiodenwechsel hinweg fort.

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