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E. Aufgaben des Handelsrechts
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Das Handelsrecht soll den besonderen Bedürfnissen des Handelsverkehrs Rechnung tragen, die sich unter anderem daraus ergeben, dass Kaufleute im Vergleich zu „normalen“ Personen eine Vielzahl von Rechtsgeschäften abschließen und daher über ein größeres Maß an Geschäftserfahrung verfügen. Im Einzelnen:
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1. Kaufleute sind angesichts ihrer größeren Geschäftserfahrung weniger schutzwürdig als „Normalbürger“. Von ihnen kann daher ein gesteigertes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit erwartet werden. Praktische Konsequenz dessen ist, dass das HGB eine Reihe von allgemein-zivilrechtlichen Schutzvorschriften für unanwendbar erklärt, wenn der Betroffene ein Kaufmann ist. Positiv formuliert erweitert das HGB also die Privatautonomie des Kaufmanns.[16]
So erklärt beispielsweise § 348 HGB die Vorschrift des § 343 BGB, die eine richterliche Herabsetzung einer verwirkten Vertragsstrafe ermöglicht, für unanwendbar, wenn die Vertragsstrafe von einem Kaufmann versprochen wurde. Oder: Nach § 362 HGB ist unter bestimmten Voraussetzungen – entgegen dem allgemeinen Grundsatz, dass Schweigen ein rechtliches Nullum ist – das Schweigen eines Kaufmanns als Annahme eines Antrags auf Geschäftsbesorgung zu verstehen.
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2. Darüber hinaus besteht im Handelsverkehr ein gesteigertes Bedürfnis nach Rechtssicherheit, Schnelligkeit und Einfachheit. Der Rechtsverkehr muss daher nicht nur in verstärktem Maße von der Notwendigkeit enthoben werden, Nachforschungen über die tatsächlichen Verhältnisse anzustrengen, sondern auch die Möglichkeit haben, rasch Klarheit über Umstände zu gewinnen, die für weitere Geschäftsentscheidungen wichtig sind.
Ein Beispiel für Ersteres sind die §§ 49, 50 I HGB, nach denen nicht nur der Umfang einer Prokura (als handelsrechtliche Sonderform einer rechtsgeschäftlichen Vollmachtserteilung) weitgehend gesetzlich geregelt ist (§ 49 HGB), sondern auch Abweichungen hiervon Dritten gegenüber unwirksam sind, § 50 I HGB. Ein Beispiel für Letzteres ist § 377 HGB. Danach trifft einen Kaufmann bei einem beiderseitigen Handelskauf die Pflicht zur unverzüglichen Untersuchung der gekauften Sache und (ggf.) unverzüglichen Mängelanzeige; tut er dies nicht, verliert er seine Gewährleistungsrechte. Damit wird u. a. erreicht, dass der Verkäufer schnell Rechtssicherheit darüber gewinnen kann, ob ihn der Käufer wegen (angeblicher) Mängel in Anspruch nimmt.
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3. Eng mit den unter 2. genannten Aspekten verzahnt ist das gesteigerte Bedürfnis des Handelsverkehrs an der Publizität von für Geschäftsentscheidungen wichtiger Tatsachen und einem Schutz des Vertrauens in publik gemachte Umstände.
Praktischer Ausfluss dessen sind z. B. die Vorschriften über das Firmenrecht (§§ 17 ff. HGB), das Registerrecht (§§ 8 ff. HGB) und insbesondere die den guten Glauben an die negative bzw. positive Publizität schützende Vorschrift des § 15 HGB.
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4. Schließlich besteht gerade im Bereich des Handelsrechts ein erhebliches praktisches Bedürfnis nach weiteren, im BGB nicht vorgesehenen Vertragstypen und flexiblen, das allgemeine Zivilrecht ergänzenden Regelungen.[17]
Beispielsweise handelt es sich bei den transportrechtlichen Verträgen der §§ 407 ff. HGB zwar in aller Regel „nur“ um besondere Werkverträge, angesichts der speziellen Situation bei Speditions-, Fracht-, Lager- und Seefrachtverträgen ist aber eine den Spezifika dieser Situationen Rechnung tragende Kodifikation erforderlich.
§ 1 Einleitung › F. Konzeption und Inhalt dieses Lehrbuchs