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Sommer

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Mila Sommer trug einen Nachnamen, der nur für ein Viertel des Jahres passend war. Tatsächlich fühlte sie sich aber das ganze Jahr über unpassend, egal wo sie sich aufhielt. Nicht, dass sie jemals weit über die Grenzen der Stadt hinausgekommen war.

Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, arbeitete seit ihrer Jugend in derselben Kneipe, nur um jeden Tag denselben dummen Sprüchen und gierigen Blicken von den immer gleichen alten Lustgreisen ausgesetzt zu sein. Sie war früh von zu Hause weggezogen, nachdem ihr Stiefvater versucht hatte, sich an ihr zu vergreifen. Wenn sie heute darüber nachdachte, wäre es vielleicht besser gewesen, es über sich ergehen zu lassen, statt ihm eine Blumenvase über den Kopf zu ziehen. Sie hätte sich eine Menge Arbeit, Stress und Geld sparen können, wenn sie ihr Elternhaus später verlassen hätte. Mittlerweile hatte sie mit so vielen Mistkerlen geschlafen, dass einer mehr auch keinen Unterschied gemacht hätte.

Mila wusste, dass das männliche Geschlecht sie als sehr attraktiv wahrnahm, auch wenn sie selbst das nicht so sah. Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn sie die Chance gehabt hätte, sie selbst zu sein. Aber Tag für Tag zwängte sie sich in die enge schwarze Jeans und die noch engere, gleichfarbige Bluse. Schminken musste sie sich für ihren Kneipenjob nicht, den Lustgreisen reichte es, auf ihre Brüste zu starren, tat es aber trotzdem. Unter ein wenig Make-Up fühlte sie sich besser, wie hinter einer Maske. Das half ihr, ihre Rolle zu spielen - zu lächeln, auch wenn sie angeekelt war. Und sie war fast immer angeekelt.

Wenn zur Abwechslung ein anständiger Mann in die Kneipe kam, ging sie nach Schichtende nicht selten mit zu ihm. Aber nur weil sie besser aussahen, waren diese Männer keine besseren Menschen als die gewöhnlichen Lustmolche, das hatte sie früh gemerkt. Mittlerweile war ihr das aber egal. Sie hatte keine Erwartungen mehr, ging nur noch mit, um das alles für kurze Zeit zu vergessen und wenigstens die Illusion zu genießen, dass jemand sie wirklich wollte.

Der letzte Gast war gerade nach draußen getaumelt, als Mila die Theke abwischte, dann ihre Schürze auszog und unter den Tresen legte.

„Ich mach Feierabend“, schrie sie ihrem Chef zu, der gerade im Hinterzimmer die mickrigen Einnahmen zählte. Gerade als sie zur Tür hinauswollte, rief er ihren Namen und sie drehte sich um. Ihr Chef war ein schmächtiger, kleiner Mann namens Frank Meis, der in seiner eigenen Welt lebte und immer ein Sakko trug, obwohl die meisten seiner Stammkunden in Jogginghose kamen und auf so etwas keinerlei Wert legten. Aber dass er sich alles anders vorgestellt hatte und verbittert an seinen Träumen festhielt, konnte sie ihm nicht verübeln.

„Mila, du weißt, ich schätze deine Arbeit hier“, begann er.

Er will irgendwas von mir, dachte sie, vielleicht eine Gehaltskürzung, weil die Einnahmen nicht mehr reichten.

„Aber kannst du deine Haare wieder glätten? Wir hatten mehr Kunden, als du glatte Haare hattest“, fuhr er fort.

„Du kannst mich mal, Frank“, sagte Mila und bevor ihr Chef noch etwas erwidern konnte, war sie schon draußen.

Als sie in ihrer Wohnung angekommen war, die sie sich günstig, aber geschmackvoll eingerichtet hatte, zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus und ließ ihre Kleidung einfach fallen. Sie drehte die Heizung auf und schaltete das Radio an. All Right Now aus den 70ern. Perfekt.

Mila öffnete eine Schublade und holte ein Gramm Amnesia Haze, Zigarettentabak, Longpapers und ein Stück Pappe heraus. Dann setzte sie sich auf die Couch und breitete die Utensilien vor sich auf dem Tisch aus. Sie streute erst etwas Tabak, dann ordentlich Gras auf das Zigarettenpapier, riss von dem Stück Pappe etwas ab und formte es zu einem Filter, den sie an einem Ende des Papers hinlegte. Sie rollte behutsam die Gras-Tabakmischung ein und leckte dann über die Außenseite, damit alles hielt. Kurz betrachtete sie ihr Werk, dann zündete sie den Joint an. Sie inhalierte den Rauch tief und legte den Kopf in den Nacken.

It's all right now, baby it's all right now.

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