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DIE ERSTEN KRANKHEITSANZEICHEN

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Meine Polizeikarriere begann in einem Ort namens Oerlenbach, einem winzigen 5000-Seelen-Dorf im, sorry, bayerischen Nirgendwo. Das erste Mal in meinem Leben war ich allein längere Zeit von zu Hause fort. Es war unglaublich schwer für mich, so weit wegzuziehen, auch wenn für mich damit der Traum, Polizist zu werden, in Erfüllung ging. Trotz der Entfernung von 500 Kilometern pendelte ich daher jedes Wochenende hin und her: Am Freitag direkt nach der Schicht fuhr ich nach Hause und erst Sonntagabend ging es wieder zurück ins Ausbildungszentrum.

Aber nicht nur die Entfernung zu meiner Familie und meinen Freunden war in dieser Zeit ein Problem für mich. Mir machte auch zu schaffen, dass die Beziehung meiner Eltern damals immer schlechter wurde. Sicher, ihre Eheprobleme waren für uns Kinder nichts Neues. Für uns war es eigentlich ganz normal, dass ab und zu der Haussegen schief hing und sich die beiden in die Haare kriegten. Aber jetzt spitzte sich die Lage zunehmend zu. Und wenn ich heute zurückblicke, litt ich darunter weitaus mehr, als ich damals dachte.

2011 gab es anscheinend keinen Ausweg mehr. Meine Eltern ließen sich scheiden. Ich versuchte alles, wirklich alles, um beiden gleichermaßen beizustehen und jedem von ihnen Gehör und Rat zu schenken. Wir telefonierten beinahe täglich, mal hörte ich mir die Version meiner Mutter an, mal die meines Vaters. Ich versuchte, beide Seiten zu verstehen und beiden Zuspruch zu geben. Ich wollte einfach keinem von ihnen das Gefühl geben, dass ich ihm die Schuld an allem gab. Von meinen Geschwistern fühlte ich mich alleingelassen. Sie hielten sich raus. Sie sind in dieser Beziehung einfach ganz anders als ich. Außerdem hatten sie mittlerweile selbst Familien und vermutlich anderes um die Ohren. So war ich unter uns Kindern für meine Eltern quasi der einzige Ansprechpartner. Und ich hatte das Gefühl, kompensieren zu müssen, was meine Geschwister nicht machten. Heute bin ich mir nicht mehr sicher, was besser war: Zu versuchen jeden Tag Kontakt zu halten und sich einzumischen beziehungsweise etwas beizutragen oder einfach Abstand zu nehmen und meine Eltern ihre Entscheidungen selbst treffen zu lassen. Aber Fakt ist, dass damals nicht nur die Ausbildung zum Polizeimeister viel anstrengender war als ich erwartet hatte, sondern dass mir auch die familiären Probleme ziemlich zusetzten.

Ungefähr 2010 ging es dann wahrscheinlich auch mit meiner Krankheit los. Auf jeden Fall hatte ich plötzlich öfter mal Bauchkrämpfe und Durchfall. Einen allzu großen Kopf habe ich mir deswegen aber nicht gemacht: Hallo, ich war Anfang 20, stark und unabhängig – und im Begriff ein Polizist zu werden. Da konnte ich doch gar nichts haben, dachte ich mir. Also ignorierte ich die Beschwerden. Schob sie auf die Nahrungsergänzungsmittel, die ich einnahm, um meinen Körper mit Proteinen und Mineralstoffen zu versorgen. Schließlich trainierte ich echt intensiv, erst recht seit ich mit der Ausbildung begonnen hatte. Ich weiß nicht warum, aber das ganze Gewichtestemmen war einfach mein Ding. Ich fühlte mich dadurch viel besser. Vielleicht wollte ich, wie gesagt, durch meine Muskeln auch ein wenig meine Größe kompensieren. Was auch immer: Ich war jedenfalls Kraftsportler mit Leidenschaft. Durchfälle kamen da natürlich sehr ungelegen.

Wie ich erst später erfuhr, litt ich schon damals an Colitis ulcerosa, einer chronischen Darmentzündung. Obwohl diese Krankheit gar nicht so selten ist, sind Wissenschaftler und Ärzte sich bis heute noch nicht einig darüber, was genau sie eigentlich auslöst. Aber immer wieder wird vermutet, dass Colitis ulcerosa auch psychische Ursachen haben kann. Ich denke mittlerweile, die ganze Situation damals, der ganze Druck, könnte zumindest mit ein Grund dafür gewesen sein, dass ich krank wurde. Aber so sehe ich es jetzt.


Vor gut zehn Jahren ahnte ich nichts von alldem und habe mich nicht die Bohne mit Colitis ulcerosa oder irgendeiner anderen Magen-Darm-Krankheit beschäftigt. Ich wusste ja noch nicht mal, dass ich krank war. Also konzentrierte ich mich darauf, herauszufinden, ob es irgendwelche Nahrungsmittel gab, die ich nicht vertrug. Ich hatte gehört, dass manche Menschen eine Laktoseintoleranz haben, also eine Unverträglichkeit gegenüber Milchzucker, und ich tippte darauf, dass auch ich dazu zählte. Schließlich hatte ich wegen des Kraftsports ja einen ziemlich starken Proteinkonsum, aß Unmengen Quark und verbrauchte noch mehr Proteinpulver, das meine Muskeln wachsen lassen sollte. Ja, ganz bestimmt hatte ich eine Laktoseintoleranz.

Als damals alles losging, war ich gerade mal Anfang 20. Ich dachte, mir gehört die Welt, und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich ernsthaft krank war. Also schob ich alle Bedenken von mir.

Die Tests, die ich deswegen durchführen ließ, dauerten gefühlt ewig. Ein erster Atemtest ergab nichts, genauso wenig wie die Blutuntersuchung, die daraufhin erfolgte. Alle Ergebnisse waren negativ. Es gab keinerlei Anzeichen, dass ich die Milchprodukte nicht vertrug. Und so war ich alles in allem schnell wieder recht entspannt. Ich war zu der Zeit in der Form meines Lebens – das dachte ich zumindest. Ich war stark, hatte unendlich viel Ausdauer, meine Muskeln konnten sich sehen lassen – genauso wie mein Oberkörper. Außerdem war ich frisch gebackener Polizist, mein Traumberuf, und hatte eine hübsche Freundin. Was sollte ich also schon ernsthaft haben? Die Ärzte, die ich aufsuchte, sahen es genauso …

Mein Darm ist kein Arsch

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