Читать книгу Mein Darm ist kein Arsch - Philipp Stehler - Страница 18
ОглавлениеGEPLATZTE TRÄUME
So lange ich denken kann, wollte ich zur Polizei. Aber dann musste ich feststellen, dass alles ganz anders war, als ich mir es vorgestellt hatte …
Ich hatte meine Ausbildung zum Polizeimeister bestanden und wurde direkt nach Saarbrücken versetzt. Für mich brach damit eine kleine Welt zusammen. Ich hatte gedacht, ich würde endlich wieder nicht weit der Heimat eingesetzt und könnte näher bei meiner Familie leben. Das hatte man mir zumindest zugesichert, als ich ganz am Anfang der Ausbildung gefragt hatte, ob ich später aus Bayern wieder zurück nach Brandenburg oder zumindest in die Nähe könnte. »Klar«, sagte der Einstellungsberater, »in Berlin werden immer Leute gesucht.«
Zweieinhalb Jahre später sah das plötzlich anders aus. Die politische Lage im Bundesgebiet hatte sich verändert. Und mittlerweile würden vermehrt Leute im Süden des Landes gebraucht, weil dort ein Riesenpersonalmangel herrschte, erzählte man uns. Für mich war das ein Schlag ins Gesicht. Was sollte ich nur machen? Ich hatte die ganze Zeit gedacht, dass ich nur meine Ausbildung überbrücken müsste, bis ich wieder »nach Hause« konnte. Nur deswegen hatte ich die Trennung von meiner Familie und die Fernbeziehung mit meiner damaligen Freundin überhaupt ausgehalten. Und jetzt sollte ich noch weiter von ihnen weg?
Ich hatte die Wahl zwischen verschiedenen Stellen in verschiedenen Städten. Die nördlichste davon war Frankfurt am Main. Aber eine Stelle am Flughafen kam für mich nicht in Frage. Diese Arbeit hatte mich schon im Praktikum tierisch genervt. Dort war es mir viel zu ruhig. Das war eher was für die älteren Beamten, die eine ruhige Kugel schieben wollen. Also entschied ich mich schließlich für Saarbrücken. Immerhin musste ich so nicht in München oder Frankfurt am Airport versauern, sondern konnte aktiv sein, mit dem Auto im Grenzgebiet herumfahren und intensive Fahndung betreiben. Trotzdem blieb die Entfernung. 800 Kilometer! Ich habe zu diesem Zeitpunkt ernsthaft überlegt, alles hinzuschmeißen und zu kündigen. Jetzt erst wurde mir klar, was es bedeutet, ein BUNDESpolizist zu sein. Du unterschreibst damit, dass du deutschlandweit eingesetzt werden kannst und nicht wie die Landespolizisten in deinem jeweiligen Bundesland bleibst. Es war einfach frustrierend! Da schaffst du die Ausbildung und hast den Beruf, den du immer wolltest, den Beruf, der deine Eltern stolz macht. Aber hatte ich damit alles erreicht, was ich zu dem Zeitpunkt wollte? Nein! Meine Eltern ließen sich scheiden und ich wurde noch weiter von meinen Lieben weg versetzt. Das zog mich extrem runter. Nach vielen endlos langen Gesprächen mit meinen Eltern entschied ich mich dann jedoch, erst mal dabeizubleiben. »Hallo, es ist immerhin mein Traumberuf«, dachte ich.
»ENDSTATION« SAARBRÜCKEN
Ich zog nach Saarbrücken und meine damalige Freundin zog sogar mit. Im Nachhinein hat sich das als Riesenfehler erwiesen. Aber sie setzte mir mehr oder wenige das Messer auf die Brust: »Entweder ich komme mit, oder es ist aus!« Wir waren zu diesem Zeitpunkt erst ein paar Monate zusammen. Mein Kopf sagte mir zwar: »Hey, das ist viel zu früh«. Aber mein Bauch konterte: »Du liebst sie, klar nimmst du sie mit.«
Tatsächlich lief in Saarbrücken auch erst mal alles ganz gut. Im Dienst war ich zwar mit Abstand der Jüngste, aber die Arbeit vor Ort war mega. Ich lernte so viel, das war echt der Wahnsinn. Meine Kollegen aus der Ausbildung, die mich vorher noch ausgelacht hatten, weil ich nach Saarbrücken sollte, wo ja nichts los wäre, waren schnell ruhig und sogar ziemlich neidisch, wenn wir uns ab und zu schrieben und ich von meinen Einsätzen berichtete.
Saarbrücken, die saarländische Landeshauptstadt, ist nämlich zwar wirklich sehr schön und hat durchaus ihren Charme, aber aus polizeilicher Sicht, ist ganz Saarbrücken ein einziger Puff und eine Riesenspielothek. In Frankreich waren Glücksspiel und Prostitution verboten. Also kamen viele einfach schnell über die Grenze, um hier am Wochenende mal richtig auf die Kacke zu hauen und die Sau rauszulassen. Und weil die Stadt im 30-Kilometer-Bereich von der deutschen Außengrenze liegt, hat die Bundespolizist die volle Zuständigkeit. Dementsprechend viel hatten wir zu tun.
Privat lief es weniger gut. Ich fühlte mich nicht richtig heimisch und es fiel mir schwer, neue Freunde zu finden. Und als dann noch meine Beziehung zerbrach und meine Freundin zurück in die Heimat zog, war ich plötzlich komplett allein. Weil mich nichts mehr zu Hause hielt, stürzte ich mich immer öfter ins Nachtleben und lernte dadurch plötzlich viele Leute kennen. Ich fand auch ein Fitnessstudio und begann wieder regelmäßig zu trainieren. Aber all das machte mich nicht glücklicher. Mir fehlte einfach etwas. Ich fühlte mich nicht am richtigen Platz.
Die neue Dienststelle und die Arbeit dort wurden mir zwar langsam immer vertrauter. Ich war jung und euphorisch und daher hatte ich auch im Polizeidienst einige große Erfolge. Innerhalb weniger Monate wurde ich zweimal für eine Leistungsprämie empfohlen. Die bekommen Polizisten nur, wenn sie außerordentliche Leistungen erbracht haben. Es lief also insgesamt alles recht gut. Aber irgendwas fehlte. Meine Kollegen hatten fast alle eine feste Beziehung, viele sogar schon Kinder. So weit war ich noch nicht. Meine Sturm- und Drangzeit war intensiv und lang. Und ich wollte irgendwie einfach mehr vom Leben …
Ich erkundigte mich, was ich tun könnte, um wieder nach Hause oder zumindest nach Berlin zu kommen. Schnell stand fest, dass dies nur über eine Spezialeinheit bei der Bundespolizei möglich war. Als »normaler« Bundespolizist kannst du dir deinen Einsatzort dagegen nicht einfach so aussuchen, sondern wirst dort eingesetzt, wo gerade Not am Mann ist. Bei den Spezialeinheiten ist das anders, die haben in Sachen Dienstort gewissermaßen einen Bonus. Also bewarb ich mich einfach »zu Hause« in Berlin auf eine Stelle bei der MKÜ, der Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit.
Die MKÜ war ursprünglich mal gegen Hooligankriminalität gegründet worden, weil der normale Streifendienst dort nicht weiterkam. Sie hat mehr Manpower und eine bessere Ausrüstung. Mittlerweile aber macht die Truppe so ziemlich alles: Antiterror, Schutz von Bundesorganen, Unterstützung anderer Bundesländer, auch noch Fußball. Die MKÜ ist ein bisschen das Mädchen für alles, wenn es irgendwo brennt. Manchmal arbeitet sie auch mit der GSG 9 zusammen. Das hat mir imponiert, da wollte ich auch hin. Ich wollte einfach mehr bewegen, als ich es bisher konnte.
Es gab nämlich auch noch einen ganz anderen Grund für meine Unzufriedenheit und der hatte weder mit Saarbrücken noch mit Berlin zu tun: Für mich war das Leben, seit ich denken kann, immer eine Art Challenge. Ich wollte schon immer zeigen, dass ich nicht der stinknormale Typ war, sondern vor allem körperlich mehr konnte. Das ist bei der Polizei insoweit aufgegangen, als dass man mich zum Beispiel zu polizeiinternen Bankdrückmeisterschaften geschickt hat, wo ich mich mit Kollegen aus der ganzen Republik an den Gewichten messen musste. Deutschlandweit habe ich damals den dritten Platz belegt. Auf der anderen Seite habe ich mich im normalen Polizeidienst unterfordert gefühlt. »In einer Spezialeinheit wärst du sicher besser aufgehoben«, dachte ich.