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WAR’S DAS WIRKLICH SCHON?

Mein Job bei der Polizei machte mich immer unzufriedener. Und so fing ich an, meine Fühler auszustrecken, was sonst noch so ging …

Weil mich mein Beruf nicht ausfüllte, versuchte ich mich, so gut es ging, abzulenken – und irgendwann tauchte plötzlich ein alter Wunsch auf, an den ich lange nicht mehr gedacht hatte: Ich träumte davon, erfolgreich und begehrt zu sein, auf der Bühne zu stehen, wo sich alle Blicke auf mich richteten.

An meinem Gymnasium zu Hause in Bad Freienwalde gab es einen Kurs, der sich »Darstellen und Gestalten« nannte. Das interessierte mich, denn ich war neugierig, wie es wohl wäre, im Rampenlicht zu stehen. Allerdings war es unter den »coolen« Schülern nicht gerade angesagt, sich in dieser AG einzuschreiben. Das war eher was für die Nerds, für die, die immer mit einem Buch vor der Nase herumliefen. Wir dagegen waren die, die in der Schule nicht noch unbedingt etwas extra gemacht haben. Außerdem gab es noch ein kleines Manko: In dem ganzen Kurs waren 19 Mädels und nur ein einziger Junge – und der war nicht ich. Nichtsdestotrotz hat es mich super fasziniert und deshalb bin ich zu jeder Aufführung gegangen. Ich war ein stiller Zuhörer, der nicht zugeben wollte, dass er das, was da auf und hinter der Bühne passierte, total spannend fand.

Wenig später habe ich sogar ganz kurz mal davon geträumt, Schauspieler zu werden. Aber ich bin ja in einer ganz normalen, bodenständigen und auch relativ konservativen Familie aufgewachsen. Meine Mutter hat mich zwar schon immer in allem unterstützt. Aber mein Vater ließ sich durch nichts weichklopfen. Das habe ich auch gemerkt, als später die ganze Social-Media-Sache anfing. Meine Mutter hat damals nie groß gezweifelt, sondern immer gedacht: »Der Philipp wird das schon machen.« Mein Vater dagegen hat ganz schön damit zu tun gehabt. Er war echt lange der Meinung, dass die ganze Schauspielerei und so keine Zukunft hätte.

Auf jeden Fall war das Thema Schauspielerei damals sehr schnell vom Tisch, als mich mein Papa jeden Tag zum Praktikum beim Bundesgrenzschutz gefahren hat. Er war stolz wie Bolle auf seinen Sohn und hat immer wieder betont, wie wichtig das wäre, dass ich was Solides mache, das auch wirklich Sicherheit gibt. Aber auch wenn das Thema damit faktisch erst mal vom Tisch war: Aus meinem Kopf war es nicht. Und in Saarbrücken, wohin es mich nach meiner Ausbildung verschlagen hatte und wo ich seit der Trennung von meiner damaligen Freundin das erste Mal so richtig auf eigenen Füßen stand, keimte der Gedanke daran dann irgendwann wieder auf.

Es hatte mich wirklich hart getroffen: Mir war nach den drei Jahren in Franken und nach der ganzen Sache mit der Scheidung meiner Eltern ein riesengroßer Stein vom Herzen gefallen, als ich mit der Ausbildung fertig war. Aber als ich dann erfuhr, welche Verwendung man für mich vorgesehen hatte, war ich komplett fertig. »Das gibt es doch nicht«, dachte ich. »Da kannst du endlich weg von hier und jetzt sollst du wieder irgendwo am Arsch arbeiten?

In der Phase war ich sehr zerbrechlich. Ich dachte ernsthaft daran, zu kündigen, und fragte mich immer öfter: »Ist das wirklich das, nach dem du jahrelang gestrebt hast, schon als Kind und Jugendlicher?« Dabei wollte ich doch immer Polizist werden. Aber ich hatte mir das Ganze komplett anders vorgestellt. Ich dachte, dass ich dann jeden Tag Action hätte, dass ich sportlich gefordert würde und eine Respektsperson wäre. Aber ich hatte in meinen Einheiten nie die Chance, das so umzusetzen.


Auf der anderen Seite waren da meine Eltern, die todunglücklich gewesen wären, wenn ich jetzt einfach alles hingeworfen hätte. Vor allem mein Vater war unglaublich stolz auf mich und hat das bei jeder Familienfeier laut verkündet. Ich habe wirklich mit mir gehadert. Das hat natürlich meine Kündigung nicht einfacher gemacht.

ERSTE CASTINGS

Irgendwann dachte ich mir: »Hey, wenn ich hier nicht mit der Polizei wegkomme, dann muss ich mich zumindest ablenken oder vielleicht sogar einfach ohne die Polizei weg.«

Ich hatte im Fernsehen einen Castingaufruf für die Fernsehserie »Berlin – Tag & Nacht« gesehen, die damals gerade angelaufen war. »Bewirb dich jetzt, wenn du Teil der Serie in Berlin werden willst«, hieß es dort. Bämm! »Das ist ein Ticket«, dachte ich. »So kannst du zurück in die Heimat. Wenn auch auf anderem Weg.«

Als kurz darauf tatsächlich ein Casting in Saarbrücken stattfand, bin ich einfach hingegangen. In einem Riesensaal mit lauter anderen Bewerbern hat man mir ein Blatt mit einem Text in die Hand gedrückt, den ich auswendig lernen und eine halbe Stunde später vorspielen sollte.

Eine Rolle hat man mir damals zwar nicht sofort angeboten. Aber ich bekam das Feedback, dass man mich gut fand, man mich in der Kartei speichern und sich melden würde, wenn wieder was wäre. So kam der Stein ins Rollen … Tatsächlich hatten sie mich nach diesem Tag auf dem Schirm. Erste TV-Anfragen für kleine Rollen kamen ins Haus geflattert. Ich fuhr also zweigleisig: Auf der einen Seite machte ich meinen Dienst gut, war erfolgreich und wurde bei meinen Kollegen immer beliebter. Auf der anderen Seite schauspielte ich immer öfter und wurde dabei immer ehrgeiziger. Ich wollte zeigen, dass ich vor die Kamera gehöre. Ich bewarb mich auf eigene Faust bei immer mehr Castings. Suchte Produktionsfirmen im Internet und bewarb mich für deren Karteien.

Weil ich, wie man mir immer wieder sagte, ein telegenes Gesicht hätte und bei den Zuschauern gut ankäme, zog ich regelmäßig kleine Rollen an Land – und stieß somit recht schnell an meine Grenzen. Um nebenher als Schauspieler arbeiten zu können, musste ich bei der Polizei nämlich erst mal einen Antrag auf Genehmigung einer Nebentätigkeit stellen. Gesagt getan!

Mein Antrag ging reibungslos durch – und damit war ich berechtigt, nebenbei als Komparse oder Schauspieler zu arbeiten. Wobei das toller klingt, als es war. Man hat mir nämlich gerade mal gewährt, 300 Euro im Monat dazuzuverdienen. Bei dieser Summe blieb mein Einsatz verständlicherweise sehr überschaubar und viel Spielraum für Kreativität gab es auch nicht. Aber ich stand ja erst ganz am Anfang. Vermutlich hätte ich zu der Zeit ohnehin sogar umsonst gearbeitet, einfach um Erfahrung zu sammeln und unter Leuten aus der Branche zu sein. Denn Schauspielen war, wie gesagt, ein Traum, der schon lange tief in mir schlummerte.

Für eine kleine Sprechrolle bekam ich damals eine Vergütung von 100 oder 150 Euro. Das war natürlich eigentlich gar nichts im Vergleich zu dem ganzen Aufwand, der damit verbunden war. Trotzdem war ich mit zwei Rollen, was das Finanzielle anging, für den Monat durch – und das war natürlich total unbefriedigend. Also stellte ich gleich noch mal einen Antrag, dass ich mehr dazu verdienen wollte als die genehmigten 300 Euro. Er wurde wieder genehmigt: Ab da durfte ich für 500 Euro im Monat drehen. Fürs Erste war ich zufrieden …


ENDLICH EINE DIAGNOSE

Aber hey, da war doch noch was. Richtig, mein Darm! Am Anfang kamen die Beschwerden sehr unregelmäßig. Mal hatte ich, wie ich später lernte, einen sogenannten Schub, während dem es mir unglaublich mies ging. Aber dann war es auch wieder lange Zeit erträglich und zwischendurch waren die Beschwerden dann immer wieder komplett weg. Dass genau das das Tückische an dieser Krankheit ist, habe ich allerdings auch erst später erfahren.

In Saarbrücken fand ich immerhin einen Arzt, der nicht gleich abwinkte und sagte: »Was sollen Sie schon haben? Sie sind doch stark und jung.« Dieser Gastroenterologe, so nennt man die medizinischen Spezialisten für den Magen-Darm-Trakt, riet mir, eine Darmspiegelung durchführen zu lassen – es sollte die erste von unzähligen weiteren werden, was ich damals aber noch nicht wusste. Anders als mit so einer Innenschau des Darms kann sich ein Arzt schließlich gar keinen Überblick verschaffen. Ich kann aus eigener Erfahrung nur raten: Sei nicht ängstlich, wenn du Probleme hast. Du schläfst während der Untersuchung eh. Und wenn du wieder wach bist, ist alles schon vorbei und der Arzt schildert dir den Befund. Ist also kein Ding.

Mein Befund sah wie folgt aus: kleine unregelmäßige Rötungen an der Darmschleimhaut des Dickdarms. »Ein ganz typisches Bild für eine Colitis ulcerosa im Anfangsstadium«, schob der Arzt noch hinterher. Die roten Stellen wären Entzündungen. Ich fragte, woher sie kämen und was ich anders machen könnte, um wieder beschwerdefrei zu sein. Das wüsste keiner so genau, lautete die Antwort, aber dass man das gut behandeln könnte. Ich war erleichtert, denn damals vertraute ich jedem Wort eines einzelnen Arztes oder einer einzelnen Ärztin. Nicht dass das heute nicht mehr so ist, aber ich würde mittlerweile niemandem raten, sich nur auf eine Aussage zu verlassen, sondern sich immer verschiedene Meinungen einzuholen. Damals in Saarbrücken aber hörte ich genau das, was ich hören wollte: Du bekommst Medikamente und alles wird wieder gut. Ich beschäftigte mich weder mit der Krankheit noch was die Ursache dafür sein könnte. Ich machte mir auch nicht die Bohne Gedanken darüber, wohin sie führen könnte. Ich war der Meinung, dass ich meinen Teil geleistet hatte: Ich war zum Arzt gegangen, hatte mich untersuchen lassen und wusste jetzt, was mit mir los war und warum ich an bestimmten Tagen Schmerzen und Durchfälle hatte. Damit war das Thema für mich gegessen. Ich nahm meine Medikamente, kleine unscheinbare Kügelchen, die man mit viel Wasser schluckt und die bis in den Dickdarm gelangen, wo sie vor Ort die Entzündungen bekämpfen sollen. Das Medikament, Salofalk, kann dauerhaft eingenommen werden und schien auch zu helfen. Dachte ich zumindest – bis ich vereinzelt immer wieder solche Phasen hatte, in denen sich die Beschwerden enorm verstärkten und es mir eine Weile richtig dreckig ging.

Obwohl ich wusste, dass ich krank war, habe nichts unternommen. In meinem Kopf war einfach der Gedanke: »Ich hab ja alles getan, dann muss ich halt jetzt damit leben.«

Ich habe weder eine andere ärztliche Meinung eingeholt noch mich selbst informiert, um mich mit der Krankheit auseinanderzusetzen geschweige denn überhaupt erst mal zu verstehen, was ich da eigentlich hatte. Heute ist mir das unbegreiflich. Auch wenn ich noch ziemlich am Anfang stand, waren die Beschwerden ja da. Und in unserer Familie gab es durchaus eine genetische Disposition für Darmkrankheiten: Mein Opa ist an Darmkrebs gestorben, mein Onkel hatte auch einen Darmtumor und bei meiner Mutter wurden bereits Polypen im Darm entfernt, um zu verhindern, dass sie sich zu Tumoren auswachsen. Trotzdem habe ich mir erst mal keinen Kopf gemacht. Dass chronische Entzündungen im Darm das Risiko für Darmkrebs ebenfalls erhöhen, wusste ich damals noch nicht.

Mein Darm ist kein Arsch

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