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2.2 Epikur: Das richtige Leben beginnt, wenn wir innerlich unabhängig werden

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Epikur war kein Epikureer. Epikur (341–270) ist heute bekannt für eine Meinung, die er selbst so nie vertreten hat, nämlich dass wir ein ausschweifendes Genussleben führen sollen. Auf Englisch heißt Genussmensch epicurean. Tatsächlich fragte Epikur eher danach, welche innere Haltung wir brauchen und wie wir unser Leben führen sollen, wenn wir zufrieden und frei von unnötiger Sorge leben möchten. Verfolgen wir ernsthaft dieses Ziel, so Epikur, dann sollten wir gerade nicht unseren Begierden folgen und unsere Genüsse immer noch steigern, sondern, im Gegenteil, wir sollen uns unabhängig machen von unseren Begierden und Wünschen. Dass dies dazu führen wird, dass uns die Genüsse ganz neu zugänglich werden, das vertieft unser Leben: Wenn wir sehr durstig sind, schmeckt Wasser besser als das teuerste Getränk schmeckt, wenn wir gar keinen Durst haben. Wie aber können wir loskommen von unseren Begierden, Wünschen und Leidenschaften? Indem wir in uns die Vernunft stark machen und uns selbst durch Vernunft führen.

Klug mit den Bedürfnissen umgehen. Es geht darum, sich wohlzufühlen beim einfachen Dasein. Und diese besondere Lust ist Ursprung und Ziel des wirklich glücklichen Lebens. Manchen Genuss müssen wir vermeiden, weil er auf Dauer nicht zuträglich ist. Und manche Schmerzen müssen wir auf uns nehmen, um später davon zu profitieren. Eine kluge Selbstführung ist viel wichtiger als die immer weitere Steigerung der Lust. Wir wählen

auch nicht jede Lust, sondern übergehen von Zeit zu Zeit viele Lustempfindungen, wenn aus ihnen für uns in höherem Maße Unangenehmes folgt; und viele Schmerzen halten wir für vorteilhafter als Lustempfindungen, wenn für uns größere Lust folgt, nachdem wir die Schmerzen lange Zeit ertragen haben. (Epikur 2014, 139)

Unsere Vernunft besiegt unsere Angst. Epikur gibt uns Hinweise, wie das von Aristoteles beschriebene Vernunftleben aussehen kann. Nehmen wir als Beispiel die Angst vor dem Tod. Den Tod müssen wir nicht fürchten, wenn wir uns klar machen, dass das Nicht-Leben bzw. das Nicht-am-Leben-sein weder gut noch schlecht ist, sondern einfach nicht vorstellbar und außerhalb jeden Vergleichs.

Demnach betrifft das schauderhafteste Übel, der Tod, uns nicht: denn der Tod ist nicht da, solange wir leben, doch wenn der Tod da ist, dann sind wir nicht mehr. (Epikur 2014, 133)

Oder wir haben Angst vor der Zukunft. Doch das Zukünftige liegt nicht in unserer Macht, darüber müssen wir uns immer wieder klar werden. Stattdessen liegt es in unserer Macht, hier und jetzt für Körper und Seele zu sorgen:

Denn die unbeirrte Betrachtung dieser Zusammenhänge kann jede Entscheidung über Tun und Lassen an der körperlichen Gesundheit und dem störungsfreien Zustand der Seele orientieren, da dies das Ziel eines glücklichen Lebens ist. […] Wenn uns dies einmal gelingt, löst sich der ganze Sturm in der Seele auf. (Epikur 2014, 137)

Der Sturm legt sich. Epikur rät also dazu, uns emotional zu distanzieren von dem, was uns Sorgen macht. Unsere Angst lässt sich durch Vernunft einklammern und immer wieder verabschieden. Nicht muss die Angst uns beherrschen, sondern wir können durch Vernunft die Angst beherrschen. Der Sturm legt sich nach und nach. Diesen Zustand des ungetrübten Genusses, der Angstfreiheit, überhaupt der Freiheit von Sorge, Unruhe, Leidenschaften und Antrieben, diesen Zustand nennt Epikur Lust – und meint damit gerade keine ausschweifenden Genüsse.

Vernunft ist Unabhängigkeitskompetenz. Dies sind Epikurs Antworten auf die Frage, was es heißt, das richtige, das in vollem Sinn gute Leben zu erreichen. Es handelt sich nicht um ein Leben, das einfach unseren Wünschen und Antrieben folgt. Sondern um ein Leben, das durch viel Reflexion und Bewusstsein geprägt ist sowie auch durch ständiges Üben. Wenn wir das, was wir zunächst vorfinden, Normalität nennen, also unsere Ängste und Unruhe, unsere Leidenschaften und Begierden, dann rät uns nach Aristoteles nun auch Epikur: Gebt Euch mit dieser Normalität nicht zufrieden, baut an einer neuen, an einer eigenen und vor allem freien Normalität. Euer Ziel ist eine durch Vernunft geprägte Lebensform, in der ihr Euch maximal unabhängig gemacht habt von all dem, was Euch normalerweise beunruhigt, ob im negativen oder im positiven Sinn. Durch vernünftiges Nachdenken und Uns-selbst-Bestimmen zu verändern, was Normalität heißt, das ist auch ein Ziel Foucaults (siehe Kap. 8).

Epikur als Kollege an Ihrer Schule. Was erhofft sich Epikur für Ihre Schüler:innen? Vielleicht kann man wieder sagen: Sie sollen die Unabhängigkeitskompetenz Ihrer Schüler:innen stärken. Die Kinder und Jugendlichen sollen lernen, frei zu werden von der Sucht nach Vergnügen, auch von der Sucht nach Anerkennung. Nicht weil diese Süchte moralisch schlecht sind, sondern weil sie abhängig, unfrei und unglücklich machen. Stattdessen sollen Ihre Schüler:innen ein Leben einüben, das frei und unabhängig ist, weil es sich selbst durch Vernunft bestimmt. Wenn sich das Leben nicht durch übermäßigen Ehrgeiz, Machtgier und Anerkennungssucht führen lässt, sondern durch Vernunft, wird es zu einem eher bescheidenen Leben, das sich verwirklicht als Freude einer unerschütterten Seele am Dasein.

Epikur trat für eine vernünftige Lebensführung ein, welche sich möglichst unabhängig macht von Begierden und Ängsten. Klug und überlegt gilt es das zu tun, was unserem Wohlbefinden wirklich zuträglich ist. Dazu gehört auch der Verzicht auf kurzfristiges Vergnügen zugunsten von längerfristigem Nutzen.

Bildungsphilosophie für den Unterricht

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